München: Gebirgsjäger vor Gericht

Resistenza Mittenwald 05.03.2008 00:18 Themen: Antifa Antirassismus Militarismus
Der AK Angreifbare Traditionspflege begrüßt in seiner Pressemitteilung dass die Münchener Staatsanwaltschaft gegen ein Mitglied des „Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V.“
wegen eines Kriegsverbrechens vorgeht. „Da sich gerade die Münchener Staatsanwaltschaft in derartigen Fällen nicht gerade durch überbordenden Verfolgungseifer hervorgetan hat, wird der Arbeitskreis das weitere Vorgehen intensiv beobachten und begleiten“, so der Kontext der Erklärung.
Die Anklage lautet: Mord

Die Massaker der Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg werden nun erstmals ein deutsches Gericht beschäftigen ! Die Staatsanwaltschaft München I hat Anklage wegen Mordes gegen den ehemaligen Leutnant Josef Scheungraber erhoben. Der heute 89-Jährige soll 1944 als Kompanieführer eines Gebirgs-Pionier-Bataillons die Ermordung von 14 Zivilisten in dem italienischen Dorf Falzano di Cortona (bei Arezzo) angeordnet haben. Der in Ottobrunn lebende Rentner wurde bereits 2006 in Italien in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommandierte Scheungraber im Sommer 1944 die 1. Kompanie des Gebirgs-Pionier-Bataillons 818, welches in Mittelitalien den deutschen Rückzug sichern sollte. Die Truppe war nicht an der Front eingesetzt und hatte nur wenige Verluste. Am 26. Juni 1944 wurde eine Streife von Partisanen überfallen, ein Unteroffizier und ein Gefreiter wurden dabei getötet. Der Kommandeur des Bataillons, soll gemeinsam mit dem Angeklagten einen Vergeltungsschlag befohlen haben, der offenbar noch am selben Tag ausgeführt wurde. Zunächst sollen eine 74-jährige Frau und drei Männer erschossen worden sein, die den Soldaten zufällig auf einer Straße über den Weg liefen. Anschließend wurden nach Angaben der Ermittler elf Männer festgenommen, die man in dem Dorf Falzano di Cortona im Erdgeschoss eines Bauernhauses zusammenpferchte. Der Anklage zufolge wurde das Haus anschließend mit Dynamit in die Luft gesprengt. Zehn Männer im Alter zwischen 16 und 66 Jahren starben in den Trümmern. Ein damals 15-jähriger Junge überlebte das Blutbad. Er wurde später Polizist und steht den Anklägern heute als Zeuge zur Verfügung.


Bereits in Italien in Abwesenheit verurteilt

Im Fall Scheungraber entschieden die Ankläger auf Mord aus niedrigen Beweggründen und Grausamkeit. Damit folgten sie erstmals ihren italienischen Kollegen, die bislang weniger Bedenken hatten, ehemalige Wehrmachtsangehörige wegen Kriegsverbrechen anzuklagen. Ein Militärgericht in La Spezia hat bereits einige deutsche Soldaten wegen verschiedener Massaker in Italien in Abwesenheit verurteilt. Scheungraber wurde am 28. September 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Da deutsche Staatsbürger nicht ausgeliefert werden, ist der Ottobrunner noch immer auf freiem Fuß. Inzwischen nannte Scheungrabers Anwalt Klamert die Entscheidung in Italien ein „Sondergericht á la Freisler“, womit er das Gericht in Liguriens Hauptstadt mit dem nationalsozialistischen deutschen Volksgerichtshof und dessen berüchtigten Blutrichter gleich setzte. Der AK Angreifbare Traditionspflege hat auch dessen Lebenslauf recherchiert. Mit 17 Jahren kam Klamert zur Wehrmacht. Bei Einsätzen an der Ostfront und in der Normandie erwarb er beide Stufen des Eisernen Kreuzes. Bei Kriegsende bekleidete er in der Panzer-Aufklärungs-Abteilung der 11. Panzer-Division den Rang eines Leutnant. Nach dem Krieg studierte Klamert Jura, was ihm eine ansehnliche Karriere bescherte. Unter anderem war er von 1970 bis 1990 Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes, und die TU München ernannte ihn zum Senator e.h. Noch zu Lebzeiten von Franz-Josef Strauß (ebenso Fürsprecher der Gebirgsjäger) war Klamert ab 1975 Vorsitzender der CSU-nahen Alfons-Goppel-Stiftung. Klamert trat dem Kameradenkreis 1953 bei, war von 1994 bis 2002 dessen 2. Vorsitzender, heute ist er Vorsitzender des Ältestenrates. Klamert verharmloste die Verbrechen der Gebirgstruppe als "Unseligkeiten" oder nannte sie "Hirngespinste", die immer wieder von "abgrundtief hassenden Journailletypen in Szene gesetzt" würden.


