Gegen die Nazifizierung der Provinz

Was tun wenn´s brennt! 13.06.2008 12:23 Themen: Antifa
Der Ilmkreis (Thüringen) ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr wenn es um Übergriffe und sonstige Aktivitäten von Neonazis geht. Ilmenau, Arnstadt, Langewiesen und Elgersburg dürften momentan die bekanntesten Namen in diesem Zusammenhang sein - aber sie sind bei weitem nicht die Einzigen. Genauso erwähnenswert wie diese Städte wären Orte wie Gräfinau/Angstedt, Pennewitz, Gehren und viele weitere.
Bedrohungen, Pöbeleien, tätliche Übergriffe, das Vorhalten von Messern und mittlerweile sogar Brandanschläge auf alternative Jugendtreffs gehören beinahe zum traurigen Alltag im Ilmkreis. Die bekanntesten Übergriffe in diesem Zusammenhang dürften die Angriffe auf ausländische Studenten und Mitarbeiter der Universität im Jahre 2005 in Ilmenau gewesen sein. Damals wurden mehrere nichtdeutsche Universitätsangehörige von Neonazis angegriffen und verletzt. Presse und Öffentlichkeit reagierten damals noch entsetzt.

Nur kurze Zeit später begann der Konflikt in der Nachbarschaft der Universitätsstadt zu eskalieren. In Langewiesen wurde ein Jugendlicher auf der städtischen Kleinsportanlage von mehreren Neonazis angegriffen und verletzt. Freunde, die zu Hilfe eilten, wurden von den Nazis angepöbelt und bedroht. Unter anderem kündigte man an, dass die "Garage" - ein alternativer und selbst verwalteter Jugendtreff, der hauptsächlich von Punks und Linken besucht wird - in absehbarer Zeit "brennen" werde. Die Nazis waren nicht gewillt, es bei der Drohung zu belassen. Am 10.09.2005 stürmten 40 bis 50 von ihnen die Garage, brachen die Tür auf und zerstörten die komplette Inneneinrichtung. Doch Langewiesen sollte noch lange nicht zur Ruhe kommen. Am 03.12. selbigen Jahres rotteten sich die Neonazis auf dem Langewiesener Weihnachtsmarkt zusammen und griffen im Laufe des Abends einige Alternative an.
Nur wenige Monate später machten sie ihre Drohung, die "Garage" anzuzünden, wahr. Ende April 2006 sammelten sich Dutzende auf dem Langewiesener Maibaumfest und machten von da aus Jagd auf linke Jugendliche und Punks, welche unter Flaschenwürfen, Tritten und Schlägen durch die halbe Stadt gehetzt wurden. Ein Mädchen musste daraufhin im Krankenhaus behandelt werden. Nur kurze Zeit später brach die selbe Gruppe ins Langewiesener Gewerbegebiet auf, wo sie erneut die "Garage" aufhebelten und im Inneren des Gebäudes sogar ein Feuer legten, welches jedoch kurze Zeit später von der Feuerwehr gelöscht werden konnte.

Langewiesen ist aber nicht der einzigste braune Fleck auf der Landkarte des Ilmkreises. Besonders in der Universitätsstadt Ilmenau treten Nazis immer offener und aggressiver auf. Erst im April dieses Jahres wurde ein Student aus Kamerun auf offener Straße von einem Neonazi angegriffen und verletzt. Einem Punk wurde wenige Tage zuvor von den Rechten in einer Ilmenauer Sparkasse gedroht, man werde ihn töten, sollte er versuchen, das Gebäude zu verlassen. Dass besonders Punks zum erklärten Feindbild der hiesigen Neonazis gehören, beweisen Dutzende solcher Vorfälle. So zum Beispiel Ende des Jahres 2007, als ein junger Anhänger dieser Subkultur am helllichten Tage angegriffen und bedroht wurde, wobei man ihm sogar ein Messer an den Hals drückte.
Selbst der Besuch der Ilmenauer Studentenclubs ist für Linke und Punks nicht mehr ungefährlich. Auch in diesen Clubs treten Neonazis immer häufiger in Erscheinung und bedrohen oder attackieren Gäste, welche nicht ins Weltbildbild der extremen Rechten passen.
Im Jahr 2006 löste die Polizei in Ilmenau ein als Geburtstagsfeier getarntes rechtsextremes Konzert auf. Die knapp 100 anwesenden Neonazis aus Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg erhielten Platzverweise. Weitere anreisende Neonazis wurden von der Polizei zurück geschickt.
Im selben Jahr machte auch die rechtsextreme „Antikapitalistische Kaffeefahrt“ in Ilmenau halt. Knapp 80 Neonazis (unter Ihnen Ralf Wohlleben, Patrick Wieschke, Hendrik Heller und Patrick Paul) sammelten sich am Apothekerbrunnen, um eine Kundgebung abzuhalten und den Klängen des nationalen Liedermachers Max Lemke zu lauschen.

