Skandal in Leipziger Kunsttempel

r.mutt 02.03.2008 12:55 Themen: Kultur
Gunter Sachs gilt als Prototyp eines sorgenfreien Lebemannes: Industriellenerbe, Jetsetter der ersten Stunde, als Playboy verrufen, einst mit Brigitte Bardot verheiratet, ein Liebling der Boulevardmedien. In Leipzig erhält der inzwischen 75-Jährige nun eine Retrospektive in einem renommierten städtischen Kunstmuseum. Ein Skandal in mehrfacher Hinsicht.
Über das Museum der bildenden Künste in Leipzig heißt es bei Wikipedia: "Es beherbergt eine der ältesten, größten und wertvollsten bürgerlichen Kunstsammlungen Deutschlands." Es handelt sich also um ein renommiertes Haus. Das Museum residiert in einem rund 75 Millionen Euro teuren Neubau, es produziert immense Betriebskosten, verfügt jedoch kaum über Geld für Ankaufe und Sonderausstellungen.

In Zeiten hoffnungslos verschuldeter Etats interessiert es Stadträte, denen es ohnehin längst an kultureller Bildung mangelt, wenig, ob städtische Museen gute, kritische Arbeit leisten. Sie interessiert nur, ob sich die Besucherzahlen und Einnahmen optimieren lassen. In Leipzig führt das zu paradoxen Situationen. Das Museum der bildenden Künste steht Unternehmen wie BMW und DHL zu Spottpreisen für Betriebsfeiern zur Verfügung. Es richtet Ausstellungsreihen und -räume für Privatsammlungen ein. Sonderausstellungen geraten zu Werbeträgern: Hans Hartung, sponsored by Deutsche Bank. Auf der Strecke bleibt Ansehen, Bedeutung und letztlich die Existenzberechtigung. Museen sind weder Litfasssäulen noch mietbare Mehrzweckhallen. Sie sind Schutzräume für Güter, welche einen Wert besitzen, der jenseits kapitalistischen Denkens besteht. Lassen sie davon ab, so machen sie sich selbst überflüssig.

Nun hat der Ausverkauf in Leipzig eine weitere Dimension angenommen. Gunter Sachs, bekannt aus den Boulevardmedien als Prototyp des Playboys, erhält den gesamten Sonderausstellungsbereich, knapp 2000 Quadratmeter Fläche, um seine eigenen Fotos von leicht- bis unbekleideten Mädchen, seine Filmchen, seine Motorräder, den Inhalt seiner Fotoalben, zahlreiche Porträts, die ihn zur Ikone stilisieren, sowie einige Werke seiner Kunstsammlung zu zeigen. Kritisch begleitet wird die Ausstellung nicht, Sachs hatte völlig freie Hand bei der Gestaltung. Das eigentlich finanzklamme Museum bezahlte dem Multimillionär dennoch Transport, Versicherung und einiges mehr. Gezeigt wird beispielsweise eine Kopie von Andy Warhols "Superman". Sachs besaß das Original, verkaufte es jedoch 2004 für den Rekordpreis von rund 25 Millionen Dollar. Der 75-Jährige behandelt Kunst scheinbar selbst wie Aktien. Sein Pressesprecher erklärt dennoch dreist, Sachs schaue mit Unverständnis auf den heutigen Kunstmarkt.

Dass die Ausstellung mit dem schlüpfrigen Titel "Die Kunst ist weiblich ..." in dieser Form überhaupt in einem städtischen Kunstmuseum stattfindet, ist für sich bereits Skandal genug. Doch der PR- und Medienapparat, der flankierend bemüht wird, gibt weiteren Grund zum Protest. Die Ausstellung wird von Publikationen begleitet, in denen eindeutig und wissentlich Unwahrheiten verbreitet werden. So darf Sachs behaupten, er habe 1972 in seiner Hamburger Galerie "die erste Warhol-Ausstellung auf unserem Kontinent" eröffnet. In Wirklichkeit dagegen war Warhol bereits seit 1964 etliche Male in Einzelausstellung in Europa zu sehen, in Museen wie in Galerien. Der Kunsthistoriker Wolgang Strack konfrontierte den Museumdirektor Hans-Werner Schmidt mit diesem Faktum. Doch der Direktor wimmelte den Experten flapsig ab. Offensichtlich genießt der Opel-Enkel Gunter Sachs in dem Kunsttempel Narrenfreiheit. Inzwischen machen sich selbst Museumsmitarbeiter nicht mehr die Mühe, ihren Unmut über diese Ausstellung zurückzuhalten. Vergeblich, ihre Kritik prallt an der Chefetage ab.

