Italien: Neues Gesetz amnestiert Polizei

Gipfelsoli 24.06.2008 21:27 Themen: Antifa G8 Globalisierung Repression Weltweit
Italien: Neues Gesetz amnestiert Polizeigewalt beim G8-Gipfel 2001
Wettlauf gegen die Zeit”: Richterspruch gegen Polizei im Juli fraglich
Proteste in Italien und Berlin

Am Dienstag hat die neue Regierungskoalition im italienischen Senat ein umfangreiches repressives Gesetzespaket verabschiedet. Migrationsabwehr und Abschiebungen werden erleichtert, eine DNA-Datenbank errichtet. Polizei und Militär sollen gemeinsam in den Straßen patroullieren, hierfür sind 2.500 Soldaten vorgesehen. Im Juni kam es zu Übergriffen auf Roma, an denen die Polizei beteiligt war. “Bettlergesetze” sollen nun den Druck auf die Betroffenen erhöhen.
Das neue Gesetz sieht außerdem vor, alle Prozesse die sich auf die Zeit vor Mitte 2002 beziehen ein Jahr lang auszusetzen.
Damit rettet sich Berlusconi vor einem Verfahren wegen Bestechung des britischen Anwalts David Mills. Die Aussetzung der Verfahren begünstigt ihre Verjährung, so dass in vielen Fällen auch später keine Urteile mehr zu erwarten sind.

Am 21. Juli soll in Genua ein Urteil im langjährigen “Bolzaneto-Verfahren” gefällt werden. In der Polizeikaserne Bolzaneto kam es im Juli 2001 zu massiven Übergriffen und Mißhandlungen von GipfelgegnerInnen. 45 Beamte und Leiter der Staatspolizei, Carabinieri, Gefängnispolizisten, Ärzte und Krankenpfleger sind angeklagt.

300 Betroffene treten als NebenklägerInnen auf, darunter die Hälfte aus dem Ausland. Vom Ausgang des Verfahrens sind Klagen auf Schadensersatz abhängig.

“Nach der Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft wurde in Bolzaneto gegen den dritten Artikel der europäischen Menschenrechtskonvention verstossen” schreibt die Segretaria Legale, eine Rechtshilfegruppe aus Genua die mit den AnwältInnen zusammenarbeitet.

Der neue Gesetzentwurf Berlusconis soll am 25. Juli, 4 Tage nach dem angestrebten Urteil im “Bolzaneto-Verfahren”, endgültig verabschiedet werden. AnwältInnen der mißhandelten DemonstrantInnen vermuten nun eine Verzögerungstaktik der Regierung, um den angeklagten Polizeikräften einen Schuldspruch mit allen Mitteln zu ersparen. Die genuesische Anwältin Laura Tartarini spricht von einem “Wettlauf gegen die Zeit”: “Wir haben in den Verfahrensjahren schon sehr viel durchgemacht. Von den Falschaussagen bis zur unterbliebenen Mitwirkung der Angeklagten und Zeugen. Wir dachten, wir wären durch, nun bleibt durch diese Regelung nur Hohn”.

In Genua werden vom 18. bis zum 22. Juli Aktionen und Veranstaltungen zum 7. Jahrestag der G8-Proteste und des Todes von Carlo Giuliani organisiert. Um gegen die drohende Suspendierung des Bolzaneto-Verfahrens zu demonstrieren haben NebenklägerInnen und G8-KritikerInnen für den 4. Juli in Berlin eine Kundgebung vor der italienischen Botschaft angemeldet.

Hintergrund
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

nebenbei

Dabei 25.06.2008 - 10:46
Was hat mensch darunter zu verstehen, dass "Polizei und Militär" zukünftig gemeinsam auf Streife gingen? De Facto sind die Carabienieri eine der vier (!) Teilstreitkräfte im Land, was heißt, dass das Militär von jeher Polizeigewalt hatte.

Carabinieri sind nicht gemeint.

Negazione 25.06.2008 - 16:47
Es ist zwar richtig, das die CArabinieri den Streitkräften zugeordnet sind. Bei den gemeinsamen Streifen der unterschiedlichen Ordnungskräften sollen aber auch noch explizit Soldaten, also mitglieder der bewaffneten Streitkräfte Italiens, mit auf Streife gehen. Dies ist etwa analog zu dem Einsatz von Streitkräften letztes Jahr angesichts des Mafiabandenkriegs in Neapel. Dies ist schon ein qualitativer Quantensprung. Für Deutschland wäre das sowas wie der von der CDU geforderte Einsatz der Bundeswehr im Inneren. (Was ja in Heiligendamm schon ansatzweise so passiert ist.)

Urban Ops - Italien setzt Keimling an

malavida 26.06.2008 - 03:02
Stark vereinfacht und in Anlehnung an der Wikipedia-Definition für "Gendarmerien", stellen die Carabinieri eine bestimmte Form von Militärpolizei dar, die GEGENÜBER ZIVILISTEN POLIZEIBEFUGNISSE HAT. Gerade die Sache mit den Befugnissen gegenüber Zivilisten sorgt dafür, dass sie zahlenmäßig die stärkste unter den 4 Teilstreitkräften Italiens ausmachen.

