Baskenland: Solidarität kriminalisieren

Uschi Grandel 02.05.2008 23:26 Themen: Repression Weltweit

"Wir haben erneut Berichte von Misshandlungen erhalten." Askatasuna organisiert den Protest gegen die Misshandlung von zehn Jugendlichen aus Oarsoaldea, die Mitte April von der Polizei verhaftet worden waren. Sie klagt an, dass die spanische Polizei freie Hand habe, Jugendliche zu verhaften und zu foltern. Die spanische Justiz versucht, die kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Seit 21. April 2008 läuft ein Schauprozess gegen 27 Mitglieder der Organisation Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna. Dabei könnte der spanischen Regierung ein Blick auf Nordirland zeigen, dass die Politik der Kriminalisierung immer grösserer Teile der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zum Scheitern verurteilt ist.

Spaniens Politik im Baskenland zum Scheitern verurteilt!

Will die spanische Regierung die jahrzehntelangen Fehler der britischen Regierung in Nordirland wiederholen oder aus dem nordirischen Konfliktlösungsprozess lernen? Wie die britische Regierung im Nordirland Ende der 70er und in den 80er Jahren setzt die spanische Regierung auf die Politik der Kriminalisierung immer grösserer Teile der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. Nordirland hat gezeigt, dass eine solche Politik zum Scheitern verurteilt ist: die immer offenere Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten durch den Staat stärkt die Solidarität und den Widerstand der Menschen.

Vor dem spanischen Sondergerichtshof Audiencia Nacional in Madrid begann am Montag, den 21. April 2008, ein erneuter Massenprozess. 27 Männer und Frauen stehen vor Gericht, die seit Jahren - manche seit Jahrzehnten - in den Strukturen der baskische Bewegung Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna (Bewegung Pro-Amnestie - Freiheit) aktiv sind. Ihre Aktivität richtet sich gegen staatliche Unterdrückung und Willkür, gegen Folter, für die Solidarität mit den vielen politischen Gefangenen aus dem Baskenland, die auf Gefängnisse in ganz Spanien verteilt sind.

Die Arbeit der pro-Amnestie-Bewegung ist im Baskenland und auch europaweit bei Menschenrechtsorganisationen hoch geachtet.

"Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna ist nicht nur bekannt sondern anerkannt", schreibt der Kommentator der baskischen Zeitung GARA. Ihre Arbeitsweise ist offen und transparent, sie reicht von der Organisation von Protesten, über praktische Hilfe für Gefangene bis zur Aufarbeitung von Zahlenmaterial über die Formen der Unterdrückung durch die Polizei und Justiz des spanischen und (in geringerem Umfang) auch des französischen Staates. Ihre Aktionen sind friedlich, im Rahmen der Gesetze und öffentlich.

Die spanische Regierung unter Zapatero setzt wie die Regierungen vor ihr, im baskischen Konflikt auf Unterdrückung und nicht auf eine Lösung. Aber der Konflikt ist nicht nur, wie es die spärlichen Medienberichte vermuten lassen, eine Auseinandersetzung des Militär-und Polizeiapparates des spanischen Staates mit der ETA. Die spanische Politik trifft auf eine Unabhängigkeitsbewegung, die sehr lebendig alle sozialen, kulturellen und politischen Lebensbereiche umfasst, die tief in der baskischen Gesellschaft verwurzelt und sehr stark ist.

Von Nordirland lernen?

Die spanische Regierung könnte einen Blick auf den Konfliktlösungsprozess in Nordirland werfen und daraus lernen. Die britische Regierung scheiterte kläglich daran, die Solidarität mit den Gefangenen, mit den Verfolgten, mit den Opfern von Todesschwadronen zu verbieten und von der Strasse prügeln zu lassen. Letztendlich musste auch sie lernen, dass staatliches Unrecht Märtyrer schafft und dass hunderte politische Gefangene tausende Familienangehörige, Freunde und Bekannte haben. 100.000 Menschen folgten dem Sarg von Bobby Sands, der 1981 im Hungerstreik für die Anerkennung als politischer Gefangener starb. Der Protest, bei dem 1981 zehn politische Gefangene starben, richtete sich gegen den Versuch der britischen Regierung, den politischen Konflikt zur kriminellen Verschwörung umdeuten wollte, um damit die politischen Gegner als Kriminelle zu isolieren.

