Zur Nazi-Situation in Berlin-Lichtenberg

Dabeigewesener 17.04.2008 17:52 Themen: Antifa
Der Dienstag in Lichtenberg hat wieder einmal das spontane Mobilisierungspotential und die personelle Zusammensetzung der Lichtenberger Neonaziszene öffentlich gemacht. An dieser Stelle eine kleine Übersicht.
Der Anlass

Diesen Dienstag und Mittwoch (15.-16.04.2008) stand der "Zug der Erinnerung" auf dem Lichtenberger Bahnhof. Diese mobile Gedenkstätte war Anlaufpunkt für etwa 2.000 Menschen täglich, unter ihnen Schulklassen aber auch eine große Zahl Anwohner_innen und Tourist_innen. Der "Zug der Erinnerung" hatte vor der Lichtenberger Etappe für Schlagzeilen gesorgt, weil die "Deutsche Bahn", die Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn, das Gedenken an zentralen Orten in der Stadt durch verschiedene Restriktionen zu verhindern versuchte. Den Halt in Lichtenberg nutzten einige Antifaschist_innen und veranstalteten eine Kundgebung am Haupteingang des Bahnhofs, an der etwa 50 Menschen teilnahmen. In Redebeiträgen wurde die Arbeit der lokalen Antifa-Gruppen vorgestellt und auf die Verstrickungen der Reichsbahn mit dem "Arbeitserziehungslager" Wuhlheide in Lichtenberg, während des Nationalsozialismus hingewiesen.


Anti-Antifa Nr.1

Etwa um 16:00 Uhr versuchte eine Gruppe junger Neonazis, zum "Zug der Erinnerung" zu gelangen. Eine der beteiligten Personen, ein organisierter Kameradschaftsaktivist, war dabei mit einem Knüppel ausgerüstet. Eine weitere Person hatte eine Trainingsjacke mit dem Schriftzug des "Sportjugendklub" auf dem Rücken an. Der anwesende Kameradschaftsaktivist war zusammen mit anderen in die Schlagzeilen geraten, weil er auf einem Foto zu sehen war, das einen Artikel über den "Sportjugendklub" illustrierte (1). Das Ziel des Artikels, den Sportjugendklub als vorbildliches Beispiel für die Arbeit mit rechten Jugendlichen, wurde damit verfehlt. Vielmehr wurde der Vorwurf, dass der "Sportjugendklub" Jugendarbeit mit organisierten Neonazis betreibe, erhärtet. Die jungen Neonazis konnten auf dem Bahnhof von der Polizei daran gehindert werden, zum Zug zu gelangen.
Der Sportjugendklub muss sein erneut fragen lassen, ob er Neonazis für den Kampf auf der Straße das nötige Können vermittelt.


Anti-Antifa Nr.2

Kurz nachdem die Antfa-Kundgebung um 17:00 Uhr begann, fanden sich die Lichtenberger Neonazis d und B in einem gegenüberliegenden Internetcafé ein und begannen die Veranstaltungsteilnehmer_innen zu fotografieren. Nach einer Intervention von Veranstaltungsteilnehmer_innen hinderte die massiv anwesende Polizei die Neonazis daran, weiter zu fotografieren. Nach und nach kamen weitere Neonazis hinzu. So waren letztendlich x, y, z und ein weiterer Neonazi im Internetcafé. So erbärmlich das klingt, das spontane wie längerfristige Mobilisierungspotential für solche und ähnliche Aktionen beträgt in Lichtenberg derzeit nicht mehr als ein halbes dutzend Personen. Die auf sechs Neonazis angewachsene Gruppe wurde wieder mutiger und positionierte sich vor dem Café. d, der als Fotograf fungierte, wagte sich noch näher an die Kundgebung heran. Die Quittung dafür bekam er umgehend. Er sowie die umstehenden B & G wurden von einer Gruppe Antifaschist_innen zurückgedrängt, bevor die Polizei dazwischen ging. Sie beließ es dabei, die Neonazis zurück ins Café zu drängen. Die Antifaschist_innen wurden eine zeitlang von den Polizisten drangsaliert.
Die Angestellten des Cafés, die sich nicht genötigt sahen, die Neonazis aus ihrem Café zu entfernen, ließen das Grüppchen letztendlich durch den Hinterausgang verschwinden.


