Lindau gegen G8

achti 08.07.2008 07:48 Themen: G8
Der Lindauer Beitrag zum internationalen Aktionstag gegen G8.
Auch in Lindau (Bodensee) fand vergangenen Samstag eine Demo gegen den G8-Gipfel statt. Aufgerufen hatte das gleiche Bündnis wie letztes Jahr; Ende Mai 2007 hatten sich über 200 Menschen an einer Anti-G8-Demo beteiligt (siehe  http://de.indymedia.org/2007/05/179275.shtml). Weil das Thema in den Medien weit weniger präsent ist als letztes Jahr und gleichzeitig z. B. in Stuttgart weitere Demos liefen, wird die Teilnahme von gut 60 Leuten schon als Erfolg angesehen (die Erwartungen lagen bei 30-50).

Gegen 14 Uhr versammelte sich bei strahlend schönem Sommerwetter am Rathaus eine bunte Menge, von der attac-Sambagruppe bis zu einem guten Dutzend Antifas, die teilweise auch von weiter her angereist waren, Alte und Junge und mehr und weniger Brave. Nach den ersten Redebeiträgen wurde zu Sambaklängen eine Runde über die Lindauer Insel begonnen, mit mehreren Zwischenkundgebungen an verschiedenen Plätzen der Altstadt. Die Polizei war zum Auftakt mit einer Streife vor Ort und wurde dann nur noch ein einziges Mal in der Nähe des Hafens gesichtet, als ein Fahrzeug der Bundespolizei, die dort ihr Hauptquartier hat, wohl zufällig den Weg der Demo kreuzte. Schon ein krasser Kontrast zum letzten Jahr, als in der Demo allein 15 Zivis rumsprangen. Die Demo dauerte ca. zwei Stunden, wobei der größte Teil einschließlich einiger sehr junger attac-TranspiträgerInnen sich spätestens bei der Zwischenkundgebung am Hafen abseilte, als der Redebeitrag von attac zum dritten Mal verlesen wurde. Das Badewetter war auch einfach zu schön und der See zu nah. Dafür wurde das Kurkonzert-Publikum an der Hafenpromenade gründlich über die Nachteile des Kapitalismus aufgeklärt.

Das "Lindauer Bündnis gegen G8" war heuer etwas kleiner als letztes Jahr. Nicht mehr beteiligt hat sich die Flüchtlingshilfsorganisation exilio, wohl nicht aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern wegen Arbeitsüberlastung. Auch die Lindauer Ortsgruppe von Amnesty International war nicht mehr als offiziell aufrufende Organisation dabei, die war von der Vereinsobrigkeit verwarnt worden, weil der G8-Protest den Rahmen der Vereinsziele (das sogenannte Mandat) überschreitet, der sich auf bestimmte Menschenrechte beschränkt und nicht den allgemeinen Widerstand gegen Krieg und Kapitalismus umfasst. Hat natürlich niemanden gehindert, trotzdem zu kommen und Redebeiträge gegen Menschenrechtsverletzungen durch Krieg und Kapitalismus zu bringen. Außerdem ausgefallen ist der Orden der Liberins, weil dessen Ältester immer noch wegen nicht lizensierten Handels mit Grünzeug hinter Gittern sitzt.

Nachfolgend noch zwei Texte von der Demo -- falls jemand noch ihren Redebeitrag posten möchte, kann sie das ja gerne unter Ergänzungen tun.

