Parteienkrise und Staatskrise

Wal Buchenberg 11.06.2008 15:32 Themen: Medien Repression Soziale Kämpfe Weltweit

An den sächsischen Kommunalwahlen im Juni 2008 beteiligten sich nur knapp 46 Prozent der Wahlberechtigten. Bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vom 25. Mai 2008 lag die Wahlbeteiligung ebenfalls unter 50 Prozent. Geringer werdende Wahlbeteiligung ist ein langfristiger Trend unserer Demokratie. Organisiert und genutzt werden Wahlen jedoch von Parteien. Parteien sind der Kitt und die Verbindungsschicht zwischen Staat und Gesellschaft. Der gesellschaftliche Einfluss der Parteien bröckelt nach allen Seiten weg. Die Parteien sind in der Krise und die Parteienkrise ist der Vorläufer einer Staatskrise.


1. Parteienkrise


1.1. Rückgang der passiven Unterstützung der Parteien


Eine sinkende Wahlbeteiligung hat noch keinen direkten Einfluss auf die Besetzung von Verwaltungs- und Regierungsposten in Kommunen, Ländern und im Bund. Die Zahl der zu vergebenden Sitze steht vor der Wahl fest, und die Sitze werden auf die Parteienvertreter verteilt in Relation der auf sie entfallenden Stimmen. Dass diese Wahlstimmen in absoluten Zahlen ständig sinken, hat darauf keinen Einfluss. Aber sinkende Wahlbeteiligung heißt sinkendes Vertrauen in die Parteien und damit sinkendes Vertrauen in den Staat. Mit der Wahlbeteiligung fällt die Zustimmung zur politischen Elite, zur politischen Klasse. Und umgekehrt: Mit sinkender Zustimmung zur politischen Elite sinkt die Wahlbeteiligung.
Siehe dazu die Grafik Wahlbeteiligung:



Das nachlassende Interesse an den Parteien und den Wahlen, die sie veranstalten, wäre noch gravierender, wenn unsere Alten, nicht an dem Wahlritual festhalten würden.
Bei den über 60jährigen ging die Wahlbeteiligung an Bundestagswahlen zwischen 1953 und 2002 um zwei bis drei Prozent zurück. Bei den Jüngeren aber um 6 bis 10 Prozent. Der Parteienstaat ist zur Seniorenbeschäftigung geworden.
Siehe dazu die Grafik Wahlbeteiligung nach Altersgruppen.



1.2. Rückgang der aktiven Unterstützung der Parteien


Es schwindet nicht nur die passive Unterstützung der Parteien in Wahlen, sondern auch die aktive Unterstützung durch Mitgliedschaft. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mehr als eine Million Mitglieder. Von da an ging es bergab bis zum Tiefpunkt 1933. Nach 1945 stieg die Mitgliederzahl bis Mitte der 70er Jahre wieder auf eine Million Mitglieder. Seither rutschen die Mitgliederzahlen. Es fehlt nur wenig und die Mitgliederzahl hat sich halbiert.
Dieser Mitgliederrückgang ist keine Besonderheit der SPD. Die CDU ist in keiner anderen Situation.
Siehe die Grafik Mitgliederentwicklung:



Auch unter Überalterung haben beide Großparteien gleichermaßen zu leiden: In der SPD sind 43 Prozent der Mitglieder über 60 Jahre alt. In der CDU liegt das Durchschnittsalter der Parteimitglieder bei 56 Jahren. Parteizugehörigkeit ist eine Sache der Alten geworden.

1.3. Die großen Parteien verlieren an die kleinen


Bei der Bundestagswahl 2005 verlor die SPD an die CDU 600.000 Wählerstimmen. SPD und CDU zusammen verloren jedoch 1 Million Wähler, die nicht mehr zur Wahl gingen. Gleichzeitig verloren SPD und CDU 3 Millionen Wähler an die kleinen Parteien. Seit 1960 haben die sogenannten "Wechselwähler" um 400 Prozent zugenommen, und sie wechseln zunehmend von den großen Parteien zu den kleinen.

