Todesstrafe und Strafentwicklung in den USA

Anton Mestin 12.03.2008 22:29 Themen: Indymedia Repression Weltweit
Im Herbst letzten Jahres stoppte der US-Surpreme Court sämtliche Hinrichtungen mit der Giftspritze, was dazu führte, das erstmals seit 1976 seit sechs Monaten in den USA niemand staatlich ermordet wurde. Wurde dies zunächst als großer Erfolg der Anti-Todesstrafenbewegung begrüßt, deutet sich jetzt an, dass die offenen Fragen viel größer sind.
Das Ganze wurde durch die Zulassung der Klage Baze and Bowling v. Rees erreicht. Die beiden Todestraktinsassen Baze und Bowling hatten 2007 erfolgreich gefordert, dass sich der Surpreme Court mit der Verfassungsmässigkeit des 3-Gifte-Cocktails befassen möge.
In Frage steht hier, ob die unkalkulierbaren Schmerzen für die Gefangenen einen Verstoß gegen den 8.Verfassungsanhang der USA bedeutet. In diesem Verfassungsanhang wird verboten, US-Staatsbürger_innen "unnötige" Schmerzen zuzufügen.

Der seit Jahren in fast allen hinrichtenden US-Bundesstaaten angewendete Giftcocktail beinhaltet 3 Chemikalien: Sodium Pentothal, Pancuronium Bromid und Potassium Chloride.
Sinn dieses Cocktails aus Sicht der Henker ist es, eine Betäubung mit anschließender Tötung herbeizuführen. Die niemals wissentschaftlich untersuchte Annahme ist, dass die Ermordeten hier keine Schmerzen erleiden würden.
Wie die Realität seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 und der ersten Anwendung des Giftspritzencocktails aber gezeigt hat, scheint das oft nicht zu funktionieren. Todeskämpfe von bis zu 80 Minuten sind vorgekommen ( Christopher Emmett  http://de.indymedia.org/2007/10/197327.shtml ).

Todesstrafengegner_innen erwarteten die Verhandlung vor dem Surpreme Court mit Spannung. Zwar war allen klar, dass es hier nicht grundsätzlich um die Todesstrafe an sich geht, sondern lediglich um die Frage, wie der Staat Gefangene umbringen darf. Aber zumindest waren die meisten schlicht und ergreifend euphorisch, weil der U.S. Supreme Court nach über 100 Jahren endlich einmal wieder verfassungstechnisch eine Hinrichtungsmethode in den Blickpunkt rückte - und solange das Hinrichten in den Bundesstaaten aussetzte.

Die Anhörung vor dem Surpreme Court fand dann Anfang Januar diesen Jahres statt. Es zeigte sich schnell, dass der Surpreme Court die Taktik der Kläger_innen, Verfassungsstreits über Methoden zu führen, nicht mit tragen will. Das Gericht vermutete, dass weitere Verfassungsklagen gegen andere Methoden folgen würden, gäben sie hier nach.
Also griffen sie den Anwalt von BAZE und Bowling scharf an und gaben ihm kaum Gelegenheit, seinen sicherlich gut vorbereiteten Fall zu entwickeln. Sehr anschaulich wird das in dem Mitschnitt der langen Verhandlung, der hier als mp3 heruntergeladen werden kann:  http://www.oyez.org/cases/2000-2009/2007/2007_07_5439/argument/

Es deutet sich an, dass der Kampf gegen die Todesstrafe auf dieser Ebene keinen weiteren Erfolg bringen wird. Zwar hat sowohl die Aussetzung der Hinrichtungen als auch die Zulassung des Surpreme Court die Todesstrafe wieder in die öffentliche Diskussion gerückt. Eine Abschaffung derselben ist aber deshalb nicht greifbar geworden. Einzelne Bundesstaaten reagierten bereits mit "Reformen".
Verschiedene Bundesstaaten überlegen bereits öffentlich, die umstrittene 3-Gifte-Lösung mit nur einem Gift zu ersetzen(  http://de.indymedia.org/2008/01/205912.shtml ).
Am 9.02.2008 schaffte der Nebraska Surpreme Court den elektrischen Stuhl als "menschenunwürdige Hinrichtungsmethode" ab, so dass jetzt in Zukunft in allen hinrichtenden US-Bundesstaaten lediglich mit der Giftspritze getötet wird. Was genau eine "menschenwürdige Hinrichtungsmethode" sein soll, ließ der Nebraska Surpreme Court jedoch offen.
New Jersey änderte die Verurteilungen zum Tode Verurteilter von Todesstrafe in Lebenslänglich ohne Möglichkeit auf Entlassung um.