1) Der Aufruf:
Anti-G8-Demo
am 5. Juli 2008 in Lindau (Bodensee)
Der G8-Gipfel, das Treffen der Mächtigen der acht wichtigsten Industrienationen, findet 2008 in Japan statt. Das ist zwar etwas weiter weg als letztes Jahr, aber nicht weniger wichtig. Auf dem G8 2007 bei Rostock haben "unsere Eliten" den Schutz des Klimas und den Kampf gegen die Armut beschworen. Die Realität 2008 sieht anders aus: Beim Klimaschutz passiert nichts, weil es der Auto- oder Ölindustrie schaden könnte, und das Armutsproblem hat sich durch die weltweite Nahrungsmittelkrise dramatisch verschärft. Den Herrschenden fällt dazu nichts weiter ein, als das Klima durch neue Atomkraftwerke zu "retten" und die Armen durch noch mehr Freihandel. Kriege und Konflikte rund um die Welt tun ein Übriges, die Situation zu verschlimmern. Gleichzeitig schotten sich die reichen Länder vor den Flüchtlingen aus der übrigen Welt ab – die "Festung EU" mit ihrer Grenzschutztruppe Frontex oder die USA mit Mauern und Stacheldraht an der Grenze.
Sogar in Japan, wo es bisher keine große "Protestkultur" gab, regt sich Widerstand gegen diese Politik und das G8-Treffen. Die Leute wehren sich gegen Neoliberalismus und Armut, Militarismus und Krieg, sie gehen für die Rechte von UreinwohnerInnen und Minderheiten auf die Straße und für eine dezentrale, freie Landwirtschaft, die nicht vom Diktat der Saatgut- und Gentech-Konzerne abhängig ist. In der ganzen ersten Juli-Woche wird es in Japan Aktionen geben, und der 5. Juli wurde von japanischen Anti-G8-Gruppen zum weltweiten Aktionstag ausgerufen. Da sind wir dabei! Darum:
Demo gegen G8
Samstag, 5. Juli 2008
Lindau-Insel
Treffpunkt: 14 Uhr am Reichsplatz
(Brunnen unterhalb des Alten Rathauses).

Lindauer Bündnis gegen G8 (Antifa / attac / Bunte Liste / Club Vaudeville / Eine-Welt-Gruppe / Infoladen Bregenz...)

