Arbeiter sollen für Finanzkrise bezahlen

Ralf Streck 09.04.2008 09:38 Themen: Weltweit
Erneut predigen die EU-Finanzminister Lohnzurückhaltung, diesmal um gegen die Inflation vorzugehen ( http://de.indymedia.org/2008/01/204214.shtml). Bei dem Treffen in Slowenien forderte der Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin /  http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=250&lang=DE&mode=g) die Arbeitnehmer zur Lohnzurückhaltung auf, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. Damit haben die EU-Finanzminister in Brdo klar gestellt, wer für die Finanzkrise ( http://de.indymedia.org/2008/03/209443.shtml) zahlen soll. Wurde trotz hoher Gewinne von Unternehmen und Banken lange Lohnzurückhaltung gepredigt, um das zarte Pflänzchen Wachstum nicht zu beschädigen, soll nun damit die Inflation gebremst werden. Tausende Gewerkschafter demonstrierten am Samstag in der slowenischen Hauptstadt für höhere Löhne und Globalisierungskritiker bezeichnen die Absichtserklärung zur Bekämpfung von Finanzkrisen, wie die Einrichtung von "Stabilitätsgruppen", als einen schlechten Witz.
Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich in verschiedenen EU-Ländern das gleiche Treffen bewertet wurde. In Deutschland hieß es, die "EU-Finanzminister verhätscheln Gewerkschaften" ( http://www.welt.de/finanzen/article1873443/EU-Finanzminister_verhtscheln_Gewerkschaften.html) und die Europäischen Zentralbank (EZB) habe Verständnis für die relativ hohen Tarifabschlüsse in Deutschland ( http://www.faz.net/d/invest/meldung.aspx?id=73057890). In Spanien legen die Medien durchgängig den Blick darauf, dass in Brdo die klare Forderung nach Lohnzurückhaltung ( http://www.elperiodico.com/default.asp?idpublicacio_PK=46&idioma=CAS&idnoticia_PK=498006&idseccio_PK=1009&h=) aufgestellt wurde. Denn der EZB-Chef Jean-Claude Trichet ließ keinen Zweifel daran, wohin die Reise gehen soll: "Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen ist außerordentlich wichtig, um angesichts der beunruhigend hohen Inflation zur Preisstabilität zurückzukehren."

Und damit stand er nicht allein. Ein Ende des Preisauftriebs sei noch nicht in Sicht, sagte der luxemburgische Vorsitzende der Euro-Gruppe und Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Damit die Inflation nicht weiter beschleunigt werde, müssten die Gewerkschaften Augenmaß beweisen. Deshalb müssten die Lohnabschlüsse im Rahmen der Produktivitätsentwicklung stehen, war er sich mit seinem spanischen Kollegen Pedro Solbes einig ( http://www.publico.es/dinero/066935/solbes/une/apelacion/moderacion/salarial/valora/evolucion/espana). Der EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquim Almunia räumte auf dem Treffen ein, dass die EU ihre bisherige Prognose für 2008 von 2,6% wohl erhöhen müsse. Der stets angekündigte Inflationsrückgang im Frühjahr ist nicht in Sicht, stattdessen hatte die Jahresinflation in der Eurozone im März mit 3,5 % das höchste Niveau seit Einführung des Euro erreicht ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27628/1.html).

Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sang in dem Chor mit, nur versüßte er seine Worte mit möglichen Lohnsteigerungen in der Zukunft. Arbeitnehmer hätten natürlich dann einen Anspruch auf Teilhabe, "wo wir es mit einem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun haben". Doch den gab es bisher, doch ist der nicht in allen Schichten der Gesellschaft angekommen. Und es ist erneut die gleiche Botschaft, wie in der Zeit geringer Wachstumsraten, während Banken und Firmen Rekordgewinne schrieben. So werden die Arbeitnehmer entweder über die Inflation oder durch Lohnzurückhaltung zur Kasse gebeten und zudem dürfen über Steuergelder für Verluste von Banken wie der IKB gerade stehen, bisher in einer Höhe von etwa 17 Milliarden Euro ( http://www.welt.de/wams_print/article1874398/Bankenkrise_kostet_Milliarden_an_Steuergeldern.html).

