Ins Netz gegangen

Susi Sorglos 19.03.2008 17:33 Themen: Netactivism
Linke Internet-Provider geraten zunehmend unter Druck.

Wirklich neu und einzigartig ist die Geschichte leider nicht. Internet-Projekte wie z.B. Nadir.org, S036.net oder PUK.de werden immer wieder von Anwälten belästigt, vor Gericht gezerrt oder von Repressionsorganen genervt. Im letzten Jahr hat es dann wieder mal FREE! erwischt. Seit 1994 ist FREE im Internet. Nur ein Jahr später gab es die erste Zensurdrohung. 2008 ist die Lage nicht besser geworden, ganz im Gegenteil. Auch ohne Vorratsdatenspeicherung und den ganzen Überwachungsterror reichen auch schon lange vorhandene Rechtsmittel aus, um Leuten das Leben schwer zu machen und sie von sinnvollen Dingen abzuhalten.
Gesinnungsjustiz

Die kostenpflichtige Abmahnug ist so ein Rechtsmittel. Im Mai 2007 erhielt FREE! eine solche von einem einschlägig bekannten Anwalt aus Uslar (bei Göttingen). Umgehend müsse von einer bei FREE! gehosteten Antifa-Seite ein Name entfernt werden, hieß es. Auf dieser wurde über einen Prozess gegen einen Nazi-Versand berichtet. Mit den Inhalten der Websites hat FREE! jedoch nichts zu tun. FREE! stellt nur den Webspace zur Verfügung. Die Gruppen betreiben ihre Seiten eigenverantwortlich. Das Problem: die Antifa-Seite hatte kein einwandfreies Impressum. Deshalb konnte dieser Anwalt die Betreiberlnnen der Seite nicht erreichen und hat sich an FREE! gewandt, damit der Name von der Seite entfernt wird. Die betroffene Seite wurde von FREEI auch gesperrt, um nicht als "Mitstörer" haftbar zu werden.
Wer solch eine Abmahnung und die darauf folgende einstweilige Verfügung erhält, darf dann auch noch den Verfasser dafür bezahlen. Da sind dann plötzlich ein paar hundert Euro futsch. FREE! hat dagegen Widerspruch eingelegt; und das bedeutet: Schreibkram, Recherchen, Fahrt nach Göttingen, Verhandlung, Gerichtskosten usw. Nicht unbedingt die Sachen, mit denen die FREE!-Leute ihre Zeit verbringen möchten. Die ist dank des Internet-Betriebs sowie schon viel zu knapp. Dem Widerspruch hat das Gericht nicht stattgegeben. Jetzt war die Frage: Widerspruch? Hauptverhandlung? Oder doch lieber nicht?. Zeitmangel, ein äußerst ungewisser Ausgang und das finanzielle Risiko (nochmal ca. 2.500 Euro) führten zu der Entscheidung, „kein weiteres Verfahren“ anzustrengen. Auch wenn es bitter ist, klein beizugeben und Kohle an diesen Anwalt zu zahlen, können die wenigen Kräfte sicher besser eingesetzt werden, als Zeit und Geld in Rechtsstreitigkeiten mit Faschisten zu versenken.


Erhöhter Druck

Das Problem bleibt also weiter ungelöst. Wer in diesem Land eine Website betreibt, sollte tunlichst darauf achten, einige rechtliche Anforderunqen irgendwie formal einzuhalten. Zum Beispiel beim Impressum, dem Disclaimer oder dem Copyright, zum Beispiel bei Stadtplänen. Wer sich da nicht dran hält, muss früher oder später mit einer Abmahnung oder ähnlichem rechnen. Die kann von einem politischen Gegner kommen, der einen behindern möchte, oder auch von jemandem, der einfach nur abkassiert. Ein Ausweg sind Server in Ländern außerhalb der EU. Gegen Seiten, die dort gehostet werden, ist das deutsche Rechtssystem relativ machtlos. Das mag für Einige eine gangbare Lösung sein. Dem Ansatz des FREE!-Projekts — selbstverwaltet selbermachen — widerspricht das gründlich. Wie lange das aber überhaupt noch geht ist fraglich. Wie umgehen mit der Vorratsdatenspeicherung? FREE! und die anderen Vernetzungsprojekte müssen diese Frage bald beantworten. Ab Januar 2009 sind alle deutschen Provider unter Strafe dazu verpflichtet, die Verbindungsdaten der Userlnnen zu speichern und auf Zuruf an die interessierten staatlichen Stellen weiterzugeben.
Aber vielleicht machen sich die NetzAktivistlnnen in Sachen Datenschutz zu viele Gedanken. Den meisten InternetUserlnnen scheint es egal zu sein, was z.B. mit ihren Mails passiert. Mails verschlüsseln? Anonym surfen? Wer hat schon Bock, sich um so was zu kümmern? Ihr Internet benutzenden, mal ehrlich: Wer hat keine Kostnix-Mailadresse a la gmx oder web.de? Und dort werden eure kompletten Mails, nicht nur die Verbindungsdaten, schon mindestens seit 2005 auf Zuruf der „berechtigten Stellen“ an diese weitergegeben (TKÜV). Solche Abfragen staatlicher Stellen sind real. Jeden Tag.
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Ergänzungen

