Mayday-Parade in Berlin
Mehr als 7000 DemonstrantInnen zogen auf der gestrigen Mayday-Parade in Berlin gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse vom Boxhagener Platz in Friedrichshain nach Kreuzberg. Es hat sich gezeigt, dass es mit der offenen Form des Mayday gelingt, auch außerhalb der linken Szene für die aktive Gestaltung der Parade zu mobilisieren. Die Mayday-Bewegung, die an diesem Tag in mehr als zwanzig europäischen Städten und in Japan auf die Straße geht, stößt auch in Berlin auf wachsende Resonanz.
Besonders auffällig war, wie viele unterschiedliche Menschen die Parade nutzten, um ihre Anliegen vorzubringen. Beschäftigte vom Pflegedienst Ambulante Dienste, die tags zuvor aus Protest gegen Lohnkürzungen und schlechte Arbeitsbedingungen das Büro ihrer Geschäftsleitung besetzt hatten ( http://de.indymedia.org/2008/04/215042.shtml), meldeten sich zu Wort, Mitglieder der Flüchtlingsinitiative Brandenburg protestierten gegen Residenzpflicht und rassistische Aufenthaltsgesetze, eine Lidl-Betriebsrätin rief die DemonstrantInnen auf, den Streik im Einzelhandel zu unterstützen, und AktivitstInnen von Media Spree Versenken informierten über die Umstrukturierung des Spree-Ufers.
Begeisterten Anklang fanden mehrere hundert leere Sprechblasen, die das Mayday-Bündnis mitgebracht hatte und die die TeilnehmerInnen der Parade nutzten, um ihren Ärger, ihre Forderungen und Hoffnungen zu artikulieren. „Nieder mit der Arbeit! Diplomarbeiten abschaffen!“ stand darin zu lesen, „IchStreik gegen Stress“, „Organisiert das schöne Leben“ oder einfach nur „Ich brauch Urlaub!“ Soviel Mitgestaltung sucht man auf den meisten linken und gewerkschaftlichen Demonstrationen vergeblich. Zahlreiche Sprechblasen der Mayday-Parade tauchten später auch auf der revolutionären Demonstration auf und bereicherten dort das Bild.
Mit insgesamt sieben Wagen zog die Parade zu guter Musik durch Berlin. Hinter den Wagen der „Falken“ (mit dem schönen Transparent „Reiche Eltern für alle!“), der Fuckparade und der Hedonistischen Internationale tanzten jeweils hunderte Menschen, auf dem FelS-Wagen wurde in einer Live-Show eine Demo-Choreographie eingeübt, und Berliner Kneipenkollektive (u.a. das Cafe Morgenrot, das Tristezza und „Tante Horst“) hatten einen eigenen Block auf die Beine gestellt. Dass das Engagement des Mayday-Bündnisses sich nicht auf das Organisieren einer Demonstration beschränkt, machte nicht zuletzt die Umfrage deutlich, mit denen Mayday-AktivistInnen die TeilnehmerInnen nach ihren Anliegen befragten. Die Ergebnisse sollen im Juni öffentlich zur Diskussion gestellt werden.
Der Treffpunkt Boxhagener Platz war nicht zuletzt deshalb gewählt worden, um Distanz zum MyFest-Zirkus in Kreuzberg zu gewinnen. Die Stimmung litt darunter nicht, schließlich bot die Parade selbst viel Programm. Über die Oberbaumbrücke ging es schließlich nach Kreuzberg, wo die Demonstration gegen 18:30 Uhr am Spreewaldplatz endete.
Wie weiter?
Das Mayday-Bündnis ist kein Zusammenschluss, der lediglich am 1.Mai eine bunte Parade veranstalten will. Wie im vergangenen Jahr wird es regelmäßige Treffen geben, um gemeinsam als Mayday-Bündnis politisch zu intervenieren. Erste Gelegenheit dazu soll ein Workshop zum Streiken in prekären Zeiten bieten, der am 24. Mai im Haus der Demokratie stattfinden wird.
