Mit Antiterrorismuspolitik auf Autonomenfang

Bruno und Ivan 04.06.2008 21:18 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Paris. Bruno und Ivan gehören zu den ersten Opfern einer jüngst intensivierten französischen "Antiterrorismuspolitik", die sich vor allem durch verstärkte Kontrollen, willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen bemerkbar macht. Bruno und Ivan müssen dabei als eine Art Vorzeigeterroristen herhalten, weil sie auf einer Solidemo in einem Vorort von Paris für "Sans-Papiers" vor einem Abschiebegefängnis Bengalenfeuer (als bewährtes Mittel zum Erregen von Aufmerksamkeit) und krumme Nägel (gegen Autoreifen) mit sich führten. Für die Polizei war der Fall sofort eindeutig: Man führte die Elemente zum Bau einer Nagelbombe mit sich! Ein gefundenes Fressen für Polizei und Innenministerium und der ideale Vorwand zum grossen Frühjahrsputz mit Kärcher in der linksautonomen Szene. Unsere Freunde sitzen nun schon seit 5 Monaten ohne dass ein Gerichtsverfahren begonnen wurde und die wahllosen Festnahmen und Durchsuchungen in besetzten Häusern geht munter weiter.
Brief von Ivan und Bruno, aus den Gefängnissen von Fresnes und Villepinte im Großraum Paris.

Grüße an alle Freunde,
und Grüße an alle die sich nicht mit der Situation abfinden, die wir heute zu leben verdammt sind:

Polizeiliche Überwachung der Straßen, der Städte, Razzien, Zwangsräumungen, Abschiebungen, Festnahmen, alltägliche Mühsalen, die Enteignung unserer Leben… Eine Situation, die uns zwingt, Tag für Tag mehr Lebensinhalte und Träume an Chefs, Direktoren und Obersten aller Arten und Gattungen anzuvertrauen, die als Verkörperungen der Macht unseren Schicksalen vorstehen. Wir stehen für die Revolte ein, weil wir uns wieder unsere Leben aneignen wollen, um der Freiheit zu leben willen.

Wir wurden am 19. Januar verhaftet. Zwei sitzen im Gefängnis, der dritte ist unter Rechtsaufsicht (er kam im Moment der Verhaftung vorbei und wurde für den simplen Grund festgenommen, dass er uns kannte). Wir führten zu diesem Zeitpunkt ein Rauch erzeugendes Gemisch mit, bestehend aus Natriumchlorat, Zucker und Mehl. Das Anzünden eines solchen Gemisches hat, einem bengalischen Feuer ähnlich, eine heftige Rauchentwicklung zur Folge. Wir wollten es am Ende der Demo benutzen, die an dem Abschiebegefängnis von Vincennes vorbeiführen sollte. Unser Anliegen: Unseren Protest für die eingeschlossenen “illegalen Einwanderer“ von mittlerer Entfernung aus sichtbar machen, in der Vorannahme, dass die Polizei uns daran hindern würde, in die nächste Nähe des Gefängnisses zu gelangen. Wir hatten ebenso Knaller dabei, um für Lärm zu sorgen, sowie verbogene Nägel, die, auf der Straße ausgelegt, Autos am Vorbeifahren hindern würden.

Für die Polizei und die Justiz war die Sache sofort eindeutig: wir besaßen die Zutaten für eine Nagelbombe. Hier steht, worauf die Anklage lautet:

• Mitführung und Besitz, in organisierter Bande, von hoch entzündlichen oder explosiven Substanzen oder von Grundbestandteilen für die Herstellung eines hoch entzündlichen oder explosiven Apparat mit dem Ziel des Heranführens einer Zerstörung, einer Schädigung oder des Verletzens Dritter.
• Zusammenschluss von Übeltätern mit dem Ziel, die Straftat des vorsätzlichen Zerstörens durch Brandstiftung zu begehen, durch das Verwenden von explosiven Stoffen oder aller anderen Mittel, welche Dritte in Gefahr bringen können, in organisierter Bande durchgeführt.
• Verweigerung, sich der Erhebung des Fingerabdrucks zu unterziehen sowie des Abfotografierens bei einer Ausweiskontrolle.
• Verweigerung, sich der biologischen Datenerhebung zu unterziehen mit dem Ziel der Identifizierung des genetischen Fingerabdrucks einer der Straftat oder eines Deliktes verdächtigten Person.