Selbsthilfevereinigung für Kriegsverbrecher

Das sei beileibe kein Ausrutscher eines alternden Rechtsanwalts gewesen, so der AK Angreifbare Traditionspflege „sondern Ausdruck der Mentalität Klamerts, bei dem sich Vaterland, Nation, Gemeinschaft und Kameradschaft eng mit dem Alpinismus verbinden und sich politisch rechtsextrem äußern.“ Klamert gehörte 2006 zu den Unterzeichnern eines Appells der rechtsextremen Wochenzeitung >>Junge Freiheit<<. Es sind diese Werte und diese Mentalität, die der „Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V.“ seit mehr als 50 Jahren an die Bundeswehr weiter gibt“, so der Arbeitskreis weiterhin. Beim sogenannten Totenschädelskandal als Gebirgsjäger aus Mittenwald in Afghanistan mit Totenköpfen Scherze betrieben hatten, und sich damit fotografieren ließen, war die Stadt in heller Aufregung. Diese „Selbsthilfevereinigung für Kriegsverbrecher“ sei als gemeinnützig anerkannt und werde vom Verteidigungsministerium ständig hofiert. Es stelle dem Kameradenkreis Einrichtungen der Bundeswehr für Saufabende und andere Versammlungen zur Verfügung, schicke seine Musiker zu den Kriegsverbrecherfeiern auf den Hohen Brendten bei Mittenwald und entsende den Staatssekretär im Verteidigungsministerium Christian Schmidt (CSU), Mitglied im Kameradenkreis, als seinen offiziellen Vertreter zur Pfingstfeier. Dort traf dieser Pfingsten 2007 unter anderem auf den Parteigenossen Scheungraber und die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger. Im Gegensatz hierzu verbot der österreichische Verteidigungsminister Darabos mittlerweile seinen Soldaten die Teilnahme an der Pfingstfeier 2007. Folglich fordert der Arbeitskreis den Entzug der Gemeinnützigkeit des Kameradenkreises der Gebirgstruppe und das Verbot der Pfingstfeier des Kameradenkreises auf dem Hohen Brendten, gleichzeitig eine Einstellung der Unterstützung des Kameradenkreises durch das Verteidigungsministerium.


Deutsche Staatsanwaltschaft verzichtet auf Haftbefehl

Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte erst kürzlich ein ähnliches Verfahren um ein Massaker der Gebirgstruppe auf der griechischen Insel Kephaloniá an italienischen Kriegsgefangenen eingestellt. In dem Beschluss hieß es damals, dass allenfalls ein Totschlag in Betracht komme, ein solcher sei aber verjährt. In Kephaloniá ermordet die 1. Gebirgsdivision "Edelweiß" vor den Augen der Zivilbevölkerung zwischen dem 16. und 23. September 1943 fast 5000 italienische Soldaten und Offiziere, die auf Grund des Wechsels der italienischen Regierung ins Lager der Alliierten als "Verräter" bezeichnet wurden. Nach der neuen Anklage wird Scheungraber zunächst auch nicht ins Gefängnis müssen. Die Münchner Ankläger haben auf einen Haftbefehl verzichtet, da sie weder Verdunklungs- noch Fluchtgefahr erkennen könnten. Ob es zu einem Strafprozess komme, sei weiterhin offen. Zuständig für den Fall ist die 1.Strafkammer des Landgerichts München I. Sie müsse zunächst über die Zulassung der Anklage entscheiden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung habe Scheungraber den Richtern ein Attest vorgelegt, demzufolge er verhandlungsunfähig sei. Die Kammer will das nun prüfen. Mitglied im "Kameradenkreis" ist bis heute der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber. Ein anderer prominenter Fürsprecher der Gebirgsjäger war auch Franz Josef Strauß. Er wurde 1957 zum "Jäger honoris causa" ernannt. Im Kameradenkreis der Gebirgstruppe sind noch ca. 2000 ehemalige Wehrmachtsangehörige organisiert. Nach historischen Erkenntnissen des AK Angreifbare Traditionspflege sei nicht die Frage, wer von ihnen an NS- und Kriegsverbrechen beteiligt war, sondern wer es NICHT war. Es sei bekannt, dass ganze Kompanien gemeinsam an unvorstellbar grauenhaften Massakern beteiligt waren, wie die aus Mittenwald stammende 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Bataillons 98, die im nordgriechischen Kommeno hunderte von Zivilisten hinmetzelte.


