Breaking: Polizisten wegen Genua verurteilt

cop-rechercheur 15.07.2008 00:15 Themen: G8 Repression Weltweit
Bei den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 war es zu Ausschreitungen gekommen. Der erste Anti-G8-Protest mit einem Todesopfer.
Jetzt wurden 15 Verantwortliche wegen falscher Behandlung der Protestler verurteilt.
Laut BBC-Eilmeldung befand ein italienisches Gericht 15 Verantwortliche für schuldig.
Zwischen fünf Monaten und fünf Jahren Haft haben die Verurteilten, darunter zahlreiche Polizisten und Doktoren, erhalten.

Die BBC berichtet, dass 30 weitere Verantwortliche freigesprochen wurden - angeklagt wurde unter anderem auch Körperverletzung/tätlicher Angriff.
Die Staatsanwaltschaft soll nach BBC-Informationen gesagt haben, Demonstranten seien gefoltert worden. Die Protestler selbst sagten, sie seien von der Polizei geschlagen worden.

Carlo (23) wurde bei Ausschreitungen von einem Polizisten getötet. Dutzende wurden schwer verletzt.
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Ergänzungen

Reuters berichtet

Manni 15.07.2008 - 07:04
Haftstrafen für Polizisten wegen Gewalt bei G8-Gipfel in Genua

Sieben Jahre nach den gewaltsamen Ausschreitungen beim G8-Gipfel in Genua sind 15 Polizisten wegen brutalen Vorgehens gegen Demonstranten zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Ein Gericht in der italienischen Hafenstadt verhängte am Montag Haftstrafen von fünf Monaten bis fünf Jahre. 30 Angeklagte wurden freigesprochen. Am Rande des dreitägigen Gipfel 2001 war es zu schweren Ausschreitungen und Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Ein Demonstrant wurde getötet und Hunderte verletzt. Der Polizei wurde ein brutales und erniedrigendes Vorgehen vorgeworfen.

In dem Prozess ging es um Vorfälle in einem Zeltlager der Gipfelgegner und in einer Polizeikaserne, in die festgenommene Demonstranten gebracht worden waren. Allein in dem Lager auf dem Gelände einer Schule wurden 73 Demonstranten verletzt. Es wird damit gerechnet, dass die Verurteilten Berufung einlegen.

 http://de.reuters.com/article/companyNews/idDEL1432789320080714

Die DPA Pressemitteilung lautet

Manni 15.07.2008 - 07:05
15 Verurteilungen für Übergriffe während G8-Gipfels 2001 in Genua

Sieben Jahre nach den schweren Übergriffen auf Globalisierungsgegner am Rande des G8-Gipfels in Genua sind 15 Polizisten und Gefängnisbeamte verurteilt worden. Ein Strafgericht sprach am Abend Gefängnisstrafen von fünf Monaten bis fünf Jahren aus. 30 der insgesamt 45 Angeklagten wurden freigesprochen. Bei der Gewalt gegen Demonstranten war im Juli 2001 auch ein Demonstrant von einem Polizisten durch einen Schuss in den Kopf getötet worden. Der Beamte berief sich auf Notwehr und wurde freigesprochen.

Italien, Justiz + indy Kriterien/Macht

(muss ausgefüllt werden) 15.07.2008 - 11:55
auf der Konferenz: Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz, 4./5.10.07
 http://www.adf-berlin.de/wbb2/calendar.php?action=viewevent&id=2717

wurde auf die Unterschiede im Justiz System Deutschland - Italien und besonders auf die Unabhängigkeit der StaatsanwältInnen hingewiesen.
Ob das auch für RichterInnen zutrifft weiß ich jetzt nicht.
Es scheint jedoch, daß die während des Gipfels von den italienischen Repressionsorganen oder wie es immer so schön verklärend (auch von "Linken" unreflektiert nachgeplabbert) heißt,
bei den "Sicherheitskräften" offen ausgelebte Renaissance des italienischen Faschismus, der ja derzeit an vielen Orte Italiens wieder Macht, Einfluß, Posten gewinnt...
nicht ganz ohne Widerstand durchzugehen.
Widerstand aus dem Apperat heraus.