Im Mayday-Bündnis arbeiten sehr verschiedene Initiativen mit: Neben unabhängigen linken Gruppen wie FelS – Für eine linke Strömung, den Internationalen KommunistInnen und der Antifa Friedrichshain engagieren sich subkulturelle Zusammenschlüsse wie die Fuckparade und die Hedonistische Internationale, aber auch attac, SDS und Solid, die Initiative Media Spree Versenken und die Flüchtlingsintiative Brandenburg im Bündnis.
Wer sich für die Mayday-Bewegung interessiert oder mitmachen möchte, kann sich informieren unter berlin.euromayday.org und unter www.euromayday.org
Weitere Fotos von der Parade: http://www.flickr.com/photos/imagedeluxenet/sets/72157604841657232/
Begeisterten Anklang fanden mehrere hundert leere Sprechblasen, die das Mayday-Bündnis mitgebracht hatte und die die TeilnehmerInnen der Parade nutzten, um ihren Ärger, ihre Forderungen und Hoffnungen zu artikulieren. „Nieder mit der Arbeit! Diplomarbeiten abschaffen!“ stand darin zu lesen, „IchStreik gegen Stress“, „Organisiert das schöne Leben“ oder einfach nur „Ich brauch Urlaub!“ Soviel Mitgestaltung sucht man auf den meisten linken und gewerkschaftlichen Demonstrationen vergeblich. Zahlreiche Sprechblasen der Mayday-Parade tauchten später auch auf der revolutionären Demonstration auf und bereicherten dort das Bild.
Mit insgesamt sieben Wagen zog die Parade zu guter Musik durch Berlin. Hinter den Wagen der „Falken“ (mit dem schönen Transparent „Reiche Eltern für alle!“), der Fuckparade und der Hedonistischen Internationale tanzten jeweils hunderte Menschen, auf dem FelS-Wagen wurde in einer Live-Show eine Demo-Choreographie eingeübt, und Berliner Kneipenkollektive (u.a. das Cafe Morgenrot, das Tristezza und „Tante Horst“) hatten einen eigenen Block auf die Beine gestellt. Dass das Engagement des Mayday-Bündnisses sich nicht auf das Organisieren einer Demonstration beschränkt, machte nicht zuletzt die Umfrage deutlich, mit denen Mayday-AktivistInnen die TeilnehmerInnen nach ihren Anliegen befragten. Die Ergebnisse sollen im Juni öffentlich zur Diskussion gestellt werden.
Der Treffpunkt Boxhagener Platz war nicht zuletzt deshalb gewählt worden, um Distanz zum MyFest-Zirkus in Kreuzberg zu gewinnen. Die Stimmung litt darunter nicht, schließlich bot die Parade selbst viel Programm. Über die Oberbaumbrücke ging es schließlich nach Kreuzberg, wo die Demonstration gegen 18:30 Uhr am Spreewaldplatz endete.
Wie weiter?
Das Mayday-Bündnis ist kein Zusammenschluss, der lediglich am 1.Mai eine bunte Parade veranstalten will. Wie im vergangenen Jahr wird es regelmäßige Treffen geben, um gemeinsam als Mayday-Bündnis politisch zu intervenieren. Erste Gelegenheit dazu soll ein Workshop zum Streiken in prekären Zeiten bieten, der am 24. Mai im Haus der Demokratie stattfinden wird.
Im Mayday-Bündnis arbeiten sehr verschiedene Initiativen mit: Neben unabhängigen linken Gruppen wie FelS – Für eine linke Strömung, den Internationalen KommunistInnen und der Antifa Friedrichshain engagieren sich subkulturelle Zusammenschlüsse wie die Fuckparade und die Hedonistische Internationale, aber auch attac, SDS und Solid, die Initiative Media Spree Versenken und die Flüchtlingsintiative Brandenburg im Bündnis.
Wer sich für die Mayday-Bewegung interessiert oder mitmachen möchte, kann sich informieren unter berlin.euromayday.org und unter www.euromayday.org
Weitere Fotos von der Parade: http://www.flickr.com/photos/imagedeluxenet/sets/72157604841657232/
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(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
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Ergänzungen
konservativer als die Polizei?