Weit über 700 politische baskische Gefangene gibt es zur Zeit. Das sind mehr als gegen Ende des Franco Regimes Mitte der siebziger Jahre. Seit 1969 hat die Zahl der Gefangenen diese Höhe nicht mehr erreicht. Die baskische Bewegung Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna (Bewegung Pro-Amnestie - Freiheit) ist in praktisch jeder Stadt und jedem Dorf in den baskischen Gebieten vertreten. Sie mobilisiert tausende Baskinnen und Basken zu Solidaritäts- und Protestaktionen. Kein Wunder ist sie einer Politik der Entrechtung und der Illegalisierungen ein Dorn im Auge. Seit 2001 ist sie nun selbst suspendiert, einige ihrer bekanntesten Sprecher sassen zum Teil bereits vier Jahre in Untersuchungshaft, ohne je ein Gerichtsverfahren gesehen zu haben.

Mitgefühl und Solidarität unter Strafe

Den Prozess, der am Montag, den 21. April 2008, begann, sehen die Angeklagten als Schauprozess. Für sie steht das Urteil fest. Die Staatsanwaltschaft fordert zehn Jahre für jeden der Angeklagten "wegen Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Organisation". Einer der Anklagepunkte wirft den Angeklagten "Formen der Auseinandersetzung, die komplementär zu denen der ETA sind" vor. Ein anderer Punkt der Anklageschrift wirft der Organisation vor, "das Mitgefühl (auszunutzen), das durch die angebliche Verletzung der Rechte der ETA-Gefangenen entsteht, um neue Freiwillige zu generieren, die die ope­rative Struktur der ETA erneuern". Die spanische Regierung lässt derzeit nicht einmal die Entlassung schwer kranker Häftlinge zu. Was meint sie wohl zu erreichen, wenn sie Mitgefühl und Solidaritätsaktionen unter Strafe stellt?

"Diese Art von Prozessen politischer Justiz entfernt uns weiter von den Zielen, die wir mit der baskischen Gesellschaft teilen: ein Ende der Unterdrückung und eine endgültige Lösung des baskischen Konflikts."

schreibt Julen Arzuaga, Koordinator der Menschenrechtsorganisation Behatokia( http://www.behatokia.info/ ) und Angeklagter im Prozess am Schluss seiner Übersicht zum Prozess, zur Anklage und zur Arbeit und Geschichte von Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna:

>>>> Julen Arzuaga: 33/01 - der Prozess gegen Gestoras Pro-Amnistia-Askatasuna

>>>> EH Watch - Informationen in spanischer, französischer und englischer Sprache


Weitere Informationen auf Indymedia:

>>>> Baskenland: Prozess gegen Pro-Amnestieaktive (Alvar Chalmeta, vom 21.4.2008)

>>>> Demokratischer Ausnahmezustand im Baskenland: Übersicht über Indymediaberichte seit 2005 (malegría)


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Ergänzungen

Zum Kommentar "von Nordirland lernen"

Uschi Grandel 04.05.2008 - 19:52

Zum Kommentar "von Nordirland lernen": zur Haltung der ETA gibt es eine Aussage des irischen Priesters Alec Reid, der über Jahre im spanisch-baskischen Konflikt vermittelt hat. Er schätzt die Haltung von ETA in einem Interview mit GARA nach dem Scheitern des Friedensprozesses im Oktober 2007 wie folgt ein:
"Die baskische Unabhängigkeitsbewegung sagt, dass Verhandlungen der einzige Weg seien. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass - meiner Meinung nach - die baskische Unabhängigkeitsbewegung eine sehr demokratische Haltung in diesem Konfliktlösungsprozess einnimmt. Und dies schließt ETA ein. Weil ihre Position ist, dass ein Abkommen zwischen allen am Konflikt Beteiligten erreicht werden muss und dass ein Abkommen auch die Rechte der hier lebenden spanischen Bevölkerung einschließen muss, inklusive des Zustimmungsrechts."
Das klingt etwas anders, als Du es beschreibst. Das Hauptproblem der derzeitigen Situation ist, dass die spanische Regierung jegliche politische (oder wie bei Gestoras auch soziale) Betätigung der Unabhängigkeitsbewegung kriminalisiert und leugnet, dass es überhaupt einen politischen Konflikt gibt.

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Von Nordirland lernen? — Gary Adams