Interessant auch mal wieder wie ihr eure eigenen Essentials verratet, wenn es euch inhaltlich in den Kram passt.
BBC, DPA, NTV Beiträge aneinandergereit, copy and paste bekommen diesmal keinen Kritik Kasten
wie sonst üblich, sondern sie landen auf der Startseite.

Tja so ist das mit den Maßstäben, der Konsequenz, Glaubwürdigkeit, Transparenz, Ehrlichkeit...

und was folgt nun, schafft ihr eure Essentials ab und legt das Gewicht mehr auf die Inhalte, schiebt ihr diese copy and paste Zusammenstellung zurück ins open posting,
oder löscht ihr meine Kritik, schiebt sie nach unten ?
ich schätze ihr werdet eine der zuletzt genannten Optionen wählen, den ihr habt die Macht und die benutzt ihr auch ständig, willkürlich, häufig anti-emanzipatorisch und immer intransparent, ohne Erklärung ohne Vermittlung

Macht, Herrrschaft, Autorität...

Emotional First Aid und Trauma Support

EFAN 15.07.2008 - 12:14
Das Emotional First Aid Network, bestehend aus Activist Trauma Support (Britain) und Out Of Action (Deutschland) wird in den kommenden Tagen Sprechstunden und Workshops in Genua anbieten. Das emotional First Aid Network wird von Aktivist_innen organisiert, nicht von professionellen Therapeut_innen und hat es sich zum Ziel gesetzt Information zu und Unterstuetzung bei psychischen Folgen von Repression anzubieten.

Sprechstunden werden voraussichtlich 15-17 Uhr in San Luca stattfinden, Workshops werden 18-22 Uhr im AZ Burrida angeboten.

Eine kleine Ergänzung:

RARostock 15.07.2008 - 12:34
Es ist davon auszugehen, dass keiner der Verurteilten tatsächlich ins Gefängnis muss, da die italienische Regierung die Verjährungsfristen für die meisten Straftaten verkürzt hat.

RARostock

Sieben Jahre

Herbert 15.07.2008 - 13:32
Genua (dpa/ap) - Sieben Jahre nach den schweren Übergriffen auf Globalisierungsgegner während des G8-Gipfels im italienischen Genua sind 15 Polizisten und Gefängnisbeamte verurteilt worden. Ein Strafgericht sprach nach mehr als neunstündiger Beratung in Genua Gefängnisstrafen von fünf Monaten bis fünf Jahren aus. 30 der 45 Angeklagten wurden freigesprochen.

In den Prozess, der seit Oktober 2005 lief, ging es um Amtsmissbrauch, Gewalt und Misshandlungen von Globalisierungsgegnern in dem Gefängnis Bolzaneto der norditalienischen Stadt. Die höchste Strafe von fünf Jahren Haft erhielt der für die Sicherheit in dem Gefängnis verantwortliche Beamte Antonio Biagio Gugliotta.

Während der gewaltsamen Proteste gegen den Gipfel im Juli 2001 war ein Demonstrant von der Polizei erschossen worden, der anscheinend dabei war, einen Feuerlöscher auf ein Polizeiauto zu werfen. Der Polizeibeamte berief sich auf Notwehr und wurde freigesprochen. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt, gut 300 festgenommen. Sie seien während der Haft geschlagen worden, hätten nicht telefonieren dürfen und kein Essen erhalten, hatten die Demonstranten berichtet.

 http://fr-aktuell.de/top_news/?em_cnt=1367765

...und nach acht Jahren verjährt.

Herbert 15.07.2008 - 14:12
BERLIN/GENUA taz/reuters/afp Sieben Jahre nach dem G8-Gipfel in Genua sind jetzt 15 Vertreter der Sicherheitskräfte wegen Misshandlung und schikanöser Behandlung von Demonstranten verurteilt worden. Ein Gericht in der italienischen Hafenstadt verhängte Haftstrafen von fünf Monaten bis zu fünf Jahren. Unter den Verurteilten sind Polizisten, Mitglieder des Strafvollzugs und Ärzte. 30 Angeklagte wurden freigesprochen.