Was sagt Grottian dazu?
Der Politologe und Aktivist Peter Grottian ruft dazu auf, künftig am 1. Mai auch Firmenzentralen zu besetzen. Interview VON ANNA LEHMANN
http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/demonstrieren-allein-reicht-nicht/?src=TE&cHash=caa251a248
Die Route bot sich an
Zuerst ging es am Drogerie-Discounter Rossmann vorbei, der zu den wenigen Gewinnern des hart umkämpften Marktes mit Schlecker gehört. Hier wurden Arbeitsbedingungen und Monopolisierung in dem Bereich thematisiert.
An der nächsten Ecke war die Wedekind-Polizeiwache, die politische Aktivisten im Osten Berlins nur allzu gut kennen dürften. An der Stelle postierten sich denn auch massig Polizei, um Stärke zu demonstrieren. Tatsächlich hat sich auch niemand an den imposanten Altbau herangewagt.
An der Ecke Torellstraße kam das erste ordentliche Bürogebäude in den Blick. Die private Managerausbildung FAW und DIG-Immobilien haben dort ihren Sitz.
An der Warschauerstraße angekommen wurden die dort ansässigen Leiharbeit-Vermittler JOB AG, Nexus, Scheerbaum, Personalmanagement e.K. und Rolf-Plümer fokussiert. Zeitarbeitsfirmen florieren bei Streiks, da die schlecht bezahlten und auf hohe Flexibilität getrimmten Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden, um herkömmliche Beschäftigte bei Arbeitskämpfen kurzfristig zu ersetzen. Die Arbeitsvermittler verdienen an jeder gearbeiteten Stunde mit. In die Betriebe übernommen wird selten einer der geliehenen Arbeitnehmer.
Auf der Häuserzeile ist außerdem der Sitz des Liegenschaftsfond Berlin, der seit seiner Gründung 2001 mit der Verwertung öffentlicher Gebäude beauftragt ist. In den letzten Jahren hat der Fond zwar 500 Mio Euro in die Kassen Berlins gebracht, doch damit auch die Möglichkeiten beschränkt als Bezirksregierungen aktiv mit Immobilien bei der Stadtgestaltung zu intervenieren. So manches bedrohtes Hausprojekt bekam von der Stadt keine Ersatzobjekte angeboten, weil der öffentlichen Hand keine Gebäude mehr zur Verfügung stehen. Sie alle sind dem Liegenschaftsfond übertragen worden, stehen leer und müssten kostspielig zurückgekauft werden. Schon auf dem Boxi, bei der Auftaktveranstaltung wurde in einem Beitrag auf die Aktualität von Hausprojekten als kollektiven Widerstand gegen Vereinzelung und Prekarisierung hingewiesen. Beim Liegenschaftsfond konnte direkt bei den Wegbereitern der Verdrängung Kritik artikuliert werden.
Die schöne Aussicht von der Warschauer Brücke wurde leider von der O2-Arena verstellt. Hier kam die Kritik an der Mainstreamkultur etwas zu kurz. Die Umbauten am Bahnhof Warschauerstraße und entlang der Mühlenstraße weisen daraufhin, dass sich Friedrichshain in den nächsten Jahren auf eine Klientel einstellen muss, die wenig am alternativen Flair teil haben will. Vielmehr wird diese den Massenveranstaltungen in der größten Mehrzweckhalle Berlins weichen müssen. Zur Umgestaltung der Mühlenstraße und des Spreeufers sprach an der Stelle die Initiative Media-Spree-Versenken.
Am Ende der Warschauerstraße bei der Zwischenkundgebung wurde kurzzeitig die Zentrale des selbsternannten Quartiersmanagers Tragsdorf ( http://de.indymedia.org/2007/12/201661.shtml) heimgesucht. Hier sitzt das Büro für Wirtschafts- und Projektberatung, die Hausverwaltung Factor, die Gewerberaumbörse und zahlreiche Briefkastenfirmen, die, zeitweise vom Bezirk unterstützt, den Friedrichshain in den letzten zehn Jahren durch Entmietung, Luxussanierung und Initiierung von Wirtschaftsbündnissen maßgeblich zum Wohn- und Arbeitsort privilegierter Schichten umgestaltet haben. An dieser Stelle passte der Redebeitrag der Internationalen Kommunisten zu verkürzter Kapitalismuskritik.
