SCHULSTREIK - in Tübingen und bundesweit

FSO Tübingen / AK Medien 29.04.2008 10:26 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Bildungsmisere, PISA-Studie, G8-Gymnasium, Eliteklassen, Leistungsdruck, Stundenausfall, perspektivlose Hauptschulen, demotivierte SchülerInnen und soziale Auslese – Schlagwörter der Krise, in der sich das deutsche Schulsystem befindet. Alle beschweren sich, die Schlagzeilen häufen sich, doch in den Kultusministerien herrschen Ratlosigkeit und Uneinigkeit über die Richtung, die es einzuschlagen gilt. Deshalb ist für den 12. Juni 2008 ein kleiner Denkanstoß seitens derer, um die es eigentlich geht, angesetzt: Ein Schulstreik.
Statt uns weiter durch ein veraltetes, frustrierendes und ungerechtes Schulsystem zu schlagen, setzen wir uns ab sofort penetrant und vehement für eine sich an unseren Interessen und Wünschen orientierende Bildung ein. Denn wir glauben trotz allem noch daran: Schule könnte Spaß machen! Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, auf dem viele und grundlegende Veränderungen nötig sind, bei denen wir viele Wörtchen, ja sogar ganze Sätze mit zu reden haben.

Bundesweiter Ausstand?

Wir, also die Freie SchülerInnen Organisation (FSO) Tübingen, versuchen im Moment, den Schulstreik auch bundesweit aufzuziehen. Wir haben im Moment positive Rückmeldungen aus deutlich mehr als einem dutzend Städten in Deutschland für den 12. Juni – warten aber noch auf feste Zusagen.
 
In der Landeshauptsstadt Berlin wird bereits am 22. Mai ein lokaler Schulstreik stattfinden, der im besten Fall den Startschuss für eine bundesweite Ausdehnung darstellen soll.


Der Stand der Dinge in Tübingen

Die MayDay-Parade für globale soziale Rechte am 30. April wird der Auftakt der Kampagne für einen Schulstreik in Tübingen sein. Daran beteiligt sich die FSO Tübingen mit einer Performance und wird mit Infomaterial präsent sein.
 
In den folgenden Wochen werden wir intensiv für das Vorhaben werben. Dazu bemühen wir uns auch darum, an möglichst vielen Schulen die Einberufung von SMV-Sitzungen zum Thema zu erreichen, um dort unser Vorhaben zu erklären und zur Abstimmung stellen zu können.
 
Wir haben bereits bis zum jetzigen Zeitpunkt viel an Unterstützung durch Gewerkschaften, LehrerInnen, Eltern, Studierende und SchülerInnen erfahren. Wir hoffen, dass sich dieser Rückhalt mit dem Start der Kampagne noch verbreitert.


Der Ablauf des Schulstreiks

Es soll bei diesem Schulstreik nicht einfach nur darum gehen, eine freien Tag mehr zu ergattern, sondern um einen politischen Ausdruck. Deshalb werden wir während der eigentlichen Schulzeit eine Demonstration durchführen. An die Abschlusskundgebung soll sich ein Konzert anschließen.


Der Umgang mit Repression

Sowohl Schulleitungen, als auch einzelnen LehrerInnen stehen eine Reihe von Strafmaßnahmen zur Verfügung, mit denen sie SchülerInnen unter Druck setzen können. Die Erfahrungen mit den Schulstreiks, die in der letzten Zeit in Berlin bereits stattgefunden haben, zeigen, dass wir durchaus mit Einschüchterungsversuchen gegen einzelne SchülerInnen rechnen müssen.
 
Wir appellieren natürlich an alle Verantwortlichen, von solchen Aktionen abzusehen. Sollte es zu repressiven Maßnahmen kommen, werden wir die Betroffenen aber nach Kräften unterstützen und massiv (öffentlichen) Druck aufbauen.
 
Sollte es bereits im Vorfeld zu Versuchen kommen, SchülerInnen physisch an der Teilnahme zu hindern, was eindeutig gegen gesetzlich garantierte Rechte verstoßen würde, so behalten wir uns ein juristisches Vorgehen vor.
 
Insgesamt gehen wir aber davon aus, dass auch die Schulleitungen und natürlich viele LehrerInnen die Berechtigung unseres Vorhabens erkennen und uns teils sogar unterstützen werden.


Die Forderungen

Wir fordern:

  • Die Demokratisierung der Schulen! Das bedeutet für jede schulpolitische Entscheidung eine Mitbestimmung, deren Auswirkungen auch sichtbar sind. Unsere Stimme muss dabei mindestens ein ebenso großes Gewicht wie das der LehrerInnen, Schulleitungen und Landesämter haben.
     