Es wird damit gerechnet, dass die Verurteilten Berufung einlegen. In Italien wird die Verjährungsfrist durch einen Prozess nicht unterbrochen. Das bedeutet, dass die Straftat verjährt sein könnte, bevor das Appelationsgericht ein endgültiges Urteil sprechen kann. Die Verjährungsfrist für den aktuellen Fall läuft 2009 aus.

Am Rande des dreitägigen Gipfels war es in Genua 2001 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Globalisierungskritikern gekommen. Ein Polizist erschoss einen Demonstranten, Hunderte wruden verletzt. Die Härte der Polizei, mit der sie gegen die Demonstranten vorging, stieß weltweit auf harsche Kritik.

Im aktuellen Prozess ging es um die Vorfälle in einem Zeltlager der Gipfelgegner und in einer Polizeikaserne, in die die festgenommenen Demonstranten gebracht wurden. Allein in dem Zeltlager wurden 73 Demonstranten verletzt.

24 Globalisierungskritiker waren im Dezember 2007 zu Haftstrafen zwischen fünf Monaten und elf Jahren verurteilt worden; ein drittes Verfahren gegen 29 Polizisten und Mediziner im Strafvollzug wegen Gewalt gegen Demonstranten ist noch nicht abgeschlossen.

 http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/strafen-fuer-pruegelnde-polizisten/

Update: Genua-Schläger straffrei!

Herbert 15.07.2008 - 16:58
ROM taz Mit einem äußerst milden Urteil endete am Dienstagabend in Genua der Prozess rund um die brutalen Übergriffe gegen Demonstranten in der Haftanstalt Bolzaneto während des G-8-Gipfels im Juli 2001. 45 Polizisten, Gefängniswärter und Ärzte saßen auf der Anklagebank; am Ende gab es 30 Freisprüche und nur 15 Verurteilungen zu Haftstrafen zwischen fünf Monaten und fünf Jahren. Damit blieb das Gericht weit unter den Anträgen der Staatsanwälte.

Bolzaneto war jenes Polizeigefängnis, in das während des Gipfels alle festgenommenen G-8-Gegner verbracht und - ohne jeden Kontakt zu Rechtsanwälten oder Familienangehörigen - bis zu 72 Stunden lang festgehalten wurden. Insgesamt etwa 250 Menschen waren am Ende in den Zellen der Polizeikaserne eingesperrt. Viele von ihnen waren gewaltlose Demonstranten, die willkürlich während der Großdemonstrationen zusammengeschlagen und dann als angebliche Randalierer in Gewahrsam genommen wurden.

Etwa 70 der Bolzaneto-Insassen gehörten zu den Opfern des nächtlichen Sturms der Polizei auf die Scuola Diaz. Dort hatten diverse Hundertschaften die schlafenden und wehrlosen Protestierer bei ihrem Knüppeleinsatz übel zugerichtet und anschließend nach Bolzaneto verbracht.

Dort gingen die Schikanen, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Folter erfüllten, dann weiter. Hunderte Zeugen hörte das Gericht in dem fast drei Jahre dauernden Verfahren. Sie berichteten, dass die Festgenommenen bis zu zwölf Stunden lang mit gespreizten Beinen stehen mussten, die erhobenen Arme gegen die Wand gestützt, dass ihnen Essen und selbst Wasser verwehrt wurde, dass diejenigen, die zur Toilette mussten, den Weg durch ein Spalier auf sie einknüppelnder Beamter zurückzulegen hatten.

Die gleiche Spießruten-Behandlung war vielen schon bei ihrer Ankunft in Bolzaneto widerfahren. Zudem bekundeten weibliche Opfer, sie hätten sich vor männlichen Beamten nackt ausziehen müssen und seien mit Vergewaltigung bedroht worden.

Diverse Zeugen sagten auch aus, sie hätten "Hoch lebe der Duce" brüllen und faschistische Lieder absingen müssen. Daneben gab es selbst in der Sanitätsstube äußerst brutale Übergriffe. Einem Festgenommenen hatte ein Polizist die Finger einer Hand so weit gespreizt, bis die Haut zwischen den Fingern riss. Der diensthabende Arzt - er war im militärischen Tarnanzug im Einsatz - soll die Wunde ohne Narkose genäht haben. Zugleich soll der Rambo-Doktor einem anderen Opfer einfach ein Piercing ausgerissen haben.