Nächster Stopp dieser Kaffeefahrt war die Kreisstadt Arnstadt. Auch hier findet man eine organisierte und militante Neonaziszene, die immer wieder durch gewalttätige Übergriffe auf sich aufmerksam macht. So zum Beispiel am 11.03.2006, als mehrere Neonazis einen 22jährigen aus Südafrika erst rassistisch beschimpften und anschließend angriffen und verletzten.
Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich im April 2007 als drei junge Männer einen nichtdeutschen Pizzafahrer erst als „Scheiß Kanacke“ bezeichneten und ihn anschließend mehrfach ins Gesicht schlugen.
Am 03.06.2007 kam es zu einem Brandanschlag auf das linke Wohnprojekt „P20“ in Arnstadt. Dabei wurden zwei Molotowcocktails gegen das Gebäude geworfen. Einer davon durchschlug eine Scheibe und landete in einem bewohnten Zimmer des Hauses. Glücklicherweise explodierten die Brandsätze nicht so dass niemand verletzt wurde.
Nur einen Monat später versuchten 40 zum teil vermummte Anhänger der rechten Szene in Arnstadt eine antifaschistische Kundgebung anzugreifen, scheiterten aber an einer Polizeikette.
Was Kundgebungen und Demonstrationen angeht, ist die Arnstädter Neonaziszene sehr aktiv. Allein zwischen November 2004 und April 2006 sammelten sich die Rechtsextremen neun Mal in Arnstadt und Umgebung zu Kundgebungen und Demonstrationen. Einige davon wurden von der Polizei verhindert oder gestoppt, andere wiederum nicht - so zum Beispiel die Demonstration am 01. April 2006, bei der knapp 500 Neonazis durch Arnstadt marschierten.
Aber nicht nur Demonstrationen und Kundgebungen, sondern auch rechtsextreme Konzerte werden von den Arnstädter Nazikadern regelmäßig organisiert und durchgeführt.

Eines dieser Konzerte fand am 13.07.2002 in der Elgersburger Gaststätte „Kaiserhof“ statt. Knapp 160 Besucher fanden sich in der Gemeinde ein um den Klängen der Bands „Blutstahl“ und „Selektion“ zu lauschen. Als eine Zivilstreife der Polizei auf die laute Musik und „Sieg Heil“ Rufe aufmerksam wurde und Verstärkung anforderte, verbarrikadierten sich die Nazis in der Gaststätte und griffen die Polizisten mit Bänken, Flaschen, Holzlatten und Teilen des Mobiliars an. Alle 160 Personen erhielten eine Anzeige wegen Landfriedensbruch.
Ruhe vor den Nazis hatte der kleine Ort aber noch lange nicht. Erst am 31.Mai diesen Jahres veranstaltete die rechtsextreme NPD im Ort ihren Landesparteitag. Völlig ungestört konnten die Nazis im Gästehaus „4 Jahreszeiten“ ihre Veranstaltung, welche Anfang April in Ronneburg von der Polizei aufgelöst wurde, im Ilmkreis fortsetzen.

Vor allem die Tatsache, dass BürgerInnen Rechtsextreme kaum wahrnehmen oder aber sich nicht an ihnen stören, ermöglicht es den Neonazis, Veranstaltungen wie das jährliche Fußballturnier in Pennewitz durchzuführen, bei dem sich die Rechtsextremen auf dem Gelände des örtlichen Fußballvereins treffen, gegeneinander antreten und ihre Strukturen festigen können. Als eines dieser Turniere im Jahre 2006 durch AntifaschistInnen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde, ging Pennewitzs Bürgermeister Ulrich Schubert sogar soweit, die Neonazis, welche diese Veranstaltung anmeldeten, als „feine Kerle“ zu bezeichnen.
Für manche undenkbar, im Ilmkreis allerdings kein sonderlich ungewöhnliches Verhalten und Denken gegenüber Rechtsextremen.