Die PIN AG hat in dem Objekt ebenfalls ein Ladengeschäft. Hier wurde auf den Niedriglohn der Zusteller eingegangen. Seit der Einführung des gesetzlichen Post-Mindestlohn muss sich die PIN AG was einfallen lassen, um nicht unterzugehen. Die Springer-AG, die einen Großteil der Anteile hielt, hat diese nunmehr verkauft, nachdem die Kampagne in der BILD gegen den Mindestlohn gescheitert war.
Danach ging es am Universal-Haus vorbei nach Kreuzberg wo die schlechten Arbeitsbedingungen bei MCDonalds und LIDL in der Wrangelstraße angeprangert wurden. Kurz vor sechs erreichte der Zug den Spreewaldplatz, wo noch Musik und Redebeiträgen von einigen Wägen gehalten wurden.
dieser Artikel färbt die Sache schön
Für das "geübte Auge" war auch bestimmt alles zu finden, was die Parade an Inhalten gesammelt und an Widerstand abgebildet hat.
Aber für Umstehende und einen Großteil der Teilnehmenden war es leider nur zusammenhangsloses Flickwerk. Und diese sich häufig überlagernde Musik war (mir zumindest) ziemlich schnell lästig. Spaß hat mir das nicht gemacht. Darum geht es mir auch nicht alleine beim Demonstrieren, aber muß ich mich deswegen die ganze Zeit stressen lassen?
Das nächste Mal setz ich mir nen Baugehörschutz auf und mal mir ne Sprechblase: "Ich finde Drum&Bass langweilig" oder "this music? - Not in my name" oder "Ja zu Randale - nein zu Partystress" oder "lernt endlich PAs auszusteuern" oder ...
Alle, die jetzt sagen, ich bin dann eben falsch auf der "Parade", haben vielleicht Recht. Wenn die gleichen Leute aber darüber nachdenken, wie sie viele Leute auf die Strasse bekommen, die den herrschenden Verhältnissen Widerstand und ihre eigenen Vorstellungen entgegensetzen wollen, möchte ich ihnen antworten, so nicht.
Konsum und "Unterhaltung" sind immer nur ein Ersatz für eigene Aktivität. Auch wenn hier mal viele aktiv waren, Konsum und Unterhaltung für noch einige zu organisieren - das ist temporärer Zeitgeist und mehr nicht.
Sowas gibt es in veränderter Form seit den 60ern (habe ich mir sagen lassen...). So eine Parade gebe ich mir nicht nochmal. Ansonsten bin ich sehr gespannt, was dieses Bündnis im kommenden Jahr intiiert.
dieser beitrag ... ist etwas plumb ; )
ich finde das du es dir etwas zu einfach macht mit deiner kritik. erstens weil du eine recht starke konsum haltung an den tag legst (siehe zb deinen letzten satz) und zweitens weil du deine wahrnehmung zu einfach verallgemeinerst. ich bin zb.die ganze parade mitgelaufen und fand die stimmung und das was rueberkam recht unterschiedlich. es gab strecken wo es einfach "nur ne parade war" und es gab strecken wo doch recht viel rueberkam...
apropos parade: ja - richtig, - es geht beim mayday eben auch um ein "uns selbst zu feiern" wie wir die restlichen 355 tage als superheldInnen des prekaeren alltags uns so durchkaempfen. dieses sich feiern - auf der grundlage der inhaltlichen bezugspunkte ist elementarer bestandteil der europaeischen mayday bewegung von anfang an. ob das maydaykonzept ueber die jahre aufgeht oder ob dieser versuch neues auf die beine zu stellen scheitern wird muss sich noch zeigen. was aber ohne zweifel ist - ist das der mayday der einzige versuch ist den ersten mai in berlin von seiner ritualhaften beschraengtheit wieder zu einem politischen projekt zu machen!