Doch jener Arzt kam jetzt mit einem Jahr und zwei Monaten statt der geforderten gut drei Jahre Haft davon. Zu fünf Jahren und zwei Monaten wurde allein jener Polizeiinspektor verurteilt, der für die systematischen Schlagstockeinsätze verantwortlich war. Fast alle Urteile liegen dagegen bei oder unter drei Jahren, während das Gericht bei 30 Angeklagten gleich gar keine Schuld gegeben sah.

Entsprechend entsetzt äußerten sich die im Gerichtssaal anwesenden Opfer und ihre Anwälte. "Eine Verarschung" sei das Urteil, lautete einer der Kommentare, während die Verteidiger der Polizisten - selbst diejenigen der 15 Verurteilten - sich zufrieden äußerten.

Und dazu haben sie guten Grund. Alle Haftstrafen von bis zu drei Jahren sind aufgrund einer im Jahr 2006 ausgesprochenen Amnestie sowieso nicht zu verbüßen. Und mehr noch: Sämtliche Straftaten - von Körperverletzung bis Amtsmissbrauch - werden in wenigen Monaten, im Januar 2009, verjährt sein. Bis dahin wird das nun anstehende Berufungsverfahren noch nicht einmal begonnen haben. Alle Bolzaneto-Angeklagten werden also straflos ausgehen und ihre Karriere fortsetzen können - denn vom Dienst war kein einziger je suspendiert worden.

 http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/strafen-fuer-pruegelnde-polizisten/

doku zu genua auf googlevideo

namenlos 15.07.2008 - 17:09
für die, die es interssiert ist hier auf google-video eine sehr tolle doku zu genua. ein kritischer bericht, der sehr sehenswer ist!!

 http://video.google.de/videosearch?q=gipfelstuermer&hl=fr&sitesearch=#

Gipfelstürmer - Die blutigen Tage von Genua

a must see

Auch der Tagesspiegel hat was verfasst

Mensch Meier 15.07.2008 - 20:54
Polizeigewalt in Genua bleibt folgenlos 15 Beamte verurteilt – ihre Strafen sind verjährt

Sieben Jahre nach den schweren Polizeiübergriffen am G-8-Gipfel von Genua sind 15 Beamte zu insgesamt 24 Jahren Haft verurteilt worden. Die Strafen verjähren, noch ehe sie rechtskräftig werden. Die Polizisten begrüßten ihre damaligen Opfer, festgenommene Globalisierungsgegner, mit „Willkommen in Auschwitz“, sie mussten sich nackt ausziehen und „Viva il Duce“ rufen. Männer mussten stundenlang in erniedrigenden und schmerzhaften Stellungen verharren, Frauen wurden Massenvergewaltigung „wie in Kosovo“ in Aussicht gestellt. Sie wurden geschlagen, verhöhnt, erniedrigt, mit brennenden Zigaretten gequält. Sie erlitten Rippenbrüche, Hirnerschütterungen, Rissquetschwunden und Blutergüsse.

Kurz: Was die 209 verhafteten Globalisierungsgegner in den drei Tagen vom 20. bis 22. Juli 2001 in der Polizeikaserne Bolzaneto oberhalb von Genua durchmachten, war, wie es die Staatsanwaltschaft formulierte, „die Hölle“. Man könnte es auch Folter nennen – zumal in Bolzaneto laut den Anklägern vier der fünf vom Europäischen Gerichtshof als „erniedrigend und unmenschlich“ bezeichneten Verhörmethoden angewendet worden waren. Nur existiert im italienischen Recht der Straftatbestand Folter nicht. Und weil es für das Gericht in vielen Fällen nicht möglich war, einzelne Misshandlungen einem bestimmten Beamten zuzuordnen, wurden 30 der 45 Angeklagten freigesprochen, „weil sie die Tat nicht begangen haben“.