Markant an der Geschichte ist auch die überwiegend positive Medienresonanz. Es klingt geradezu nach einer Verschwörungstheorie, doch Sachs verfügt schlicht und einfach über vorzügliche Kontakte in Chefredaktionen. Die einzige lokale Tageszeitung vor Ort, die Leipziger Volkszeitung, lässt ihre Artikel und Fotos über die Ausstellung von Sachs' Pressestelle absegnen, bevor sie erscheinen. Der Chefredakteur speiste nach der Vernissage mit Sachs und Ehrengästen, darunter Mario Adorf und Günter Netzer, im Edelrestaurant Auerbachs Keller. Anders als üblich, war die Vernissage nicht öffentlich, Einlass nur mit Einladung.

Auf Kosten der Steuerzahler erhält so ein steinreicher Altplayboy, einst Ehemann von Brigitte Bardot, eine exquisite Gelegenheit, sein Image zu polieren und seine Kunstsammlung aufzuwerten. Von außen betrachtet ein unfassbarer Vorgang!
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Ergänzungen

kritische Ausstellungspraxis

skeptiker 02.03.2008 - 19:44
Ich verstehe die vorangegangenen "Ergänzungen" nicht. Wenn es stimmt, dass dieses Museum in Leipzig auf kritische Ausstellungspraxis verzichtet und statt dessen den Renommiergelüsten eines Möchtegernkünstlers nachkommt, dann ist das durchaus ein Skandal.

Leipzig ist eine Stadt, in der darüber debattiert wird, ob sie das Marx-Relief der Uni noch zeigen darf oder auf der Halde entsorgen muss. Das Relief wird nun an den Innenstadtrand abgeschoben und erhält einen kritischen Kommentar. Vorschlag: Das Relief unkommentiert lassen, Sachs kommentieren.

Das mit der Zeitung empfinde ich ebenfalls als ungeheuerlich. Hofberichterstattung ziemt sich weder bei Politikern noch bei Multimillionären. Freiwillige Zensur ist ein Armutszeugnis. Insofern hat der Bericht schon seine Berechtigung.

Der Kaiser ist nackt

Adelheid 02.03.2008 - 23:44
Lasst sie uns gleich wieder abbauen - Der Kaiser ist nackt!

Statt der selbsternannten VIP's hätten die tausenden Hartz-IV-Empfänger der Stadt Leipzig bei der Ausstellungseröffnung anwesend sein müssen. Sie hätten sehen können, was man alles erreichen kann, wenn man nicht arbeitet...

Die Ausstellung ist die Show eines Menschen, der Geld, aber kein Können hat. Aus den Fotos grüßen nakte Hohlkörper. Weder der Fotograph ist zu spüren, noch eine Beziehung zwischen Fotograph und Modell. Auch das Modell strahlt nichts aus - Leere, eine Ansammlung von bunten Pixeln, Nichts. Aber das verwundert auch nicht weiter. Nach eigener Aussage wählte er zum Beispiel sein Modell Tanja nach folgenden Kriterien: trotz extremer Schlankheit zeichnet sich keine Rippe ab, Arme verlaufen ohne wahrnehmbare Ellen, ebenmäßige klassische Züge, natürlicher Gang (aus dem Begleitheft zur Ausstellung). - Auf Ausstahlung kam es eindeutig nicht an.

Kunst kommt von Können. Sachs "Können" geht so weit, dass er das von anderen eingereichtete Jugendstilzimmer mit Nippes verunstaltet und mit Büchern, denen man auch aus einiger Entfernung ansehen kann, dass sie nie gelesen wurden.

Hier feiert sich die Dekadenz - zum Beispiel mit Bildern aus dem Club Dracula in St. Moritz. Sachs findet nächtliche Rodeltouren Ende der 1960'er Jahre so wichtig, dass er sie im Ausstellungsheft glaubt, beschreiben zu müssen. Hat die (Kunst-)Welt nichts Wichtigeres zu berichten? Diese künstliche Welt wohl nicht.

Und was dachten wohl die Herren Schmidt (Direktor des Museums) und Jung (OBM der Stadt Leipzig), als sie zweimal vor den gleichen Gästen dieselbe nichtssagende Rede redeten? Nein, liebe Herren! Es waren unter den Gästen nicht nur langstielige Blondinen! Wir haben's gemerkt! Fehlte Dr. Schmidt ggf. die Zeit, zwei Reden vorzubereiten? Nun, mit der Organisation der Ausstellungseröffnung hat er diese nicht zugebracht. Nachdem die "Vipsten" schon 18.00 Uhr erschienen, hatten die "Normal-Vips" 20.00 Uhr ihren Auftritt - mit Hindernissen. Erst kamen sie - trotz Einladung! - kaum ins Museum rein, dann waren die Kapaziäten der Gardarobe erschöpft. Wer seinen Mantel nicht anbehalten wollte, durfte gleich wieder gehen. Zu schlechter Letzt ließ man die Geladenen noch vor der Glastür stehen, obwohl im Empfangsraum noch genügend Platz war. Sie durften sich die Nase platt drücken - oder gleich wieder gehen. Nein Herr Dr. Schmidt - so geht man mit Museumsbesuchern nicht um! Hier mangelte es an Feingefühl und Respekt. Es hatte keinen Stil - insoweit passte es allerdings schon wieder zu dem zweitklassigen Werk, dass im Untergeschoss auf die Gäste wartete.

