Ungarn: Ausschreitungen am Nationalfeiertag

Nema ! 18.03.2008 20:05 Themen: Antifa Antirassismus
Mit Essensresten und Wassergüssen wurde ein Demonstrationszug der ungarischen rechtsextremen Szene bedacht, der am Samstagvormittag durch die Budapester Innenstadt zog. Mit diesen Aktionen wollten die Anwohner ihren Protest gegen den rechtsextremistischen Aufzug demonstrieren...
Nationalfeiertag von Rechtsradikalen missbraucht

Eine Staatsfeier fand anlässlich des 15. März, des Nationalfeiertages des Gedenkens an die Revolution von 1848/49, statt. Die Nachricht von der Revolution in Paris und Wien führte damals am 15. März dazu, dass die Revolution - ausgehend von Pest (neben Buda und Óbuda eine der drei Städte, aus denen 1873 Ungarns Hauptstadt Budapest entstand) - auch auf Ungarn übergriff. Der Tag wurde unter anderem mit einer Großkundgebung der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz gefeiert. Vor Zehntausenden Anhängern verglich Fidesz-Vorsitzender Viktor Orbán die linksliberale Regierung von Ministerpräsident Gyurcsány mit den Statthaltern des Habsburger Kaiserhauses: ,,Ähnlich wie 1848 haben wir auch heute blasse, furchteinflößende Statthalter, die nicht müde werden, das Volk, das Verfassungsgericht, die Medien und die Opposition zu belehren.“ Weitere prominente Redner der Fidesz-Kundgebung waren der Bürgermeister von Debrecen und Fidesz-Spitzenpolitiker Lajos Kósa sowie der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok.


Straßenschlachten mit der Polizei

Begonnen hatte der Feiertag mit dem üblichen Staatsakt auf dem Kossuth tér vor dem Parlament. Obwohl der Platz weiträumig abgesperrt war, konnte die Gedenkveranstaltung aber nur begleitet von einer permanent hörbaren Geräuschkulisse von Regierungsgegnern über die Bühne gehen. Am Petőfi-Denkmal gab es großräumig Absperrungen. Trotz regenschirmbewehrter Leibgarde musste der liberale Budapester Oberbürgermeister Gábor Demszky während seiner Rede einen Treffer kassieren. Die rechten Demonstranten skandierten Anti-Regierungs-Parolen und schwangen Arpad-Fahnen, einst das Symbol der ungarischen nationalsozialistischen Pfeilkreuzler. Die Polizei begleitete den Aufmarsch. Im Vorjahr hatten Anti-Regierungs-Demonstranten für blutige Ausschreitungen in der Budapester Innenstadt gesorgt. Ein hohes Polizeiaufgebot sicherte weiter eine Veranstaltung des Landesverbandes des „Ungarischen Systemwandels“ am Budapester Fövam-Platz, wo sich rund 500 Demonstranten versammelten. Rufe wie "Zu den Waffen!" und Drohungen gegen Premier Ferenc Gyurcsany, auf den "der Galgen wartet", erklingen. Unter anderem mit Molotow-Cocktails bewaffnet marschierten in den Abendstunden einige hundert Radikale in Richtung Palast der Künste, wo zur gleichen Zeit Premier Ferenc Gyurcsány an einer Festveranstaltung zum Feiertag teilnahm. Die Demonstranten, die Rufe wie ,,Gyurcsány in die Donau!“ skandierten, waren dem Aufruf von György Budaházy gefolgt, einem der Anführer der rechtsradikalen Szene in Ungarn. Im Anschluss an eine Kundgebung der rechtsradikalen "Jobbik-Partei" kam es auf der Ringstraße zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen randalierenden Jugendlichen und der Polizei. Das massive Polizeiaufgebot konnte verhindern, dass die Rowdys den Palast der Künste erreichten. Bei den bis in den späten Abend anhaltenden Unruhen, bei denen die Hooligans Molotowcoctails warfen und die Polizei Tränengas einsetzte, wurden mehrere Polizisten verletzt sowie Fahrzeuge beschädigt. Die Randalierer misshandelten auch Journalisten. Vierundzwanzig Gewalttäter wurden festgenommen. Mehrere Müllcontainer wurden in Brand gesetzt und geparkte Autos beschädigt. Nach einer knappen Stunde gelang es der Staatsmacht, die Demonstranten auseinander zu treiben.