Die übrigen 15 wurden wegen Amtsmissbrauchs zu Haftstrafen von insgesamt 24 Jahren verurteilt. Die Staatsanwälte hatten im Zusammenhang mit den Misshandlungen in der Polizeikaserne von einem „dunklen Kapitel in der Geschichte des italienischen Rechtsstaates“ gesprochen. Das Kapitel wird mit den Schuldsprüchen kaum heller: Keiner der Verurteilten wird die Strafe antreten müssen.

Wegen der von Silvio Berlusconi vor zwei Jahren verkürzten Verjährungsfristen und des von der Regierung Prodi gewährten allgemeinen Strafnachlasses werden alle Delikte verjähren, noch ehe sie rechtskräftig werden. Immerhin sind erstmals in der gerichtlichen Aufarbeitung der Vorfälle am G-8-Gipfel auch Polizeikader verurteilt worden. Mit fünf Jahren Gefängnis am höchsten bestraft wurde der damalige Polizeiinspektor Genuas; der Vizepolizeichef erhielt zwei Jahre und vier Monate.

 http://www.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,2572986

Das Grauen von Genua (TS, 3.27)

no chr.! 16.07.2008 - 17:25
Das Grauen von Genua (Tagesspiegel, 2008.3.27)

Juli 2001: Straßenschlachten beim G-8-Gipfel in Italien. Schläge, Tritte, Reizgas. Aber für das, was die Verhafteten dann erwartete, gibt es nur ein Wort – Folter

Der Gipfel der G-8-Staaten in Genua im Jahr 2001 wird für immer mit einem Wort verbunden werden: Gewalt. Gewalt auf den Straßen – und Gewalt im Gefängnis in Bolzaneto. Der Prozess um die Ereignisse dort ist noch nicht zu Ende – der Abschluss ist für den Frühsommer geplant. Das Urteil wird den Angeklagten persönliche Verantwortung und Strafen zumessen. Die Tatsachen aber, die während der Verhandlung rekonstruiert wurden, sind nicht mehr in Zweifel zu ziehen. Sie wurden gesichert, dokumentiert und bewiesen. Und sie zeigen, dass Italiens Demokratie drei Tage lang jene feine, aber unzerstörbare Grenzlinie überschritten hat, die Menschenwürde und Menschenrechte schützt.

Es gab an diesem Tag auch einen „Guten“ unter den Polizisten. Viele Gefangene erinnern sich an ihn. „Ein ganz junger“, um die zwanzig, ein Wehrdienstleistender vielleicht. Andere haben ihn etwas älter in Erinnerung. In den drei Tagen, als die Menschenrechte außer Kraft waren, gab es höchstens zwei mitfühlende Menschen in Bolzaneto, unter zig Polizisten, Carabinieri, Wächtern, Justizangestellten, Generälen, Offizieren, stellvertretenden Polizeipräsidenten, Ärzten und Krankenpflegern der Gefängnisverwaltung. So gut er konnte, zeigte der „gute“ Carabiniere den Häftlingen, wie sie die Arme zu senken, das Gesicht von der Wand zu drehen, sich zu setzen hätten. Er gab die Wasserflasche herum, es gab nur eine. Doch solche Pausen dauerten nur ein paar Minuten. Der erstbeste Offizier, der vorbeikam, brüllte den ungeschickt gutherzigen Carabiniere an, und die Folter begann von neuem.

Folter. Das Wort ist weder unangemessener noch überspannt. Zwei Verhandlungsjahre mit 45 Angeklagten in Genua haben dokumentiert, was während des G-8-Gipfels zwischen Freitag, dem 20. und Sonntag, dem 22. Juli 2001 in Bolzaneto in der Kaserne „Nino Bixio“ der mobilen Abteilung der Staatspolizei mit 55 „Verhafteten“ und 252 „Festgenommenen“ geschehen ist, mit Männern und Frauen. Alten und Jungen, mit Jugendlichen und einem Minderjährigen. Menschen von überall her und aus allen Berufen: Spanier, Griechen, Franzosen, Deutsche, Schweizer, Engländer, Neuseeländer, drei US-Amerikaner, ein Litauer. Die meisten Studenten, und Arbeitslose, Angestellte, Arbeiter, aber auch etliche Freiberufler. Die Staatsanwälte Patrizia Petruzziello und Vittorio Ranieri Miniati schreiben in ihrer Anklageschrift, dass „nur Vorsicht“ sie abhalte, von Folter zu sprechen. Man sei sicher „der Folter sehr nahe gekommen“. Aber die Anklage war hier machtlos, Sie musste in Straftatbestände und Strafen übersetzen, was sie von den Aussagen der 326 Zeugen im Gerichtssaal dokumentiert hat. In Italien gibt es Folter nicht als Straftat. Das Parlament fand nie Zeit – und sah sich zwanzig Jahre auch nicht in der Pflicht dazu – das Strafgesetzbuch an international gültiges Menschenrecht anzupassen, an die UN-Konvention gegen Folter, die Italien 1988 ratifiziert hat.