Hier wird ein neuer "Trend" sichtbar. Zugeständnisse bei der härtesten Bestrafung nehmen zugleich den Druck, über die Masseninhaftierung generell nachzudenken. Schließlich sind die USA derzeit mit über 2,4 Millionen Gefangenen weltweit führend, was das Einsperren der eigenen Bevölkerung angeht.
Auch die unheilvolle Verquickung von Langzeitverurteilungen ( http://en.wikipedia.org/wiki/Three_strikes_law) und privatisierter Gefängnisindustrie sind seit geraumer Zeit Gegenstand der Kritik.
Die Frage der ethnischen Zugehörigkeit und der sozialen Klasse bei Verurteilungen mit Todesstrafe oder langer Haftzeit ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung. Schon lange ist unumstritten, dass "in den Todeszellen der USA keine Millionäre sitzen" (1).
Es lohnt sich auch, mal einen Blick auf die soziale und ethnische Zusammensetzung der Gefängnisinsass_innen zu werfen, um die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der privatisierten Gefängnisse zu erfassen: Obwohl die überwiegende Mehrheit der US-Bevölkerung weiß ist, spiegelt sich das nicht in den Gefangenenzahlen wieder (35 % aller Gefangenen sind Weiße, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist doppelt so hoch). Zu 40 % sind es Schwarze, zu 20 % Gefangenen puertoricanischer Herkunft sowie 5 % sonstiger ethnischer Minderheiten in den USA, die die Gefängnisse bevölkern und in der Industrie zu Hungerlöhnen arbeiten. 2005 waren 8 Prozent der schwarzen Männer zwischen 25 und 29 im Gefängnis (bei entsprechenden Zahlen von 2,5 Prozent für Latinos und 1 Prozent für Weiße).

Die Todesstrafe ist derzeit der im Zentrum der Kritik, wenn es um das Strafsystem in den USA geht. Aber sie ist nur der Gipfel des Eisberges.

Es wird vermutet, dass eine Entscheidung um die Verfassungsmässigkeit der Giftspritze um den 18.März herum fällt.
Zwar ist es durchaus möglich, dass der Surpreme Court Veränderungen bei der Hinrichtung mit der Giftspritze (lethal injection) anordnen wird, aber danach werden die Hinrichtungen in den USA sehr schnell wieder beginnen.
Für die aktuell weit über 3200 Todestraktinsass_innen in den USA beginnt bald wieder eine ernste Phase.

(1) aus "Wettlauf gegen den Tod", Michael Schiffmann, promedia 2006

weitere Infos über/gegen die Todesstrafe:

 http://www.nodeathpenalty.eu/
 http://todesstrafe-usa.de/
 http://mumia-hoerbuch.de/stopptodesstrafe.htm

kritische Webseite über US-Strafrecht:

 http://www.christianparenti.com/index.html
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

gegen Todesstrafe in den USA: free Mumia

Mumia-Hörbuchgruppe 12.03.2008 - 22:56
Abschaffung der Todesstrafe weltweit!


Der Afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal sitzt seit 26 Jahren in Pennsylvenia, USA im Gefängnis. Die überwiegende Zeit davon (24 Jahre) in der Todeszelle für einen vermeintlichen Polzistenmord, der ihm untergeschoben wurde. ( mehr Infos:  http://www.mumia-hoerbuch.de )

Mumia erwartet aktuell eine Entscheidung des 3.Bundesberufungsgerichtes. Er fordert einen neuen Prozeß, da sein erster 1982 von Rassismus, politischer Repression und Klassenjustiz bestimmt war. Sogar amnesty inernational stellte 2000 in seinem Bericht hierüber ("a life in the balance") fest: "...dieses Verfahren brach mit den internationalen Mindestsstandards fairer Prozeße"

Sollte Mumia hier verlieren, ist er in großer Gefahr, erneut mit dem Todesurteil konfrontiert zu sein.

