Uribes Kriegsstrategie vereitelt Freilassung

Ralf Streck 07.03.2008 10:17
Die kolumbianische Regierung beschuldigt Venezuela und Ecuador und bringt schmutzige Bomben und finanzielle Hilfe von Chavez ins Spiel. Die kolumbianische Regierung hat nach dem Angriff auf schlafende FARC-Rebellen im Nachbarland Ecuador tief in die Kiste der Anschuldigungen gegriffen, um seine völkerrechtswidrigen Aktivitäten zu rechtfertigen. So beschuldigt Präsident Alvaro Uribe die Regierung Ecuadors, sie unterstütze die FARC. Deren Präsident Rafael Correa gibt zurück, dass man mit dem getöteten FARC-Kommandanten in fortgeschrittenem Stadium über die Freilassung 12 weiterer Geiseln verhandelt habe. Darunter sei auch Ingrid Betancourt gewesen, deren Freilassung über die Attacke ebenfalls verhindert worden sei. Kolumbien wirft Venezuela vor, Hugo Chávez habe die FARC mit 300 Millionen US-Dollar unterstützt und will ihn vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen. Zudem behauptet Kolumbien, die FARC habe radioaktives Material zum Bau einer Schmutzigen Bombe erworben.
Irgendwie kommt einem das Strickmuster bekannt vor: Nuklearwaffen oder Massenvernichtungswaffen die angeführt werden, um eine dubiose Kriegsstrategie zu begründen ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19801/1.html). In diese Trickkiste der Geheimdienste greift derzeit offenbar die kolumbianische Regierung, nachdem sie für ihren Angriff ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27424/1.html) auf schlafende Mitglieder der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in Ecuador deutlich in Bedrängnis geraten ist.

So versuchte der kolumbianische Vizepräsident Francisco Santos Calderon am Dienstag vor der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf in die Offensive zu kommen und erklärte, die Guerilleros hätten mit "radioaktivem Material zum Bau von schmutzigen und terroristischen Bomben gehandelt." Santos zeichnete in Genf eine enormes Bedrohungsszenario, das angeblich von der FARC ausgehe "Diese Informationen werden einem strikten und rigorosen Überprüfungsprozess unter internationaler Beteiligung unterzogen und sie zeigen an, dass das ökonomische Gewicht, dass den terroristischen Gruppen über den Drogenhandel erlangen, zu einer Gefahr nicht nur für unser Land sind, sondern für die gesamte Andenregion und Lateinamerika sind. ( http://afp.google.com/article/ALeqM5hC3RnCMcvc9HlhZT47a87U8EZhbA).
Zwar sagte Uribe nicht, auf wessen Hilfe er sich bei der Verifizierung stützt, doch darf man hier von US-Stellen ausgehen. US-Präsident George W. Bush hatte der kolumbianischen Regierung nach der Bombardierung für ihre "starke Führung" im Kampf gegen die Rebellen gedankt, während das Vorgehen allseits verurteilt wird. Brasilien und Chile wollen auf einer Sondersitzung des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Einsetzung einer Untersuchungskommission fordern.

In der OAS hat man sich zwar auf einen Text geeinigt, indem Kolumbien die Verletzung der Souveränität anerkennt, doch die wird darin nicht verurteilt. Es soll eine
diplomatische Mission entsandt werden, um den Vorfall zu untersuchen. Correa erwartet, dass die internationale Gemeinschaft deutlich Kolumbien verurteilt und er erklärte nach einem Treffen mit Chavez. Sollte das nicht geschehen, wüßte man sich auch selbst zu verteidigen.

Der Direktor der kolumbianischen Polizei Oscár Naranjo hatte schon am Montag in Bogota behauptet, die Polizei hätte auf der Festplatte des Rechners des getöteten FARC-Kommandant Raúl Reyes, Hinweise auf den An- und Verkauf von 50 Kilo Uran gefunden. Naranjo behauptete, die Guerilla mache große Fortschritte auf dem Weg zu einer "internationalen Terrororganisation".

Angeblich soll sich auf dem Rechner auch ein Dokument befunden haben, dass auf den 28. Februar 2008 datiert ist und den Titel trage: "Offizielle Allianz zwischen der FARC und der Regierung von Ecuador", teilte Naranjo auf der Pressekonferenz ebenfalls mit. Man darf davon ausgehen, dass es kaum ein Dokument mit einem solchen Titel gäbe, wenn es tatsächlich eine solche Allianz gäbe. So verwundert es eigentlich kaum, wenn Naranjo den nachfragenden Journalisten die Kopien verweigerte, die seine hochtrabenden Anschuldigungen belegen würden.

