Moskau: Feste und Faschos

unterwegs 06.03.2008 13:39 Themen: Antifa Kultur Militarismus Weltweit
Über ernste, lustige und weniger lustige Begegnungen in der russischen Hauptstadt. Mit Aktivismus, Musik, Politik und Geschichte.
(Fortsetzung von "Auf nach Moskau", "Impressionen aus Moskau" und "Deutscher in Moskau verhaftet!")

Wieder mal habe ich mich beim Blick auf den Stadtplan verschätzt: Von der Station bis zu unserem Treffpunkt bin ich jetzt schon eine Stunde lang zwischen gigantischen Wohnblocks unterwegs, Zehnstöcker, Vierzehnstöcker... Hätte mir ja denken können, dass ein Plan, der die größte Stadt Europas auf einem einzigen (wenn auch unhandlichen) Bogen Papier darstellen soll, nicht besonders detailliert sein kann. Ich soll hinter Haus Nr. 35 abbiegen, das ich nun endlich erreicht habe. Ich finde nicht genau heraus, was Haus Nr. 35 ist – irgendwas mit Verwaltung – aber jedenfalls latsche und latsche ich, und brauche nochmal eine geschlagene Viertelstunde, um daran vorbeizugehen. Wozu, bljed, braucht denn irgendjemand anderthalb Kilometer Verwaltung?
Endlich bin ich da. Wir treffen uns, um das Material für eine Aktion in Augenschein zu nehmen, das eine Genossin, die hier draußen wohnt, organisiert hat. Die Ware ist OK und soll in der Nacht vor der Aktion in die Stadt transportiert werden; ein Auto ist abgecheckt – gar nicht so einfach hier.
Die Aktion ist das Ergebnis von drei oder vier großen Plena, die zwar alle ganz furchtbar chaotisch waren, aber letztlich doch zu einem konkreten Plan geführt haben. In der kleinen Gruppe nehmen wir uns die Zeit, mal ein bisschen über den Sinn solcher Aktionen zu reden. Wir werden ein wenig Öffentlichkeit erreichen, aber die Aussichten, die Forderung der Aktion durchzubringen, sind gleich null. Auf den großen Medien haben Staat und Kapital den Daumen drauf: Was denen nicht passt, erfahren nicht viele. Neben der Staatsmacht gibt es ein zweites Problem: Die sehr verbreitete rechte Grundeinstellung, und als Spitze des Eisbergs die Faschos.
Eine Chance könnte auf der subkulturellen Schiene zu finden sein. Nur saufen und tanzen? Kommt mir ein bisschen schmal vor. Aber saufen, tanzen, gegen Staat und Nazis sein, und das gemeinsam, das wäre einfach mal eine Grundlage, erhalte ich zur Antwort. Die Leute in Russland sind apathisch. Von "denen da oben" hält kaum jemand viel (die meisten, mit denen ich gesprochen habe, auch "DurchschnittsbürgerInnen", wollten bei der Wahl entweder gar nicht oder ungültig abstimmen), aber an die Möglichkeit, sich zu wehren, glauben sie noch viel weniger. Und das muss man einfach aufbrechen. Klar, was wir hier treiben, ist nur der Anfang eines Anfangs...