Jetzt geht es den EU-Finanzministern vor allem darum, die so genannten "Zweitrundeneffekte" zu vermeiden, um den Anstieg der Inflation zu begrenzen. Denn an einer Eindämmung hat man offenbar kein Interesse. Anders ist es nicht zu erklären, dass die EZB sich derart weit von ihrer Zielvorgabe von unter 2 % entfernt. Schließlich sei angeblich das Wachstum in der Eurozone nicht in Gefahr, wird doch seit Ausbruch der Finanzkrise in den USA gepredigt ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27176/1.html). Erneut erklärte Junker, der Konjunkturtrend in der Eurozone sei befriedigend, doch warum erhöht dann die EZB die Leitzinsen nicht, um für Preisstabilität zu sorgen? Schließlich leiden viele Arbeitnehmer in Europa wegen der hohen Inflation längst unter realen Einkommensverlusten.

Oder wird nur weiter versucht die aufkommende Krise wegzureden ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27255/1.html). Lange wurde das in den USA versucht. Doch angesichts der schlechten Daten, zuletzt die stark steigende Arbeitslosigkeit, negiert kaum noch jemand die Tatsache, dass die USA längst in einer Rezession stecken. Nun ist auch bei den "Profis" angekommen, dass der Domino-Effekt ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27076/1.html) zum Beispiel längst wirkt, und "Spaniens Wirtschaft zu Boden geht" ( http://www.boerse-online.de/tools/ftd/339556.html). Richtigerweise wird befürchtet, dass "die abkühlende Wirtschaft in großen Teilen der Euro-Zone demnächst auch Deutschland mit nach unten zieht". Wirtschaftsminister Solbes stimmt schon jetzt die Spanier auf Leistungskürzungen für 2009 ein ( http://www.elmundo.es/mundodinero/2008/04/05/economia/1207399785.html).

Dabei kann am spanischen Beispiel vorhergesagt werden, dass mit der Politik die Immobilienkrise nur verschärft wird, weil immer mehr Familien ihre Hypothekenkredite nicht mehr bedienen können. Hier zeichnet sich ein Szenario wie in den USA ab, meint auch der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan ( http://www.elpais.com/articulo/economia/burbuja/inmobiliaria/hace/Espana/sea/vulnerable/crisis/elpepueco/20080406elpepieco_1/Tes). Der Internationale Währungsfond (IWF) sagt voraus, dass die Immobilienpreise bis zu 20 % fallen werden. Die Banken wollen nun von den Schuldnern neue Sicherheiten fordern, weil ihre Wohnungen die oft zu 100 % geliehene Summe nicht mehr decken können. Das ist möglich, weil die Sozialisten (PSOE) keine Hand an das absurde Kreditsystem gelegt haben, dass es den Banken erlaubt, alle Risiken auf die Verbraucher abzuwälzen. So nutzt es denen auch nichts, dass die EZB die Leitzinsen stabil hält, denn ihre Kredite sind an den Euribor gebunden, der einen neuen Jahresrekord erreicht hat. So ist es möglich, dass spanische Banken und Sparkassen trotz der Finanzkrise im vergangenen Jahr neue Rekordgewinne schrieben. Mit fast 20 % Zuwachs gegenüber dem Vorjahr haben sie mehr als 30 Milliarden Euro Nettogewinn eingefahren ( http://actualidad.terra.es/nacional/articulo/bancos_cajas_ganaron_pese_crisis_2373220.htm). Doch auch hier steht eine Bankenkrise an, wenn die Saumseligkeit mit den derzeitigen Wachstumsraten anhält. Und das ist vorhersehbar, wenn die Löhne der Arbeitnehmer nicht endlich real ansteigen.

