Berlin: Urteile im Medikamentenskandal

... 09.05.2008 18:05 Themen: Medien Repression
Im Prozess im Medikamentenskandal um die Berliner JVA Moabit ergingen heute die Urteile gegen die fünf Angeklagten.
Der Leiter der Arztgeschäftsstelle der JVA Moabit Land wurde zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe, mit der Auflage, 2000,- Euro an den Frauenzimmer e.V. zu zahlen, wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in insgesamt 15 Fällen verurteilt.

Der inzwischen pensionierte ehemalige Leiter der Arztgeschäftsstelle Siefert wurde zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe mit der Auflage, 2000,- an die deutsche Krebshilfe zu zahlen wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwölf Fällen, verurteilt.

Der Leiter des Pflegedienstes und ehemailger Personlaratsvorsitzender Minkus wurde wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800,- Euro verurteilt.

Der Personalratsvorsitzende Kompalla wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 1600,- Euro verurteilt.
Ebenso die Krankenschwester Bronewski, die eine Geldstrafe in Höhe von 1200,- zu zahlen hat.

Die Angeklagten wurde beschuldigt, in den Jahren 2005 und 2006 Medikamente aus der Arztgeschäftsstelle der JVA Moabit gestohlen zu haben, die eigentlich für Gefangene bestimmt waren.

Der Staatsanwalt betonte in seinem Plädoyer, dass der Sachschaden (ca. 3000,- Euro) nicht sehr hoch sei, dass aber das Ansehen der Justiz unter diesem Skandal gelitten hätte. Denn der Ort des Geschehens, das Untersuchungsgefängnis Moabit, sei ja ein Ort, an dem Gefangene „resozialisiert“ werden sollen. Da sei es kein gutes Vorbild, wenn gerade an einem solchen Ort die Leute, die sich um die „Resozilisierung“ kümmern sollten, selbst straffällig werden, so der Staatsanwalt.

Die Verteidigung hingegen stütze sich auf die mangelnde Aussagekraft, bzw. die verwirrenden Aussagen der Zeug_innen. Diese, ebenfalls JVA-Bedienstete seien in Teilen ihrer Aussagen unklar und widersprüchlich gewesen sein. So soll ein Zeuge genau gesehen haben, wie sich einer der Angeklagten ein Medikament eingesteckt haben soll, welches er aber gar nicht benutzt. Das aber könnte beweisen, dass die Angeklagten nicht (unbedingt), wie in der Presse bisher berichtet, die Medikamente für den Eigenbedarf stahlen, sondern möglicherweise auch gewinnbringend weiterveräußert haben.

Die Richterin stütze ihr Urteil trotz begründeter Zweifel trotzdem auf die Zeug_innenaussagen. Begründete Zweifel über die Glaubwürdigkeit des Zeugen Sonntag gab es etwa deshalb, weil im Laufe des Prozesses klar wurde, dass er ggf. andere Interessen verfolgte: das Verhältnis mit der Zeugin Bronewski war ohnehin schlecht, und vermutet wurde, dass eine Ablehnung einer Weiterbildungsmaßnahme durch die übrigen Angeklagten dazu führte, dass Sonntag sich rächen wollte.

Immer wieder wurde betont, dass es sich hierbei nur um die „Spitze des Eisbergs“ handele. Als der Skandal öffentlich wurde,wurde vermutet, dass auch die JVA Tegel eine solche „Selbstbedienungspraxis“ in der Arztgeschäftsstelle hat. Hier hat die Staatsanwaltschaft aber nicht weiter ermittelt. Ein weiteres Versäumnis ist wohl die weitergehende Recherche über den Anstaltsleiter Fixon. Er trat lediglich als Zeuge auf, und begnügte sich damit, Dienstpläne und Preislisten der Medikamente auszuwerten. Immer wieder fragte man sich aber, wie eine solche jahrelange Praxis, die zumal völlig öffentlich (also innerhalb der Knäste) gehandhabt wurde, ihm angeblich nicht bekannt war.

Unabhängig aber von diesem Prozess und den Urteilen, wurde schnell klar, welche Umstände und welches Chaos in den Knästen eigentlich herrschen. Dass Gefangene ihre Medikamente über längere Zeiträume gar nicht, oder nur selten erhielten, wurde gar nicht skandalisiert- hier ging es nur über den Sachschaden, der bei ca. läppigen 3000,- Euro liegt. Dass Mobbing und gleichzeitig ein nicht zu durchbrechender Korpgeist unter den JVA-Bediensteten herrscht, welcher zu Machtmissbrauch führt, war auch nicht Thema des Prozesses. Zwar betonte die Richterin, dass ein solches Verhalten nur bei einer fehlenden externen Kontrolle möglich ist. Dass aber gerade an solchen Orten wie Knästen ein derartiges Verhalten gang und gäbe, ja sogar lebensnotwendig für die weitere Existenz einer solchen Zwangsanstalt ist, kam nicht zur Sprache (warum auch?). Denn warum sollten Menschen sich denn einsperren und demütigen lassen, wenn sie nicht wüssten, welche Sanktionen auf sie warteten, wenn sie einmal nicht gehorchen?

Am Rande des Prozesses wurde außerdem bekannt, dass der inhaftierte Berliner Antifa Christian S. (www.freechristian.gulli.to) inzwischen Anzeige wegen Körperverletzung durch Unterlassen gegen einige der Angeklagten erstattet hat. Er saß nämlich 11 Monate in U-Haft in Moabit, und musste knapp sieben Monate auf die Fortsetzung seiner lebensnotwendigen Medikamententherapie warten. Es wird vermutet, dass die Unregelmäßigkeiten auch dem im Prozess erörteten „Verhalten“ der Angeklagten zu zu rechnen ist.
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