R94-Demo Berlin: Kommt Zeit, kommt Rat

Suitbert 23.05.2008 12:38 Themen: Freiräume Repression
Ein persönlicher Erlebnisbericht der Rigaer94-Demo am gestrigen Donnerstag in Berlin-Friedrichshain sowie Kritik und Vorschläge zum kollektiven Umgang mit Bullengewalt.
Unter dem Motto "Gegen die drohende Räumung der Rigaer94/ Kadterschmiede" versammelten sich einige hundert Leute in der Nähe des U-Bahnhofs Warschauer Straße. Aufgrund der Vorkontrollen blieben zunächst die meisten vor dem Eingang des U-Bahnhofs und verteilten eifrig Flyer und "Wir bleiben alle"-Broschüren. Dies veranlasste die Bullen nach einer Weile dazu, die Leute einzukesseln,.
Als die Demo dann losging, prügelten die Bullen in den hinteren Teil der Demo und klauten alle Seitentranspis. Dabei kam es zu mehreren leichten Verletzungen und kaputten Brillen. Dieser brutale Angriff passierte noch auf der Warschauer Brücke. Hundert Meter weiter attackierten die Bullen die Demo ein weiteres Mal. Eine Person wurde aus der Demo rausgezogen und auf der gegenüberliegende Straßenseite von vier Bullen geschlagen und getreten.
Jetzt erst ging die Demo durch bewohntes Gebiet. Die Leute waren natürlich sauer ob der Geschehnisse und der dauernden, auch verbalen, Provokationen der Bullen. Leider entsprachen wir dann dem in der veröffentlichten Meinungsmache gezeichneten Bild der unpolitischen Gewalttäter_innen. Begleitet von Robo-Cops, Hass-Parolen brüllend und scheinbar ohne politische Aussage (fehlende Transparente) zogen wir durch die Simon-Dach-Straße. Wie das wohl wirkt?
Auch in der Simon-Dach-Straße unterblieben die Angriffe nicht. Eine weitere Person wurde brutal festgenommen. Dasselbe Spiel wiederholte sich in der Frankfurter Allee: Angriff auf die Demo, Festnahme einer Person. Die Demo zog dann durch einen Teil der Rigaer Straße und endete an der Kreuzung Rigaer Straße/ Liebig Straße. Auch dort gab es wohl noch Bullenstress, allerdings war ich nicht mehr dort. Ergänzungen erwünscht.

Kritik:
Es ist fraglich, ob solche Demos mit ein paar hundert Leuten überhaupt (noch) Sinn machen. Sich wie auf dem Präsentierteller angekündigt(!) zu versammeln, macht es den Bullen leicht, sich auszutoben. Viele von uns erleiden durch solche Aktionen physische und psychische Verletzungen. Macker-Gepose sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Außerdem werden sich einige wg. gestern wieder mit der Justiz rumärgern müssen. Wenn wir sowas in Kauf nehmen, sollte es sich auch lohnen. Und mit "Yuppie Scum – your time has come!" durch die Simon-Dach-Straße zu ziehen und dabei auf Café-Besucher_innen zu zeigen, ist menschlich wie politisch-strategisch nur blöd. Ich schäme mich auf einer Demo mitzulaufen, von der aus solche Parolen gebrüllt werden. Das gleiche gilt für einige Ansagen vom Lauti. Auch hier wurde eifrig gegen die Bewohner_innen und Besucher_innen der Simon-Dach-Straße gewettert. So eine Zielrichtung mag ich nicht vertreten. Das sind alles Menschen mit ihrer eigenen Geschichte, die haben genauso eine Berechtigung wie wir; manche sind bestimmt auch ganz nett und stehen Hausprojekten und linker Politik positiv gegenüber.
Außerdem wurde der Lauti nicht offensiv genutzt, um die Außenstehenden darüber zu informieren, was die Bullen veranstaltet hatten, warum es bspw. keine Seitentranpis mehr gab. Auch die Durchsage weswegen (aus Bullensicht) eine Person festgenommen wurde, sollte unterbleiben. Diese vorgeschobenen Gründe zu nennen, unterstützt die Kriminalisierung der eigenen Demo und führt zur Besänftigung derselben.