Die Kaserne von Bolzaneto ist heute nicht mehr die, die sie seinerzeit war. Mit großer Umsicht hat man die „Orte der Schande“ unsichtbar gemacht, sogar die Räume verändert und die Türen Richtung Stadt geöffnet, für Behörden, Bürger, Militär, Kirche. Sie sollte ein „Erinnerungszentrum für die Opfer die Übergriffe werden. Es gibt jetzt einen Spielplatz in jenem Innenhof, wo in zwei Reihen aufgestellte „Wärter“ neu ankommende Häftlinge bespuckten, beleidigten, ihnen auf die Köpfe schlugen, sie traten und mit Sprechchören empfingen wie „Wer ist der Staat? Die Polizei! Wer ist der Chef: Mussolini!“ oder „Willkommen in Auschwitz“. Wo das berüchtigte „Einschreibebüro“ war, steht jetzt eine Kapelle und in den Gängen, wo 2001 „Tod den Juden“ gebrüllt wurde, gibt es jetzt eine Bibliothek, die den Namen von Giovanni Palatucci trägt, dem letzten italienischen Polizeipräsidenten von Fiume (heute Rijeka in Kroatien, die Red.), der im KZ Dachau umgebracht wurde, weil er 5000 Juden vor dem Tod bewahrt hatte.

An diesem 20. Juli sah der Ort anders aus und die Luft war bleischwer. Hinter dem Kasernentor und dem weiten Innenhof werden die Gefangenen zu dem Fabrikkomplex getrieben, in dem die Turnhalle liegt. Es gibt drei oder vier Stufen und einen zentralen Korridor von fünfzig Metern Länge. Hier liegt die Olimpo-Garage. Vom Flur gehen drei Zimmer ab, eines links, zwei rechts, ein einziges Bad. Hier wird man identifiziert und fotografiert. Alle werden gezwungen ein Formular zu unterschreiben, dass man die Familie nicht habe anrufen oder einen Anwalt – bei Ausländern das Konsulat – kontaktieren wollen. Ausländern wird das Formular nicht übersetzt. Einer Frau, die protestiert und nicht unterschreiben will, zeigt man das Foto ihrer Kinder mit den Worten: „Die willst du also so bald nicht wiedersehen?“ Einer anderen, die sich auf ihre Rechte beruft, schneiden sie Büschel aus den Haaren. Auch H. T. verlangt einen Anwalt. Sie drohen, ihm „die Kehle durchzuschneiden“. M. D. steht vor einem Polizisten aus ihrer Stadt. Er spricht sie im Dialekt an, fragt, wo sie wohnt und sagt: „Weißt du was, ich werde bei dir vorbeikommen.“ Dann werden sie auf die Krankenstation geführt wo die Ärzte klären sollen, wer behandelt werden muss. In einer Ecke wird man erst einmal durchsucht. Was man bei sich hat, wird abgerissen und auf den Boden geworfen danach muss man sich ausziehen. Die Nackten müssen sich bücken „um Gegenstände in den Körperöffnungen festzustellen“.