Ärger mit der Ungarischen Garde

In Ungarn gibt es heute zahlreiche rechtsextreme Parteien und Neo-Nazi-Organisationen. Dazu gehören nicht nur die alte MIEP-Partei (Wahrheits- und Lebenspartei Ungarns) des Alt-Kommunisten und Neofaschisten Istvan Csurka, sondern auch die radikale "Jobbik" ("Bewegung für ein rechteres Ungarn") und vor allem die paramilitärische Ungarische Garde, die sich seit August 2007 an allen rechtsextremen Kundgebungen beteiligt. Rechte marschierten innerhalb eines Kordons auf und stellten am Grab des Unbekannten Soldaten ein Holzkreuz mit der Inschrift "Blut und Ehre" auf. Unter den Sympathisanten waren laut der Nachrichtenagentur MTI auch Vertreter der rechtsextremistischen "Ungarischen Garde" (Magyar Gárda). Sie sorgte vergangene Woche wieder einmal für Aufsehen. Im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens, in dem über das weitere Schicksal des uniformierten Arms der Partei "Jobbik" entschieden wird, gerieten Mitglieder der Garde und Vertreter der Roma-Minderheit beinahe aneinander. Vor Beginn des Verfahrens am Mittwoch vergangener Woche hatten sich rund 100 Gardisten vor dem Gerichtssaal versammelt. Als der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Roma (OCÖ), Orbán Kolompár, zum Gerichtstermin erschien, wurde er mit rüden Beschimpfungen empfangen. Nachdem es zu Rempeleien gekommen und Kolompár zudem der Weg verstellt worden war, musste die Polizei einschreiten und dem hochrangigen Roma-Vertreter und seinen Begleitern eine Schneise zum Gerichtssaal bahnen. Kolompár hatte in der Woche zuvor dem Parlament eine Petition mit knapp 70.000 Unterschriften überreicht, in der das Verbot der Garde gefordert wird. Das Gerichtsverfahren, das auf Drängen des Justizministers von der Staatsanwaltschaft einberufen worden war, soll klären, ob die Garde gegen das Gesetz verstoße. Laut Anklage hat die rechtsextreme Organisation die ,,Rechte und Freiheiten“ der ungarischen Minderheit der Roma verletzt. Sollte das Gericht die Ungarische Garde für schuldig befinden, droht der Vereinigung das Verbot. Nach den einleitenden Plädoyers von Anklage und Verteidigung wurde das Verfahren am Mittwoch allerdings auf den 19. Mai vertagt. Die rechtsradikale ungarische Partei "Jobbik" hat Ende August 2007 vor dem Amtssitz des Staatspräsidenten auf der Burg in Budapest eine paramilitärische "Ungarische Garde" formiert. Es hagelte nationale wie internationale Proteste.


Lichterketten gegen „Zigeunerkriminalität“

Stein des Anstoßes ist die Kampagne der Ungarischen Garde gegen die ,,Zigeunerkriminalität“. Im Dezember des Vorjahres marschierten rund 260 uniformierte Mitglieder der Garde durch die Gemeinde Tatárszentgyörgy (südöstlich von Budapest), die zum Großteil von Roma bewohnt wird. Zudem organisierte die rechtsradikale Vereinigung Lichterketten zum Gedenken an die ,,Opfer von Zigeunerkriminalität“. Staatsanwalt Tamás Kovács sagte noch im Dezember 2007, dass die Ungarische Garde mit ihrem Marsch durch Tatárszentgyörgy einen Punkt erreicht habe, der mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates nicht mehr zu vereinbaren sei. Aus der Staatsanwaltschaft hieß es außerdem, dass sich die Garde nicht nur rassistischer Diskriminierung schuldig gemacht, sondern unter den ungarischen Roma auch ein Klima der Angst geschaffen habe. Tamás Gaudi-Nagy, der rechtliche Vertreter der Garde, hielt dem entgegen, dass der Marsch in Tatárszentgyörgy keine offizielle Veranstaltung der Ungarischen Garde gewesen sei. Der Marsch sei von einer Privatperson organisiert worden, die Garde habe sich diesem nur angeschlossen. Die Gründung der Ungarischen Garde im Sommer vergangenen Jahres wurde von einem Protesten zahlreicher ziviler Organisationen begleitet. Die Ungarische Garde, die inzwischen rund 600 Mitglieder zählt, versteht sich als „kulturelle Organisation, die sich der Pflege der ungarischen Traditionen und dem Schutz Ungarns“ verschrieben hat. Unterdessen traten drei Gründungsmitglieder der Partei "Jobbik" zurück.


Gedenken des >>heldenhaften Kampfes<<

Immer frecher und immer offener treten die ungarischen Neo-Nazi-Gruppen auf und machen uns erneut für alle Schwierigkeiten Ungarns verantwortlich. Der 13. Februar ist für alle Ungarn ein äußerst symbolträchtiges Datum. An diesem Tag des Jahres 1945 befreite die Rote Armee in schweren Kämpfen Budapest. Die Neo-Nazis wollen sich darüber aber nicht freuen: "Wir gedenken des heldenhaften und aufopfernden Kampfes der deutschen und ungarischen Truppen gegen die russischen Barbaren", erklärt ein Sprecher der mehrmals verbotenen Neo-Nazi-Organisation "Ver es becsület" (Blut und Ehre) in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Diese Skinhead-Organisation wurde bereits 2004 vom zuständigen Budapester Gericht verboten. Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer Anklageschrift an, dass die "Blut-und-Ehre"-Mitglieder sich selbst als "Nationalsozialisten" ("nemzeti szocialistak") bezeichnen und in ihren Klubräumen überall SS- und NSDAP-Fahnen aufgehängt haben. Janos Endre Domokos, der Anführer der Vereinigung, kündigte schon damals Berufung an. Die endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtes in Budapest ist immer noch ausständig.