Siehe dazu die Grafik Wählerverluste.



Der Einfluss der großen "Volksparteien" bröckelt nach allen Seiten weg.

Scheinbar kämpften CDU und SPD bei der Bundestagswahl 2005 gegeneinander. Aber dieser politische Richtungsstreit zwischen SPD und CDU hatte nur ein Gewicht von 600.000 Wahlstimmen.
Fast das doppelte Gewicht hatte der politische Richtungsstreit zwischen SPD und CDU auf der einen Seite und den (potentiellen) Nichtwählern auf der anderen Seite. Da ging es um 1 Million Wählerstimmen.
Und das sechsfache Gewicht hatte die Konkurrenz zwischen den beiden Volksparteien und den kleinen Parteien. Dabei ging es um 3 Millionen Wählerstimmen.

So manche Politikerin und Politiker in den kleinen Parteien machen sich die Illusion, dass sie eine große Partei "beerben" könnten.
So träumte FDP-Möllemann einmal von 18 Prozent für seine Partei. Die Grünen mussten erleben, dass sie nach schnellen Anfangserfolgen nicht weiter wuchsen. Den "Linken" wird es nicht anders ergehen.

Das Parteiensystem in der Bundesrepublik verliert seine Macht nach dem Muster einer Gaußschen Glockenkurve: Solange der Einfluss der Großparteien stark war, banden sie viele Wähler und viele Mitglieder. Die Machtkurve war schmal und hoch und erreichte ihren Zenith Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Seitdem verlieren die Großparteien nach allen Seiten hin Wähler und Mitglieder, seitdem sinkt die Kurve in sich zusammen und wird immer breiter.
Politisch wirkt sich das so aus, dass der Parteieneinfluss insgesamt schwächer wird und die Parteien sich gegenseitig zunehmend hemmen und paralysieren. Die Parteienkrise wird zur Regierungs(bildungs)krise.

Der Machtverlust der Parteien hat seine Ursachen nicht in veränderten Kräfteverhältnissen von Links und Rechts, sondern in einer wachsenden Diskrepanz zwischen dem Staatsapparat (oben) und dem Staatsvolk (unten). Deshalb trifft der Schwund der Parteienmacht linke wie rechte Parteien. Das große Vorbild der europäischen Linken, die Kommunistische Partei Italiens, schaffte bei der diesjährigen Parlamentswahl nicht einmal die 4-Prozent-Hürde.
Siehe Grafik Wahlergebnisse der KPI (parteien03).



Der historische Gegner der KPI, die Democrazia Christiana, ist ebenfalls zerfallen und hat sich aufgelöst.
Es handelt sich um eine Krise der politischen Repräsentation durch Parteien, nicht um eine Krise von rechten oder linken Strömungen.

2. Parteienkrise heißt Staatskrise


Parteien spielen eine zentrale Rolle in unserer Staatsorganisation. Außer der Beteiligung an Wahlen lässt unsere Verfassung faktisch keine Bürgerbeteiligung an der Staatstätigkeit zu.
Parteien wählen vor jeder Wahl die Kandidaten für Parlaments- und Staatsämter aus. Nach der Wahl bleiben die gewählten Parlamentarierinnen Abgeordnete ihrer Parteien, nicht der Wähler. Parlamentsabgeordnete sind "Parteibeauftragte", keine "Volksbeauftragte".
Parteien führen den politischen Meinungsstreit und verwandeln politische Meinungen in politische Initiativen (Gesetzesvorlagen, Verwaltungsvorschriften etc.), die (eventuell) in staatliches Handeln münden.
Tatsächlich sind in unserer Demokratie nur die Parteien politisch mündig. Die einzelnen Bürger, das Staatsvolk, sind in der repräsentativen Demokratie unmündige Untertanen, die in den Parteien Fürsprecher brauchen, um sich auf Staatsebene Gehör und Einfluss zu verschaffen. Die Parteien werden aber zunehmend als politische Mittler ignoriert und abgelehnt. Diese politische Repräsentationskrise nährt sich aus mehreren Quellen.

