Baugelände der Landebahn Nord am Frankfurter

Wolf Wetzel 03.06.2008 20:33 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Ökologie
In der Nacht vom 27. auf den 28.5.2008 haben Aktivistinnen von Umweltinitiativen das 250 Hektar große Gelände im Kelsterbacher Wald, das für die Landebahn Nord-West am Frankfurter Flughafen gerodet werden soll, besetzt.
Der Verweis auf den Startbahn-West-Widerstand in den 80er Jahren kann helfen - aber auch ganz viel verbauen.
In der Nacht vom 27. auf den 28.5.2008 haben Aktivistinnen von Umweltinitiativen den Anfang gemacht und sich in Baumhäusern auf dem 250 Hektar großen Gelände im Kelsterbacher Wald, der für die Landebahn Nord-West gerodet werden soll, festgesetzt. Am Sonntag erlebte diese Initiative einen eher unerwarteten Zuspruch: Über 200 AusbaugegnerInnen besuchten die BesetzerInnen im Wald.
Diese Aktion ist unter den Bürgerinitiativen (BI) nicht unumstritten, selbst die Kelsterbacher BI ist gespalten. Ein Teil will weiterhin den Rechtsweg beschreiten, der bisher nur zu einem geführt hat: Die Fraport erklärt stolz, dass der Ausbau voll ›im Plan‹ (Flughafenchef Bender) liege, was für die Fraport und ihre Aktionäre nichts anderes heißt, als dass »wir uns ein Zaudern rund um den geplanten Ausbau nicht leisten können« (FR vom 8.3.2006).
Wie widersprüchlich die Situation ist, lässt sich an der Rolle des Bürgermeisters von Kelsterbach eindrucksvoll belegen: Obwohl auch diese Gemeinde gegen die Enteignung und Rodung des Waldes klagt, verkündete derselbe Bürgermeister – nach Bekanntwerden der Besetzung – ein Ultimatum: Die BesetzerInnen hätten ihre Aktion zu beenden, andernfalls ließ er sie räumen.
Wie wichtig und richtig diese Besetzung war, belegt das gerade ergangene Vor—Ab-Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes in Kassel.
Eigentlich hat die Fraport zugesagt, dass sie auf Rodungen im Kelsterbacher Wald verzichten wolle, bis der Rechtsstreit zwischen der Flughafenbetreiberin und der Kommune endgültig geklärt sei. Nichtsdestotrotz bestand sie darauf, so genannte »vorbereitende Maßnahmen« durchzuführen – was nichts anders heißt, als dass sie weiß, wie auch dieser Rechtsstreit ausgeht. Dagegen klagte die Gemeinde Kelsterbach und unterlag. Den Kommunen, so der Vorabbeschluss, »stehe nicht die Befugnis zu, eine Funktion als Hüter der Natur wahrzunehmen«. So genannte »besonders dringliche Arbeiten« können also durchgeführt werden.
Dass dieser Rechtsstaatsposse die BesetzerInnen zuvorgekommen sind, ist ein gutes Zeichen, zumal der Bürgermeister von Kelsterbach nun auch seine Räumungsdrohung zurückgenommen hat. Jetzt kommt es darauf an, die Besetzung auf eine breite Basis zu stellen.
Viele ›alte‹ StartbahngegnerInnen sind berechtigt skeptisch und vorsichtig – auch aus guten Gründen. Es gibt aber auch Gründe, die vorgeschoben sind und alles andere als die Erfahrungen im Kampf gegen die Startbahn West reflektieren:
Der erste gewichtige Einwand ist, dass die meisten BI’s deprimierend rechtsgläubig sind und trotz aller juristischen Niederlagen am ›Klageweg‹ festhalten. So wahr diese Kritik ist, so falsch wäre es jedoch zu behaupten oder zu suggerieren, der Kampf gegen die Startbahn 18 West hätte anders begonnen! Bevor 1981 das Hüttendorf errichtet wurde, vergingen Jahre mit Rechtsstreits, Einwänden und Klagen, die allesamt angeschmettert und verloren wurden. Erst als dieser Rechtstaatsglaube erschüttert war, wuchs der Mut, einen Schritt weiterzugehen.
Auch der zweite Einwand hält nur dem ersten Blick stand: Vielen Anwohnern und Betroffenen der geplanten neuen Landebahn geht es um ihre Ruhe, ggf. um den Wertverlust ihres Hauses, also um die Wahrung privater Interessen. War das zu Beginn des Startbahn West-Konflikt anders? Nein.
Und hindert das daran, über das individuelle Eigeninteresse hinauszuschauen, andere Erfahrungen zu machen? Gerade der über 25 Jahre zurückliegende Startbahn-Widerstand beweist doch, dass erst die Bereitschaft, diesen Konflikt auszutragen, andere Vorstellungen einzubringen, selbst ein anderes Beispiel zu geben, zu dem geführt hat, was dann als Gespenst von der »Unregierbarkeit einer ganzen Region« in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

