FREE MUMIA Demo in Berlin - ein Bericht

Kurt Sonntag 13.04.2008 19:53 Themen: Antifa Antirassismus Medien Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Gestern, am 12. April 2008, demonstrierten gut 300 Menschen in Berlin für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal und die weltweite Abschaffung der Todesstrafe. Anlass dafür war die Entscheidung eines US-Bundesberufungsgerichts, das dem in einem manipulierten Prozess wegen der Ermordung eines Polizisten zum Tode verurteilten Ex-Black-Panther-Aktivisten einen neuen Prozess verweigerte.
Das 3. Bundesberufungsgericht der USA hatte am 27. März das Todesurteil wegen eines Formfehlers vorläufig suspendiert, gleichzeitig aber mehrheitlich die weiteren Einwände der Verteidigung abgewiesen und der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eröffnet, einen neuen Jury-Prozess in die Wege zu leiten, in dem allein über das Strafmaß – lebenslänglich oder erneut die Todesstrafe – entschieden werden würde. Anders als es in vielen Medienberichten lautete, ist damit das Todesurteil gegen den afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal nicht aus der Welt. Sein eigentliches Interesse, dass in einem neuen, nicht manipulierten Prozess erneut über den Schuldspruch verhandelt wird, ist damit in noch weitere Ferne gerückt, da die juristischen Möglichkeiten dafür immer weniger werden. (Zu den juristischen Hintergründen mehr hier [ http://mumia-hoerbuch.de/mumiadeutsch.htm#gerichtsentscheidungschiffmann])

Um ihre Enttäuschung und Wut über die Entscheidung auszudrücken und dem durch die Medienberichte erweckten Eindruck entgegenzutreten, versammelten sich gut 300 Menschen in der Nähe der Berliner US-Botschaft. Von dort zogen sie durch die Berliner Innenstadt, um die Öffentlichkeit über ihre Forderungen nach Freiheit für den seit 26 Jahren in der Todeszelle isolierten politischen Gefangegen zu informieren. Wie sich herausstellte, ist das ganz gut gelungen. Wegen des sonnigen Wetters waren viele Berlin-Besucher_innen unterwegs und nahmen interessiert die Demo und die um die Demo herum verteilten Flugblätter zur Kenntnis.
Auf der Demo herrschte trotz des ernsten Anlasses eine entspannte Stimmung. Immer wieder riefen die TeilnehmerInnen Parolen für die Freiheit Mumia Abu-Jamals und gegen die Todesstrafe, welche ausführlich im Kontext des neoliberalen Strafdiskurses analysiert wurde. Nach Meinung der Organisator_innen der Demonstration stellt die Todesstrafe nur die Spitze der Bedrohung an das ärmste Drittel der US-Bevölkerung dar.
Mumia Abu-Jamal war also nicht das einzige Thema: Redebeiträge beschäftigten sich nicht nur mit Mumia selbst (siehe dazu PDFs), sondern auch mit der Todesstrafe allgemein, dem Knastsystem in den USA und anderen Ländern sowie mit anderen Formen staatlicher Repression. So wurde über die Situation der in Berlin inhaftierten AntifaschistInnen Christian S. (  http://www.freechristian.gulli.to/ ) und Andrea (  http://www.freeandrea.de.vu/ ) informiert. Letztere äußerte sich auch mit einer eigenen Erklärung und Grüßen an die Demonstration.
Kurz vor Erreichen der Rosa-Luxemburg-Straße im Berliner Stadtteil Mitte gab es Informationen aus dem Lautsprecherwagen über den Bekleidungsladen „Häftling“, der sich an der Ausbeutung Gefangener beteiligt. Zwar sind solche Läden in keiner Weise mit dem Ausmaß an Ausbeutung der Gefangenen in den USA vergleichbar. Jedoch sind solche Profiteure von Zwangsarbeit als Vorreiter_innen anzusehen, um auch hier eine privatisierte Gefängnisindustrie akzeptabel zu machen.
Thematisiert wurde auch der Laden »Tönsberg«, ebenfalls in der Rosa-Luxemburg-Straße. Dabei handelt es sich um ein von Nazis betriebenes Bekleidungsgeschäft, in der Textilien der bei Nazis beliebten Marke »Thor Steinar« verkauft wird.
Im Vorfeld hatte es wegen des Ladens juristische Auseinandersetzungen gegeben. Die Polizei wollte wegen des »Tönsberg« die Demonstration nicht durch die Rosa-Luxemburg-Straße laufen lassen. Die Veranstalter_innen, das Berliner Bündnis »Freiheit für Mumia Abu-Jamal«  http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm , protestierte öffentlich dagegen und setzte sich gegen die Routenverlegung auch juristisch zur Wehr. Kurz vor Beginn der Demonstration lenkte die Einsatzleitung in einem Gespräch mit den Veranstalter_innen und deren Anwalt ein und bestätigte den ursprünglich geplanten Verlauf, nachdem wenige Stunden vorher auch ein Widerspruch richterlich anerkannt worden war.
Damit konnte die Demo am »Tönsberg« entlang gehen und nutzte die Gelegenheit, mit einem von der Antifa Prenzlauer Berg geschriebenen Redebeitrag auf den Laden aufmerksam zu machen. Die TeilnehmerInnen ließen es sich nicht nehmen, mit Parolen wie »Nazis raus!« und ähnlichem den Betreiber_innen unüberhörbar deutlich zu machen, dass sie unerwünscht sind. Die vor dem Laden postierten Polizeibeamten, Angehörige der 23. Einsatzhundertschaft – einer Einheit, der der schlechte Ruf vorauseilt, eine unverbesserliche Prügeltruppe zu sein – wurde an dieser Stelle nervös, als die Demo kurz vor dem Laden aus technischen Gründen stoppte.
Von dort setzte die Demo ihren Weg zurück zur US-Botschaft fort und endete dort mit einer kurzen Abschlusskundgebung, auf der unter anderem ein aktuelles Interview mit Mumia Abu-Jamal zu seiner Einschätzung des Urteils abgespielt wurde. Das vollständige Interview gibt es im Original hier zu hören:  http://www.kpfa.org/archives/index.php?arch=25687 Eine deutsche Übersetzung wurde ebenfalls am Samstag in der Tageszeitung Junge Welt veröffentlicht:  http://www.jungewelt.de/2008/04-12/044.php
Es wurde auch auf die kurze Zeit später am nahe gelegenen Brandenburger Tor stattfindende Kundgebung zum Zug der Erinnerung hingewiesen, wo der 4600 von Nazis unter Mithilfe der Eisenbahn deportierten und ermordeten Berliner Kinder gedacht wurde.
Die Veranstalter_innen zeigten sich angesichts der im Vergleich zu den vorherigen Demonstrationen und Kundgebungen größeren Anzahl von Teilnehmer_innen erfreut. Insbesondere die Tatsache, dass am selben Tag wenige Stunden später die seit Wochen geplante Kundgebung am Brandenburger Tor zum Zug der Erinnerung stattfand und gleichzeitig auch europaweite Squatter-Aktionstage in Berlin ausgiebig durchgeführt wurden, lässt die Veranstalter_innen mit der Teilnahme zufrieden sein.
Sie machten aber zugleich deutlich, dass Mumia Abu-Jamal jetzt erst recht öffentliche Unterstützung und internationale Solidarität benötigt. Es wurde zum Abschluß auf mehrere weitere Veranstaltungen zur Unterstützung von Mumia Abu-Jamal in Berlin innerhalb der nächsten Wochen hingewiesen.
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Ergänzungen