Etwa 110.000 Carabinieri stehen 190.000 Männern und Frauen der anderen Teilstreitkräfte Heer, Marine, Luftwaffe und 40.000 zivilen Mitarbeitern gegnüber - Das ergibt sich aus einem ganz besonderen Kernauftrag: der Territorialkontrolle. Carabinieri agieren quasi im Sinne der Verteidigung der staatlichen Stabilität im Inneren durch Aktivitäten, die dem Schutz und der Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung dienen. Siehe hierzu:

Basics italienisches Polizeisystem:  http://www.mein-italien.info/wissenswertes/polizeisystem.htm

Basics zu den Carabinieri:

 http://www.provinz.bz.it/ABI/wrkf_work_d.aspx?BERF_ID=185&BERF_NAME=Carabiniere

Den Rang einer Teilstreitkraft erhielten die Carabinieri erst vor wenigen Jahren, was viel mit bestimmten Legitimationsnotwendigkeiten in Verbindung mit militärischen Auslandsmissionen zu tun hat, bei denen sie ja ebenfalls mit Schwerpunkt Territorialkontrolle unter starkem Bezug auf den "zivilen" Raum agieren.

Das ist EIN Ansatz unter denen, die bestimmte Entwicklungen unserer Zeit kennzeichnen. Die Carabinieri liefern u.a. militärisch organisierte POLIZEILICHE Kontrolle im zivilen Raum. Sie verfolgen, vollstrecken, bewachen, überwachen etc. Das tun sie, wie andere auch, u.a. im auch Rahmen von so genannten "peacekeeping" Einsätzen. Was es auf sich hat, ist u.a. hier gut nachzulesen:

Rüsten für den globalen Bürgerkrieg
 http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2007-08.pdf

Der Einsatz von Soldaten in "Mischpatrouillen", wie er in Italien jetzt vorgesehen ist, kann als ein erster Vorstoß in die andere Richtung gewertet werden. Aber Vorsicht: besagter Vorstoß ist zunächst noch weit entfernt von dem, was planmäßig am Ende des Weges eine ganz wesentliche Komponente darstellen dürfte, wenn es nach dem harten Kern der Kriegstreiber gehen soll: die "asymmetrische" Kriegsführung samt FEINDBEKÄMPFUNG im "ZIVILEN" Raum, Stichwort: "urban warfare".

Die aktuelle Entwicklung in Italien ist etwas, das sich noch stark in der propagandistischen Phase befindet, die Rechtfertigung für erste Einsätze - die ganz sicher auch Trainings- und Testfunktion haben - und allererste Rechtsgrundlagen schaffen will. Die Träger der entsprechenden Zukunftsvisionen stecken immer noch tief in der Konzeptentwicklungsarbeit.

Gerade rechtzeitig und ganz passend endeckte Italien in jüngerer Zeit ihre doch schon so lange existierenden Favelas und Müllberge. Krisen, Unruhen, Not- und Ausnahmezustände sind die - unlauter und hetzerisch - propagierten Reizworte, mit denen die dortige Bevölkerung psychologisch zur Akzeptanz von (wenn auch vorerst noch eingeschränkter) militärischer Aktivität im öffentlichen, vorwiegend urbanen Raum vorbereitet werden soll und die Schlagworte für eine noch im Grundaufbau befindliche "rechtliche" Rechtfertigung des Ganzen.

Hier wird nicht "polizeiliche Sicherung der zivilen Ordnung" in mehr oder weniger "herkömmliche" Kriegsgebiete getragen, sondern militärische Präsenz (und damit potenzielle militärische Gewalt) in die Städte als Orte verschärfter bis katastrphenträchtiger sozialer, politischer, ethnischer Unruhe. Das ist der QUANTENSPRUNG: Das Militär als Instrument zur Aufrechterhaltung einer "öffentlichen Ordnung".

Vorerst dürfen italienische Soldaten im öffentlichen, "zivilen" Raum z. B. Kontrollen durchführen und gegebenenfalls sogar Menschen festnehmen, wenn auch bloß "provisorisch", weil - noch - nur Carabinieri, Polizia usw. durch ihre "rechtsstaatlich" begründeten Polizeibefugnisse die nötigen Verfolgungsmandate besitzen. Noch ist es nicht so weit, dass Soldaten Menschen bei ihren urbanen "pecekeeping" Aktivitäten im zivilen inneren Raum "gefangen" nehmen oder gar töten. Kracht es aber irgendwann zu sehr, könnte diese "Option" mittelfristig durchaus bedrohlich in den Bereich des Möglichen rücken, auch wenn es im Fall Italien erst einmal bei einem noch deutlich davon entfernten ersten, propagandistisch gefärbten, aber gleichwohl schrecklichen Vorstoß in eine schrecklich gefährliche Richtung bleibt.

Mal sehen, wann und wo das Militär erstmals repressiv zuschlägt. Val di Susa? Neapel? Vicenza? G8?

Die Nato arbeitet jedenfalls emsig daran, Militäreinsätze in städtischen Räumen weltweit salonfähig zu machen. Sie geht offenbar davon aus, dass bereits 2020 im Kontext einer dramatischen Weltkrise die Städte die eigentlichen Kriegsschauplätze der Zukunft sein werden. Entsprechend rüstet sie sich, das legen Dokumente nahe, wie der "RTO TECHNICAL REPORT 71 - Urban Operations in the Year 2020" aus dem Jahr 2002 und: "The Need for Interoperability for Urban Training in the Live Environment - The Work of the Urban Combat Advanced Training Technology (UCATT) Group in NATO" von 2006.

Mehrere Länder haben sich bei der Konstruktion der strukturellen und rechtlichen Voraussetzungen verpflichtet, Italien gehört dazu.



Translations-Links-MoreInfo

IMC Liguria 26.06.2008 - 16:30
Here you can find more info, links, translations (It, Fr, En):

 http://liguria.indymedia.org/node/1605

see ya in Genua