Tatsächlich hat der ecuadorianische Präsident Rafael Correa den Kontakt zu Reyes längst eingeräumt. Doch er hat eine viel plausiblere Begründung. Es sei bei dem Kontakt darum gegangen, die weitere Freilassung von Geiseln zu erreichen, die sich seit Jahren in den Händen der FARC befinden. Darunter auch die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die sich seit dem Frühjahr 2002 in den Händen der Guerilla befindet ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13793/1.html).

"Alle Kontakte zu der Guerilla fanden aus humanitären Gründen statt", bestätigte Correa die Kontakte zu Reyes. "Ich bedauere es, ihnen mitteilen zu müssen, dass die Gespräche zur Freilassung von 12 Geiseln in Ecuador weit fortgeschritten waren, unter denen sich auch Ingrid Betancourt befand. Das alles wurde durch die autoritären und kriegstreiberischen Akte zerstört und wir können nicht ausschließen, dass dies eine Motivation für den Angriff durch die Feinde des Friedens war" ( http://www.lapatria.com/Noticias/ver_noticia.aspx?CODNOT=33359&CODSEC=9).

Correa bestätigte, dass die Kontakte in Abstimmung mit Frankreich abgewickelt wurden, denn schließlich ist Betancourt auch französische Staatsbürgerin und für ihre Freilassung hat sich Präsident Nicolas Sarkozy persönlich eingesetzt: "Fällt es irgendjemandem ein, Präsident Sarkozy vorzuwerfen, die FARC zu unterstützen?", fragte er. Auch der französische Außenministers Bernard Kouchner bestätigte, dass Reyes der Verhandlungspartner für die Freilassung von Betancourt war. "Es ist eine schlechte Nachricht, dass der Mann, mit dem wir gesprochen haben, mit dem wir in Kontakt standen, getötet wurde", bewertete Kouchner die Ermordung von Reyes. Nach unbestätigten Berichten wollte sich Reyes demnächst direkt mit Sarkozy treffen. Der hatte nach der Geiselbefreiung in der letzten Woche erklärt, er sei bereit sich persönlich in den kolumbianischen Dschungel zu begeben, um die Freilassung von Betancourt zu erreichen. In der bombardierten Grenzregion sei derweil an der Vorbereitung des Treffens gearbeitet worden.

Die Familie Betancourts ist sehr besorgt und macht Uribe schwere Vorwürfe. Der Ex-Ehemann der Präsidentschaftskandidatin warf Uribe "Niederträchtigkeit" vor. Schließlich hätten dessen Geheimdienste gewusst, dass Reyes die Grenze überschritten habe, um mit der Regierung Ecuadors die Freilassung weiterer Geiseln zu vereinbaren. Fabrice Delloye sagte in France Info ( http://www.france-info.com), Uribe selbst habe die Schweiz, Frankreich und Spanien aufgefordert, Kontakt zu Reyes aufzunehmen, um zu einem humanitären Abkommen zu kommen. Dabei sei ihm das Leben der Geiseln egal, meint Delloye: "Er zieht es vor seinen Krieg, koste es was es wolle, durchzuziehen".

Auch der ecuadorianische Präsident wirft Uribe Verrat vor. Man sei nicht vom kolumbianischen Volk verraten worden, sondern "von nur einem Mann, von einer Regierung aber wir wissen, wie wir unser Land verteidigen", sagte Correa. Statt sich für den Angriff zu entschuldigen, besäße Uribe auch noch die Frechheit Ecuador zu beschuldigen und Erklärungen zu verlangen. Uribe versuche den Nachbar zu destabilisieren, weil Ecuador sich weigere, dem von den USA entwickelten Plan Columbia ( http://de.wikipedia.org/wiki/Plan_Colombia) zu unterstützen. Er fragt sich, ob es letztlich darum gehe, auch in Ecuador eine Marionettenregierung einzusetzen.

Angriff ist die beste Verteidigung denkt man sich offenbar in Bogota und beschuldigt auch den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez heftig. Dem wirft der kolumbianische Polizeichef nun vor, die FARC finanziell zu unterstützen. Dass diese Anschuldigung sich mit der Tatsache widerspricht, dass die FARC über den Drogenhandel zu einer Gefahr für die gesamte Region geworden sei, ist nur eine der Besonderheiten in der Argumentation. Jedenfalls behauptete Naranjo auch, Venezuela habe 300 Millionen US-Dollar (fast 200 Millionen Euro) an die FARC gezahlt. "Wir haben Informationen gefunden, welche die venezolanische Regierung kompromittieren", sagte Naranjo. Auch diese Daten seien auf dem Computer von Reyes gefunden worden, der sich zur Quell aller Anschuldigungen von Uribe zu verwandeln scheint.