weitere Anti-Repressionsbeiträge auf der Demo

Mumia-Hörbuchgruppe 13.04.2008 - 20:48
Auf der Demo wurde auch ein Beitrag von ABC Berlin  http://www.abc.tommyhaus.org/ über die drei in München inhaftierten Hausbesetzer_innen Steffi, Sven und Lukas gehalten. Sie sitzen wegen Steinwürfen mit Urteilen von über 5 Jahren wegen versuchten Totschlags. Im medialen Nachbeben des G8 und der Demo in Rostock schien das so in München problemlos durchgegangen zu sein. Achtet auf weitere Ankündigungen.

Ausserdem wurde etwas zu dem aktuell laufenden Prozess gegen 4 Berliner Polizisten erzählt. Sie hatten 2006 den damals 16 jährigen Erdal in der Wohnung seiner Eltern überfallen und schwer misshandelt. Nachdem sämtliche Vorwürfe gegen Erdal vor Gericht entkräftet wurden, versucht der junge Migrant seitdem, die Polizisten wegen schwerer körperverletzung zu verklagen. Seit Freitag, dem 11. April läuft das Vefahren in Moabit. Die letzten beiden Prozesstage sind in der kommenden Woche. Am Dienstag, den 15.04. und Freitag, den 18.04., jeweils um 9 Uhr in Moabit. Besucher_innen, die dort zusammen mit der Kampagne Opfer rassistischer Polizeigewalt für Erdal ausdrücken wollen, müssen jedoch bereits um 8.15 dort sein, da die Polizei "erhöhten Sicherheitsbedarf" in diesem Verfahren sieht und daher Vorkontrollen etc. durchführt. Gerechtigkeit kostet!