2.1. Schrumpfender Bildungsvorsprung der Eliten


Einerseits stieg der Bildungs- und Informationsstand der Bürger. Ein wirklicher Bildungsabstand zwischen "denen da oben" und "uns unten" ist nicht festzustellen. Sobald ein abgebrochener Student den Außenminister geben kann und eine Apothekenhelferin die Verwaltung einer Weltstadt hinkriegt, da ist nur schwer noch zu vermitteln, dass unsere Staatselite etwas besseres sei als wir und deshalb lebenslange Privilegien verdient hätte.
Wo noch ein Informationsabstand zwischen denen da oben und uns unten besteht, wird der künstlich durch staatliche Monopolisierung von Information (Beratungen hinter verschlossenen Türen, Geheimdienste, Überwachung, staatliche Datenpools, etc.) und durch Geheimhaltung aller relevanten Informationen aufrecht erhalten.

2.2. Schrumpfender Gestaltungsspielraum der Eliten


Hinzu kommt, dass der politische Spielraum der Partei- und Staatspolitiker ständig schrumpft. Ihr Handlungsspielraum schrumpft nicht nur durch die Erosion der Nationalwirtschaften in der kapitalistischen Weltwirtschaft, er schrumpft nicht nur durch den neuen "Überstaat" EU, der Handlungsspielraum der politischen Klasse schrumpfte vor allem durch ihr eigenes Handeln. Er schrumpfte als Folge der zunehmenden Verrechtlichung, als Resultat der Tausenden von Gesetzen und Verordnungen, die sie über das Staatsvolk herunterregnen lassen.
In Geld geschätzt kann eine Bundesregierung jedes Jahr rund 2 Prozent des Bundeshaushaltes mehr oder minder frei verwalten. Über 98 Prozent der jährlichen Staatseinnahmen ist längst durch bestehende Gesetze und Verordnungen verfügt. Der Gestaltungsspielraum der Regierung bewegt sich also bei zwei Prozent vom Ganzen.

Alles in allem: Unsere Politikerinnen und Politiker geben eine immer schwächere und immer schlechtere Figur ab. Das weiß jeder außer sie selbst.

2.3. Wachsende Distanz zwischen Staat und Gesellschaft


Eigentlich sollten Parteien Mittelglieder zwischen Staat und Gesellschaft sein. Tatsächlich sind sie längst mit dem Staat verwachsen: Parteipolitiker wurden zu Staatspolitiker, Parteifinanzen wurden zu Staatsfinanzen, Parteiinteressen wurden zu Staatsinteressen. Die Gesellschaftsmitglieder sehen zu Recht in den Parteien nicht mehr ihre Repräsentanten, sondern Repräsentanten des Staates.

Die traditionelle Verbindung der Parteien zu gesellschaftlichen Milieus und zu sozialpolitischen Fragestellungen ist verschwunden. Das gilt für große und kleine Parteien gleichermaßen. Die Parteien haben keine gesellschaftliche Verankerung und Basis mehr. Die Parteiführer verlassen sich auf anonyme Meinungsumfragen, nicht auf Menschen und Milieus in ihrer Nähe.

Die Bürger, das Staatsvolk, wurden gebildeter und informierter, haben aber in der Parteiendemokratie keinen politischen Einfluss und keine Stimme - mit Ausnahme derjenigen, die gewohnt sind mit Minister oder Staatssekretären am Telefon zu sprechen. Wo Bürger ohne großes Eigentum sich Stimme und Einfluss bei der Staatselite verschaffen, können sie das nur im Bruch mit den politischen Gewohnheiten und im Bruch mit den etablierten Parteien: durch Demonstrationen, Blockaden, Streiks usw.

