Vorermittlungen wegen defekter BMW-Motorräder

autonomes autorenkollektiv (wirtschaft II) 13.06.2008 12:06 Themen: Medien Weltweit
Die Staatsanwaltschaft München I führt unter dem Geschäftszeichen 497 AR 3014/08 Vorermittlungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Technischen Aktion (TA) mit der Befundnummer 0000346700 bei der BMW AG. Die Verkehrssicherheitsbehörde, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg, hat seit 22. Juni 2007 Kenntnis von den technischen Defekten, gibt aber bis heute keine Auskunft nach den Vorgaben des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Begründung: Der "behördliche Entscheidungsprozess" müsse geschützt werden.

Die Staatsanwaltschaft München I führt unter dem Geschäftszeichen 497 AR 3014/08 Vorermittlungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Technischen Aktion (TA) mit der Befundnummer 0000346700 bei der BMW AG. Bei dieser von vielen Kunden als Rückruf verstanden Aktion wird eine Bremsleitung am ABS-Druckmodulator an den Motorrad-Modellen R 1200 GS (ohne Adventure), R 1200 R und R 1200 ST mit der Bremsanlage mit der Verkaufsbezeichnung „Integral-ABS“ des Herstellers Continental Teves ausgetauscht. Betroffen sind 10.700 Modelle in Deutschland aus dem Produktionszeitraum von August 2006 bis Februar 2008. Weltweit beläuft sich die Zahl auf 37.000 Einheiten. Fotos der neu konstruieren Bremsleitungen finden sich in einem Artikel von Motor-Kritik vom 13.04.2008: BMW und seine "TA's"

In der Fachzeitschrift MOTORRAD (Ausgabe 01/2008 vom 21.12.2007, Seite 50-51) behauptete der BMW-Pressesprecher Rudolf Probst in einem Interview, dass es in Einzelfällen zu Undichtigkeiten im Bereich der Verschraubungen am ABS-Druckmodulator gekommen sei, wobei er im Unklaren lässt, was er konkret unter Einzelfällen versteht. Es handle sich dabei um Risse an den Bremsleitungen. Dem Geschäftsbereich BMW Motorrad seien bisslang keine Unfälle mit Personenschäden bekannt geworden, so lautete seine Antwort auf die Interviewfrage, ob es bereits zu "kritischen Situationen" gekommen wäre. Das Thema würde aber "sehr ernst" genommen. MOTORRAD berichtete, dass es vorläufiger Kenntnisstand sei, dass die Rissbildungen ggf. auf verspannten Verbau der starren Bremsleitungen mit anschließender Schwingbelastung zurückzuführen sein könnte. Zuvor, noch am 08.11.2007, behauptete der Pressesprecher gegenüber einem anderen Medium lapidar wie folgt: "... bevor es zu einer kritischen Situation kommen kann, bemerkt es der Kunde, weil sich der Druckpunkt beim Betätigen des Bremshebels verändert. Zudem kann er im Kunststoffbehälter am Lenker sehen, dass die Füllmenge der Bremsflüssigkeit abnimmt ..."

Zeitgleich mit Einleitung von Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft München I gibt es ein bemerkenswertes Phänomen. Ob es Zusammenhänge gibt, ist derzeit nicht recherchierbar:

Eine BMW-Niederlassung verschickt Schreiben an betroffene Halter, die wie folgt eine Einleitung enthalten: "dieses Schreiben versenden wir erneut, um sicherzustellen, dass es jeder betroffene Kunde erhält. Wenn Sie schon ein Schreiben von uns erhalten haben, betrachten Sie dies bitte als Gegenstandslos."

Hintergründlich ist öffentlich bekannt geworden, dass eine Empfängerin des Schreibens sich zuvor auf dem höchsten Gebirgspass Sloveniens (Vršič-Pass) mit dem Totalausfall der Vorderradbremse ihres BMW-Motorrades konfrontiert sah. Sie habe beim Befahren des Passes festgestellt, "keine Bremswirkung auf der Handbremse" zu haben. Bei der dann erfolgten Begutachtung war ein fast leerer Ausgleichsbehälter der Vorderradbremse festzustellen gewesen.

Und über die Technische Aktion (TA) von BMW mit dem Austausch einer Bremsleitung am Druckmodulator wären sie nicht informiert gewesen – sagt ihr Mann, der ein Internet-Portal für BMW-Motorräder betreibt. Die "Verantwortlichen bei BMW" hätten, so schreibt er, "fahrlässig" gehandelt. Die einleitende Formulierung im Schreiben erregt ihn sehr. Es würde da suggeriert werden, dass sie ein solches Schreiben erhalten hätten, was nicht den Tatsachen entspräche.

Und schon am 17. Juni 2007 - also vor gut einem Jahr - waren solche Bremsversagen bekannt. Der Motor-Journalist Wilhelm Hahne schrieb seinerzeit dazu: "Der erste Bremsenausfall ... wo so ein Kundendienstmann des Werkes den Kunden praktisch als Deppen hinstellte, BMW-Fehler mit "kann ja mal passieren" verniedlichte und schon gar nicht bereit war, ein Motorgehäuse zu ersetzen, dass durch die auslaufende Bremsflüssigkeit "verschandelt" war." Seit dem 22. Juni 2007 hatte jedenfalls die Verkehrssicherheitsbehörde, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg, auch Kenntnis von dem Fall. Die Angelegenheit, die seit Anfang April 2008 offenbar mit der Technischen Aktion der BMW AG mit der Befundnummer 0000346700 bereinigt werden soll, wird dort unter dem AZ 414-771/1856/07 geführt.