Als ein weiteres Beispiel dafür, dass die kranke Denkweise der extremen Rechten langsam aber sicher auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wäre eine Fleischerei in Gräfinau Angstedt zu nennen. Hier machte ein rechter Fleischermeister durch sein Verhalten auf sich aufmerksam. In der Chefstube sollen unter anderem eine Reichskriegsflagge und ein Bild des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess gehangen haben. Auf einem Schild der zum Laden gewandten Innenseite der Chefstube soll „National befreite Fleischerei“ zu lesen gewesen sein. Zum Frühstück wurde Lehrlingen und Mitarbeitern rechtsradikale Musik vorgespielt. Mittlerweile gehören laut einiger Presseberichte sowohl die Nazidevotionalien als auch das seltsam anmutende Frühstücksritual der Vergangenheit an - genau wie Rudolf Hess selbst.

Ein weiterer Höhepunkt rechter Gewalt und Skrupellosigkeit ereignete sich in der Nacht des 15. auf den 16. April 2008. Auf den alternativen Jugendtreff „Garage“ in Langewiesen wurde erneut ein Brandanschlag verübt. Eine unter dem Carport des Gebäudes stehende Mülltonne wurde von den Neonazis in Brand gesteckt - während sich zwei Personen im Inneren der Garage aufhielten. Zwar konnte das Feuer gelöscht und somit schlimmeres verhindert werden, jedoch zeigt dieser Vorfall überdeutlich, dass die Rechtsextremen der Umgebung mittlerweile bewusst Menschenleben in Kauf nehmen. Wäre das Feuer nicht rechtzeitig entdeckt wurden, hätten die meterhoch schlagenden Flammen schnell auf das Carport und das Gebäude selbst übergreifen können. Dass sich Personen im Inneren aufhielten, müssen die Angreifer ebenfalls mitbekommen haben, da in der „Garage“ Musik lief und auch durch die seitlichen Fenster Licht geschienen hat.

Die alternative Szene in Langewiesen und Umgebung ist nicht länger gewillt, diese Zustände tatenlos hinzunehmen und hat aus diesem Grund zusammen mit Stadträtin Anke Hofmann (Die LINKE) und mit Unterstützung diverser Thüringer Antifagruppen eine Demonstration mit Bürgerfest für den 21.Juni 2008 unter dem Motto „Was tun wenn´s brennt! - Gegen die Nazifizierung der Provinz“ angemeldet.
Die Antwort auf die Anmeldung lies nicht lange auf sich warten. Die Presse erklärte die Veranstaltung selbstherrlich zur extremistischen „Großdemonstration“ und der Stadtrat äußerte sich entsetzt über eine solche antifaschistische Initiative. Unter anderem wurde das Anliegen der AntifaschistInnen von Teilen des Stadtrates als „scheinheilig“ beschimpft und behauptet, die Tatsache, dass es eine organisierte rechte Szene gäbe, wäre nichts als „Rufmord“. Man fürchte um das „Image der Stadt“, wenn eine solche Veranstaltung in Langewiesen stattfinden würde, gab man der Presse zu verstehen und kündigte gleichzeitig an, darüber nachzudenken, wie man verhindern könne, dass das antifaschistische Bürgerfest mitten in der Stadt auf dem Rathausplatz stattfindet.

Nur wenige Tage nach diesen Presseberichten war es die „nicht existente“ rechte Szene. die ihrerseits für denselben Tag eine Demonstration in Langewiesen anmeldete. Unter dem Motto „Freie Jugend statt Gesinnungsdikatur“ werden die Nazis nun wenige Stunden vor der antifaschistischen Demonstration durch die Straßen von Langewiesen ziehen. Das Ziel dürfte klar sein. Man will die AntifaschistInnen provozieren und zu Aktionen verleiten um im Nachhinein behaupten zu können, nicht die Nazis, sondern die AntifaschistInnen wären das Problem der Umgebung.