Pressespiegel zu den Gegenprotesten
 http://nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/presse/

Soldatische Traditionspflege in Mittenwald
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14926/1.html

Der Totenkopfskandal
 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,444939,00.html
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Ergänzungen

Auf nach Mittenwald am 2. bis 4. Mai!

Bernhard T. 05.03.2008 - 09:25
Die Proteste gegen das diesjährige Gebirgsjägertreffen im bayerischen Mittenwald finden dort vom 2. bis 4. Mai 2008 statt.

Vgl. auch  http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0392_sz.htm sowie  http://mittenwald.blogsport.de/ (im Aufbau)

Impressionen aus Mittenwald

Niedermit 05.03.2008 - 11:37
Mittenwald - Stadt der Totenschänder
Es ist seit den Protesten gegen die Brendtenfeier 2002 kein Geheimnis mehr, in welchem Umfeld die Gebirgsjäger der Bundeswehr seit 50 Jahren in Mittenwald ausgebildet, trainiert und seit 1999 in alle Welt zum Auslandseinsatz geschickt werden. Noch heute treffen sich in so genannten Traditionskameradschaften die Mörder von Kommeno,
Kephalonia und die Gebirgsjäger, die die Deportationen der Athener Juden zu verantworten haben.
Die alljährliche Heldenverehrung an Pfingsten geht einher mit Hakenkreuzorden, Hitlergruß und
antisemitischen Ausfällen gegen Holocaust-Überlebende.
Den greisen Tätern des Vernichtungskrieges ist seit jeher die Unterstützung der Bundeswehr sicher. Traditionspflege für die Mörder und Kriegsverbrecher ist seit 50 Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der Traditionspflege der Bundeswehr.


Impressionen aus Mittenwald

 http://de.youtube.com/watch?v=GNDDuT3UMXA

 http://de.youtube.com/watch?v=TAX07YO1_QU

Siehe auch

Buchtipp 05.03.2008 - 21:32
Mörder unterm Edelweiß. Dokumentation des Hearings zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger
 http://www.amazon.de/Edelwei%C3%9F-Dokumentation-Hearings-Kriegsverbrechen-Gebirgsj%C3%A4ger/dp/3894382953

oder im VVN Shop kaufen:
 http://www.vvn-bda.de/shop/

Stoiber ein Gebirgsjäger als Gebirgsschütze

bayrische Seilschaften 15.03.2008 - 11:45
Ein prominenter Fürsprecher der Gebirgsjäger war der damalige Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Strauß . Er wurde 1957 zum "Jäger honoris causa" ernannt Strauß war u.a. von 1956 bis 1962 Bundesminister der Verteidigung und vom 7. November 1978 bis zu seinem Tod am 3. Oktober 1988 durch spare ribs fracture bayerischer Ministerpräsident.

Sein Leiter der Staatskanzlei Edmund Stoiber war von 1961 bis 1962 Gebirgsjäger in Bad Reichenhall und Mittenwald. Stoiber wurde nach einem Intermezzo von Max Balthasar Streibl bayrischer Ministerpräsident.

Do 24.04. Infoabend DGB Haus MUC

HBS 22.04.2008 - 10:32
Am Do 24.04 ist im Münchner Gewerkschaftshaus ein Infoabend zu Mittenwald 2008. Beginn: 20:00 Uhr, Eintritt frei