Stress mit Nazis

Ich bin häufig in der Stadt unterwegs und komme in alle möglichen Gegenden. Mir sind keine "No go areas" genannt worden, obwohl mir vor meiner Abreise einige Leute entsprechende Schauergeschichten erzählt haben. Auch auf Faschos bin ich immer noch nicht gestoßen, dabei scheint es viele zu geben, und zwar verschiedene Sorten. Da gibt es die klassischen Faschoglatzen ("Boneheads", dem russischen Sprachgefühl als "Bonchedy" oder kurz "Bony" angepasst) und die meist rechten Hools ("Chuligany"). Oder Gopniki, so eine Art eher unpolitische Rednecks, die einfach auf Prügeleien aus sind und denen als Opfer alles recht ist, was irgendwie von der Norm abweicht.
Nazboly heißen ausgeschrieben Nationalbolschewiki, rot-braune StalinistInnen. Die haben eine eigene Partei (nicht zu verwechseln mit der KP), sind in der Opposition und beteiligen sich sogar an Anti-Putin-Demos. Auf AnarchistInnen sind sie aber extrem schlecht zu sprechen, sie wollen ja einen starken Staat (weswegen viele von ihnen den Putin "gar nicht so schlecht" finden). Nebenbei sind sie noch extrem antisemitisch – einerseits in stalinistischer Tradition, andererseits schieben sie die gigantische soziale Ungleichheit allein den "Oligarchen" in die Schuhe, und in ihren Augen sind das alles "Juden". Das sind natürlich großenteils verbohrte alte Knacker, die die Lösung aller Probleme in Träumen von der guten alten Zeit unter Väterchen Josef sehen. Aber dazu gehören genausogut junge Schlägertrupps.
Einmal meinte ein Bekannter, draußen vor dem Supermarkt würden Gopniki auf uns warten, aber das waren dann doch bloß ein paar Leute aus dem Kiez, die dort am Saufen waren. Allerdings sind leider mehrere Menschen aus meinem Umfeld in Schlägereien mit Faschos verwickelt worden, die Distanz ist also schon deutlich kleiner geworden als Köln-Detmold. Auf einer der letzten Demos wurde jemand bei einem Naziangriff schwer verletzt, den ich um zwei Ecken herum kenne, und selbst mein Kumpel J. hat vom letzten Wochenende einen Blinker mitgebracht – von einer Trance-Party! Er hatte protestiert, als die Faschos dort wiederholt den Hitlergruß machten und "Sieg Heil" riefen.
Jetzt versuchen wir, die Trance-Szene dazu zu bringen, solche Vögel nicht mehr auf ihre Partys zu lassen. Bis jetzt erfolglos. Es kommt das gleiche dumme Geschwätz wie in Deutschland bei ähnlichen Vorfällen, man sei ja unpolitisch und wolle niemanden ausschließen, und so lange sie keinen Ärger machten, sei es doch OK. Und den Stress hätte doch J. angefangen, also sei er selber schuld. Konsequenterweise haben die Securities ihn aus der Party rausgeschmissen und die Nazis weiterfeiern lassen. Dass man jede Menge andere Leute ausschließt, wenn man Nazis auf seinen Partys duldet, weil die sich dann entweder gar nicht hintrauen oder angegriffen werden, wird bei dieser Logik übersehen.
Wo ich gerade von Logik spreche, da ist Euch beim Lesen jetzt sicher ein Logikfehler aufgefallen: Der Abwehrkampf gegen den Faschismus, der "Große Vaterländische Krieg" von 1941-1945 (die zwei Jahre vorher werden meist dezent verschwiegen) ist DAS konstituierende Element des russischen Patriotismus schlechthin. Wie kommen also russische Patrioten dazu, den Hitlergruß zu machen? Die Erklärung ist ebenso bescheuert wie Patriotismus überhaupt – der Krieg sei kein Abwehrkampf gegen den Faschismus gewesen, sondern die Verteidigung des Vaterlandes gegen ausländische Feinde, die es überfallen hatten. Also sei das gar kein Widerspruch, Faschismus trotzdem für eine tolle Sache zu halten!
J. hat mir im Internet Fotos vom "Russischen Marsch" am Nationalfeiertag (4.11.) gezeigt, wo TeilnehmerInnen, unter ihnen ein Pope mit langem Bart, mit gestrecktem rechtem Arm paradieren. Die öffentliche Empörung habe sich in Grenzen gehalten, meint er. Wieso sie dazu noch auf Deutsch rumbrüllen müssen, kann er mir aber auch nicht erklären. Die Schnittmenge zwischen Stalinismus und Faschismus sei einfach ziemlich groß. Sein Großvater, Stalinist bis ins Mark, habe sich nach dem Ende der Zensur eine Menge faschistischer Literatur besorgt und sei total begeistert gewesen – der starke Staat, der starke Führer, totale Unterordnung der Einzelnen unter die "Volksgemeinschaft", keinerlei individualistische Abweichungen, Arbeit, Arbeit, Arbeit... und die Juden als Parasiten, die an allen Missständen schuld sind. (Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Systemen, der Holocaust, kommt in diesen Büchern natürlich nicht vor bzw. wird abgestritten.)