du schreibst das da nciht viel ruebergekommen ist - hmm... sind denn die 5000 leute die nach f-hain gekommen sind nur dummy partyleute? - was meinst du denn mit rueberkommen? ... darueber hinaus finde ich das die mayday leute sich mit ihren plakaten, der webseite und den ganzen deko-kram echt viel muehe gemacht haben. und ich denke das vieles davon auch noch ueber den ersten mai hinaus so manch eine/n von uns an grauen arbeitstagen oder in stresssituation einen bezug bieten kann - allein die worterfundungen "ichstreik / ich stress und ichpause" fand ich klasse! (ne srechblase von die mit "ja zu randale - nein zu partystress" haett ich eigentlich ganz gut gefunden ; )
nun ja - am ende bleibst du uns schuldig mal zu sagen wie du dir denn "wiederstand gegen die herrschenden verhaeltnisse" vostellst.
ich finde ueberhaupt nen begriff - jenseits von pattitueden - von den "herrschenden verhaeltnissen" zu finden/ zu suchen halte ich fuer 1000 mal radikaler als leere linke phrasen hinauszuposaunen und die faust zu raeken. und genau das versucht die mayday bewegung. oder wie fels auf ihren lauti stehen hatten: "fragend schreiten wir voran" (oder so ; )
also - kommt doch zum nachbereitungstreffen und bring dich ein. von nix kommt nix.
Fotos
http://www.flickr.com/photos/imagedeluxenet/sets/72157604841657232/
http://www.flickr.com/photos/jakobhuber/2460582765/
http://www.flickr.com/photos/24359256@N07/2462324500/
http://www.flickr.com/photos/anna_imc/sets/72157604847419868/
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Zahlen und so
Kleine Kritik noch: eine Rede an die Lidl-Angestellten vor einer wegen Feiertag geschlossenen Lidl-Filiale wirkt unfreiwillig komisch.
weitere Bilder von der Mayday-Parade
http://de.indymedia.org/2008/05/215419.shtml
rhythms of
http://www.archive.org/details/RhythmsOfResistance-EuromaydayBerlin1.5.2008
sind fast fünf minuten rhythms of resistance aufgetaucht.
Redebeitrag der FAU Berlin
Es ist der erste Tag des neuen Semesters. Die Studierenden strömen in den völlig überfüllten Seminarraum. Agnes steht vor dem Overheadprojektor und teilt den Studierenden mit, welche Leistungsanforderungen der Professor festgelegt hat. Diese stöhnen. Die Stimmung ist gedrückt, denn viele wissen nicht wie sie die Aufgabe bewältigen sollen. Agnes rechtfertigt ihren Prof, dabei kann sie die Studierenden gut verstehen, denn auch sie weiß nicht, wie sie das Geld für sich und ihren 2 jährigen Sohn in den nächsten Monaten, neben dem Job in der Uni, aufbringen soll. Denn sie arbeitet ohne Lohn. Sie hofft im nächsten Semester einen bezahlten Lehrauftrag zu ergattern, wenn sie sich in diesem Semester bewährt.
Es ist 7 Uhr morgens. Paul steigt aus der U-Bahn aus, verlässt den Bahnhof und steuert das herrschaftliche Gebäude an, welches das berühmte Varieté-Theater der Stadt beherbergt. Seine Laune ist mies, es graut ihm vor dem Tag, den er nun mit seiner tyrannischen und inkompetenten Vorgesetzten verbringen muss. Seit 6 Monaten arbeitet er schon hier. Ohne Lohn. Als „Traumrolle hinter den Kulissen“ machte ihm sein Sachbearbeiter im Job-Center das Praktikum schmackhaft. Nun schuftet er jeden Tag hinter den Kulissen für die, die die vermeintlichen Traumrollen ausfüllen. Von der Perspektive einer festen Übernahme am Schauspielhaus, war schon seit seinem ersten Arbeitstag nicht mehr die Rede. „Er solle froh sein überhaupt Arbeit zu haben“, wurde ihm entgegengehalten. Davon kann allerdings keine Rede sein, denn Paul weiß nicht woher er das Geld nehmen soll, um seine Freundin in London besuchen zu können, wo er den Beruf den er nun unbezahlt ausübt gelernt hat. Er hat sie schon seit Monaten nicht mehr gesehen.
