Berlin: 3.000 gegen Prüfungswiederholung

Wladek Flakin 17.06.2008 01:30 Themen: Bildung
3.000 Berliner SchülerInnen aus zehnten Klassen haben sich am Montag vormittag am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus versammelt. Mit ihrer Kundgebung protestierten sie gegen die Wiederholung einer zentralen Mathematik-Prüfung für den mittleren Schulabschluß (MSA). "Euer Fehler ist nicht unsere Schuld" stand auf einem der vielen selbstgebastelten Transparente.
Heiko Hildebrandt von der Humboldt-Oberschule in Berlin-Tegel, der zusammen mit FreundInnen am vergangenen Mittwoch einen Aufruf für die Kundgebung ins Netz gestellt hat, fand es "überwältigend", wie viele SchülerInnen zusammengekommen sind. Die ganze Aktion war von SchülerInnen organisiert, die keine Erfahrung mit Demonstrationen oder ähnlichem hatten. Es gab keinen Lautsprecherwagen - nur kleine Megafone, mit denen die große Menschenmenge kaum zu erreichen war.

28.000 SchülerInnen aus zehnten Klassen sollen die zentrale Mathematik-Prüfung wiederholen, weil Aufgaben und Lösungen im Vorfeld des Tests an bis zu 60 Schulen gelangt waren. "Wir haben bereits Anzeige gegen unbekannt erstattet", schrieb Eckart Schlemm, Staatssekretär für Bildung, in einem Brief an die SchülerInnen, aber die Ursachen der Panne seien noch nicht bekannt. Der Brief, der vom Demoleiter vorgelesen wurde, endete mit den zynischen Worten: "Ich drücke Ihnen allen die Daumen für die Wiederholung."

Die SchülerInnen waren von seinem Daumendrucken aber nicht so beeindruckt und skandierten weiterhin "Keine Wiederholung!", "Schreibt doch selber!" oder "Eure Schuld!" in Richtung Rotes Rathaus.

Eine Skandalmeldung des Berliner Kurier, wonach RealschülerInnen angekündigt hatten, mit "Steinen und Eisenstangen" zur Demo zu kommen, erwiesen sich als Zeitungsente. Der geplante Marsch zur Senatsverwaltung für Bildung war von der Polizei untersagt worden. Auch Versuche, nach der Kundgebung mit einer Spontandemo in deren Richtung zu starten, wurden von der Polizei blockiert. Die Bullen wussten, dass die OrganisatorInnen ihre Rechte aus dem Versammlungsgesetz nicht genau kannten, und deswegen erzählten sie, eine Spontandemo könne erst nach anderthalb Stunden genehmigt werden!!!

Die meisten DemonstrantInnen waren nicht-deutscher Herkunft, und sie hatten auch viele türkische Fahnen dabei. Auch einzelne Kroatien- oder Albanien-Flaggen waren zu sehen. Eine politische Aussage wollte Bilge (17), die auch eine Halbmond-Fahne dabei hatte, darin nicht erkennen: "Die Leute wollen nur feiern, weil die Türkei gestern gegen Tschechien gewonnen hat." Auch einige Träger von Deutschland-Fahnen haben nur an Fussball gedacht: "Wir wollten nur zeigen, dass wir gegen Türkiye sind" meinten sie.

Lee Hielscher von der Landesschülervertretung betonte in einem Redebeitrag – der von einem Polizeiwagen aus gehalten werden mußte –, die Proteste drückten "berechtigte Wut auf ein autoritäres Bildungssystem" aus. Er erwähnte die Schülerproteste gegen Bildungsabbau im letzten Monat in der ganzen BRD und machte Werbung für einen bundesweiten Schulstreik, der im Herbst stattfinden soll. Mehrere AktivistInnen der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen" waren auch dabei.

Dieses ganze Prüfungschaos hat mit Kürzungen im Bildungsbereich zu tun. Obwohl die genauen Ursachen für die Panne nicht bekannt sind (Gerüchte sagen, dass die Gruppe ARAB in einer Guerilla-Aktion die Vorlagen geklaut und an SchülerInnen weitergegeben hat...), heißt es, dass die Vorlagen für alle MSA-Prüfungen zusammen an die Schulen verschickt wurden. Deswegen lagen die Vorlagen für die Mathe-Prüfungen wochenlang in Sekretariatsräumen - es ist eigentlich ein Wunder, dass die Aufgaben an NUR 60 Schulen vorher bekannt waren!

Damit hat der Senat Portokosten gespart - aber muss die gesamte Prüfung am 23. Juni jetzt wiederholen. Ein Transparent machte auf genau diese Frage aufmerksam: "Lernmittel statt Wiederholungen!"

Bemerkenswert ist, dass junge SchülerInnen, die eine solche Schweinerei erleben, nicht einfach bei ihren LehrerInnen rummeckern sondern sofort zu Streiks aufrufen. Das wäre ohne die Arbeit der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen!", die in den letzten zwei Jahren drei Schulstreiks organisiert hat, nicht passiert. Die überraschend große Kundgebung heute ist - neben den bundesweiten Aktionen vom letzten Donnerstag - wieder ein Beweis der großen Streikbereitschaft unter SchülerInnen heutzutage.