  • Die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems! Die Wahrscheinlichkeit, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, ist für Kinder aus einer der oberen Bildungsschichten fast drei mal so hoch wie für ein Kind aus einem Haushalt aus unteren Schichten. Nicht zuletzt wegen der Einkommensverteilung sind davon in Deutschland Kinder mit Migrationshintergrund besonders stark betroffen. Es besteht später zwar theoretisch die Möglichkeit, die Schulform zu wechseln. In der Praxis ist ein erfolgreicher schulischer Aufstieg aber sehr schwer bis teilweise unmöglich, ein Abstieg hingegen für viele eine allgegenwärtige Bedrohung. Dieses System gibt vor, den unterschiedlichen Fähigkeiten und Ansprüchen der SchülerInnen gerecht zu werden. Das tut es aber keineswegs, stattdessen dient es der sozialen Auslese und einer furchtbar frühen Einteilung in zukünftige LeistungsträgerInnen und VersagerInnen.
     
  • Eine tatsächliche Lehrmittelfreiheit! Die von vielen Gruppen und Initiativen lange geforderte Grundausstattung für ErstklässlerInnen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist noch lange nicht ausreichend, um von einer tatsächlichen Lehrmittelfreiheit in Deutschland zu sprechen. Es kommt zu ständigen Ausgaben für die alltägliche Schulmaterialien, wie z. B.: Hefte, Stifte und Lektüren. Zusätzlich kommen enorme finanzielle Belastungen für Ausflüge und Klassenfahrten, oder den Nachhilfeunterricht hinzu. Besonders für sozial schwache Familien stellt dies eine starke finanzielle Belastung dar. Denn hierdurch bleiben gerade Kinder aus armen Familien bei der Bildung auf der Strecke, die durch das mehrgliedrige Schulsystem sowieso schon eine geringere Chance auf einen guten Schulabschluss haben.
     
  • Ein höheres Lehrniveau! Durch die Verkürzung des Gymnasiums von 9 auf 8 Jahre kommt es für die SchülerInnen zu enormen Belastungen, die dazu führen, dass die SchülerInnen kaum noch Freizeit haben, was teils zu stressbedingten chronischen Erkrankungen führt. Wir sollen immer mehr Stoff in immer kürzerer Zeit pauken und haben dabei noch nicht einmal gut ausgebildete LehrerInnen an unserer Seite, die uns bei der Bewältigung dieser Aufgabe helfen. Damit wir sinnvoll lernen können, brauchen wir nicht mehr Druck und weniger Zeit, sondern kleinere Klassen, individuellere Förderung und mehr Lehrkräfte.
     

In was für einer Schule wollen wir lernen?

Bildung – verstanden als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben, um Solidarität zu entwickeln und die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensumfeld zu ermöglichen - ist ein eines der wichtigsten Anliegen unserer Politik. Die soziale Klasse darf nicht länger über den Werdegang junger Menschen entscheiden, denn Bildung ist ein Menschenrecht!
 
Die Schule ist für uns keine Lernfabrik. Sie sollte der Ort sein, an dem jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler ernst genommen und in ihrer/seiner persönlichen Entwicklung gefördert wird.
 
Es geht nicht darum, Wissen eingehämmert zu bekommen, sondern vielmehr darum, das Lernen zu lernen, selbständig und kritisch denken zu können und Spaß an der Aneignung von Wissen zuhaben. Statt Konkurrenzkampf unter den SchülerInnen brauchen wir Kooperation, unter anderem könnten wir teilweise voneinander wesentlich mehr lernen als von LehrerInnen. Statt Leistungsdruck brauchen wir Eigeninitiative und Raum zur persönlichen Entfaltung von Interessen.
 
Die Idee einer gemeinsamen Schule für alle – einer Schule als Lebensraum, in der sich Schülerinnen und Schüler wohl fühlen, sie mitbestimmen und mitgestalten können – rückt aber in immer weitere Ferne. Deshalb gibt es für uns keine andere Alternative, als uns selbst für unsere Recht stark zu machen.


(Kampf-)Perspektiven

Der Konflikt um die Schule und ihre Organisierung bricht gerade an mehreren Stellen gleichzeitig auf. Das ist dabei nur eines der Signale, die darauf hindeuten, dass die Zeit für eine emanzipatorische SchülerInnen-Bewegung reif ist.
 
Dabei werden wir nur Erfolg haben, wenn es uns gelingt, nach einer solchen punktuellen Aktion die bundesweite - und bestenfalls auch transnationale - Vernetzung voranzutreiben - der SchülerInnen-Zusammenhänge untereinander aber auch mit den anderen sozialen Bewegungen.
 
WIR BLEIBEN IN BEWEGUNG!


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Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Newswire — -

??? — Ulf

ebenfalls NW — aj

Naja — Karl

Gute Sache — Sachen-Gut-Finder

warum... — wayne interessiert's?

Sehr gut — Luke