3. Was auf uns zukommt


Da die Parteienherrschaft im Zentrum unserer Verfassungsordnung steht, wird die Parteienkrise auch zur Verfassungs- und Staatskrise. Je länger sie dauert, um so tiefer.
Die Parteiendemokratie war gedacht als Mittelding und Puffer zwischen einer autoritären Herrschaft und der direkten Demokratie. Der Puffer hat sich verbraucht. Wir werden in Zukunft mehr autoritäre Herrschaftsformen erleben, die sich ohne die Parteien und über die Parteien hinweg direkt "ans Volk" wenden. Putin lässt grüßen. Berlusconi spielt dieses Spiel. Ein Sarkosi bildete sich ein, er könne in diese Rolle schlüpfen. Auch Barak Obama, der voraussichtlich nächste US-Präsident, ist so eine "volkstümliche Führerfigur". Bei uns suchen einige schon nach einer Obama-Kopie. Wer "deutscher Obama" bei Google eingibt, kann sich an der Suche beteiligen.

Wal Buchenberg für Indymedia, 11.06.2008

Quelle zur Wählerwanderung
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Ergänzungen

Tote Hose - Große Koalition

ftd 13.06.2008 - 07:45
Keine Idee, keine Richtung, nirgends. Das ist der deprimierende Eindruck, den die Große Koalition in diesen Tagen vermittelt. Jüngste Umfragen zeichnen zudem ein Schreckensbild.

Danach bringen es Union und SPD zusammen (!) gerade noch auf 55 Prozent. Das jüngste Treffen des Koalitionsausschusses - das letzte vor der Sommerpause - reduziert sich auf die Erfolgsmeldung, dass man "handlungsfähig" sei: (...)

Links und rechts sind aber gleichzeitig die Symptome eines Zerfalls mit den Händen zu greifen. Nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb von Union und SPD liegen die Nerven blank. Die Angst vor dem Wähler (...) bestimmt zunehmend den Kurs. (...)

aus der FTD vom 13.06.2008:

Wer hat Achtung vor Politikern?

Umfrage 16.06.2008 - 15:57

Kritik

Kritiker 17.06.2008 - 10:10
"Tatsächlich sind in unserer Demokratie nur die Parteien politisch mündig.
Die einzelnen Bürger, das Staatsvolk, sind in der repräsentativen Demokratie
unmündige Untertanen[...]."
Du scheinst die Funktionsweise repräsentativer Demokrtie nicht in vollem Umfang
verstanden zu haben.
Wie du ja schon richtig bemerkt hast, sind Parteien die Mittler zwischen Regierung ("Staat")
und Bevölkerung. Sie sammeln, kanalisieren und artikulieren den politischen Willen der
Bevölkerung. Das sie nicht irgendwelche autarken Führungsfiguren hervorbringen wird durch
die per Parteiengesetz vorgeschriebene parteiinterne Demokratie gewährleistet.
Eine Regierung braucht für jedes Gesetz eine parlamentarische Mehrheit, und jeder Parlamentarier hat einen Wahlkreis zu betreuen. Wenn er gegen den Willen der Basis handelt, bekommt er die Konsequenzen zu spüren, spätestens bei der nächsten Wahl. So sind "wir hier unten" mit "denen da oben" verknüpft.

"da ist nur schwer noch zu vermitteln, dass unsere Staatselite etwas besseres sei als wir"
Na das wäre ja noch schöner. Soetwas zu vermitteln wäre für eine Monarchie wichtig,
nicht für eine repräsentative Demokratie. Die Volksvertreter sollen selbstverständlich auch
aus dem Volk kommen. Hohe Vergütungen für das Engagement in Parlamenten soll gerade ein
Anreiz sein, denn kaum ein Bürger würde seine Geschäfte (nehmen wir zum Beispiel an er/sie sei wie in deinem Beispiel Apothekenhelfer/in) aufgeben, seine Stelle für den full-time-job "Abgeordneter" riskieren, wenn er dafür nicht entlohnt wird.

