Zu den Wahlen in Spanien

Ralf Streck 11.03.2008 11:33 Themen: Weltweit
Die Sozialisten profitieren von der hohen Wahlbeteiligung nach dem Anschlag der ETA

35 Millionen Menschen waren am Sonntag aufgerufen, um 350 Parlamentarier für das spanische Parlament zu wählen. Die Ergebnisse der Wahlen können nur im Rahmen des mutmaßlichen Anschlags der baskischen Untergrundorganisation ETA erklärt werden. Alles spricht dafür, dass die am Freitag den ehemaligen sozialistischen Stadtrat Isaías Carrasco im baskischen Arrasate-Mondragon erschossen hat. Der Anschlag auf den 43jährigen Familienvater sorgte mörderisch für den frühzeitigen Abbruch des Wahlkampfs.
2004 sorgten die islamistischen Anschläge mit 191 Toten in Madrid für eine Rekordbeteiligung von 77 Prozent. Diese Mobilisierung und die Lügen der ultrakonservativen Volkspartei (PP) über die Täterschaft der Anschläge bescherten ihr eine Niederlage und dem überraschten José Luis Rodríguez Zapatero den Sieg. Der neue Anschlag sorgte nun erneut für eine hohe Beteilung von mehr als 75 Prozent, fast acht Prozentpunkte mehr als 2000. So konnten, wie allgemein erwartet, die Sozialisten (PSOE) ihre Macht ausbauen. Die Familie des Ermordeten hatte als Protest gegen den "feigen Mord" zur massiv Beteiligung aufgerufen.

Mit 169 Sitzen verfügt die PSOE nun über fünf Parlamentarier mehr, was ihr das Regieren erleichtert. Doch auch die Konservativen haben zugelegt und die PP hat fünf Sitze hinzu gewonnen und wird mit 153 Sitzen gestärkt im Parlament vertreten sein. Nach Stimmen hat sie die Wahlen gewonnen. Sie legte um fast 2,5 Prozent zu und die PSOE hat nur noch 900.000 Stimmen Vorsprung. Damit wird deutlich, dass der Wahlsieg für den PP-Chef Mariano Rajoy greifbar war. Erstmals hat nun eine Partei die Parlamentswahlen verloren, die zuvor die Kommunal- und Regionalwahlen gewann.

Zerrieben wurden vor allem kleinen linken Parteien von der Polarisierung. Die Vereinte Linke (IU) stürzte auf 3,8 Prozent ab. War sie schon vor vier Jahren deutlich auf fünf Sitze geschrumpft, hat sie nun mit zwei Sitzen auch den Fraktionsstatus verloren. Der Abstieg der Koalition geht beständig weiter. Unter Julio Anguita erreichte sie 1996 noch fast 11 Prozent und 21 Parlamentarier. Doch Gaspar Llamazares hat die IU, mit seinem Schmusekurs zur PSOE, in die Bedeutungslosigkeit geführt.

Llamazares übernimmt die "volle Verantwortung" für die Verluste und kündigte seinen Rückzug an. Er werde einen Parteikongress einberufen und nicht erneut für den Posten des Parteichefs kandidieren. Er machte auch das Wahlsystem und den "Tsunami" der Polarisierung für das Fiasko verantwortlich. Tatsächlich wurden kleine Parteien benachteiligt. Ausgeschlossen waren sie von den Fernsehduellen zwischen Zapatero und Rajoy. Der Wahlkampf wurde quasi zu Präsidentschaft- statt als Parlamentswahlen stilisiert. "Diese Kampagne, zugespitzt auf zwei Parteien, war ein schwerer Schlag für die politische Pluralität in diesem Land, der Demokratie wurde ein Bärendienst erwiesen", sagte Llamazares.

Eingebrochen ist auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC). Statt acht Sitzen hat sie nur noch drei Parlamentarier erzielt. Sie war erst vor vier Jahren von einem auf acht Sitze hoch geschnellt. Sie litt auch daran, dass viele ihrer Wähler nicht zur Wahl gingen. Die Beteiligung in Katalonien lag mehr als vier Prozent unter dem Durchschnitt. Viele ERC-Wähler sind enttäuscht, dass die Partei weiter PSOE stützt, obwohl die ihr zentrales Projekt, das neue Autonomiestatut, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte.

An den oppositionellen Rechtsnationalisten ging der Kelch vorbei. Die katalanische Konvergenz und Einheit (CiU) hat zwar leicht Stimmen verloren, konnte aber einen Sitz zulegen und verfügt nun über elf Parlamentarier. Sie bietet sich der PSOE als stabiler Partner an, um eine stabile Mehrheit von mehr als 176 Stimmen zu erreichen.