Am 13.03.2008 teilte die Behörde zu dem Vorgang mit: „Ihr Antrag auf Herausgabe von Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz ist hier vorgemerkt. Zum Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses ist beabsichtigt, die Informationen erst nach Abschluss des Vorgangs herauszugeben. Das KBA wird sich unaufgefordert mit Ihnen in Verbindung setzen (siehe Schreiben KBA vom 12.07.2007). Bis heute ist der "Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses" lediglich behauptet, nicht aber begründet. Die Zeitschrift "c't" kam in ihrer Ausgabe 10/2008 bei der Bewertung des Informationsfreiheitsgesetzes für den "mündigen Bürger" zu der Feststellung: "Wann immer die Anfragen der Bürger auf heikle Punkte zielen, machen Behörden in gewohnter Weise die Schotten dicht - nur studieren sie dazu jetzt die vom IFG belassenen Ausnahmen besonders gründlich"

Es wird nun sicher niemanden erstaunen, dass sich die vorstehenden Informationen weder in der Tagespresse, noch in Fachzeitschriften wieder finden. Deren Tagesgeschäft ist das Umschreiben von PR-Texten der Industrie und das ins rechte Licht rücken deren Produkte. Und das ist ja nur selbstverständlich, da sie sich überwiegend von der geschalteten Industrie-Werbung finanzieren, und die Produkte zum "Testen" vor das Verlagsgebäude gestellt bekommen. Schutzkleidung und Helme kauft ein Verlagsleiter da auch nicht für seine Redakteure - die bekommt er gestellt. Die Richtlinie 15.1 des novellierten Pressekodex besagt ferner: "Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich." Es ist bislang aber kein Bericht über eine BMW-Motorrad Präsentation in Südafrika bekannt geworden, bei dem die Finanzierung der BMW AG kenntlich gemacht wurde.

Ziffer 15 Pressekodex

Die Annahme von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein
könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redak-
tion zu beeinträchtigen, ist mit dem Ansehen, der Unab-
hängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar. Wer
sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nach-
richten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und berufs-
widrig.

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Ergänzungen

Vorermittlungen (AR-Sache)

juristische Einordnung 13.06.2008 - 13:55
Das ist eine AR-Sache.

Solange die StA noch prüft, ob sich aus einer Anzeige überhaupt ein auf Tatsachen gestützter Verdacht ergibt, wird der Vorgang in einem AR-Register („Allgemeines Register“) eingetragen. Erst nach Bejahung des Anfangsverdachts wird die AR-Sache in eine Ermittlungssache gegen einen Tatverdächtigen (Js-Sache) oder gegen Unbekannt (UJs-Sache) eingetragen.

AR-Verfahren werden nicht in staatsanwaltschaftliche Register eingetragen. In der Praxis werden Verfahren gegen Politiker oder andere im Lichte der Öffentlichkeit stehende Personen häufig zu Unrecht mit einem AR-Aktenzeichen versehen, um ihnen die sich aus einer Js-Registrierung ergebenden unangenehmen Folgen zu ersparen. Denn in dem Fall werden die Verfahrensdaten solange gespeichert, wie die Akte existiert, das sind bei Einstellungen in der Regel fünf Jahre (§ 485 in Verb. mit Aufbewahrungsbestimmungen).

Das kann im vorstehenenden Fall zu denken geben. Die ganz unvoreingenommene Lesart ist aber, dass die Staatsanwaltschaft München I prüft, ob es Anhaltspunkte für eine Straftat gibt.

Aus dem Bereich des Strafrechts kämen vor allem die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) und Tötungsdelikte (§§ 212, 222 StGB) in Betracht. Ferner könnten die Strafrechtsvorschriften des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräte- und Produktsicherheitsgesetz - GPSG) zu prüfen sein. Und ob es sich um gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) handelt, könnte fraglich sein. In einem früheren Vefahren wegen des Vorgänger-Bremssystems wurde nämlich genau das verneint.

Völlig intransparent ist jedenfalls in dem Zusammenhang die Darlegung des Kraftfahrt-Bundesamtes, dass keine Auskunft nach den Erfordernissen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) gegeben wird, weil der "behördliche Entscheidungsprozess" geschützt werden müsse.

Erneut Rückrufaktion // Schwerverletzte

Recall 16.06.2008 - 12:44
Am Freitag und Samstag hat BMW eine weitere Rückrufaktion eingeleitet. Hintergrund sind Unfälle und Vorfälle im Zusammenhang mit den Handprotektoren an GS-Modellen. Bei den 08er Modellen wurden neu konstruierte Handprotektoren verbaut, die den Defekt nicht mehr verursachen können. Beim vorstehenden Rückruf wird nichts repariert, es handelt sich offenbar um eine Maßnahme, damit der Hersteller aus der Haftung raus ist.

Alles Weitere in der Anlage

Fortsetzung des Artikels

autonomes autorenkollektiv (wirtschaft II) 18.06.2008 - 21:16

 http://de.indymedia.org/2008/06/220148.shtml

"Mehrfach verpatzte Rückrufaktion bei BMW" 17.06.2008 11:26