"Schrumpfender Gestaltungsspielraum der Eliten"
Es ist eben die Aufgabe einer Regierung Gesetze zu erlassen. Womit sollte sie sonst
Regieren? Durch Gesetze reagieren sie auf Probleme und Anforderungen, veränderte Situationen.
Ob und wie sie das machen, gut oder schlecht, sei einmal dahingestellt.
Und schließlich sind diese Gesetze auch anfechtbar, prinzipiell durch jeden Bürger
mittels Bundesverfassungsgericht. Gesetze Bestehen nämlich nicht für die Ewigkeit,
sie sind änder- und aufhebbar. Von daher ist es falsch zu sagen, das sich die politische
"Elite" mit ihren eigenen Gesetzen den Handlungsspielraum zumauert.

"Eigentlich sollten Parteien Mittelglieder zwischen Staat und Gesellschaft sein.
Tatsächlich sind sie längst mit dem Staat verwachsen: Parteipolitiker wurden zu
Staatspolitiker, Parteifinanzen wurden zu Staatsfinanzen, Parteiinteressen wurden
zu Staatsinteressen. Die Gesellschaftsmitglieder sehen zu Recht in den Parteien
nicht mehr ihre Repräsentanten, sondern Repräsentanten des Staates." Es bleibt völlig
unklar woher du diese Weisheiten hast, Was der Staat ist und wie Paarteifinanzen zu
Staatsfinanzen werden, wenn Parteien zum Großteil vom Staat finanziert werden (Eben weil
sie diese herausragend wichtige Rolle für das polititsche System spielen!).
Des übrigen erodiert nicht die Verbindung der Partei zu gesellschaftlichen Milieus,
sondern die gesellschaftlichen Milieus selber erodieren. Die klassischen Milieus wie
christlich-konservative Bauernfamilien und sozialdemokratische städtische Industriearbeiter
gibt es einfach nicht mehr in dem Umfang wie zur Blütezeit dieser Parteien. Das sie es
verpasst haben sich darauf einzustellen, kann man ihnen trotzdem vorwerfen.


"Sobald ein abgebrochener Student den Außenminister geben kann und eine Apothekenhelferin
die Verwaltung einer Weltstadt hinkriegt[...]."
"Wo Bürger ohne großes Eigentum sich Stimme und Einfluss bei der Staatselite verschaffen,
können sie das nur im Bruch mit den politischen Gewohnheiten[...]."
Ich wollte einfach nochmal diese beiden Sätze nebeneinander stellen. Sie passen so gut zusammen!


ein "deutscher Obama" ist ebenfalls völliger Blödsinn, weil "Obama" Präsidentschaftskandidat in einer präsidentiellen Demokratie ist und diese Rolle in einem parlamentarischen System wie in Deutschland nicht Spielen kann. Dieses amerikanische, das bundesdeutsche, das oligarchische russische,das zentralistische französische und das Italienische Regierungssystem mit den jeweiligen Entwicklungsperspektiven in einen Topf zu werfen ist argumentativ auch ziemlich schwach.

Zum weiterlesen empfehle ich euch die Autoren auf die auch ich mich beziehe:
Wolfgang Rudzio ("Das politische System der Bundesrepublik Deutschland") und
Werner Patzelt zu Definition und Funkton politischer Parteien

Wolfgang Rudzio oder Indymedia?

nopolitics 17.06.2008 - 16:23
Der Altprof Wolfgang Rudzio machte sich kürzlich (Januar 2008) bei der erzkonservativen Konrad-Adenauer-Stiftung
 http://www.kas.de/proj/home/events/85/1/year-2008/month-1/veranstaltung_id-28730/index.html
gegen eine "Plebisziteuphorie" stark, die nur "auf den ersten Blick so einleuchtend und verlockend erscheint".


In Hamburg stellte Herr Rudzio sich der CDU-Fraktion als Experte zur Verfügung, um das durch Volksentscheid beschlossene Wahlrecht wieder zu kippen.


Den "demokratischen Linken" in der Bundesrepublik warf Rudzio vor, dass sie sich nicht scharf genug von Kommunisten und vom Kommunismus distanziert hätten. ((vgl. Wolfgang Rudzio, 1988: Die Erosion der Abgrenzung. Zum Verhältnis zwischen der demokratischen Linken und Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen).