Klassenkämpferischer Block bei Mumia-Demo

Bernhard T. 13.04.2008 - 21:25
(mit Fotos) siehe

Presse über FREE MUMIA-Demo

Andrea 14.04.2008 - 11:44

englisches Transkript des Mumia Interviews

Mumia-Hörbuchgruppe 14.04.2008 - 12:55
Auf der Webseite der Abu-Jamal-News aus Philadelphia, USA steht das vollständige englische Transkript des auf der Demo erwähnten neuen Mumia-Interviews:  http://www.abu-jamal-news.com/article.php?name=jrmumia

Mumia hatte darin am 7.April zum ersten Mal öffentlich über seine Erwartungen und Einschätzungen zu der Gerichtsentscheidung gegen ihn und die weltweite Solibewegung für seine Freiheit gesprochen.
Wir finden, dass er im Wesentlichen zwei sachen sagt: Seine Unterstützer_innen haben dem politischen Charakter seines Verfahrens zu wenig Beachtung geschenkt. Im Bedarfsfall werden vor Gericht immer neue Regeln gefunden, um ihm ein neues Verfahren oder irgendwelche anderen Zugeständnisse zu verweigern, auch wenn alle Gesetze auf seiner Seite sind.
Mit juristischen Mitteln alleine ist seien Freiheit nicht zu gewinnen.
Gleichzeitg wendet er sich aber auch an jene in der Solibewegung, die meinen, den "einzig" wahren weg zu diesem Ziel zu vertreten. er sagt deutlich, dass er sich nicht einmischen und vor irgend ein politisches Programm spannen lassen wird. Schliesslich wissen alle politisch aktiven Menschen selbt am besten, was sie tun.
Er vertraut darauf, dass die Summe der teilweise sehr unterschiedlichen Ansätze ihn im öffentlichen Bewußtsein halten und schließlich befreien wird.

an Tönsberg vorbei...

wow 15.04.2008 - 15:00
Echt lustig, da geht die Demo nach einer Woche Probleme dann doch am Tönsberg vorbei. Die haben gute Anwälte. (Und die Demonstrant_innen bestimmt ne Menge Selbstbeherrschung.)

Habe übrigens gerade gelesen, das es nächsten Sonntag in Philadelphia auch Nazi-Stress gegen die Mumia-Demo da geben soll. Anti-Rascist Action (ARA) aus Philadelphia hat ein Flugi mit den Nasen von da veröffentlicht:  http://www.oppforum.com/images/mumiarallyflyer.pdf

Die Mumia-Demo findet wie geplant am 19. April in Philadelphia statt.

Andere Proteste

Olli 15.04.2008 - 22:19
Kurzer Bericht und Fotos von internationalen Notfallprotesten unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung gegen Mumia:

 http://partisandefense.org/pubs/deutsch/2008-04-07.html

Surprem Court der USA bestätigt heute

Giftspritze 16.04.2008 - 18:27
Auf der FREE MUMIA Demo wurde ausfühlich über den aktuellen Stand der Todesstrafe in den USA berichtet. Der entsprechende Beitrag ist oben als PDF oder hier über diesen Link zu sehen:  http://media.de.indymedia.org/media/2008/04//213313.pdf

Gerade eben kommt über die Nachrichtenagentur AFP die Meldung, dass heute der Surpreme Court der USA mit 7:2 Stimmen entschieden hat, die Giftspritze mit dem Drei-Gifte_Cocktail füge Gefangenen keine verfasungsmässigen Schmerzen zu. Damit weisen sie die Klage von BAZE und einem anderen Todeszellenhäftling aus kentuckky ab.
Demnächst wird das staatliche Morden in den USA wahrscheinlich wieder losgehen.

Ähnlich wie in der Entscheidung des 3. Bundesberufungsgericht gegen Mumia Abu-Jamal vom 27. März 08 zeigt sich, dass derzeit juristische "Regeln" vor Gerichten der USA so gut wie keine Rolle spielen. Es geht hier ganz offen um Absicherung der bestehenden Macht- und Gewltverhältnisse. Da Politiker_innen aller Coleur im Augenblick in den USA sich nicht so recht taruen, dass offen auszusprechen (die Kriegs-Lüge über Irak wiegt einfach noch zu schwer), wird vor allen Augen die "angebliche Gewaltenteilung" aufgehoben.

Ich bin davon nicht überrascht, finde es aber doch bemerkenswert.

Alle Todeszelleninsass_innen der USA sind mit der heutigen Entscheidung wieder in akuter Lebensgefahr.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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weitere Unterstützung von Mumia in Berlin — Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal