EU will Einwanderung a la Carte

Ralf Streck 09.07.2008 08:33 Themen: Antirassismus Globalisierung
Im südfranzösischen Cannes hat am Montag die französische EU-Ratspräsidentschaft den Innenministern einen Vorschlag für eine gemeinsame Migrationspolitik gemacht. Die 27 Mitgliedsstaaten haben dem "Pakt zu Einwanderung und Asyl" unterstützt, der von den Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im Oktober beschlossen werden soll. Letztlich sieht der Pakt eine Einwanderung ganz nach den Bedürfnissen der Mitgliedsstaaten vor. Er setzt auch auf die verstärkte Abschottung von denen und ihre Abschiebung, die der Arbeitsmarkt nicht verwerten kann.
Der französische Vorschlag war im Vorfeld von Deutschland, Frankreich und Spanien abgestimmt worden. An dem schärfer formulierten Vorschlag, der der spanischen Zeitung El Pais vorlag ( http://www.elpais.com/articulo/espana/pacto/europeo/inmigracion/admite/regularizaciones/razones/economicas/elpepunac/20080707elpepinac_1/Tes) hatte Madrid Veränderungen vorgenommen. Denn Massenlegalisierungen von Einwanderern ohne Aufenthaltserlaubnis sollten verboten werden. Das hatte Spanien als Kritik an seiner Politik moniert und hält das auch für falsch. Die sozialistische Regierung hatte mit großem Nutzen für die Wirtschaft 2005 fast 700.000 illegal eingereiste Menschen mit Aufenthaltsgenehmigungen versehen ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22481/1.html).

Im französischen Entwurf hieß es, so wie es auch die spanischen Konservativen stets den Sozialisten vorgeworfen haben ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22678/1.html): "Kollektive Regulierungen üben einen Rufeffekt aus". Nur von "Fall zu Fall" könne eine Legalisierung erfolgen, "unter außerordentlichen, speziell humanitären Bedingungen". Nach dem geänderten Text sind weiter "massive" Regulierungen mit Einzelfallprüfungen "aus humanitären oder wirtschaftlichen Gründen" möglich.

Gefallen ist auch die Idee von Nicolas Sarkozy, die Einwanderer mit einem "Integrationsvertrag" unter strenge Pflichten zu zwingen. Nun werden Pflichten eher an die Staaten formuliert. Die sollen zum Beispiel "fördern", dass die Einwanderer die Landesprache lernen, was zuvor als eine "Pflicht" an diese formuliert war. Weiterhin fiel der schwammig formulierte Satz, wonach sie sich in einem "Vertrag" zur Übernahme der "nationalen Identitäten und der europäischen Werte" verpflichten müssen.

Klar ist, dass eine Einwanderung a la Carte angestrebt wird. Die Migration soll sich nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts und der "Aufnahmefähigkeit" der Sozialsysteme richten und nicht nach Misere oder Fluchtgründen in Herkunftsländern. Europa habe "nicht die Mittel, all jene würdig aufzunehmen, die sich dort ein besseres Leben erhoffen". Die Einwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte soll werden. Als Zielvorstellung wird eine "zirkuläre Migration" formuliert. Die Migranten sollen nach einiger Zeit wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl ( http://www.proasyl.de) meinen, es handele sich um eine Rückkehr zum Gastarbeiterprinzip.

Ganz im Stil der umstrittenen Rückführungsrichtlinie ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27989/1.html), die bis zu 18 Monate Haft für Flüchtlinge vorsieht, soll erneut härteres härter gegen illegale Einwanderer vorgegangen werden. Abschiebungen sollen schneller durchgeführt, bis 2012 sollen Visa nur noch mit biometrischen Daten ausgegeben und Asylverfahren sollen untereinander abgestimmt werden. Das ist ein Schritt zu einem harmonisierten EU-Asylverfahren. Ein europäisches Unterstützungsbüro soll den Informationsaustausch sichern. In dieser Logik soll auch die Abschottung weiter vorangetrieben werden ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26583/1.html). Die Mittel für die EU-Grenzschutzagentur Frontex sollen weiter erhöht werden ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24734/1.html), damit die ihre Aufgabe „vollständig erfüllen“ kann. Was auch immer das bedeutet, denn viele Menschenrechtsorganisationen kritisieren die mörderischen Auswirkungen von Frontex ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26912/1.html).

Von einer „Festung Europa“ will aber niemand etwas wissen. Der griechische Innenminister Prokopios Pavlopoulos erklärte gar, "das Wichtigste an dem Pakt ist die Verteidigung der Menschenrechte". Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte: "Wir machen aus Europa keinen Bunker, sondern wir steuern Wanderbewegungen in der Welt“.