Wolfgang Rudzio investierte seine Zeit und seine Energie in der Bekämpfung und Widerlegung der "Stamokap"-Theorie  http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1979/1979-04-a-228.pdf
und kommt dort zu dem Schluss (S. 241): in einer "sozialistischen Demokratie" könnten - zumindest bei zentralen Fragen - nicht die Menschen in freier Auseinandersetzung über selbst erkannte Interessen entscheiden."


Wolfgang Rudzio findet es als "Extremismusforscher" "überzeugend", wenn der PDS/Linke attestiert wird, dass sie "deutlich extremistische Züge aufweist und bisher nicht in der Demokratie dieses Landes angekommen ist"  http://pds.extremismus.com/main2/main2.html

Bedenken

Herr von V 18.06.2008 - 05:47
So schön sich aus den Zahlen, die du lieferst, schon einiges über den Zustand des Parteiensystems ersichtlich wird, finde ich einige Thesen, die du daraus ableitest, sehr angestrengt.

Ein Beispiel dafür, wäre hier:

"So manche Politikerin und Politiker in den kleinen Parteien machen sich die Illusion, dass sie eine große Partei "beerben" könnten.
So träumte FDP-Möllemann einmal von 18 Prozent für seine Partei. Die Grünen mussten erleben, dass sie nach schnellen Anfangserfolgen nicht weiter wuchsen. Den "Linken" wird es nicht anders ergehen."

Mir ist völlig unersichtlich, woraus du diese Aussage ableitest. Gerade, wenn man die Grünen betrachtet, kann man sehen, wie sich eine, zumindest für parlamentarische Verhältnisse, moderat linksgerichtete Partei durch ihre langsame Öffnung zu bürgerlichen Millieus ihre Wählerbasis verbreitert hat und ihre Koalitionsfähigkeit innerhalb des Parteiensystems erheblich verbessert hat. Es ist, zumal mit Schwarz-Grün in Hamburg, nicht vollständig ausgeschlossen, dass die Partei sich damit starke, langfristige, Zuwächse verschafft, zumal vor dem Hintergrund, dass, wie du richtig darstellst, die Mitglieder und Wähler der "Volksparteien" erodieren.

Hoffnung für die Grünen

W. B. 18.06.2008 - 11:26
Hallo Bedenkenträger,

Ich sehe keine plausiblen Gründe für ein "Beerben der Volksparteien" durch die Grünen.

Die Grünen sind vom gleichen Virus infiziert wie die großen Volksparteien: Sie stellen vermeintliche Staatsinteressen über irgendwelche Interessen ihrer Wählerklientel. Sie sind genauso Staatspartei wie CDU und SPD.

Die Wahlergebnisse der Grünen zeigen keinen Aufwärtstrend, trotz Abwärtstrend der großen Parteien:

 http://www.deutschland-debatte.de/wp-content/uploads/2008/05/parteien-erststimmen.jpg

Die Mitgliederzahlen der Grünen stagnieren, bzw. gehen zurück. 1999 hatten die Grünen ihr Mitgliedermaximum mit knapp 52.000. Inzwischen sind es noch weniger als 45.000.

 http://www.bpb.de/themen/NW8VAW,0,Mitgliederentwicklung.html

oder hier:
 http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/leftparties/pdfs/Quo_vadis__Gr_ne_-_Grafik_2_-_Mitgliederentwicklung_der_Gr_nen_bis_2006.pdf


Gruß Wal

Auch andere sehen es ein ...

Hubert Kleinert (im Spon) 19.06.2008 - 14:07
"Das Image politischer Eliten wird immer schlechter: Das Misstrauen gegenüber dem Binnenmarkt-Europa fällt in eine Zeit international wachsenden Politikverdrusses. Aus Sicht von immer mehr Bürgern erweist sich alle Politik zusehends als unfähig zu Steuerungsleistungen im Sinne eines sozialen Ausgleichs. Dabei gilt als ausgemacht, dass nur Minderheiten von den Segnungen der liberalisierten Ökonomie profitieren, während der Durchschnittsverdiener ins Hintertreffen gerät. Gleichzeitig verkörpere keine der etablierten Parteien mehr irgendeine plausible Gestaltungsalternative, so die öffentliche Wahrnehmung.

