Baskische Gewerkschafter für Wahlboykott

Uschi Grandel 07.03.2008 12:14 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit

Baskische Gewerkschafter rufen zum aktiven Wahlboykott der spanischen Parlamentswahlen am 9. März 2008 auf. Musiker und weitere soziale Gruppen schliessen sich an. Eine Delegation aus Mitgliedern verschiedener europäischer Länder trifft zur Beobachtung der Situation vor und während der Wahl im Baskenland ein:

Nicht einmal ein Minimum an demokratischen Bedingungen

Mehr als dreissig Gewerkschafter der baskischen Gewerkschaften ELA, LAB, ESO, HIRU, STEE-EILAS und EHNE, darunter der ehemalige Generalsekretär der ELA Alfonso Etxeberria, haben in einem persönlich unterzeichneten Aufruf an die baskische Gesellschaft zur aktiven Wahlenthaltung bei den spanischen Parlamentswahlen am 9. März 2008 aufgerufen.

Sie verurteilen die systematischen Angriffe auf elementare Bürgerrechte und politische Rechte, denen eine wachsende Zahl baskischer Bürger und Organisationen in den letzten Jahren ausgesetzt war und ist. Die Suspendierung und das Verbot von Parteien, sowie die immer schärferen Unterdrückungsmassnahmen haben dazu geführt, dass ein signifikanter Teil der baskischen Gesellschaft keine politischen Optionen hat und damit politisch rechtlos ist.

In einer Veranstaltung in Donostia (San Sebastian) begründen sie vor vierhundert Gewerkschaftsmitgliedern ihren Aufruf. Der Generalsekretär der Transportgewerkschaft HIRU, Patxi Agirre, macht seine politische Position in Anspielung auf die Herkunft der Mitglieder seiner Gerkwerkschaft deutlich: "Wir sind nicht bereit, die Last der Unterdrückung und der Massnahmen gegen das Baskenland zu tragen".

Der Präsident der EHNE aus (der baskischen Provinz) Gipuzkoa, Iñaki Lasagabaster, ruft in Erinnerung, wie sich die Bauern von Zuberoa im 17. Jahrhundert gegen erdrückende Steuerlasten und die damit einhergehende Entrechtung gegen französische Truppen zur Wehr gesetzt hatten. Er fordert alle diejenigen, die heutzutage demokratische Rechte des Baskenlandes verteidigen wollen, auf, sich an der Kampagne für aktive Wahlenthaltung zu beteiligen.

In der Lehrergewerkschaft STEE-EILAS sind Lehrer verschiedenster politischer Überzeugung organisiert. Die Gewerkschafterin Arantza Urkaregi betont jedoch, dass sich alle Mitglieder einig darin seien, "das Recht eines jeden/einer jeden zu verteidigen, seinen/ihren politischen Aktivitäten unbehindert nachzugehen." Urkaregi betont, dass die anstehende Wahl zum spanischen Parlament dies nicht zulasse und dass die PSOE Regierung unter Zapatero im Baskenland damit einen Ausnahmezustand geschaffen habe.

"Apartheidspolitik gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung"

Der Sprecher der Gewerkschaft ESO, Fernando Bilbao, kritisiert die Haltung der verbleibenden zur Wahl zugelassenen baskischen Parteien PNV, EA, Aralar und NaBai, die auch zur Wahl antreten, als "verletzend und unwürdig, weil sie nichts tun, um die Situation zu ändern. Sie wollen lediglich unsere Stimmen."

Auch der Generalsekretär der LAB, Rafa Díez, ruft zur aktiven Wahlenthaltung auf. Er nennt die repressiven Massnahmen der spanischen Regierung, mit denen sie alle Organiationen und Einzelpersonen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung, seien es soziale Initiativen, Zeitungen, Kulturgrupppen oder politische Parteien, verfolgt, "eine Apartheidspolitik gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung, ein politisches Guantanamo gegen die linke baskische Bewegung. Man kann nicht auf der einen Seite über die Verletzung elementarer Rechte reden und auf der anderen Seite diese Situation durch Teilnahme unter den Rahmenbedingungen, die die spanische Regierung vorgegeben hat, beschönigen."

Tatsächlich ist ein wachsender Teil der über 700 politischen baskischen Gefangenen nicht wegen konkreter Anschuldigungen in Haft, sondern nach dem Prinzip, dass jeder, der das Ziel der baskischen Unabhängigkeit verfolgt - mögen die Mittel auch ausschliesslich demokratisch und legitim sein - zum Umfeld der ETA zu zählen und als Terrorist zu behandeln sei.