S-Bahnhof Lichtenberg - Da war doch was

Im 10. November 2005 wurde am S.Bhf Lichtenberg ein Antifa-Infostand von 10-15 bewaffneten Neonazis angegriffen. Mit dabei war S (2). Das war jedoch nicht der einzige Übergriff an dem S aktiv teilnahm. Bereits am 23. Juli 2005 griff S am S-Bhf Greifswalder Straße mit mehreren weiteren Neonazis zwei alternativ aussehende Jugendliche an und verletzte sie (3). Am 2. November 2005, acht Tage vor dem Angriff in Lichtenberg, verprügelte S nach einem Spontan-Aufmarsch in Prenzlauer Berg am S-Bhf Greifswalder Straße mit weiteren Neonazis eine Gruppe Antifaschist_innen. Er stahl dabei einer Antifaschistin die Gürteltasche mit Portemonnaie und Handy. Auf dem Weg zu einem Aufmarsch in Westdeutschland raubte S in einem Bahnhofsgeschäft zudem einen Schal, er war dabei mit einem Pfefferspray bewaffnet. Am 16. Februar 2006 griff S mit seiner Freundin P in der S-Bahn zwischen Nöldnerplatz und Ostkreuz eine Antifaschistin an. Sie wurde dabei beleidigt, gefilmt und von P gegen den Kopf geschlagen.
Die Schlägerkarriere von P hatte, genau wie die von S, schon viel früher begonnen. So griff sie am 12. Juni 2005 am Bersarinplatz aus einem Auto heraus einen Schwarzen mit Pfefferspray an (5). Am 20. Juli 2005 versucht P mit etwa 30 vermummten und bewaffneten Neonazis eine Antifa-Demonstration gegen das jährliche öffentliche Gelöbnis in Berlin anzugreifen. P trägt bei ihrer Verhaftung eine Telekopschlagstock bei sich. Etwa ein Jahr später, am 25. Mai 2006, verprügelte sie am Ostkreuz mit anderen Neonazis mit Eisenketten bewaffnet einen Punk (5). Am 25. Juni 2006 griff P in der S-Bahn zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz einen Passanten an, beleidigte ihn rassistisch und schlug auf ihn ein. (6)
Berühmt wurde P allerdings nicht durch ihre Gewalttaten sondern durch ihre Zusammenarbeit mit dem Berliner LKA. Sie legte den Beamten nicht nur eigene Anti-Antifa-Fotos vor, um Antifaschist_innen zu belasten, sie versuchte auch tolldreist im sog. "Piccolo-Verfahren" Antifaschist_innen anzuschwärzen. Es ging um einen Vorfall vor dem Neonazitreff Piccolo, über dem sie ihre Neonazi-WG hatte. Sie erklärte, im Dunkeln trotz über fünfzig Metern Entfernung aus der 4 Etage in wenigen Sekunden gleich sechs Vermummte Angreifer an ihrem Bewegungsablauf erkennen zu können und diese den Staatschutzbeamten namentlich aufzählen zu können. Komischerweise hatten ein Großteil der, bewiesenermaßen zu Unrecht Beschuldigten, juristisch zuvor mit der Neonaziaktivistin zu tun - oft als Zeugen von Neonazistraftaten und Geschädigte von ihr oder ihres Umfeldes.
Die gute Zusammenarbeit mit dem Berliner Staatschutz scheint sich für die beiden gelohnt zu haben. Nicht nur dass durch ihre Aussage der Antifaschist M unschuldig 101 Tage in Untersuchungshaft saß. Die Gerichtsverfahren, die den Übergriffen der beiden folgten, wurden fast restlos eingestellt oder endeten mit lächerlich geringen Geldstrafen. Szenekenner können sich angesichts der ständigen auffällig guten Deals der Beiden bei Gerichtsverfahren und der vertrauten Kontakte zum LKA des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden Neonazis möglicherweise als Zuträger für Sicherheitsdienste tätig sein könnten.
S hatte nun in der vorletzten Woche seinen vorerst letzten Gerichtstermin. Es ging um den Vorwurf der gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung, um Landfriedensbruch und bewaffneten Raub. S trat wie auch in den vorigen Prozessen wieder harmlos und gepflegt auf, verkaufte dem Gericht seine Geschichte vom "ausgestiegenen" und geläuterten Ex-Nazi und schaffte so einen Deal, der ihn auch diesmal straffrei davonkommen ließ. Dass das "Aussteiger-Päarchen" in den letzen Monaten die Füße still hielt, scheint lediglich der Prozesswelle geschuldet gewesen zu sein. Bereits im Herbst letzten Jahres nahm S wieder an kleineren Nazi-Aktionen teil. Im Umfeld von Antifa-Aktionen im Kiez führten er bzw. P auffällig oft ihren Hund spazieren.
Nun, da der letzte Prozess überstanden ist, muss die Aussteiger-Fassade nicht mehr aufrecht erhalten werden. In dem Nazigrüppchen, dass gegen die Antifa-Kundgebung agierte war wieder P dabei. Die beiden scheinen weiterhin gut integriert in die Lichtenberger Neonazi-Szene zu sein.

Fußnoten:
(1) siehe dazu:  http://de.indymedia.org/2008/03/209428.shtml
(2) siehe dazu:  http://de.indymedia.org/2005/11/132118.shtml
(3) siehe dazu:  http://www.jpberlin.de/antifa-pankow/2005.htm
(4) siehe dazu:  http://www.jpberlin.de/antifa-pankow/2005.htm
(5) siehe dazu:  http://freeweb.dnet.it/antifhain/chronik.htm
(6) siehe dazu:  http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/spezial/dossiers/rechte_gewalt/79315/index.php


Weitere Infos zu Nazis in Lichtenberg unter:

Antifa-Gruppen in Lichtenberg
Antifa Hohenschönhausen:  http://www.ah.antifa.de
Autonome Antifa Lichtenberg-Süd:  http://www.lichtenberg.antifa.de.vu
Rechercheinfo:  http://de.indymedia.org/2008/02/206916.shtml
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Ergänzungen