Wolf Wetzel
Autor des Buches ›Tödliche Schüsse‹, Geschichte der Startbahnbewegung,Unrast-Verlag, 2008
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Ergänzungen

Augen zu und durch

Besetzter Baum 04.06.2008 - 16:03
Wie der Autor aus dem lahmen Sponntag, an dem über den Nachmittag
verteilt, wenn es hoch kommt 200 Personen ihren Arsch auf das Gelände
der geplanten Landebahn bewegt haben, einen "eher unerwarteten Zuspruch"
macht, bleibt wohl sein Geheimnis. Zum Vergleich: Vor Jahren, als die erste Kundgebung
im Wald bei Walldorf auf dem Gelände der damals noch diskutierten Südbahn
stattfand, kamen ca. 2000 Leute in den Wald. Und da stand der Ausbau noch nicht unmittelbar bevor. Naja, Unwissenheit galt diesen Leuten schon immer als Stärke.

Die Gesichter der Anwesenden im Kelsterbacher Wald zeigten,
abgesehen von einigen wenigen "Stehaufmännchen", deutlich die Ohnmacht
und Hilflosigkeit. Mann wusste, dass das "so" alles nichts bringen werde.
Ein Hüttendorf unter den gegenwärtigen Bedingungen ist ein schlechter Witz und Baumbesetzungen eignen sich schon von der erforderlichen Technik her
nicht als Massenpraxis. So tappten also die wenigen, die in den Wald kamen um
die Bäume, blickten ab und zu mal nach oben und machten ansonsten einen ratlosen Eindruck.
(Einzig der vegane Kuchen wusste an diesem Nachmittag unerwartet zu gefallen.)
Selbst der Dümmste hatte schnell gecheckt, dass hier für ihn außer Beschaffung von veganer Nahrung, Seilen und anderen Gerätschaften nichts vorgesehen war.

Die entscheidende Frage, wie Massen, die bei ihrer direkten oder vermittelten Lohnabhängigkeit vom Kapital am Flughafen, gegen die weitere Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, zu gewinnen sind, wird bis heute nicht ernsthaft gestellt.
Sie kann auch gar nicht gestellt werden, weil es keine einzige Analyse
der gegenwärtigen Situation, d.h. des Ausbaus des Flughafens vor dem Hintergrund der modernsten, globalen kapitalistischen Produktionsweise gibt. Diese Analyse müsste auch den
tragischen Vorläufer der gegenwärtigen Farce, die Startbahnwestbewegung miteinschließen.
Diese wird entweder verklärt, was unter anderem dazu führt, dass man meint, mit den damaligen Aktionsformen (z.B. Hüttendorf) könnte man die damaligen Zustände wieder von den Toten erwecken oder sie wird verteufelt (der rechte Flügel der BI im Gegensatz zum linken Flügel). Wunderglaube (auch bunte, neue, kreative, vielfältige Aktion genannt) und Angst vor dem Teufel sind bekanntlich zwei Seiten einer Medaille.




@augenzuunddurch

egal 04.06.2008 - 19:47
200 Leuts sind, betrachtet mensch sich die gegenwärtige Situation im Protest, geschweige denn im Widerstand, heutzutage gar nicht mal so wenige. Was 1980-81 war, kann heute kaum für Vergleiche herhalten, es sei denn, um von vorne herein zu resignieren und gar nichts zu tun, was ja wohl dein Hauptargument zu sein scheint. Weil es heute auch chic zu sein scheint, Aktionen gegen akut anstehende Probleme zu dissen und sie durch reine Gesellschaftskritik ohne persönliche Verantwortung zu ersetzen, finde ich eine solche Zahl tatsächlich positiv überraschend, auch wenn sie, wie ich aus deinem Text herauslese, noch nichts über den Willen zur Unterstützung der Waldbesetzung aussagt. Es wurde bereits gesagt, dass es auch unten am Boden Hütten und ähnliches geben soll und das können alle machen, für die Klettern nicht in Frage kommt. Alle so, wie sie können und /oder wollen. Unterstützung in Form von Material und Lebensmitteln ist nunmal erstmal naheliegend für alle, die die Aktivisten, aus familiären oder beruflichen Zwängen heraus, als Stellvertreter ihrer Überzeugungen sehen und unterstützen wollen. Nur weil dem so ist, heißt noch lange nicht, dass die AktivistInnen mit dieser Rolle zufrieden sind oder sein dürfen. Je mehr Leuts dazu kommen, desto bunter die Mischung und desto eher kann die Aktion, die im Augenblick zumindestens Öffentlichkeit schafft, möglicherweise auch ihren Zweck als Blockade der Fällarbeiten erfüllen. Vielleicht kommen ja auch Leute zu einem Workshop zu grundlegender Gesellschaftsanalyse, den du im Wald anbietest.