Dieser in vielen Mitgliedsstaaten wahrscheinlich mehrheitsfähige Blick auf Politik fördert eine negative Sicht auf die politischen Eliten insgesamt, die ihre Überzeugungskraft gleich doppelt tangiert. Zum einen leidet die Glaubwürdigkeit ihrer europapolitischen Versprechen. Zum anderen wird jede Volksabstimmung leicht zum Vehikel des Protests gegen die eigenen nationalen politischen Eliten. "

aus Spiegel online

die erste grafik ist fehl am platz

fernando dos santos 20.06.2008 - 00:50
die erste grafik zeigt nicht die wahlbeteiligung sondern die wahlberechtigten in prozent.

der autor soll das bitte korrigieren!!!

Grafik ist korrekt

Wal B. 20.06.2008 - 07:58
Hallo Santos,

die Grafik ist korrekt.
Siehe die Quelle:  http://www.bpb.de/wissen/P4WO2I,0,0,Entwicklung_der_Wahlbeteiligung_nach_Geschlecht_1953_%96_2002.html
Fehlende Daten (1998, ab 2002) wurden von mir ergänzt.

Wer hier vorbeikommt und sagt: "Dieses stimmt nicht oder jenes", soll gefälligst selber eine Quelle nennen, die seine Meinung stützt.


Gruß Wal

"Innerparteiliche Demokratie"? - Fehlanzeige

Peter Packer 23.06.2008 - 09:22
Kritik an der "Kritik": "Innerparteiliche Demokratie"? - Fehlanzeige!

"Dass sie [die Parteien, d. Verf.]nicht irgendwelche autarken Führungsfiguren hervorbringen wird durch die per Parteiengesetz vorgeschriebene parteiinterne Demokratie gewährleistet."

Der "Kritiker" meint, daß es "innerparteiliche Demokratie" gäbe. Aus eigener Erfahrung (drei Monate CDU-Mitglied, 29einhalb Jahre SPD-Mitglied, zweieinalb Jahre PDS/"Die Linke.") weiß ich, daß es diese, wenn überhaupt davon gesprochen werden kann, nur in Ansätzen gibt – auch in der Partei, die sich vermessen arrogant (anmaßend) "Die Linke." nennt. Auch dort geht es – so mein Eindruck leider "nur" um "Macht-Verteilung", um Posten und Pöstchen. Wenn es überhaupt so etwas wie "innerparteiliche Demokratie" gibt, dann höchstens scheinbar die "formale Demokratie" in allen Parteien(und auch das in der Wirklichkeit nicht immer). Die inhaltliche "innerparteiliche Demokratie" ist ansatzweise in alle Parteien vorhanden. Manchmal wird schon über die BürgerInnen bewegende Sachen gesprochen. Aber was folgt daraus? Meistens nichts! Und bis zum nächsten Wahltag ist es lang!

Die Inhalte bleiben auf der Strecke, spätestens nach einer Wahl.

"Innerparteiliche Demokratie"? - Fehlanzeige!

Wir benötigen "Basispolitik" und "konstruktive Fundamentalopposition", Bewegung aus der "Gemeinschaft aller Menschen heraus", Bildung, politische Bildung für die Bevölkerung und Einmischung überall da, wo es geht.

Gestaltungsspielraum der Bundesregierung

doesnotmatter 23.06.2008 - 12:28
Zitat aus Text: >In Geld geschätzt kann eine Bundesregierung jedes Jahr rund 2 Prozent des Bundeshaushaltes >mehr oder minder frei verwalten. Über 98 Prozent der jährlichen Staatseinnahmen ist längst durch >bestehende Gesetze und Verordnungen verfügt. Der Gestaltungsspielraum der Regierung bewegt sich also bei >zwei Prozent vom Ganzen.