Rockmusiker, Immigranten und Senioren

Auch andere gesellschaftliche Gruppen schliessen sich dem Protest an. Seniorengruppen aus Nafarroa (Navarra) haben die baskische Bevölkerung zu einer Geste der Rebellion aufgerufen: wer sich heute der Wahl enthalte, öffne damit morgen den Weg zur Demokratie.

Anitzak, eine Initiative von Immigranten, die im Baskenland leben, haben ebenfalls zur demokratischen Lösung des Konflikts aufgerufen und die Angriffe auf Bürgerrechte und politische Rechte verurteilt. Deutsche Mitglieder von Anitzak haben heute eine Protestaktion vor dem deutschen Konsulat in Bilbao durchgeführt, um in ihrem Heimatland ein Bewusstsein für die fehlende Demokratie im Baskenland zu erzeugen. Anitzak unterstützt den Prozess der Konfliktlösung durch Dialog, um eine demokratische Lösung für den politischen Konflikt zu erreichen.

Auch baskische Musiker haben sich den Protesten angeschlossen. Bekannte Rockmusiker prangern in einer öffentlichen Erklärung den Ausnahmezustand im Baskenland, die Unterdrückung, die Schliessung von Zeitungen und Radios, das Verbot von Jugendorganisationen und Parteien an. Sie wenden sich gegen die Versuche der spanischen Regierung, mit diesen Aktionen die baskische Unabhängigkeitsbewegung zum Schweigen zu bringen. Vor mehreren hundert Menschen hielten die Initiatoren der Erklärung letztes Wochenende ein Konzert in Vitoria Gasteiz.

Warnsignal für Europa

Für Europa sind die repressiven Massnahmen im Baskenland ein deutliches Warnsignal. Wie steht es um unsere Demokratie, wenn wir rechtsfreie Zonen in Mitgliedsstaaten übersehen, nur weil es unseren eigenen Regierungen nicht opportun erscheint? Angela Merkel hat in einem Treffen mit Zapatero anfang dieses Jahres auf Mallorca angekündigt, Deutschland und Spanien würden im Bereich der Terrorismusbekämpfung stärker zusammenarbeiten.

Deutliche Signale, dass im Zweifelsfall rechtsstaatliche Mittel nicht oberste Priorität haben, hat unsere Regierung schon mehrfach ausgesandt. Die Behandlung von G8-Gegnern als "terroristische Vereinigung" oder auch die Gesetzesvorlagen zu verschärften Sicherheitsgesetzen, wie der Online-Durchsuchung, die einer Überprüfung auf Rechtsstaatlichkeit durch den Bundesgerichtshof nicht standhielten, sind Beispiele für den Umgang unserer Regierung mit der Demokratie.

Es ist ein Warnsignal, dass die deutsche Bundeskanzlerin Zusammenarbeit mit Spanien ausgerechnet in einem Bereich sucht, in dem Amnesty International seit Jahren schwere Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit, darunter Folterpraktiken bei Verhören, anprangert. Erst letzte Woche hatten zwei junge Männer im Baskenland Glück im Unglück und entgingen mit knapper Not Schlimmerem. Sie erschienen auf einem Fahndungsplakat der "meistgesuchten Terroristen". Nach ersten Jubelrufen der Presse über die Verhaftung der beiden "meistgesuchten ETA-Terroristen" wurde bekannt, dass die beiden seit Wochen über einen Anwalt versucht hatten, vor dem für Terrorismus zuständigen Sondergerichtshof eine Aussage zu machen, um die Vorwürfe zu entkräften. Auch in unserer Presse wurde über diese Fahndungspanne berichtet. Was nicht berichtet wurde, ist der Hintergrund: die Namen der beiden jungen Männer hatte die Polizei offensichtlich von einem Jugendfreund der beiden unter Folter erpresst.

Gorka Lupiañez war Anfang Dezember 2007 verhaftet worden. Er wurde von der spanischen Polizei 13 Tage ohne Kontakt zur Aussenwelt gehalten und gab an, in dieser Zeit schwer gefoltert worden zu sein.