Noch kann niemand sagen, wie viele Gefangene es in diesen drei Tagen gab – 55 „Verhaftete“ und 252 „Festgenommene“ sind ungefähre Zahlen. Die „Zeiten des Aufenthalts im Objekt“ sind besser bekannt: Durchschnittlich zwölf Stunden für die, die das Glück hatten, am Freitag eingeliefert zu werden. Ab Samstag dauert die durchschnittliche Haftzeit – vor dem Transport in die Gefängnisse von Alessandria, Pavia, Vercelli, Voghera – 20 Stunden. 33 Stunden werden es am Sonntag, als nachts zwischen 1.30 und 3 Uhr die Leute aus der Diaz-Schule ankommen. Sie werden am Eingang zum Hof mit rotem oder grünem Filzstift auf der Wange gekennzeichnet.

Im Prozess hat sich herausgestellt, dass die Justizvollzugsbeamten einen Slang für die „schikanöse Körperhaltungen beim Warten“ haben: Der „Schwan“ – breitbeiniges Stehen mit erhobenen Armen, das Gesicht zur Wand – wird an diesen heißen Tagen im Hof stundenlang erzwungen, während man auf die „Aufnahme“ wartet. Wenn die Stufen im Vorzimmer genommen sind, heißt es in den Zellen und der Sporthalle weiter warten, wenn möglich in schlimmeren Varianten dieser Stellung. Auf Knien in Richtung Wand, die Hände hinter dem Rücken mit Schnüren gefesselt oder in der „Ballerina“-Position, auf Zehenspitzen. In den Zellen werden alle geschlagen, mit Schlagstöcken auf die Seite, es setzt Schläge auf den Kopf, der Kopf wird gegen die Wand geschlagen. Alle werden gedemütigt, die Frauen mit einem „Bis heute Abend ficken wir euch alle“, die Männer mit „Bist du schwul oder Kommunist?“ Andere werden gezwungen, wie Hunde zu kläffen, wie Esel zu schreien oder „Hoch der Duce“ oder „Es lebe die Gefängnispolizei“ zu rufen. Einige werden mit nassen Lappen geschlagen, einige auf dem Rücken liegend, die gespreizten Beine nach oben, mit einer Salami auf die Genitalien. G. werden dabei die Hoden verletzt. Einige werden mit Reizgas besprüht. Einigen wird die Milz zerquetscht

I. M. T. wird in der Diaz-Schule festgenommen. Man setzt ihm ein Barett mit einer Sichel und einem Penis anstelle des Hammers auf. Sobald er versucht, es abzunehmen, schlagen sie ihn. B. B.s Kopf schlagen sie gegen das Fenstergitter, ziehen ihn aus, befehlen ihm, zehn Kniebeugen zu machen, während sie weiter auf ihn einprügeln. S. D. werden die Hoden gequetscht, er wird auf die Füße geschlagen. A. F. wird gegen eine Wand gedrückt und angeschrien: „Du Sau, du musst allen einen blasen.“ S. P wird in einen anderen, leeren Raum gebracht und muss sich dort ausziehen, in Fötusposition legen und aus dieser Position heraus dreißig Sprünge machen, während zwei Polizeibeamte ihn schlagen. J. H. wird im Flur verprügelt, man stellt ihm ein Bein und bespuckt ihn. Bei der Durchsuchung muss er sich nackt ausziehen und „seinen Penis heben, um ihn den Beamten am Schreibtisch zu zeigen“. J. S. fügt man per Feuerzeug Brandwunden zu.

Der Gang durch den Flur ist ein Spießrutenlaufen. Dort steht eine Doppelreihe grau-grün und blau Uniformierter, die prügeln und drohen. Im Krankentrakt ist es nicht besser. Dort finden die doppelten Leibesvisitationen statt, eine der Staatspolizei, die andere vom Gefängnispersonal. Die Häftlinge sind entkleidet. Die Frauen stehen lange nackt vor fünf, sechs Polizeibeamten. Vor ihnen, die höhnisch lachen, findet alle Aktionen statt. Sie sind demütigend. Die Staatsanwälte: „Piercings wurden brutal entfernt. Eine menstruierende junge Frau muss ihr Intimpiercing vor vier, fünf Personen entfernen.“ Während der Untersuchung hagelt es beleidigende Bemerkungen, Gelächter und Hohn. P. B., einem Arbeiter aus Brescia, droht man, ihn zu vergewaltigen. Während der Untersuchung findet man ein Präservativ bei ihm. „Und was machst du damit, die Kommunisten sind doch schließlich alle schwul?“ Eine Beamtin nähert sich und sagt: „Aber er ist hübsch, mit dem würde ich es machen.“ Die Frauen bleiben auf der Krankenstation länger als nötig nackt und werden gezwungen, sich drei- oder viermal um sich selbst zu drehen.