Das ist Spannend, gibt es dazu Quellen, Berechnungen, Analysen, Bücher etc.?
Oder ist das eine reine Schätzung?

Budgetmäßiger Gestaltungsspielraum

Wal B. 24.06.2008 - 08:55
Hallo,
Solche Zahlenangaben sind "hochpolitisch" und deshalb notwendig umstritten. Im folgenden zwei Angaben mit Quelle:
"Unser Augenmerk gilt vor allem den investiven Ausgaben, da bei diesen die Verwendung politischer Instrumente gut zu erkennen ist. Bei den konsumtiven Ausgaben handelt es sich um gesetzlich gebundene Ausgaben. Bei diesen Ausgaben muß es sich nicht immer um dieselben handeln, da es prinzipiell möglich ist, Gesetze zu ändern und somit bestimmten Ausgaben die Rechtsgrundlage zu entziehen. Der Anteil der gesetzlich gebundenen Ausgaben beträgt für 1997 86,3 % (1996 85,4 %, 2000 87.3 %)."  http://www.student-online.net/Publikationen/134/

"Zudem ist in Deutschland der Anteil der staatlichen Investitionen an den staatlichen Gesamtausgaben immer geringer geworden. Im Jahr 2004 betrug er nur noch 3 Prozent, verglichen mit 5,7 Prozent 1991."
 http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_16995_16996_2.pdf

Gruß Wal

Überraschung!

Jan 24.06.2008 - 09:14
Ist das wirklich so überraschend für euch? Niemand wird aus idealistischen Gründen erfolgreicher Politiker. In der alten BRD war ein Parteibuch Voraussetzung für eine Laufbahn in fast allen öffentlichen oder der Öffentlichkeit ausgesetzten Berufszweigen. Also waren die "Realpolitiker", die nur eigenen Interessen dienen, immer in der Mehrheit.
Mit dem Erfolg der privaten Massenmedien (ich meine Fernsehen und Inet) hat sich zum einen die Ahnung über den wahren Umfang der Korruption unserer "Elite" unter den Wählern ausgebreitet, zum anderen steigt mit jeder sinnlosen Wahl die Frustration, da sich nichts ändert (ausser das alles immer schlechter wird ;-)) und die Stagnation für jeden sichtbar wird.

Ich bin eigentlich jedesmal verblüfft das überhaupt noch jemand zur Wahl geht.

Wenn Wahlen was verändern könnten wären sie verboten.

Grafik Wahlbeteiligung ist irreführend

Horst 29.07.2008 - 22:59
Vergrößert man in einer Grafik stastischer Werte eine Ausschnitt, verfälscht dies visuell die tatsächliche Aussage. Veränderungen wirken dann visuell gewaltiger, als sie in Wahrheit sind. Dies ist genau bei der Grafik "Wahlbeteiligung" leider Fall, da nur der Bereich von 75 bis 95 Prozent dargestellt wird. Bei einer Datstellung von 0 bis 100 Prozent, erscheinen die Veränderungen viel harmloser (aber auch realistischer). Es gibt genau betrachtet eine nur tendenziell sinkende Abnahme der Wahlbeteilung, die jedoch nicht unbedingt immer so weiter gehen muss. Der Durchschnitt beträgt über den Zeitraum betrachtet immer noch ca. 80 Prozent (geschätzt). Nimmt man die Spitzen einmal weg (die eigentlich näher untersucht / begründet gehören), ist gegenüber 1953 estenfalls von einem Rückgang der Wahlbeteiligung von max. 10 Prozent zu sprechen. So schnell schwindet das Wahlinteressen nun doch nicht, wie der Autor meint. Ich halte dies auch für gar nicht so wünschenswert. Sinkende Wahlbeteiligung kann auch Ausdruck wachsender rechter, antidemokratischer Gesinnung sein.

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Wahlverdrossenheit — meliboia