"Sie zogen mir einen Sack über den Kopf. Sie schlugen mich, immer wieder auch in die Hoden. Einer von ihnen spannte einen Revolver und hielt ihn an meinen Kopf. Sie zogen mir eine Plastiktüte über den Kopf. Sie verschlossen sie, bis ich dachte, ich ersticke. Sie banden mich an eine Schaumstoffmatratze und steckten meinen Kopf in eiskaltes Wasser."

Auch andere Folteropfer erzählen, dass die Polizei alle Details ihres Lebens, Namen von Freunden und Bekannten, aus ihnen herausprügelte und so der Kreis potentieller Verdächtiger immer grössere Teile der baskischen Gesellschaft umspannt.

Europa Delegation zur Wahlbeobachtung im Baskenland

Die undemokratische Situation im Baskenland erregt in Europa vermehrt Aufmerksamkeit. Gewählte Vertreter der beiden vom Verbot bedrohten und von der Parlamentswahl ausgeschlossenen baskischen Parteien EAE-ANV und EHAK haben in den vergangenen Wochen auf einer Rundreise durch viele Hauptstädte Europas über die Situation im Baskenland berichtet.

Eine europäische Delegation mit Teilnehmern verschiedener Parteien, Regierungsorganisationen und europäischer Institutionen aus Finnland, Belgien, Deutschland, Schweden, Norwegen und Italien ist gestern im Baskenland eingetroffen. Sie werden sich als internationale Beobachter ein Bild von der Situation vor Ort machen und auch am Wahltag als Wahlbeobachter präsent sein.

Des weiteren hat die UIA (International Association of Lawyers) gegen das Verbot der beiden baskischen Parteien protestiert. Europäische Rechtsanwälte der Organisation haben bekanntgegeben, dass sie die Massnahmen im Lichte europäischer und internationaler Rechtsprechung analysieren wollen.

Neue Spanische Regierung muss die Botschaft aus Irland hören

Nach dem Besuch baskischer Vertreter im nordirischen Parlament in Stormont bei Belfast schreibt Jim Gibney, ein langjähriger Sinn Fein Politiker in der Irish News vom 28. Februar 2008 :

Zapatero scheint so dumm zu sein zu glauben, dass die Lösung des politischen Konflikts zwischen Spanien und dem Baskenland mit militärischen Mitteln zu spanischen Bedingungen diktiert werden kann. Obwohl das spanische Militär dies seit Jahrzehnten vergeblich versucht. ...

Vor drei Wochen besuchte eine Allparteien-Delegation aus dem Baskenland das (nordirische) Parlament in Stormont, um sich über den Friedensprozess hier zu informieren. Sie haben widersprüchliche Berichte von Unionisten und Nationalisten über die letzten 15 Jahre des Friedesnprozesses gehört und darüber, wie dieser Prozess zu den neuen politischen Institutionen führte.

Trotzdem gaben wir ihnen eine optimistische Botschaft mit auf den Weg: wenn der Konflikt in Irland zu einem gerechten Ende gebracht werden kann, wird dies für den Konflikt im Baskenland ebenfalls möglich sein.

In einigen Wochen wird es eine Parlamentswahl in Spanien und im Baskenland geben. Eine neue Regierung wird gewählt. Diese Regierung muss die Botschaft aus Irland hören und verstehen.


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Ergänzungen

Wahlkampf ausgesetzt

Ralf 07.03.2008 - 15:46
Ein mutmaßlicher tödlicher Anschlag der ETA führt zur Aussetzung des Wahlkampfs. Gegen 13 Uhr 30 sollen zwei ETA-Mitglieder den Ex-Stadtrat von Arasate Isaías Carrasco, 43 Jahre alt, vor seinem Haus ermordet haben. Er war wegen der schlechten Ergebnisse der spanischen Sozialisten im Mai 2007 nicht erneut in den Gemeinderat gewählt worden und hatte deshalb keinen Personenschutz. Die ETA wollte offenbar mit allen Mitteln vor den Wahlen noch einmal Aktionsfähigkeit unter Beweis stellen und wählte sich ein einfaches Opfer. Damit dreht sie gleichzeitig weiter an der Eskalationsschraube, denn nun macht sie offenbar sogar Politiker zum Ziel, die weder als Vertreter der PSOE noch intern einen Posten ausführen.

.....von hinten erschossen!

Rolfi Streckles 07.03.2008 - 18:50
 http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio14570.html

Politiker im Baskenland von hinten erschossen .................