Ähnlich stellten es die rechtsextremen „Freien Kräfte Südthüringen“ bereits im Aufruf zu ihrer Demo dar. Von einen „Klima der Angst für junge Nationalisten in Langewiesen“ und von belästigten und gar zusammengeschlagenen Männern und Frauen ist dort die Rede. Selbst der Brandanschlag auf die Garage wird bestritten und behauptet, dies wären die Leute aus der Garage selbst gewesen, da sie „vergessen haben das Feuer ihrer Mülltonne zu löschen“. Ebenfalls eine Provokation der Rechten, welche im Sande verlief, da man zumindest hierfür eher ein mitleidiges Lächeln übrig hatte, anstatt sich darüber aufzuregen.

Aber auch eine erste handgreifliche Antwort auf die Anmeldung der antifaschistischen Demonstration gab es bereits. Am Abend des 30.05. fand in Wümbach auf dem Sportplatz eine Schulabschlussfeier der zehnten Klassen statt. Auch anwesend waren einige alternative Jugendliche aus Langewiesen. Als die Situation durch einen immer größer werdenden Nazimob zu bedrohlich für diese wurde, baten sie ein paar Freunde, sie abzuholen. Als diese eintrafen, eskalierte die Situation. Die Nazis gingen zum Angriff über und verletzten eine Person durch einen Stockschlag schwer am Ohr. Weitere Jugendliche wurden von den Rechtsextremisten durch den Ort gejagt. Erst als weitere Menschen eintrafen, um die angegriffenen Jugendlichen aus dem Ort heraus zu holen, beruhigte sich die Situation wieder. Zumindest für diesen Tag.

Neonazis drohen in den letzten Tagen immer vehementer damit, die Garage erneut anzuzünden und es häufen sich die Anzeichen dafür, dass sie ihre Drohung erneut wahr machen wollen. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll am Abend der Doppeldemo in Langewiesen ein Konzert mit zwei namhaften Bands der rechten Szene in Gräfinau Angstedt stattfinden. Auch halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass es bereits am 31.05. ein solches Konzert in eben jenem Dorf gegeben hat. Beides ist bisher noch nicht bestätigt, jedoch steht eines fest: Die Gefahr, welche Neonazis im Ilmkreis darstellen, ist noch lange nicht vorüber.
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Ergänzungen

Jugendclub unterstützt Nazis

X 13.06.2008 - 16:22
Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass die Nazis betont unterstützt werden durch akzeptierende Jugendarbeit. Ich erinnere mich da an eine Geschichte, dass sie in ihrem braunen Jugendclub einen Sozialarbeiter hatten, welcher dafür bezahlht wurde, mit den Nazis zusammen das braune Haus zu bertreiben und Projekte zu planen. Von Gegenwind für die Nazis kann gar keine Rede sein - eher Rückenwind. So werden Nazistrukturen dauerhaft gefestigt und die Szene beitet sich aus.

@ Borkenarrow

ILMKREIS´ler 14.06.2008 - 20:56
Also zumindest was den Ilmkreis angeht ist nichts von einem solchen Todesfall bekannt. Solltest du da andere Infos besitzen dann poste diese doch bitte!

Konzert in Gräfinau

ILMKREIS´ler 17.06.2008 - 12:30
Das im Artikel angesprochene Konzert in Gräfinau am 31.05. hat tatsächlich stattgefunden ist also kein Gerücht. Der verfassungsschutz schreibt darüber:

"Rechtsextremistisches Konzert am 31. Mai in Wolfsberg OT Gräfinau-Angstedt (Ilmkreis)

Am 31. Mai fand in einer ehemaligen Gaststätte in Wolfsberg OT Gräfinau-Angstedt eine Musikveranstaltung statt, in deren Verlauf u. a. die rechtsextremistischen Bands „System Infarkt“ (Thüringen) und „Undergrundwehr“ (Bayern) auftraten. Darüber hinaus soll es auch Darbietungen der Band „PAK 88“ (Thüringen) gegeben haben. Das Konzert wurde von ca. 80 Szeneanhängern besucht, die überwiegend aus Thüringen und zum Teil aus Bayern stammten."

Ist also gut möglich das auch die anderen Gerüchte zutreffen und am Tag der Demonstration ebenfalls ein Konzert dort stattfindet

kein regionales Problem

Ilmkreis Punk 21.06.2008 - 14:15
Wenn man Gerüchten glaubt, soll wohl auch ein Musiker der Neonaziband Kraftschlag in Gehren leben. Auch daran merkt man, dass es sich nicht nur um ein regionales Problem handelt sondern dass auch die Nazis vom "Dorf" bundesweit und darüber hinaus agieren.

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guter Bericht — turn left, smash right