Samstag, den 15.03. findet in Berlin die Demo anläßlich des Tages der politischen Gefangenen (18.03.) statt. Freiheit für Mumia Abu-Jamal, die Todesstrafe sowie privatisierte Gefängnisindustrie sind inhaltlicher Bestandteil dieser Demonstration.
Start: 15 Uhr, Mehringdamm, Ecke Geneisenaustr in Kreuzberg
Aufruf und weitere Termine:  http://www.political-prisoners.net/18maerz2008/index.html

Ausserdem geibt am Sonntag einen neuen Film über Mumia und die Todestrafe in den USA:
"In prison my whole life" UK 2007
Ort: CLASH im Mehringhof
Gneisenaustr.2a
10961 Berlin

Zeit: 19 Uhr mehr Infos dazu:  http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#FilmClash1603

Georgia S.C. hält Todesurteil aufrecht

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 17.03.2008 - 22:09
Mit großer Überraschung haben wir gerade erfahren, dass der Supreme Court des US-Bundesstaates von Georgia die Todesstrafe gegen Troy Anthony Davis aufrecht erhalten hat. Dem Afroamerlkaner Troy Anthony Davis ist ein Mord vorgeworfen worden, für den er vor langer zeit verurteilt wurde, obwohl er zur Tatzeit nachweislich bei einem Bewerbungsgespräch 400 meilen entfernt war.
Im Sommer letzten Jahres deutete sich an, dass sein Fall nach vielen Jahren Todeszelle nun doch endlich neu aufgerollt würde. Die aktuelle Entscheidung ist ein schwerer Schlag. Nach wie vor scheinen US-Gerichte keinerlei Interesse an der juristischen Schuld schwarzer Todeszelleninsassen zu haben. Da sehr bald mit einer grundsätzlichen Entscheidung des US-Surpreme Coutrs über die Verfassungsmässigkeit der Giftspritze zu erwarten ist (  http://de.indymedia.org/2008/03/210305.shtml ), wird dann auch der Hinrichtungsstopp in den USA aufgehoben werden, so dass Troy Anthony davis vielleicht schon sehr bald in Lebensgefahr ist.

Hier folgend ist ein erster Text von amnesty international, indem alle aufgefordert werden, Protestbriefe zu schreiben. Wir werden in Kürze mehr über diesen Fall berichten.

Bitte leitet das weiter bzw. helft mit, den Fall öffentlich zu machen.

---------------------------------------------

AMNESTY INTERNATIONAL USA

Today's stunning decision by the Georgia Supreme Court to let the death sentence stand in the Troy Anthony Davis case means that the state of Georgia might execute a man who well may be innocent.
Take action now and tell the Georgia Board of Pardon and Paroles to commute the death sentence for Troy Anthony Davis.
With this decision, the Supreme Court is demonstrating a blatant disregard for justice and turning its back on the fundamental flaws that taint Mr. Davis's case at every level.
Tell the Georgia Board of Pardon and Paroles to commute the death sentence for Troy Anthony Davis.
Over 60,000 supporters signed petitions on Troy's behalf, and letters of support continue to pour into his mailbox. "I want to thank all Amnesty supporters," he said, "I want to thank everyone all over the world who have been praying for me, supporting me, writing letters and signing petitions on my behalf." Troy needs your continued support today, now more than ever.

Troy Davis, a man who may well be innocent, faces execution. Call on the Georgia Board of Pardon and Paroles to commute the death sentence for Troy Davis!

Troy Davis was convicted of the murder of Savannah police officer Mark MacPhail in 1991. No murder weapon was found and no physical evidence linked Davis to the crime. Since his conviction, seven out of nine original witnesses have either recanted or changed their testimony. Officer MacPhail's life was cut tragically short, and his family and the people of Georgia also deserve true justice. However, this will not be accomplished by executing a man with such strong claims of innocence.
Take action now: help rescue a possibly innocent man from paying the ultimate price.
In light of today's Supreme Court decision, we ask that you call on the Georgia Board of Pardon and Paroles to commute Mr. Davis' death sentence. Executing Troy Anthony Davis would be an irrevocable error that would haunt the conscience of the state of Georgia forever.
In Solidarity,

Sue Gunawardena-Vaughn
Director, Death Penalty Abolition Campaign
Amnesty International USA

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke den folgenden Kommentar

Demo:Freiheit für alle politischen Gefangenen

Kurt 14.03.2008 - 18:26
Am Samstag findet in Berlin eine Demo "für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit" (Demomotto) statt, wo unter anderem auch für die Freiheit des von der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal gefordert wird.

Beginn der Demo ist um 15 Uhr am Mehringdamm, Ecke Gneisenaustr.

Der Aufruf steht hier:  http://www.political-prisoners.net/18maerz2008/index.html