Das bietet die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) nicht, die um einen Sitz auf sechs zurückfiel. Es schmerzt die PNV besonders, dass sie erstmals ihre Hochburg um Bilbao an die PSOE verlor. Keiner Partei ist es im Baskenland gelungen, in die Basis der linken Unabhängigkeitsbewegung einzubrechen. Nach dem erneuten Ausschluss von zwei Linksparteien war ihr Wahlboykott erfolgreich. Die Beteiligung fiel hier etwa zehn Prozent niedriger aus. Etwa 185.000 Wähler blieben zusätzlich den Urnen fern. Die Hoffnungen der IU und der Baskischen Solidaritätspartei (EA) hier Stimmen zu gewinnen, ging nicht auf. EA verlor sogar ihren Sitz im Madrider Parlament.

Soweit ne Kurzversion, die ausführlichere Betrachtung auf:  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27462/1.html

© Ralf Streck, den 10.03.2008


Hier noch ein paar Betrachtung aus dem Wahlkampf

Mit dem Vatikan gegen Zapatero
Es ist ein schlechtes Omen für den Sozialisten Zapatero, dass am Dienstag mit Kardinal Antonio Maria Rouco Varela ein Erzkonservativer zum Vorsitzenden der spanischen Bischofskonferenz gewählt wurde. Der Madrider Kardinal stand ihr schon bis 2005 vor, als er vom gemäßigten Ricardo Blazquez aus Bilbao abgelöst wurde. Erstmals wurde ein Vorsitzender nicht für die zweite Amtszeit bestätigt.
Damit bläst Zapatero vor den Wahlen am Sonntag der eisige Wind der starken katholischen Kirche noch stärker ins Gesicht, auch wenn Varela sich gemäßigt gibt. Nach seiner Wahl erklärte er, die Bischofskonferenz arbeite mit der Gesellschaft, der Politik und ihren Autoritäten zusammen. Doch damit meint er die konservative Volkspartei (PP), denn die Katholiken haben sich klar gegen Zapatero positioniert.
Angeführt von Varela mobilisierten sie zum Jahreswechsel Zehntausende Gläubige nach Madrid, um für den "Schutz der christlichen Familie" zu demonstrieren. "Es darf keine Zeit verloren werden", sagte Varela und wetterte gegen "Prinzipien und Lebensstile, die der unauflöslichen Ehe entgegenstehen" und durch "Gesetze ermöglicht und gefördert werden". Damit meinte er die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren, die Zapatero mit Adoptionsrecht 2005 einführte. Aus Rom war per Videokonferenz Papst Benedikt XVI zugeschaltet, der sich hinter den Fundamentalisten stellte und ihm den Weg weiter ebnete.
In einer unglaublichen Einmischung forderten die Bischöfe die Wähler zur Wahl der PP auf. Katholiken sollten nur die Parteien unterstützen, "die mit dem Glauben und den Forderungen des christlichen Lebens vereinbar sind". Dazu gehöre die Bekenntnis zur christlichen Familie und die "Verteidigung des Lebens ab dem Moment der Empfängnis". So dürften auch "Terrororganisationen nicht als politische Gesprächspartner anerkannt werden", wetterten sie gegen die Verhandlungen mit der ETA und alle diese Kriterien erfüllt nur die PP.
© Ralf Streck, den 06.03.2008

Wahlbeteiligung entscheidet über Wahlsieger in Spanien

Nach Umfragen liegen die Sozialisten vor den Konservativen, doch denen ist in Spanien kaum zu trauen.

Am Sonntag wird in Spanien gewählt. Bisher sieht es aus, als würde alles normal verlaufen und erstmals seit 15 Jahren debattierten sogar die beiden Spitzenkandidaten in zwei Fernsehduellen gegeneinander. Doch noch sind die Wahlen vor vier Jahren nicht vergessen, als drei Tage zuvor islamistische Anschläge in Madrid 191 Menschen ermordeten, als Bomben in vier Vorortzügen explodierten. Die ultrakonservative Volkspartei (PP) versuchte, gegen besseres Wissen, sie der baskischen ETA in die Schuhe zu schieben. Eine große Zahl wütender Wähler wurde mobilisiert. Statt einer absoluten Mehrheit für die PP bescherte dies den Sozialisten (PSOE) unter José Luis Rodríguez Zapatero überraschend den Sieg.