Am schlimmsten ist es in der einzigen Toilette. Sie hat einen Stehabort und wird zum Ort von Folter und Terror. Die Tür steht offen und die Häftlinge müssen sich vor ihrem Begleiter erleichtern. Einige der Frauen brauchen Binden. Als Antwort bekommen sie zerknülltes Zeitungspapier zugeworfen. M., eine Frau fortgeschrittenen Alters, zieht sich ein T-Shirt aus und „behilft sich so“. E. P. bekommt im Flur während des kurzen Gangs von der Zelle zur Toilette Hiebe, nachdem man sie gefragt hat, ob sie schwanger sei. Auf der Toilette wird sie beleidigt („Sau“, „Nutte“) sie drücken ihr den Kopf in die Toilette und sagen: „Was für einen schönen Arsch du hast“ und „Gefällt dir der Schlagstock?“ Wer im Saal ist, sieht die, die von der Toilette kommen. Alle weinen, einige haben Verletzungen, die sie zuvor nicht hatten. Folglich wollen viele nicht mehr fragen, ob sie zur Toilette dürfen. Sie machen sich in die Kleider, dort, in den Zellen, in der Sporthalle. Daraufhin werden sie im Krankenzimmer geschlagen, weil sie „stinken“, die Ärzte protestieren nicht.

Auch der leitende Arzt am Freitag wird „gestoßen und gedrängt“. Damit man ihn erkennen kann, erscheint er am nächsten Tag in Tarnhose und Shirt der Strafvollzugsbeamten, im Gürtel eine Pistole, die Füße in Springerstiefeln, dazu schwarze Lederhandschuhe. So macht er seine Arbeit. Die Gefangenen entlässt er mit den Worten „Der ist bereit für den Käfig“. Bei der Arbeit trägt er, wie die anderen auch, nie den weißen Kittel und er ist es, der eine persönliche Sammlung von Trophäen aus Sachen anlegt, die den Gefangenen abgenommen wurden: Ringe, Ohrringe, Ketten und „besondere Kleidungsstücke“. Er ist auch der Arzt, der L. K. behandeln soll. L. K. ist mit Gas besprüht worden, er spuckt Blut und wird ohnmächtig. Er wacht auf einer Liege auf, im Gesicht eine Sauerstoffmaske. Jemand zieht eine Spritze auf. Er fragt: „Was ist das?“ Der Arzt antwortet: „Vertraust du mir nicht? Dann stirb halt in der Zelle.“ G. A. lässt im San Martino gerade die Wunden behandeln, die er sich in der Via Tolemaide zugezogen hat, da wird er nach Bolzaneto gebracht. Als er ankommt, schlagen sie ihn gegen eine kleine Mauer. Die Beamten scheinen stark unter Adrenalin zu stehen. Sie sagen, ein Carabiniere sei tot. Ein Polizist nimmt seine Hand, drückt die Finger mit zwei Händen auseinander und zieht. Er zieht von beiden Seiten und reißt die Hand „bis zum Knochen“ auf. G. A. wird ohnmächtig. Auf der Krankenstation wacht er auf. Ein Arzt näht seine Hand ohne Betäubung. G. A. hat heftige Schmerzen. Er bittet um „etwas“. Sie geben ihm einen Lappen zum Draufbeißen. Der Arzt sagt ihm, er solle nicht schreien.

Nach Ansicht der Staatsanwälte „waren die Ärzte sich bewusst, was passierte, sie waren in der Lage, die Schwere der Ereignisse zu beurteilen, und sind nicht eingeschritten, obwohl sie dies hätten tun können. Sie haben es zugelassen, dass sich diese unmenschliche und herabwürdigende Behandlung auf der Krankenstation fortsetzte“.

 http://www.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,2501480

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