Russische Partys

Noch ein paar Worte zum "Trance", oder (wie es hier gesprochen und geschrieben wird) "Trans". Die vorhin genannte Party einfach eine Club-Party in Moskau, aber viel witziger ist das richtige "Trans". Nicht nur, weil da bisher noch keine Faschos hingehen. Du zahlst 1000 Rubel und kriegst einen Treffpunkt genannt. Von dort geht's zu einem anderen Treffpunkt, wo Busse warten, die anschließend die ganze Bande irgendwo in die russische Pampa fahren, meist mehrere 100 Kilometer von Moskau entfernt, wo's dann das ganze Wochenende (oder im Sommer auch mal eine ganze Woche) rund geht. Also quasi sowas wie ne Goa-Party. Gewöhnlich kriegen's die Bullen bis zum Schluss nicht mit, und das ist ganz gut so, denn so können die ganzen Verrückten da mit unheimlich verbreitertem Bewusstsein durch die Büsche springen.
Das Mittel der Wahl auf dem "Trans" sind Pilze; es gibt auch Pappen, aber Ihr probiert besser vorher aus, ob Ihr damit klar kommt. Jemand hat mal gesagt, der Pilz sei das Fahrrad des Bewusstseins und die Pappe der Mercedes. Ich möchte ergänzen: die russische Pappe ist eine laute, stinkende, ölige Dampfwalze. Der Effekt ist mit westlichen Varianten nicht direkt vergleichbar; ich vermute, es liegt an ziemlich aktiven Verunreinigungen. Gras gibt's hier übrigens auch, kostet mit 20 Euro pro Gramm aber gleich viel wie das weiße Pulver für die Venen und gilt daher als ziemliches Luxusgut, während letzteres extrem stark verbreitet ist. Leider.
Mir liegt eher die Punk-Kultur, die es hier auch gibt. Wie bei uns auch zerfällt die Szene in HC und Punkrock. Auf einem Konzi hast Du meistens nur eine der beiden Seiten. Ein anständiges Untergrund-Konzi kostet 150 Rubel, also gut 4 Euro, aber dann kann man immer noch einen Preis machen. Weil die Leute es irgendwie cool finden, dass ich überhaupt da bin, darf ich aber sowieso nirgends Eintritt zahlen.
Auf den Konzis, egal ob nun HC oder Punkrock, geht's meistens ab wie Schwein. Der Pogo ist hart, aber nicht allzu primitiv. Oft tanzen auch die Frauen mit, was ja immer ein gutes Zeichen für eine Szene ist. Circle Pit und Stagediven gibt's auch. Und dann kommen da immer diese Gruppenspielchen, z. B. kann man ja nicht nur von der Bühne Stagediven, sondern auch von einer spontan gebildeten Menschenpyramide. Bei einem Konzert in einem Theatersaal sind auch reihenweise Leute von der Empore ins Publikum gesprungen; zu meinem Erstaunen ist nix passiert... Oder es setzen sich auf einmal zwanzig Leute hintereinander mitten auf die Tanzfläche und fangen an, Bewegungen zu machen, als säßen sie zusammen in einem Ruderboot. Kreative Bands tragen das ihre zum Chaos im Pit bei, indem sie Pappmaché-Polizisten, riesige Stofftiere oder große Mengen wertloser weißrussischer Rubelscheine in die Menge werfen.
Wieder eine andere Wohnung, wieder eine Party. Ich wollte mir einfach mal ein bisschen die Stadt anschauen und habe dann zufällig in der U-Bahn ein paar recht junge Punks getroffen, die mich hierher geschleppt haben. Ihnen stinkt's mit den Faschos. All die Überfälle und Morde der letzten Zeit! Morgen wollen sie ihren Treffpunkt abfackeln. Oder vielleicht doch gleich heute? Ich rate ab, schließlich sind wir schon ganz schön betrunken. OK, heute wird nicht gezündelt. Aber vielleicht gehen wir wenigstens noch "to bash the fash"? Ist in dem Zustand auch nicht mehr so ganz empfehlenswert, nur D. meint, das wolle er heute schon noch machen, bevor er hinter dem Sofa umfällt und erst mal liegenbleibt.
Die Anderen quetschen mich über die Musikszene in Deutschland aus, kennst du diese Band, hast du die schon mal gesehen, hör mal die CD hier. Die meisten interessiert vor allem Deutschpunk von Mitte der 90er. Auch hier gibt's Internet, und einige präsentieren stolz ihre Kontakte zu West-Bands auf myspace. D. macht sich bemerkbar – "I now go bash the fash" – fällt jedoch kurz darauf wieder hinters Sofa. Wir unterhalten uns noch ein wenig über Veganismus und wie schwierig das in Russland durchzuziehen ist (aber möglich ist es). Plötzlich ist D. mit ein paar Anderen verschwunden. Wo sind sie hin? Wodka kaufen. Da bin ich ja beruhigt.