Ja, traurig

Paul 08.03.2008 - 09:28
das ist alles traurig, wenn auch wieder mal nur die Hälfte stimmt. Er wurde im Auto beim Wegfahren erschossen und nicht vor den Augen seiner Frau und seiner Tochter, die kamen erst als Reaktion auf die Schüsse aus dem Haus. Traurig ist aber auch, dass die Sozialisten zu keiner Lösung des Konflikts bereit waren, dass sie Parteien verbieten, Foltern und Morden (oder soll man die toten Gefangenen, ihre Angehörigen... vergessen). Das gibt niemandem das Recht einen Ex-Stadtrat von ihnen zu erschießen, zeigt aber, warum Leute das machen und weiter machen werden, solange es keine andere Möglichkeit gibt, die legitimen Forderungen auf einem demokratischen Weg umzusetzen.
Pervers ist, dass das Wahlhilfe für die Sozialisten ist. Die liefen doch Gefahr, die Wahlen zu verlieren, vor allem wegen geringer Wahlbeteiligung. Jetzt werden wohl, wie vor vier Jahren, entsprechend viele Wähler mobilisiert und sie werden die Wahlen gewinnen. Hätte die ETA einen PP-Politiker ermordet, hätten die gewonnen. Jetzt mussten die Postfaschisten ihren Wahlkampf, der PSOE vorzuwerfen, nicht effektiv gegen die ETA vorzugehen, angesichts des PSOE-Opfers einstellen. Dass es die ETA nicht war, ist ziemlich unwahrscheinlich. Auch die linksnationalistischen Zeitungen gehen davon aus. Ganz anders als beim 11. M.  http://www.gara.net/paperezkoa/20080308/66441/es/ETA-mata-varios-disparos-ex-concejal-PSOE-Arrasate

Zusatz zu "gewalt und gegengewalt"

Uschi 08.03.2008 - 16:22

Das Zitat des irischen Priesters Alec Ried ist aus einem seiner wenigen Interviews. Ich finde das Zitat sehr richtig und das gesamte Interview sehr lesenswert. Seit Jahren vermittelt Alec Reid im spanisch-baskischen Konflikt und hielt sich dort meist im Hintergrund. Die Verhaftung eines grossen Teils der Führung der baskischen Partei Batasuna am 4. Oktober 2007 in Segura veranlasste ihn, seine Zurückhaltung aufzugeben. Er gab den baskischen Journalisten Gari Mujika (GARA) und Xabier Martin (Berria) am 7. Oktober 2007 ein Interview über seine Sicht auf den spanisch-baskischen Konflikt und seine Vorstellungen, wie dieser Konflikt gelöst werden kann: "Spanien ist kein demokratischer Staat" (7.10.2007, dt. Übersetzung, Indymedia)

Wahlen mit zwei Siegern in Spanien

Ralf 10.03.2008 - 13:07
Die Sozialisten profitieren von der hohen Wahlbeteiligung nach dem Anschlag der ETA
Wie nicht anders zu erwarten war, haben die spanischen Sozialisten (PSOE) erneut von der hohen Wahlbeteiligung profitiert und die Parlamentswahlen am Sonntag gewonnen. Nach dem Anschlag auf einen ehemaligen sozialistischen Stadtrat im Baskenland am Freitag gingen über 75 Prozent zur Wahl, nur zwei Prozent weniger als nach den islamistischen Anschlägen mit 191 Toten drei Tage vor den Wahlen 2004. Damit lag die Beteiligung erneut fast acht Prozent höher als vor acht Jahren. Die PSOE hat fünf Sitze hinzu gewonnen und kann nun stabiler das Land regieren. Um fünf Sitze hat aber auch die konservative Volkspartei (PP) zugelegt, die sogar einen deutlicheren Stimmenzuwachs verzeichnen konnte. Die Polarisierung hat vor allem den kleineren Linksparteien geschadet. Die Vereinte Linke (IU) stürzte weiter ab und ihr Parteichef kündigte den Rückzug an. Der Aufruf zum Wahlboykott im Baskenland nach dem Ausschluss von zwei Parteien wurde von etwa zehn Prozent der Bevölkerung befolgt. Zumächst hier:  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27462/1.html

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weiteres — Entdinglichung

Was das wohl — @Rolfi Hirnlos

ETA und das nette Morden — Lebensfreund

Kann mal jemand — Paul

Berichterstattung — Black/Red