Danke für die Korrektur

egal 05.06.2008 - 07:32
Habe ich überlesen. Natürlich ist eine Kundgebung schon noch etwas anderes, als eine Besetzungsaktion, die bei vielen Menschen nicht nur nostalgische Erinnerungen, sondern auch negative Assoziationen zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei weckt. Vielleicht hast du mir auch tatsächlich was voraus, weil du offenbar da warst, aber ich habe nicht den Eindruck, dass da wer was völlig naiv sieht. Glaubst du wirklich, irgendwer wäre sich nicht darüber im Klaren, dass der Ausbau technisch auch gegen massiven Widerstand durchgesetzt werden kann? Dass Mobilisierungsaufrufe wie der hier auf Indy, oft ziehmlich naiv klingen, gebe ich gerne zu. Ich verstehe trotzdem nicht, wie du Leute naiv bezeichnen kannst, die selbst klar haben, dass ein Besuch von 200 Leuts im Wald eher positiv zu sehen ist, außer du erwartest, dass sie die Aktion ganz sein lassen sollen. Mir scheinen die AktivistInnen von Anfang an notfalls mit ganz biederer Aktion für die Presse zufrieden gewesen zu sein, als gar nichts gemacht zu haben. Wenn es um das Ziel geht, den neuen Ausbau zu verhindern, dann muss der Mediationsweg ja wohl noch viel naiver anmuten und die Hoffnung vor Gericht Recht zu bekommen, ist auch naiv. Ich sehe deshalb nicht, warum eine von verschiedenen Herangehensweisen besser oder schlechter sein soll, als die andere, zumal sie sich ganz gut ergänzen könnten. Wenn mehr daraus wird, um so besser. Darauf zu hoffen,scheint allerdings heutzutage besonders naiv zu sein. Ich meine auch, dass der Versuch, auf legalem Weg gegen die Startbahn West vorzugehen, damals erst richtig begann, als die Flughafen-Gesellschaft die Baugenehmigung schon in der Tasche hatte. Allerdings hat sich in den letzten 5 Jahren diesbezüglich auch einiges zugunsten eines neuen Ausbaus getan, sprich entschieden und es mag nun positiv gesehen werden oder negativ, aber es wundert mich nicht, dass inzwischen noch weniger Menschen Hoffnungen hegen, noch was bewegen zu können und resignieren, auch wenn du selbst nicht dazu gehörst.

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Wunderglauben

Waldschrat 05.06.2008 - 00:18
Hättest Du genau gelesen oder würdest Du die Geschichte des
Flughafenausbaus nur ein wenig kennen, so wäre Dir aufgefallen,
dass ich nicht 1980ff als Maßstab nehme, an dem ich die 200
Leute messe, sondern den ersten sog. "Treff im Wald" auf dem
Gelände der damals (Jahreszahl findest Du auf der BBI-Seite)
noch diskutierten Südbahn. Da kamen ca. 2000 Leute in den Wald.
Es wäre also zu fragen, warum die Zahl derer, die sich an Demos
etc. beteiligen in den letzten ca. 5 Jahren so rapide gesunken ist.
Von Seiten der BI-Aktiven hört man dazu nicht viel.

Was Deine weiteren Ausführungen betrifft, so hoffst Du (und hoffen
viele andere), dass durch bloßes "was machen" der Wind sich schließlich
noch dreht. Das ist hochgradig naiv. Nur wenn diese Hoffnungen
zerstört und als Illusionen kenntlich gemacht werden, besteht überhaupt die
Möglichkeit, dass es besser wird.
Dies kannst Du dir offensichtlich nicht vorstellen, da Dir jede Kritik
an (offensichtlich) mangelhafter Praxis, als Kapitulation erscheint.
Die massenhafte Einsicht in die Gründe, warum mit einem "weiter so, wird
schon wieder" nichts zu reißen sein wird, wäre ein größerer Fortschritt
als die Besetzung von 10 oder gar 100 Bäumen.
Der Glaube an "den ersten Schritt" oder spaßige, bunte etc. (ich wiederhole mich
gezwungenermaßen) AKTIONEN ist ein Wunderglaube. Wer nicht an Wunder glaubt, will
noch lange nicht die Resignation.

schafft (endlich wieder) viele

@p 05.06.2008 - 22:55
hi,

könnt sich mal ein bissel was ändern?!

nö? immer wieder dieser olle huhn-ei-bullshit. immer wieder diese ollen klage-leute... sic!!!

schafft viele 1.mai´s 1994 draussen im südhessischen wald!

wird schon nix werden, was allerdings kein grund ist sich nicht anzustrengen - ;-) - see you in the woods.

wer jetzt glaubt, dass das zu platt ist, scho richtig, aber: demnächst ist au-fest, lasst uns da quatschen + planen + TUN! wär echt nett auf unsere ollen tage, oder?

wishes
@pt