Meine private Wehrmachtsausstellung

Unsere Aktion ist geplatzt. Das Auto, das das Material transportieren sollte, fährt nicht. Batterie im Eimer, wahrscheinlich liegt's an der Lichtmaschine – soll ich euch die Zündung mit dem Feuerzeug starten, oder wie stellt ihr euch das vor? Großes Theater am späten Abend, ewiges Palaver, aber letztlich ist nichts zu machen. Schließlich wird beschlossen, dass die Sache auf nächste Woche verschoben ist.
Statt revolutionäre Aktionen durchzuführen, hänge ich also am nächsten Tag vor dem Kreml rum und treffe zur Abwechslung ein paar Deutsche. Nicht irgendwelche – es stellt sich heraus, dass die Herrschaften Wehrmachtsveteranen sind! Sie haben eine Partnerschaft mit einem Veteranenverein der Roten Armee und sind öfters mal hier zu Besuch – nun, mittlerweile nicht mehr ganz so oft, schließlich sind sie alle schon weit in den 80ern, und ihr Kreis war auch schon mal größer. Es stellt sich heraus, dass sie ganz unterschiedliche Einstellungen haben. Nur Einen von ihnen würde ich als richtig verbohrten Altnazi bezeichnen, die Anderen haben in den letzten 65 Jahren doch noch was dazugelernt.
Zwei waren in Gefangenschaft; der Eine erzählt sogar stolz, dass er damals beim ersten "Propagandamarsch" dabei war, als Zehntausende gefangener Soldaten durch Moskau geführt wurden. "Die ersten zwei Jahre haben sie uns richtig schlecht behandelt", sagt er, "und wir wussten auch, warum." Er erzählt mir ein paar wüste Geschichten über die "Partisanenbekämpfung", von Leuten, die erschossen wurden, weil bei Hausdurchsuchungen in ihren Küchen große Messer gefunden wurden, und anderen Willkürakten.
Was den Anderen, die beim Rückzug noch dabei waren, am meisten zu schaffen macht, ist die Strategie der "verbrannten Erde", die Anweisung, dass die nachrückende Rote Armee kein Dach mehr vorfinden dürfe. Dass sie den Leuten, die sie beim Einmarsch noch als Befreier vom Stalinismus bejubelt und entsprechend freundlich bei sich aufgenommen hatten, auf dem Rückzug ihre Häuser anzünden mussten, bereitet ihnen noch heute Gewissensbisse. Ähnliche Geschichten kenne ich viele, hauptsächlich aus der Wehrmachtsausstellung, aber es ist natürlich ganz was Anderes, das direkt von denen bestätigt zu bekommen, die dabei waren und teilweise sogar mitgemacht haben.
Sie laden mich ein, mit ihnen am nächsten Tag in ein Dorf zu fahren, das damals bei den Kämpfen eine wichtige Rolle gespielt hat. Die seit damals zerstörte Dorfkirche ist mit Hilfe eines neureichen Spenders erst kürzlich wieder aufgebaut worden, worüber sie sehr begeistert sind (ich find das Teil eher kitschig). Draußen unterhalten sie sich dann mit den Rotarmisten, von denen sogar Einer auf der anderen Seite an der Schlacht um dieses Dorf beteiligt war, über Details der Kämpfe und freuen sich, dass sie damals nicht so gut getroffen haben. Bei den Rotarmisten ist eine nette kleine Oma dabei, die auch als Veteranin angesprochen wird. Wieso das, haben Sie im Lazarett gearbeitet? Nein, nein – sie breitet die Arme aus und schüttelt die Fäuste in der Luft – ich war bei einer Maschinengewehrkompanie, Frauenbataillon. Bis Königsberg ist sie gekommen.
Vor einem schicken neuen Haus lehnt ein Mann, vielleicht Mitte 30, am Gartenzaun und lässt sich erklären, was das hier für eine Veranstaltung ist. Nun – inzwischen sind wir gute Freunde, und schon damals wollten wir ja eigentlich alle nur leben und nicht Krieg führen, aber die Politiker haben eben den Krieg gemacht und befohlen, dass wir aufeinander schießen. "Wie wir in Tschetschenien", rutscht es dem Dorfbewohner heraus. Er war bis vor einem Jahr dort. Als Offizier der OMON.