Vorschläge:
Rein autonome Demos, die voraussehbar klein werden, sollten wir nicht mehr anmelden. 10 Minuten mit hundert Leuten ohne Bullenstress durch den Kiez zu ziehen, hätte eine bessere Außenwahrnehmung geschaffen und den Demoteilnehmer_innen ein besseres Gefühl gegeben. Ansonsten bleibt uns wohl nur, entweder auf wenige Großereignisse hinzuarbeiten oder uns in Bündnisarbeit zu üben.
Wenn wir Demos ankündigen, bei der Bullenprügel zu erwarten ist, brauchen wir ein Verteidigungskonzept. Dazu reicht es nicht, sich einmal im Monat in einem offenen Treffen oberflächlich auszutauschen. Wir brauchen eine intensive Diskussion, Info-Veranstaltungen und -material sowie Trainings. Sonst klappt das nicht.
Und noch was zur Vermittlung von Inhalten: Ein Hochtranspi ist zwar anstrengend zu tragen, ist aber für die Bullen auch schwieriger zu klauen und für Außenstehende besser zu lesen. Flugis, die von Dächern oder aus Fenstern geworfen werden, bringen ein bisschen Abwechslung in die Demo und sind durch die Bullen auch kaum zu verhindern.
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Ergänzungen

Weiterer Indy-Artikel zur Demo

hier: 23.05.2008 - 12:51

noch mehr Kritik...

pr24 23.05.2008 - 13:50
Danke, kann mich dem Bericht anschließen.

Zum Ende hin an der Riager Ecke Liebig gab es noch min. zwei überfallartige und brutale Festnahmen.

Wo wir beim Thema wären: die Frage, ob solche Demos angesichts der von Politik und Öffentlichkeit frei drehen gelassenen und auf die derzeitigen Demo-Lagen ausbildungs- und materialtechnisch eingestellten Bullenschweine sinnvoll sind, muss (nicht erst seit gestern) gestellt werden.

Die Redebeiträge hingegen fand ich mehrheitlich ok.

Aber: wenn ein Teil der Anwesenden seine Wut auf die Verhältnisse blind auf Passanten projeziert, läuft in meinen Augen etwas schief. Die Simon-Dach-Straße ist einer der Orte, an dem sich Gentrifizierung ganz krass äußert. Ich fühle mich dort auch nicht mehr wohl. Doch wahllos Passanten zu bepöbeln, die grade zufällig vor Ort sind, ohne deren Rolle im Spiel zu kennen, führt unseren emanzipativen Anspruch ad absurdum... auch wenn es schwieriger geworden ist, das System anzugreifen, dürfen wir nicht beginnen nach "einfachen Lösungen" zu suchen, auch wenn die Ohnmacht uns verrückt macht.

adf was watching you

juri 23.05.2008 - 13:52
gibt auch bilder von der demo. auf adf - wie immer unverpixelt.

 http://adf-berlin.de/html_docs/gallery/2008/berlin_22_05_2008_hausbesetzerdemo/berlin_22_05_2008.php

sei mal realistisch

ALT-ANTIFA 23.05.2008 - 17:08
Demos nicht anzumelden iss ne gute sache wenn es strukturen gibt die intern mobilisieren können ohne das die bullen was mit kriegen. die gibt es nicht mehr!! mehr als 50 leute kriegen wir nicht mehr für sowas. fals doch dann die erste wanne eindecken und weg.