Das läuft es einem kalt den Rücken herunter. Aber so lautet der Tatbestand; jetzt wollen wir versuchen, mit einigen Reflexionen dazu Stellung zu nehmen.

Wie man mit uns umgegangen ist und was man uns vorwirft, hat mit dem, was wir mit uns führten, und mit dem, was wir zu tun vorhatten, herzlich wenig zu tun. Der Staat kriminalisiert jegliche Revolte und versucht systematisch, jede “nicht autorisierte“ Rebellion im Keim zu ersticken. In seinem Fadenkreuz liegen unsere Ideen und unsere politischen Aktionsmethoden, weil sie nicht innerhalb von Parteistrukturen, Gewerkschaften und anderen Organisationen zustande gekommen sind. Angesichts dieser Wut, die der Staat weder einzudämmen noch zu seinem eigenen Anliegen umzukehren vermag, isoliert und designiert dieser den “Feind im Inneren“. In den Akten der Polizei und der Geheimdienste kommen typologische “Persönlichkeitsprofile“ zur Anwendung. Das Profil, welchem wir entsprechen würden, wäre demnach das des „Anarcho-Autonomen“. Die Staatsmacht assoziiert die derart etikettierten Personen mit Terroristen und konstruiert so eine Bedrohung, welche innerhalb der Bevölkerung für Konsens sorgt und anschließend sowohl verschärfte Kontrollen wie auch mehr Repression rechtfertigt.

Dies ist der Grund dafür, dass wir heute im Gefängnis sitzen. Dies ist der vom Staat gewählte Weg zur Behandlung von Illegalismus sowie von “Risikogruppen“. Heute stehen die Zeiger auf vermehrtes Einsperren und auf längere Haftzeiten. Während die Kontrollen Tag für Tag effizienter werden, sollen zusätzlich abschreckende Strafen dazu beitragen, die Grundfesten einer Gesellschaft zu stärken, in der im Dienste der Mächtigen und des Dunstkreises der um sie gescharten Opportunisten darum Sorge getragen wird, dass jeder Bürger an dem ihm zugeteilten Platz verbleibt, wissend, dass er die für ihn vorgezeichneten Schranken, die ihn einzäumen und belasten, nicht übertreten kann, ohne einen hohen Preis dafür zu zahlen. Wir kämpfen Seite an Seite mit den rechtlosen “Sans-Papiers“, weil wir denselben Unterdrückern ausgeliefert sind. Denn es kontrolliert uns dieselbe Polizei, es beuten uns dieselben Firmenchefs aus und es halten uns dieselben Mauern gefangen. Als wir zur Demo gegangen sind, wollten wir im Chor mit den Gefangenen nach “Freiheit“ rufen und zeigen, dass außerhalb der Mauern viele sind, die ihre seit Monaten anhaltenden Schreie der Revolte vernommen haben. Wir wollten die Rauchkerzen anzünden, uns den Zäunen des Gefängnisses so gut es ging annähern, für die “Schließung aller Abschiebegefängnisse“ skandieren, mit der Entschlossenheit derer, die in Freiheit leben wollen. Dieser politische Kampf öffnet Räume zur Knüpfung von Solidaritäten, sowie Räume, die den Ausdruck unserer Revolte möglich machen. Wir halten uns nicht für “Opfer der Repression“. Denn es gibt keine gerechte Repression, und auch keine gerechte Inhaftierung. Repression existiert nicht ohne ihre dazugehörige Funktion der Kanalisierung und der Gleichschaltung, mit der übergeordneten Rolle der Konsolidierung der bestehenden Verhältnisse, für die Wahrung der Macht der Besitzenden gegenüber den Enteigneten.

Wenn alle Welt im Gleichschritt marschiert, ist es ein Leichtes, Ausreißer zu erfassen und auszuschalten.

Wir hoffen, dass wir zahlreich sind, die wir unsere Leben voll und ganz zurückerobern wollen und dass wir zahlreich sind, die wir mit dieser Wut im Herzen viele solidarische Verbindungen erreichen wollen, die der künftigen Revolten Träger sind.

Bruno und Ivan, April 2008.



Übersetzung: Alegrion
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Gruß und Soli... — autonomi