Damit möchte ich diese kleine Serie beenden – ich werde die nächsten Tage kaum noch zum Schreiben kommen, und die wichtigsten Nebensächlichkeiten sind, denke ich, erzählt. Die Hauptsächlichkeiten findet Ihr hier bei indy sowieso in den Übersetzungen von Artikeln z. B. von ru.indymedia.org, piter.indymedia.org und avtonom.org. Für Infos ausm Osten auf Papier empfehle ich außerdem das Abolishing the Borders from Below (ABB), erhältlich in jeder guten Køpi (die natürlich schon allein deswegen bleiben muss, basta!).
Den Kommentaren nach haben die meisten von Euch den Blick übern (Festungs-)Zaun genossen, nun hoffe ich, dass das auch ein paar Leute zu eigenen Aktivitäten ermuntert. Ein kontinuierlicher Austausch mit den russischen AnarchistInnen wäre sicher eine gute Sache, und Solidaritätsaktionen (politisch und finanziell) sind – leider – immer wieder nötig.
Noch was Persönliches: Ich habe in dieser Hinsicht zwar keine Bedenken, aber für diejenigen unter Euch, die sich Sorgen machen, werde ich spätestens am 16. hier drunter noch einen kurzen Hinweis posten, wenn alles geklappt hat und ich wieder zu Hause bin.
@Mods: Mit den Infos in diesen ganzen Artikeln gibt's kein Sicherheitsproblem, weder für mich noch für die RussInnen (warum, möchte ich nicht erklären, aber wir haben jedenfalls dafür gesorgt).

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Ergänzungen

Morde wie vom Fließband

http://www.jungle-world.com 06.03.2008 - 14:32
In Russland begehen Neonazis immer mehr rassistische Morde. Die Bevölkerung wünscht sich, dass der Staat endlich handelt: Die Zuwanderung solle begrenzt werden.

Die Gewalttaten von Neonazis in Russland nehmen ein immer schrecklicheres Ausmaß an. So überfielen Mitte Februar zehn mit Messern bewaff­nete Neonazis in Moskau zwei Kirgisen. Dem 25jährigen Merlan Ejgeschow fügten sie elf Messerstiche zu. Nach einer Notoperation verstarb er im Krankenhaus.

Ähnliche Meldungen tauchen seit Jahresbeginn in immer kürzeren Abständen in den Medien auf. Mindestens 36 Menschen kamen seither in ganz Russland durch brutale rassistische Übergriffe ums Leben, ein Drittel davon in der russischen Hauptstadt, darunter allein sechs Kirgisen. Dazu kommen noch zahlreiche Fälle, in denen die Betroffenen »lediglich« Körperverletzungen davontrugen.

Bereits Ende Januar, nach dem vierten Moskauer Todesfall, wandte sich die kirgisische Botschaft mit einer Protestnote an das russische Außenministerium. Die Täter sollten gefasst und einer harten Bestrafung unterzogen werden. Außerdem forderte die kirgisische Seite von den russischen Behörden unverzüglich vorbeugende Schritte gegen die eskalierende Gewalt. Daraufhin versprach der russische Innenminister Raschid Nurgalijew, die Ermittlungen unter seine persönliche Kontrolle zu nehmen, und der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses in der Duma, Wladimir Wasiljew, teilte mit, das Thema nationalistische Gewalt käme auf die Tagesordnung einer der folgenden Sitzungen.