Peter Sinram von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach - ebenfalls vom Bullenwagen - den Schülern Mut zu: "Sagt uns nächstes Mal Bescheid, dann organisieren wir einen Lautiwagen für euch."

Ob die GEW dieses Versprechen wirklich einhält, werden wir sehr bald sehen. Denn am Donnerstag um 12 Uhr wollen die SchülerInnen eine weitere Demo organisieren, diesmal vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Dort tagt der Bildungsausschuss der Senats ab 13 Uhr, das heißt der Bildungssenator Zöllner - an den schon viele Rücktrittsforderungen gerichtet wurden - wird auch anwesend sein.

SchülerInnen und Eltern haben bereits Klagen gegen die Klausurwiederholung eingereicht. Aber es muss klar sein, dass viel politischer Druck in Form von weiteren Schülerprotesten und -streiks nötig sein wird, um diese Prüfungswiederholung noch zu stoppen.

von Wladek Flakin, von der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION ( http://www.revolution.de.com)

eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt vom 17. Juni ( http://www.jungewelt.de/2008/06-17/041.php)
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Ergänzungen

Protest geht weiter: Donnerstag 12 Uhr

Potsdamer Platz 17.06.2008 - 11:26
Trotzdem der Schulsenator angekündigt hat, die MSA-Prüfungen auf jeden Fall Wiederholen zu wollen, planen Berliner Schüler am Donnerstag erneut zu protestieren. Diesmal vor dem Abgeordnetenhaus. Mobilisiert dafür! Kommt Massenhaft! Bildungsblockaden einreissen! KEINE MSA-Wiederholung

Wiederholungstäter

Schule ändern 17.06.2008 - 11:54
Ein guter Anlass diese schiefgelaufene Massenprüfung, die Form von derzeitiger Schule, ihren Sinn und Unsinn insgesamt in Frage zu stellen!!! Worum geht es bei den Zentralprüfungen - ja einerseits fordergründig darum Gleiche Bewertungsgrundlagen zu schaffen und Vergleichbarkeit herzustellen, angeblich für Chancengleichheit zu sorgen - aber dahinter steht eigentlich eine Verwertungslogik, nämlich noch mehr Druck und Leistung hineinbringen, spuren lernen, funktionieren, Konkurenz erleben und nur an den eigenen Arsch denken, das geht dann im Studium oder in der ausbildung so weiter... wozu? für wen?

Wir können es auch noch theoretischer angehen, kapitalismuskritischer - aber das sollten die SchülerInnen selber machen. Spannend ist, dass gerade SchülerInnen aus Schulen mit hohen Anteil Migrationshintergrund gemeinsam zur Demo gingen. Wäre schön, wenn alle gemeinsam andere Lernmodelle fordern würden, Schulen die modell und projektorientiert lernen gemeinsam mit den SchülerInnen gestalten und wenn es gutes pädagogisches Fachpersonal gäbe, an Lerneinrichtungen, die vielleicht auch wegkommen von ihrer Starrheit, wo es nicht um die zukunft des Bestehenden sondern um die Zukunft eines selbstwerdens, etwas Neues gänge.

Ja unterlauft den Quatsch weiter!!!, denn ihr wisst, dass dadurch die Welt und die Chancen aller nicht besser werden, sondern nur die Auswahlmöglichkeit von Arbeitgebern für meist völlig unsinnige Arbeit.

Warum nicht wieder und wieder das Spiel: wir machen nicht mehr mit und boykotieren gemeinsam durch Bescheissen - wenigstens hier haben die SchülerInnen gelernt von den Alten, einfach das Ganze unterlaufen durch Regelverstösse in Massen...

Und die alten schauen in die Röhre und als Autonomer und Anarcho freut es mich so was zu sehen, auch wenn ich weis, dass es zuerst darum geht, das viele einfach durch ne Prüfung und dafür möglichst wenig Aufwand betreiben wollten. Das heisst aber auch, wer nicht wichtig findet etwas tatsächlich zu lernen, hat entschieden, dass das zu Lernende gerade keine Priorität hat und nix nützt...

sind die

fotografennamen 04.07.2008 - 14:31
auf der revo-seite schon nachgefügt, wladek?


denn auf  http://www.revolution.de.com/

ist immer noch nur:

24. Mai 2008

8.000 beim Schulstreik!

Rund 8.000 SchülerInnen verzichteten am Donnerstag auf ihren Unterricht und traten stattdessen in den Streik. Der Protest richtete sich nicht nur gegen Unterrichtsausfall und Lehrermangel, sondern auch gegen die soziale Selektion im dreigliedrigen Schulsystem.

Bericht und Bilder von Revo

Aufruf von Revo zum Schulstreik



und auf

 http://www.revolution.de.com/revolution/0805/schulstreik/index.html

nur wladeks name unter anderer leute bildern zu sehen.

ps es handelt sich bei den besagten bildern um bilder, zu deren urhebern derzeit  http://www.ou-berlin.de/ gut verlinkt.

vielleicht könnte wladek mal aufhören, einen auf schwerhörig und schwerlesig zu machen...

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hmhm.. — TXC