ich habe selbst in einem ex besezten haus in der rigaer gewohnt, jeder von euch würde mich heute als yuppie bezeichnen wenn ich in der simon dach sitze und meinen latte trinke.ich habe halt keine drecklocken mehr und trage jeans mit hemd und bin überzeugter militanter kommunist. so wo ich gibt es sehr viele leute im kiez die eine geschichte mit den häusern verbindet aber auch keinen bock mehr auf dreck und diskussionen haben die in den 80er stehen geblieben sind.
man kann den studies die von mama und papa die miete gezahlt kriegen doch nicht vorwerfen sie vertreiben die hausbesetzer ihr seit in vielen punkten selbst schuld. es gab die möglichkeit die R94 zu kaufen (vor etwa 8 jahren), die grüni wurde gekauft, die k9 wurde gekauft und es sind gute beispiele dafür das aus einem gesicherten haus politik gemacht werden.
also nicht jammern aber wenn es nur darum geht euren dreckigen wohnraum zu erhalten statt
projekte mit politischer stossrichtung in die häuser zu tragen habt ihr versagt.


@alt-antifa

einA 23.05.2008 - 17:35
es gab nie die realitische möglichkeit die r94 zu kaufen, als dies versucht wurde, wurde sie jedesmal vorher an wen anders verkauft, bei suitbert beulker sogar unter dem von der r94 gebotenen preis. und wenn du dein latte mit jeans und hemd in der simon dach trinkst ist es dein ding, tarnung ist wichtig.

film- undbildmaterial

Rigaer94 23.05.2008 - 18:11
wenn leute film- oderbildmaterial von den übergriffen haben, hätten wir gerne eine kopie davon. wir benötigen diese für unsere anti-repressionsarbeit. wenn ihr festgenommen wurdet und anzeigen kassiert habt könnt ihr euch gerne an uns wenden. wir wollen euch auf jeden fall unterstützen, auch finanziell. oder wendet euch an die rote hilfe oder an das abc-berlin.
danke an alle,das ihr da wart. unsere solidarität ist stärker als jede hundertschaft.
fuck the police.
rigaer94.squat.net
abc-berlin.net
rote-hilfe.de

Infos vom Ermittlungsausschuss

EA Berlin 23.05.2008 - 18:45
Wir haben von 8 Festnahmen erfahren.
Schön, dass wohl fast alle Festgenommenen beim EA gemeldet und auch wieder abgemeldet wurden!
Gerade das Abmelden wird oft vergessen, dann werden leider unnötig Leute/AnwältInnen in die Spur geschickt, obwohl die Leute längst wieder draußen sind - deshalb, super, wie es diesmal gelaufen ist!!!
Alle Festgenommen sind nach unseren Informationen am späten Abend oder in der Nacht freigelassen worden.
Wenn Ihr selber eingefahren seid oder Festnahmen gesehen/dokumentiert habt, schreibt so schnell wie möglich ein genaues Gedächtnisprotokoll und kommt in die EA-Sprechstunde, spätestens, wenn es Post von den Bullen gibt. Wenn Ihr verletzt worden seid, lasst Euch die Verletzungen von einem Arzt oder einer Ärztin schriftlich bestätigen.
Zu einer Vorladung zur Polizei nicht hingehen! Gegen Bußgeldbescheide Widerspruch einlegen!

EA Berlin
030/6922222 (wir hören auch den AB ab)
live: Dienstags von 20 - 22 h im Mehringhof

anmerkungen

lyst 24.05.2008 - 09:06
ich möchte anmerken, das bei dem angriff der bullizei auf der frankfurter (so wie ich das gesehen hab) keiner festgenommen wurde, weil die leute zu diesen zeitpunkt in ketten und sehr geschlossen gelaufen sind. das die grünen auf beiden seiten in dieser sit. geblockt wurden fand ich sehr gut. so sollte das öfter aussehen!
und das man auf ner demo (egal ob bunt oder schwarz) immer auch bullenstress haben wird (weil die mackern genauso rum), ist halt ne tatsache mit der man sich wohl abfinden muss, wenn man positionen vertritt die der allgemeinen meinung der obrigkeit zuwider läuft.
das hat man ja auch bei schülerstreik am selben tag gesehen.
du bist dagegen, also gibt es was dafür. ;-)