Die Moskauer Behörden ließen sich mit einer Reaktion indes mehr Zeit. Die Miliz verstärkte zwar die Häufigkeit ihrer Straßenpatrouillen im Südosten, wo sich die Übergriffe auf nicht slawisch aussehende Menschen häufen. 180 Milizionäre waren in dem weiträumigen Gebiet zeitweilig unterwegs. Die Überfälle nahmen trotzdem nicht ab.

Erst drei Wochen nach der kirgisische Protestnote wurde eine Sondersitzung unter Leitung des stellvertretenden Moskauer Bürgermeisters einberufen, an der neben dem Leiter der Moskauer Polizei Wladimir Pronin insgesamt 92 Vertreter der in der Stadt ansässigen Minderheiten teilnahmen. Pronin sieht bislang keinen Anlass zur Beunruhigung. Eine »organisierte Bewegung« sei unter den Skinheads, wie die gewaltbereite rechtsextreme Szene vereinfacht bezeichnet wird, nicht vorhanden. Es handele sich lediglich um einzelne, untereinander nicht vernetzte Gruppen, genauer gesagt Studenten verschiedener Bildungseinrichtungen der Stadt.

Die Ursachenforschung Pronins ist bemerkenswert angesichts der zunehmenden Gewalt auf Moskaus Straßen. Nationalistische Gruppen entstehen seiner Ansicht nach, weil jungen Menschen keine positive Ideologie vermittelt werde. Wegen des zerfallenen Berufsschulwesens und des Wegfalls der Schulpflicht für die oberen Klassen bis zur mittleren Reife hätten die Jugendlichen nun nichts mehr zu tun und entwickelten kein Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeiterschicht. Da sie überdies von lauter zugezogenen Fremden umgeben seien, ließen sie ihre Aggressionen eben an jenen aus.

Dass Fremdenhass nicht allein bei marginalisierten und vernachlässigten Vertretern der Unterschicht anzutreffen ist, sondern Hetze gegen Migranten einen nicht unwesentlichen Bestandteil der nationalistisch-patriotischen Grundfeste der Gesellschaft bildet, sieht Pronin nicht. Dabei bedarf es für diese Erkenntnis keiner großen Anstrengungen. Man muss lediglich die Hauptnachrichten auf den beiden ersten staatlichen Kanälen anschauen, mit denen der Großteil der Bevölkerung sein Informationsbedürfnis befriedigt.

Unkommentiert ließ der Polizeichef auch die Festnahme eines 18jährigen rechtsextremen Massenmörders im April 2007. Der aus Jekaterinburg stammende Artur Ryno ist weder ein klassischer Schulabbrecher noch ein ideologisch unbedarfter Jugendlicher, sondern studierte Ikonenmalerei in Moskau. Er gestand den Mord an 37 Menschen nichtrussischer Herkunft, in 20 der Fälle war nach der Kenntnis der Ermittler sein gleichaltriger Freund Pawel Staschewskij beteiligt. Anfang Februar verhaftete die Miliz vier weitere Angehörige der Gruppe, die insgesamt neun Mitglieder umfassen soll.

Tatsächlich nimmt die Miliz in regelmäßigen Abständen rechtsextreme Gewalttäter fest, darunter immer mehr Minderjährige. Im vergangenen Jahr seien allein sieben bis zwölf Skinheadbanden gefasst worden, die in den Moskauer Vorortzügen dreiste Morde verübt hatten, teilte der Leiter der Abteilung des russischen Innenministeriums für Sicherheit im Transportbereich, Wjatscheslaw Zacharenko, mit. In welcher Form und ob überhaupt bei den Ermittlungen und späteren Gerichtsverfahren die rassistischen Motive der Täter berücksichtigt werden, ist völlig unklar. Weit verbreitet ist die Meinung, dass die Ermittler selbst kein Interesse daran hegten, andere Motive als »Hooliganismus« in Betracht zu ziehen.