So will Uribe, der einen kriegerischen Akt gegen einen souveränen Staat ausführen ließ, nun Hugo Chávez damit vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zerren, weil Chávez den "Völkermord unterstütze und finanziere" sagte Uribe großspurig ( http://www.univision.com/contentroot/wirefeeds/noticias/7422762.html) nach einem Treffen mit dem ehemaligen Kongress-Mitglied Gloria Polanco. Die war erst letzte Woche über die Vermittlung von Chávez nach sechs Jahren freigelassen worden. In Venezuela bezeichnete der Präsident der Parlamentskommission für auswärtige Angelegenheiten das Vorgehen als "Ablenkungsmanöver". Saúl Ortega erklärte: "Es ist eine alte Taktik der Kriminellen bei der Flucht vom Tatort von ihrer Verantwortung abzulenken". Es handele sich um eine lachhafte Anschuldigung vor einem "sehr ernsthaften Organismus und ich glaube nicht, dass es die kolumbianische Regierung das ernsthaft vorhat", sagte er ( http://economia.eluniversal.com/2008/03/04/pol_ava_diputado-ortega:-den_04A1406575.shtml)
So darf das gesamte Vorgehen von Uribe als Befreiungsschlag gewertet werden, mit dem seine Regierung versucht wieder in die Offensive zu gelangen. Das er dabei mit dem Feuer spielt und die Region an den Rand einer Kriegsgefahr bringt, ist Uribe offensichtlich genauso egal wie das Wohlergehen der Geiseln. Tatsächlich kam er durch die erfolgreiche Vermittlung von Chávez immer stärker unter Druck. Zudem waren es die vier Ex-Kongressmitglieder, die letzte Woche als Geste des guten Willens ohne Gegenleistung von der FARC freigelassen wurden, die von Uribe politische Verhandlungen mit der FARC forderten, um eine "politische Lösung zu erreichen".

Es müsse etwas getan werden, um die übrigen Geiseln zu retten, sagten sie auf einer Pressekonferenz in Caracas. Die Öffentlichkeit müsse sensibilisiert werden und "Druck auf beide Seiten ausgeübt werden, damit sie verstehen, dass es eine politische Lösung geben muss", sagte Luis Eladio Pérez. "Es ist absurd an die Möglichkeit einer militärischen Befreiung zu denken" Wenn der kolumbianische Präsident weiter auf diesen Weg dränge "wird er 40 oder 50 Leichen erhalten". Sie erklärten, einen Vorschlag für Uribe, Sarkozy und Chávez zu haben, dessen Inhalt sie noch nicht öffentlich machen könnten ( http://www.elmundo.es/elmundo/2008/02/29/internacional/1204255236.html).
Ecuador und Venezuela haben wegen der Anschuldigungen durch Kolumbien inzwischen die diplomatischen Kontakte zu dem Land abgebrochen und beide Länder haben zum Schutz ihrer Grenzen Truppen im Grenzgebiet zu Kolumbien aufziehen lassen. Hugo Chávez hat zudem auch den kolumbianischen Botschafter und das diplomatische Personal des Landes verwiesen. Chavez droht derweil mit der Nationalisierung von kolumbianischen Unternehmen. Er hat seine Minister aufgefordert eine entsprechende Liste zu erstellen.Die hat Die Farc haben derweil vier kolumbianische Touristen frei gelassen, die im Januar gefangen genommen wurden.

Ralf Streck, den 07.03.2008
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Ergänzungen

Was wusste Uribe über Freilassung

Tagesschau 07.03.2008 - 14:12
Was wusste Uribe über geplante Geisel-Freilassung?

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon versicherte der OAS "seine ganze Unterstützung" bei der Lösung der Krise. Correa warf Kolumbiens Staatschef Uribe zudem vor, er habe gewusst, dass die Farc-Rebellen im März ihre prominente Geisel Ingrid Betancourt freilassen wollten. Uribe habe seine Kontakte genutzt, um eine Falle zu stellen. Auch der französische Botschafter in Ecuador, Didier Lopinot, war nach eigenen Angaben darüber informiert, dass Ecuador sich um die Freilassung der franko-kolumbianischen Politikerin Betancourts bemühte. Die Botschaft sei informiert gewesen über die Kontakte Ecuadors zur Farc um Betancourt und andere Geiseln freizubekommen, sagte Lopinot in Quito.

Die USA sind Verbündeter Kolumbiens und hatten das Vorgehen der kolumbianischen Regierung gebilligt. Jedes Land müsse darauf achten, dass seine Grenzenregionen nicht von terroristischen Gruppen wie der Farc genutzt würden, so Rice. Die US-Außenministerin reist in der kommenden Woche nach Südamerika, um über die Spannungen zwischen Kolumbien und seinen Nachbarländern zu beraten.

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