Unbezahlte Lohnarbeit ist ein um sich greifendes Phänomen. In Zeiten in denen das Selbsbewußtsein der Lohnabhängigen gering ist, lassen sich Arbeitgeber immer perfidere Strategien einfallen um ArbeiterInnen gegeneinander auszuspielen. Sowieso schon extrem mies bezahlte Jobs in der Gastronomiebranche, werden in Spitzenzeiten durch unbezahlte Probeschichtler ergänzt, welche von vorne herein keine Chance auf eine feste Anstellung haben. Universitäten beuten Studierende aus, die sich Hoffnungen auf eine akademische Karriere machen, in dem sie ihre knappen Kassen entlasten und unbezahlte Lehraufträge zur Normalität werden lassen. Gleichzeitig beuten Kultureinrichtungen junge qualifizierte Arbeitslose als PraktikantInnen aus, während immer mehr Festangestellte entlassen werden. Aufgezeigt werden könnte auch, wie immer mehr Job im sozialen Bereich durch ehrenamtliche Stellen ersetzt werden oder wie die Wirtschaft zunehmend auf die Angst der ArbeiterInnen vor dem Verlust ihres Job´s setzt und sie immer mehr unvergütete Überstunden machen lässt. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Für diese Entwicklung sind wir alle verantwortlich. Denn es ist keine neue Erkenntnis, das es der einen Klasse daran gelegen ist möglichst viel Mehrwert aus der anderen herauszupressen. Und auch wenn die Grenzen zwischen diesen beiden Klassen heutzutage nicht mehr ganz so klar zu zeichnen sind wie in früheren Zeiten, so funktioniert das miese Spiel namens Kapitalismus nichts desto trotz immer noch nach den gleichen Regeln wie damals. Der Klassenkampf von oben wurde über all die Jahre weitergeführt, während sich große Teile der lohnabhängigen Bevölkerung von den marktradikalen Parolen haben einschläfern lassen. Wenn wir unsere eigenen Interessen wieder wahrnehmen, uns organisieren, die Strategien den heutigen Verhältnissen anpassen und Klassenkämpfe entwickeln, kann es uns gelingen die Kontrolle über unser Leben zurückzugewinnen. Wenn es Steffi, Agnes und Paul schaffen mit unserer Hilfe ihren Chefs den Fuck-Finger zu zeigen, können wir dies als Grundlage nehmen, um uns das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder anzueignen und gemeinsam weitergehende Perspektiven zu entwickeln. Der Kampf für Freiheit UND Gleichheit beginnt in unserem Alltag. Lasst uns den Fehdehandschuh endlich wieder aufnehmen!
@fau berlin: rudolf
wenn noch etwas "anarchistisches" in der angeblich anarcho-syndikalistischen geschichte der FAU sein soll, so sollte es zumindest in der frage der hierarchischen Bildung etwas mehr bringen als die ach so schnulzige geschichte wie eine karrieristin kind und karriere gegen die bösen menschen im (notwendigen?) Unibetrieb vereinbaren kann.
und guter lohn für gute Arbeit--- hat der DGB auch auf seinen plakaten.
aber der begriff "unbezahlte lohnarbeit" ist gut, kannte ich bisher noch nicht.
so reiht sich der beitrag m.e. in eine tendenz ein, die sich dieses jahr in berlin offen gezeigt hat -- statt radikalem(nicht gewalttätigen) zivilen ungehorsam eine mischung aus kooperation und denunziation -- daß die schlagzeilen sich mehr um das (gewalttägige) verhalten der händlerinnen beschäftigen, ist ein zeichen eher einer entpolitisierung statt einer von einigen erwähnten "repolitisierung" -- aber vielleicht sollen wir ja schon vor revolutionärem vergnügen quietschen, wenn wir ein paar spuckis wohinkleben dürfen.
Dreitausend und nicht weniger