Der Moskauer Anwalt Stanislaw Markelow, der sich als Vertreter von Opfern rechtsextremer Gewalt einen Namen gemacht hat, sieht das Problem hauptsächlich darin, dass die Faktenlage oftmals unklar ist. Zumindest in Moskau sei die Miliz inzwischen angehalten, die Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gruppen zu berücksichtigen. »Aber oftmals fehlen dafür hieb- und stichfeste Beweise«, sagte er der Jungle World. Antifaschistische Gruppen könnten mit ihrem Wissen wichtige Informationen liefern.

Gesellschaftlich macht sich unterdessen Ratlosigkeit breit. Der Staat solle entsprechende Maßnahmen ergreifen, meinen 60 Prozent der russischen Bevölkerung. Als »entsprechend« gelten dabei weniger eine konsequentere Strafverfolgung der Täter, grundlegende Verbesserungen im sozialen Bereich und im Bildungssektor oder gar eine Änderung des durchweg negativen und von Rassismus geprägten Bilds von Migranten in der Öffentlichkeit. Vielmehr beziehen sich die Erwartungen an den Staat einzig auf eine strengere Reglementierung und Einschränkung der Zuwanderung. 40 Prozent vertreten die Ansicht, nationale Minderheiten übten in Russland zu viel Macht aus, zudem verstießen insbesondere Zigeuner, Tschetschenen und Kaukasier gegen russische Sitten und Gebräuche. Das allgemeine Fazit lautet: Sie sind selbst schuld.

Rechtsextremismus in Russland

Radio Corax 12.03.2008 - 16:58
Rechtsradikale Parteien gehören fast überall in Europa zur traurigen politischen Normalität. Während die Strukturen und Strömungen rechtsextremer und antisemitischer Bewegungen in Deutschland und Westeuropa relativ gut erforscht sind, ist über die Ursachen des im östlichen Europa aufflackernden Rechtsextremismus kaum bekannt. Bis 1989 lebten die Länder des Warschauer Paktes gleichsam unter der Glasglocke einer staatlich verordneten Völkerfreundschaft mit sozialistischen Brudernationen. Bekämpft wurde der kapitalistische Klassenfeind, dem man gerne eine Nähe zum Faschismus attestierte. Beschworen wurde und wird der Sieg gegen den Nationalsozialismus, der im östlichen Europa Millionen von Menschen das Leben kostete. Auch angesichts dieser bitteren Erfahrungen galt das Thema als bewältigt. Dass es jenseits staatlicher Rhetorik aber auch in Russland, Polen, Ungarn und Rumänien rechtsextreme Traditionen gab, die weiter existierten oder die sich nach 1989 wiederbeleben ließen, wird immer deutlicher. Heute steht Russland im Mittelpunkt. Dort hat die Intoleranz gegenüber Fremden ein ungekanntes Ausmaß erreicht. Die Korrespondentin Ute Weinmann stand für ein telefonisches Interview zur Verfügung.

 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=21484

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unterwegs 13.03.2008 - 21:46
Also, ich bin wohlbehalten zurück - die Reise ging erstaunlich schnell. Zu Euren Fragen und Kommentaren: Russisch zu können ist da drüben absolut von Vorteil, aber es geht zur Not auch mit Englisch, das können in den Strukturen mit vielen aktiven jungen Leuten doch viele.

Stalin-Hitler-Vergleiche hab ich da drüben immer wieder gehört (ob nun von "unseren" Leuten oder "Normalos"), und die Leute sind zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Ein paar Ansichten hab ich Euch ja geschildert. In den Artikeln kam's mir ja auch mehr drauf an, was die Menschen in Russland denken, als meine eigene Meinung breitzutreten. Hab den Leuten dann jeweils schon gesagt, dass ich es durchaus als Vorteil empfinde, wenn nicht ganze Bevölkerungsteile durch den Schornstein gejagt werden.

Das mit der eigenen Tür ist ja schön und recht, aber sollte keine Ausrede sein, um den Antifas da drüben nicht zu helfen - die können unsere Unterstützung gut brauchen! Übrigens, dass rechte Ideologien nicht "aufgehen", ist nicht nur in Russland so, aber dass Nationalismus Quatsch ist, hat echte Patrioten noch nie gestört...

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