Der PP-Hardliner Mariano Rajoy hat die Niederlage nie verwunden. Seit vier Jahren lässt er keine Gelegenheit aus, um Zapatero vors Schienbein zu treten. Lange Zeit sah er schlecht aus gegen einen erfolgreich lächelnden Zapatero. Die Wirtschaft befand sich im Höhenflug mit Wachstumsraten von fast vier Prozent, die Arbeitslosigkeit fiel und in Verhandlungen mit der ETA schien eine Lösung für den schwelenden baskischen Konflikt in Sicht.

Doch im vergangenen Sommer trübte sich die Lage ein. Zunächst kündigte die ETA ihre Waffenruhe auf, weil die Regierung sich an keine der Absprachen im Vorfeld gehalten habe, sagte sie. Es rächte sich auch, dass Zapatero das Kreditsystem nicht reformierte. Es garantierte den Banken Rekordgewinne, weil sie steigende Zinsen voll an die überschuldeten Familien weiterreichen. Steigenden Hypothekenzinsen schnüren aber vielen Familien die Kehle ab. Dazu kommt, dass der PSOE die Inflation aus dem Ruder läuft. Erkämpfte Lohnzuwächse werden durch einen offiziellen Preisauftrieb von 4,4 Prozent aufgefressen.

Die einmalige Steuerentlastung von 400 Euro, falls Zapatero die Wahlen gewinnt, klingt nach Stimmenkauf und ändert an der prekären Lage vieler Familien nichts. In einem Land, in dem Wohnungen meist gekauft werden, hat die Immobilienblase die Preise in unbezahlbare Höhen getrieben. Für viele Jugendliche, deren Lohn meist zwischen dem schmalen Mindestlohn von 700 Euro und 1000 Euro liegt, sind sie unerschwinglich. Dabei gibt es Wohnraum in Hülle und Fülle, denn jahrelang wurden mehr Wohnungen gebaut als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen.

Durch die platzende Blase geriet die Wirtschaft ins stottern. Die Bautätigkeit, die Stütze der Wirtschaft, ging in die Knie und mit ihr der Konsum. Als erstes Warnsignal begann ausgerechnet im vergangenen August die Arbeitslosigkeit wieder zu steigen, wenn im Urlaubsland Hochsaison herrscht. Besonders hart traf Zapatero, dass sie im Januar einen so starken Anstieg verzeichnete, wie in den letzten 24 Jahren nicht mehr. Im Februar ist sie nun bei etwa neun Prozent angelangt, höher ist sie in der EU nur in der Slowakei.

Zapatero fällt das Improvisieren auf die Füße. Dass er bei Reformen immer wieder vor der starken Rechten einknickte, hat viele Anhänger verprellt: Basken im gescheiterten Friedensprozess, Katalanen, weil er ihr Autonomiestatut bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln ließ, Umweltschützer, weil er weder den Atomausstieg vorangetrieben hat, noch der Zerstörung des Landes durch die Bauwut Einhalt bot, etc.

Sie werden zwar nicht die PP wählen und auch die ETA wird trotz neuer Verbote von baskischen Parteien und scharfer Repression vor den Wahlen wohl keinen großen Anschlag mehr in Madrid ausführen. Denn das würde der PP nutzen, die noch immer im Franquismus verankert ist und eine politische Konfliktlösung weiter in die Ferne rücken. Dass Unterstützer Zapateros gefrustet zu Hause bleiben, ist die Gefahr, denn Rajoys stehen die Anhänger treu bei. Deshalb nutzen Zapatero seine Siege in den Duellen gegen den farblosen Nörgler Rajoy nichts, der nur populistische Vorschläge macht und mit Angriffen auf Einwanderer zu Punkten versucht.

Dass am Montag mehr als eine Millionen weniger Menschen das Duell verfolgen als eine Woche zuvor, ist schlecht für Zapatero. Gelingt es ihm bis zum Sonntag nicht, seine Wähler zu mobilisieren, dann könnte ihm eine Überraschung blühen, auch wenn ihm alle Umfragen einen Vorsprung von drei bis vier Prozent bescheinigen. Doch die sagen in Spanien ohnehin wenig aus. Das hat sich 2004 gezeigt und zuletzt im Mai 2007 bei den Kommunal- und Regionalwahlen. Nach Angaben der Meinungsforscher hätte letztere die PSOE gewinnen müssen, doch es kam genau umgekehrt. Und bisher war der Sieger dieser Wahlen stets auch der Sieger der Parlamentswahlen. Das wäre die PP.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 06.03.2008
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