Auch deutsche Neonazis erneut in Ungarn

"Tag der Ehre" nennen die ungarischen Neo-Nazis ihre alljährlichen Februar-Kundgebungen, wo sie sich – meist auf dem Budapester Heldenplatz – offen zu dem Führer der ungarischen Pfeilkreuzler, Ferenc Szalasi, der nach dem Krieg hingerichtet wurde, bekennen. Jedes Jahr ertönen am Heldenplatz die bekannten NS-Slogans wie "Lebensraum", "Fremdbestimmung" und "jüdische Weltverschwörung". Auch Abordnungen deutscher Neo-Nazis nehmen an diesem Budapester Treffen teil. Bis zu 2000, meist schwarz gekleidete Neo-Nazis sieht man an diesen Tagen in der ungarischen Hauptstadt. Denn hier ist die Leugnung des Holocaust straffrei. So bezeichnet Neo-Nazi-Führer Domokos die Ermordung von 600.000 ungarischen Juden als "Ausschreitungen durch Straßenpassanten, die irgendwo einen Juden gesehen und diesen angegriffen haben". Bei der heurigen Kundgebung, die am Sonntag stattfand, sprachen neben Domokos der Nazi-Dichter Janos Takacs und die deutschen NPD-Funktionäre Matthias Fischer und Robin Liebers über die "großen Heldentaten der Waffen-SS- und der ungarischen Pfeilkreuzler-Einheiten". Am Ende der Kundgebung erklang das Lied "Deutschland, Deutschland über alles."
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Ergänzungen

Weitere Fotos

Nema ! 18.03.2008 - 20:21
Siehe Bilder

Sorry !

Nema ! 18.03.2008 - 20:24
Natürlich wurde die NEONAZI Skinhead-Organisation bereits 2004 vom zuständigen Budapester Gericht verboten.

Bericht von letztem Jahr im Oktober

Beobachter 18.03.2008 - 22:19
Bericht vom zentralen nationalen Feiertag
 http://de.indymedia.org/2007/10/197672.shtml

zu

hj 19.03.2008 - 00:25
typisch faschos. der aufstand war teils sogar echt emanzipatorisch. mit faschos hatte das
damals auf jeden fall nix zu tun.

"Die von den Studenten formulierten Forderungen wurden schnell Allgemeingut unter den Aufständischen. Die Arbeiterräte forderten ausnahmslos das Streikrecht. Der Arbeiterrat im Industrierevier Csepel forderte bereits am 24. Oktober ausdrücklich die Religionsfreiheit.

Nachdem am 25. Oktober Einheiten des Staatssicherheitsdienstes bei einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude durch Schüsse in die Menge mehr als 100 Menschen töteten, wurde überall die sofortige Auflösung des Sicherheitsdienstes gefordert.

Ferner erhoben die Arbeiterräte, die etwa anderthalb Millionen Menschen vertraten, Anspruch auf Beteiligung an der Macht."
 http://de.wikipedia.org/wiki/Ungarischer_Volksaufstand

Bericht im Focus

Ich 19.03.2008 - 10:44

Kurzer Auszug aus der rp-online

Info 19.03.2008 - 10:46
>>Rechtsgerichtete Demonstranten versuchten am Samstag, mehrere Feiern zur Erinnerung an die gescheiterte Revolution von 1948 zu stören. Sie bewarfen die Polizei und Vertreter der Behörden mit Steinen, Eiern und Gemüse. Ein Polizist wurde leicht verletzt, mehrere Personen wurden festgenommen.

Die Sicherheitskräfte hatten Absperrungen um das Parlament in Budapest errichtet, Personen wurden nur nach eingehenden Kontrollen durchgelassen. Mehrere Donaubrücken, die die Stadtteile Buda und Pest verbinden, wurden geschlossen, der Verkehr wurde umgeleitet.<<

 http://www.rp-online.de/public/article/aktuelles/panorama/ausland/544942?et_cid=10&et_lid=410938&et_sub=panorama

166 Kundgebungen in Budapest !

Ergänzung 19.03.2008 - 10:54
Die Demonstration der äußersten Rechten war nur eine von 166 allein in Budapest angemeldeten Kundgebungen. Landesweit waren über 550 Märsche, Gedenkfeiern und Manifestationen bewilligt worden. Einige hundert Demonstranten mit Kapuzen und schwarzer Kleidung scherten am Abend aus einer Demonstration von etwa 2000 Rechtsextremen aus, die gegen Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany protestierten. Die Gewalttäter schlugen einen Fotografen, bedrohten Journalisten und warfen Knallkörper auf Polizisten. Einige trugen Molotow-Cocktails bei sich. Die Polizei hatte den Anwohnern der Demonstrationsstrecke der Extremisten empfohlen, nicht vor die Tür zu gehen.