der kritikpunkt das wieder mal viele in schwarz unterwegs gewesen sind, ist etwas das wirklich mal überlegt werden muss.
sicher, das man sich vor den kameras der cops schützen muss ist eine sache, aber bei 25°C mit windjacke oder kapu, halt ich schon wegen der hitze für fragwürdig.
somal halt echt die aussenwirkung etwas leidet wenn man nur 'schwarz sieht'.
und inhalte transportiert man auch leichter per flyer ect als über ein homogenes auftretten.
ditt aber halt auch nur mal am rande.

ansonsten war mein eindruck der demo sehr positiv. keine der üblichen latschdemos wo nur der lauti lärm macht. viele leute sind in ketten gelaufen und die stimmung ganz allgemein war auch sehr gut. trotz der schweinerei am rande.

weiter so, rigaer fight on!

Die bitteren Stehaufmännchen

Beobachterin 24.05.2008 - 10:20
Es ist schon interessant wie engstirnig ein Teil der HausbesetzerInnen sind. Nicht nur, dass auf dieser Demo etwa 250 Leute waren. Man (und für alle ehrsüchtigen Geschlechtsgenossinnen auch frau) wurde verprügelt, vorkontrollier teil sogar mit Personalausweiskontrolle (also auch registriert nach bester Überwachungsmanier), Genossinnen wurden wegen Lapalien verhaftet und haben nicht nur für mehrere Stunden ihre Freiheit verloren, sondern dürfen sich jetzt auch mit Kosten rumschlagen und sich vor der den Bullen und der Justiz verantworten.

Und was folgt an Auswertung?
Tja, nicht toll, die Bullen sind blöd, böse und gemein sowieso und alles nur Schlägerfritzen. Zudem ist das System scheisse, der Staat ist scheisse und die ganzen scheiss Yuppies sind auch scheisse. Wow.

Dass die Polizei nichts anderes tut als die Gesetze rabiat zu exekutieren ist den wenigsten klar - die mögen persönlich durchaus unsympathisch sein, trotzdem halten sie sich im Grossen und Ganzen an Gesetz und Ordnung. Dass Leute, die sich opositionell zum System stellen - oder zu mindest ihr Häusle halte wolle - nicht mit Samthandschuhen vom Staat angefasst werden, wird gerade zu ignoriert.

Aber anstatt die richtigen strategischen Schlussfolgerungen zu ziehen und die realen Gegebenheiten zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen werden solche lächerlichen Trauermärsche der Autonomen Märyterer veranstaltet. Hauptsache man hat sich moralisch bewiesen, dass man sich ganz toll verprügeln lassen kann. Hauptsache man hatte irgendwas (!) getan gegen das ganze böse System.

Warum wundert ihr euch eigentlich, dass gerade noch ein paar Hundert Leute auf eure Demos kommen?

@einA

ex hausi 24.05.2008 - 19:44
einA 23.05.2008 - 17:35
"es gab nie die realitische möglichkeit die r94 zu kaufen, als dies versucht wurde, wurde sie jedesmal vorher an wen anders verkauft, bei suitbert beulker sogar unter dem von der r94 gebotenen preis."

Als Ex Bewohner der Rigaer 94 kann ich dir sagen, daß das nicht stimmt. Es gab sehr wohl die Gelegenheit das Haus zu kaufen (1999). Alt Linke aus Kreuzberg hatten Interesse. Ein befreundeter Architekt erstellte Grundrisspläne für den Umbau der Wohnungen mit grossen Gemeinschaftsräumen, Erhalt der Kneipe incl. und das für unter 300 Mark pro Nase. Wurde von der Nichtverhandler Fraktion im Haus abgelehnt. Und jetzt kommst du.

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Demos machen Sinn — Autonome Zusammenhänge

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