2) Auf der Demo verteiltes Flugblatt:
Das Recht, dagegen zu sein
Die Geschichte der G8-Treffen ist auch die Geschichte des Widerstands und seiner Unterdrückung. Die Selbstinszenierung der wichtigsten MachthaberInnen des Planeten als Wohltäter der Menschheit duldet keine kritischen Töne.
Bereits im Vorfeld des G8-Gipfels wurden in Japan Gewerkschaftsbüros durchsucht und über 40 Personen aus dem gewerkschaftlichen und linksradikalen Spektrum festgenommen. Die Polizei kann sie 23 Tage lang ohne Haftprüfung festhalten, d. h. ohne sich dafür in irgendeiner Weise rechtfertigen zu müssen! Lediglich in einem Fall kam es nach internationalen Protesten zur Freilassung, die anderen sollen offensichtlich aus dem Verkehr gezogen werden, bis der Gipfel vorbei ist. So hofft die Regierung offensichtlich, den Widerstand unterbinden zu können. Zudem werden Proteste propagandistisch mit Terrorismus gleichgesetzt.
Auch ausländische AktivistInnen, die zum Gipfel reisen, sind von der Repression betroffen. Bereits im März wurde einem deutschen Historiker die Einreise verweigert; er hing wochenlang zwischen Japan und Russland fest. Menschen, die Ende Juni / Anfang Juli nach Japan wollten, berichten von Durchsuchungen, Verhören und Einreiseprozeduren von bis zu 12 Stunden Dauer. Verweigert wurde die Einreise beispielsweise dem italienischen Philosophen Antonio Negri und koreanischen GewerkschafterInnen; Journalisten aus Hongkong und ein US-Sozialwissenschaftler wurden am Flughafen verhaftet. Auch vom Korrespondenten von at.indymedia.org ist seit Tagen nichts mehr zu lesen, was zu Befürchtungen Anlass gibt.
Das BKA ist fleißig mit dabei: Es hat die japanischen Behörden über die Gruppen und Netzwerke des G8-Widerstands 2007 ausführlich informiert und sogar in Berlin japanische Polizisten geschult. Beim G8 2007 hatte die Polizei einen umfangreichen Datenbestand mit Fotos und Fingerabdrücken aufgebaut, in dem vermutlich alle 1.800 Festgenommenen gespeichert sind. Obwohl letztlich nur wenige rechtskräftig verurteilt wurden, werden diese Daten nicht gelöscht. Wieviel von diesen Daten nach Japan übermittelt wurde, ist unklar; BKA-Präsident Ziercke hat jedenfalls zugesagt, "alle erforderlichen Daten" weiterzugeben. So schützt der deutsche Staat seine BürgerInnen...
Aber warum sollte es in Japan anders laufen als letztes Jahr in Deutschland? Auch hier wurde vor dem Gipfel 2007 das ganze Frühjahr hindurch der Widerstand gegen die G8 kriminalisiert, mit (nachträglich für rechtswidrig erklärten) Großrazzien, dem Missbrauch von Anti-Terror-Gesetzen, um der Polizei ansonsten verbotene Methoden im Kampf gegen friedliche Proteste zu erlauben und selbst der Repression gegen Proteste gegen die Repression. Erst kürzlich wurde in Karlsruhe der Anmelder der bundesweiten Anti-Repressions-Demo wegen angeblicher Auflagenverstöße verurteilt! Viele Aktionen in und um Rostock wurden verboten, und die genehmigten waren mit unglaublichen Schikanen konfrontiert.
Weitere Beispiele sind der brutale Polizeieinsatz beim G8 2001 in Genua oder der berühmte "Münchner Kessel" 1992 (als die G8 noch die G7 waren), wo fast 500 Menschen, darunter auch zahlreiche Unbeteiligte (wie einkaufende Omas oder der Sportreporter der Bild-Zeitung) stundenlang festgehalten wurden. In Genua wurde am 20. Juli 2001 Carlo Giuliani erschossen, und es gab brutale Polizeiübergriffe auf friedliche DemonstrantInnen. Beim Überfall auf die Diaz-Schule, die den DemonstrantInnen von der Stadt als Quartier zur Verfügung gestellt worden war, wurden schlafende Menschen verprügelt und mussten teilweise noch in ihren Schlafsäcken ins Krankenhaus eingeliefert werden. Hunderte wurden in der Polizeikaserne Bolzaneto tagelang gefoltert. Es hat Jahre gedauert, um wenigstens einige der Verantwortlichen vor Gericht zu bringen; das Urteil wird für Ende Juli erwartet. Möglicherweise wird das Verfahren aber auch durch das Moratoriums-Gesetz, mit dem sich Silvio Berlusconi in seinem Korruptionsverfahren über die Verjährungsgrenze retten möchte, noch zum Platzen gebracht, da dieses Gesetz alle Straftaten betrifft, die vor Mitte 2002 begangen wurden.
Dass aber Unterdrückung die einzige Antwort ist, die den Mächtigen auf die Kritik der Protestierenden einfällt, zeigt, wie berechtigt diese Kritik ist. Und wie in Heiligendamm, wo Tausende trotz Demonstrationsverbot den Gipfel blockierten, haben auch in Japan Demonstrationen, Gegenkonferenzen und Protestcamps begonnen. Der Widerstand findet statt, ob er nun von der Obrigkeit geduldet wird oder nicht. Denn der Kaiser ist nackt -- die Lösungen der G8 für Armut und Hunger, Klimawandel und Umweltzerstörung, Krieg und Terror taugen nichts. Darum werden sich immer und überall Menschen, die das merken, zusammenfinden und für tatsächliche, andere Lösungen kämpfen -- für eine bessere Welt, ohne G8!

[Der erwähnte Korrespondent scheint übrigens auf freiem Fuß zu sein, das Feature auf  https://at.indymedia.org/node/10656 wurde am Montag, 7.7., endlich aktualisiert. Halt die Ohren steif und pass auf Dich auf!]
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Ergänzungen

Was in Hokaido unter den Acht abgeht

ein Beispiel 08.07.2008 - 16:55

Es gab doch staatliche Überwachungsmasnahmen

A#C#A#B 16.07.2008 - 12:37
Wie erst einige Tage nach der Demonstration bekannt geworden ist, wurde offenbar die komplette Demo vom Staatsschutz aus Kempten gefilmt und abgeknippst.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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