© Ralf Streck, den 08.07.2008
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Ergänzungen

Noch was neues

Ralf 09.07.2008 - 16:01
Finanzkrise: Totgeglaubte leben länger

Ralf Streck 09.07.2008
Die Finanzkrise bestimmt wieder die Schlagzeilen und führt erneut zu Panik an den Börsen und hektischen Maßnahmen
Eine Studie besagt, dass die beiden größten US-Hypothekenfinanzierer Freddie Mae und Freddie Mac weitere 75 Milliarden Dollar Kapital benötigen. Damit tritt die Finanzkrise wieder deutlich zu Tage, von der viele immer wieder behaupten, dass die Talsohle längst durchschritten sei. Dabei, so eine weitere Studie, steht der Schlimmste noch bevor, es wird mit Verlusten von 1,6 Billionen Dollar gerechnet. An den Börsen machte sich erneut Panik breit, weshalb die US-Notenbank (FED) am Dienstag den Rettungsschirm erneut weit aufgespannt hat und neue Stützungsaktionen für den Finanzsektor ankündigte. In Europa sieht es ebenfalls nicht rosig aus. Als erstes Land ist Dänemark offiziell in die Rezession abgerutscht. Irland, Großbritannien, Spanien, Italien und Portugal dürften folgen.

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28286/1.html

REMEMBER: AntiRaCamp 15.- 24.08.2008 (HH)

Camper 09.07.2008 - 19:29
Am 15.- 24.08.2008 finden in Hamburg das AntiRa und Klima
Camp statt.

Aber was haben Migrationskontrollen und Überfischung miteinander zu tun? Was verbindet die Fregatten der europäische Grenzschutzagentur Frontex mit den industriellen Fischfangflotten? Ist es Zufall, dass sie beide vor der westafrikanischen Küste kreuzen?
Was haben Überschwemmungen mit einem Internierungslager zu tun? Ist es Zufall, dass MigrantInnen aus Bangladesh in der Westukraine in elenden Verhältnissen gefangen gehalten werden?
Auch wenn sich der Sinn dieser Fragen nicht auf den ersten Blick erschließt, der Zusammenhang ist gegeben. Und deshalb ist es goldrichtig, dass sich die zwei Aktionscamps mit den Themenschwerpunkten Antirassismus und Migration sowie Klimawandel und Klimapolitik vom 15. bis 24. August in Hamburg zusammentreffen

Weitere Infos auf  http://www.klimacamp08.net/ und  http://camp08.antira.info/index.html

Dezentraler Aktions-Tag ohne Abschiebungen

no border no nation no prison 11.07.2008 - 10:59
–gemeinsam legen wir das Abschiebesystem lahm!

Überall in Deutschland und Österreich werden wir um den 30. August 2008 herum blockieren, stören, verhindern. Unser Protest richtet sich gegen das System der Migrationskontrolle, gegen die Selektion von Einwanderern und gegen die Brutalität des Abschiebsystems.

Wir beharren dagegen auf dem Recht zu wandern, auf dem Recht zu bleiben, auf dem Recht auf Bewegungsfreiheit. Unsere Solidarität gilt den Verfolgten, den Illegalisierten, den Ausgebeuteten, den Abenteurern!

Wir legen das Abschiebesystem lahm – mit Aktionen an Abschiebeknästen und –lagern, bei Ausländerbehörden, auf Flughäfen und bei Profiteuren – bei allen Agenten der rassistischen Behandlung und Kontrolle von Menschen.

Wir erklären uns solidarisch mit allen, die für ein Bleiberecht kämpfen, die sich wehren gegen die Zumutungen der rassistischen Sondergesetze für Flüchtlinge und Migrant_innen, die Abschiebungen verhindern, die sich ihr Recht auf Bewegungsfreiheit nehmen. Mit dem Aktionstag reihen wir uns ein in die alltäglichen Kämpfe um Würde und Rechte.

Mit Demonstrationen, Blockaden, Ämterbesuchen und kreativen Protestaktionen werden wir Sand ins Getriebe streuen. So wollen wir den Blick auf die Unmenschlichkeit der Zuwanderungsverhinderung lenken, auf die rassistischen Schikanen und Angriffe von Behörden, Polizei und Nazis und die Diskriminierung durch Sondergesetze wie Residenzpflicht, Abschiebehaft und Lagerunterbringung.

Beteiligt euch mit eigenen Aktionen am Tag ohne Abschiebungen – damit das Migrationsregime Geschichte wird!

Wer hierbleiben will, soll bleiben dürfen! Wer kommen will, soll kommen dürfen! Gleiche Rechte und Bewegungsfreiheit für alle!
 http://abschiebefrei.blogsport.de