Problematisch

ron 19.03.2008 - 19:23
Problematisch finde ich euren Hinweis auf das Impressum! Für eine nicht gewerbliche Seite wird kein Impressum benötigt! Das heißt für alle Polit-Seiten muss natürlich keins gemacht werden. Zwar müßt ihr, als Betreiber, wenn ihr davon erfahrt die Seite umgehend sperren(aber auch nur die html-seite, die angemahnt wird und nicht die komplette Seite), aber nach gängiger Rechtssprechung(sieht man mal von der des LG Hamburg ab) dafür kein Geld bezahlen, also keine Abmahngebühr, da ihr sie ja nicht verantwortet.

ps. einen disclaimer z.B. für links einzufordern ist Blödsinn, er bringt vor Gericht nichts, sondern im Gegenteil, wird eher als ein Zeichen gewertet, dass der link-setzer beabsichtigte auf bestimmte Inhalte zu verlinken. Ein link ist erst dann problematisch, wenn es sich um offensichtlich illegale Inhalte handelt und selbst dann unklar, sofern man sich die Inahlte nicht zu eigen macht. Ein link auf eine Antifa-Seite ist erst Mal unproblematisch. Ein link auf eine Antifa-Unterseite, wo etwas strafbares steht und genau deshalb dorthin verlinkt wird, kann da schon mehr Probleme bringen, aber da es kein Impressum gibt s.o. auch nur in Ausnahmefällen.

Tellerrand

gmpfl 20.03.2008 - 00:02
Warum muss es denn eine in Deutschland gehostete .de-Domain sein? Dieses "selbstverwaltet selbermachen" kommt mir ein bisschen vor wie die linke Variante von "Standort Deutschland". Die Leitungen habt ihr doch auch nicht selber gelegt. Ich kann Projekten nur raten, sich einen zuverlässigen Host z.B. in USA zu suchen (dort ist der Webspace auch viel billiger) und die Domain mit anonymisiertem Whois-Eintrag zu registrieren. Dann brauchen die Abzocker erstmal ein Urteil eines US-Gerichts, um überhaupt an eine abmahnbare Adresse zu kommen. Oder man entscheidet sich für anonymes Gratishosting - leider meist mit Werbung verbunden, aber es haben doch eh alle Adblock.

Impressum doch nötig

Leser 21.03.2008 - 01:51
@ Ron und alle anderen:

Ein Impressum hat in Deutschland nicht unbedingt etwas mit "gewerblichen" Seiten zu tun.

Ich zitiere der einfach halt halber aus einem Text des Rechtsanwaltes Willi Marnet:
"Die Pflichtangaben nach § 6 Teledienstegesetz gelten nur für geschäftsmäßig betriebene Teledienste. Der Begriff der „geschäftsmäßigen“ Teledienste wird aber weit ausgelegt und erfasst jedes nachhaltige und nicht nur gelegentliche Angebot im Internet. Deshalb können auch private Homepages von der Impressumspflicht betroffen sein, da es nicht darauf ankommt, ob der private Internetznutzer mit seiner Website einen Gewinn erzielen will. Für redaktionell gestaltete Beiträge, die sich an die Allgemeinheit richten und zur Meinungsbildung beitragen (Mediendienste), ergeben sich identische Informationspflichten aus § 10 Mediendienstestaatsvertrag, wobei für periodisch erscheinende Texte zusätzlich ein für den Inhalt Verantwortlicher mit Namen und Anschrift genannt werden muss."

Also 2 Gründe, warum Seiten der angesprochenen Art in Deutschland ein Impressum haben müssen. Das ist in den meisten Fällen auch ganz gut so.

Aber es ist ebenso gut, dass das Internet nicht an den deutschen Staatsgrenzen endet und sich einen gewissen anarchischen Charakter bewahrt hat... ;-)

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