Und das haben die spanischen Gewerkschaften mit Kollegen aus ganz Europa gefordert. 35 Kilometer entfernt vom Tagungsort der Finanzminister demonstrierten am Samstag in Ljubljana mehr als 10.000 Menschen (35.000 nach Angaben der Veranstalter) für höhere Löhne. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB/  http://www.dgb.de) kritisierte die Einmischung der Finanzminister und der EZB in die Tarifautonomie. "Wir haben in Deutschland einen sehr hohen Nachholbedarf bei den Löhnen." Arbeiter und Angestellten müssten fair an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt werden, forderte er. Sommer wies auch darauf hin, dass mit höheren Löhnen die Konjunktur stimuliert würde, was positiv auf die Konjunktur wirken würde ( http://www.dgb.de/dgb/gbv/reden_sommer/2008/egb_demo_ljubljana_050408.pdf).

Die Proteste hatte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB/  http://www.etuc.org) organisiert und aus 30 Ländern hätten sich 50 Gewerkschaften beteiligt. Auf der Kundgebung erteilte auch der EGB-Generalsekretär John Monks den Vorgaben der Finanzminister eine Absage. Statt Predigten über bescheidene Arbeitnehmer sollten die für Stabilität auf den krisengeschüttelten Finanzmärkten sorgen. "Wir wollen ein Ende der Spekulationen und der leichtsinnigen Gier auf den Finanzmärkten". Gefordert wurde ein Frühwarnsystem vor Finanzkrisen und einheitliche internationale Standards statt Selbstverpflichtungen gefordert.

Verabschiedet hatten die Finanzminister eine Absichtserklärung für eine Kooperation der Finanz-Aufsichtsbehörden, nach der künftig in der EU zur Vorbeugung und Bewältigung von Finanz- und Bankenkrisen enger grenzüberschreitend zusammen gearbeitet werden soll. Dazu sollen "grenzüberschreitende Stabilitätsgruppen" für alle Finanzinstitute geschaffen werden, die eine signifikante grenzüberschreitende Tätigkeit aufweisen, weil eine Schieflage einer dieser Finanzinstitute das ganze Finanzsystem in Bedrängnis bringen könne. Es handelt sich aber nur um eine "freiwillige" Einrichtung für Vertreter der Notenbanken, der Finanzaufsicht und der Finanzministerien.

Mit scharfer Kritik hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac ( http://www.attac.de) auf die Beschlüsse reagiert. Die Beschlüsse gingen in unglaublicher Weise an den Erfordernissen vorbei. "Wir erleben gerade die wahrscheinlich größte Finanzmarktkrise seit den 1920er Jahren und damit das offensichtliche Scheitern der neoliberalen Finanzmarktliberalisierung. Gebraucht werde eine komplett neue Finanzordnung", sagte Stephan Schilling vom bundesweiten Koordinierungskreis ( http://www.attac.de/aktuell/presse/presse_ausgabe.php?id=872). Auf dem alternativen Ecofin-Treffen wurde gefordert, die Dominanz der Finanzmärkte über die Realwirtschaft zu brechen und sie wieder unter demokratische Kontrolle zu bringen. Nötig sei dazu der Abbau der massiven globalen Ungleichverteilung von Vermögen, die Einführung einer Steuer auf alle Kapital- und Devisentransaktionen und ein entschiedenes Vorgehen gegen hochspekulative Finanzmarktakteure wie Hedgfonds. Gefordert wird in auch eine Sonderabgabe auf Kapitaleinkommen und Unternehmensgewinnen, mit der die Kosten der Finanzmarktkrise bezahlt werden sollen ( http://www.attac.de/aktuell/presse/presse_ausgabe.php?id=871).

© Ralf Streck, den 08.04.2008

Dazu gibts noch:
Dürre soll Spaniens CO2-Ausstoß erhöht haben

Wegen fehlender Wasserenergie seien die Emissionen des Klimagases um 3 % gestiegen
Die spanische Regierung behauptet, die Dürre sei für den Anstieg des CO2-Emissionen 2007 verantwortlich. Wegen der geringeren Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft sei der Ausstoß um 5 % gegenüber dem Vorjahr 2006 gestiegen. Doch das klingt spanisch, schließlich wurden Wind- und Solarenergie deutlich ausgebaut und schon 2006 herrschte Dürre im Land.
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27679/1.html und da findet sich auch noch ein interessanter Text zur Frage von Klimaflüchtlingen  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27664/1.html
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