Was hat Gunter Sachs' Werk im Museum der BILDENDEN KÜNSTE zu suchen? Wer die Scheinwelt reicher Leute, für die selbst nach über vierzig Jahren eine nächtliche Rodeltour in St. Moritz bedeutsam ist, sehen möchte, der schlage irgendeine Illustrierte auf. Im Bildermuseum hat dies nichts verloren. Und für die - zum Glück vorübergehende - Einlagerung dieser Werke ist das Bildermuseum zu teuer. Oder zahlt Sachs Einlagerungsgebühren?

Zum Schluss bleibt die Frage: Warum ist gerade die nachgestellte Selbststrangulierung einer Frau das Motiv für diese Ausstellung?

Nein, diese Ausstellung wird keine Milliionen Besucher anziehen. Niemandem ist zu raten, Geld für eine Eintrittskarte auszugeben, damit sich Dekadenz und Nichtkönnen selbst feiern können.

Lasst uns diese Ausstellung sofort wieder abbauen - der Kaiser ist nackt!

Mit fremden Federn schmücken?

r.mutt 03.03.2008 - 06:24
Noch eine interessante Ergänzung. Der Museumsdirektor stellt das Zustandekommen der Ausstellung wie folgt dar: Er habe der Eröffnung des Frieder-Burda-Museums beigewohnt, dort Gunter Sachs gesehen und sich gefragt, warum dieser seine Sammlung eigentlich nicht öffentlich zeigt. Er schickte Sachs deshalb einen Brief mit Information über das Museum. Sachs sei dann nach Leipzig gekommen und die beiden Skorpione (Sternzeichen, ein Forschungsgebiet von Sachs) hätten die Ausstellung vereinbart.

Laut Wikipedia verhielt sich die Sache allerdings anders. Demnach hat die Agentur Reichelt und Brockmann die Ausstellung im Leipziger Museum platziert, gegen Vermittlungshonorar von Sachs. Zitat aus der Wikipedia-Diskussion über Gunter Sachs:

"Peter Reichelt und Ina Brockmann haben im Sommer 2006 ihre Idee einer großen Sachs-Retrospektive an Gunter Sachs und an das Museum in Leipzig herangetragen. Ein erstes persönliches Treffen in dieser Causa zwischen Sachs, Reichelt und Brockmann fand im Juni 2006 in Velden/Österreich statt. Sachs gab daraufhin Reichelt und Brockmann den Auftrag, anläßlich seines 75. Geburtstages einen repräsentativen Ausstellungsort in Deutschland zu finden. Reichelt und Brockmann kontaktierten daraufhin im Herbst 2006 den Direktor des Leipziger Museums, Hans-Werner Schmidt. Schmidt war von der Idee und dem Projekt begeistert. In den Folgemonaten fanden umfangreiche Sondierungsgespräche in Leipzig und München statt, die das Ausstellungsbüro Reichelt und Brockmann vollumfänglich organisiert hat. Daraufhin wurde zwischen Sachs und dem Museum ein Ausstellungsvertrag geschlossen. Reichelt und Brockmann erhielten im Januar 2008 für ihre erfolgreiche Arbeit zur Realisierung der Ausstellung von Gunter Sachs eine Honorierung. Dieser gesamte Vermittlungsprozeß ist durch umfangreichen Schriftverkehr zwischen Sachs, dem Museum und Reichelt und Brockmann dokumentiert."

Quelle:  http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:Gunter_Sachs

Kritik der Kunst

etralooping 03.03.2008 - 20:34
Möglicherweise ist diese Ausstellung und deren Zustandekommen/Umsetzung tatsächlich grottenschlecht. Das könnte auch als solches differentiert krtisiert werden. Stattdessen wird hier die angeblich ach so autonome Kunst idealisiert (als ob nicht diese nicht schon immer auch Warencharacter gehabt hätte)

Statt sich die Gute alte Zeit zurückzuwünschen, in der die "Kunsttempel" noch von sachverständigen/stattlichen Priester-Autoritäten betreute "Schutzräume für Güter, welche einen Wert besitzen" waren deren besonderheit angeblich darin bestehe "jenseits kapitalistischen Denkens" zu liegen und die von der Institutional Critique zurecht angegriffen wurde, sollte eine moderne "Kritik der Kunst" deren wiedersprüngliche gesellschaftliche Herkunft und Funktion und damit ihren ideologischen Charakter sichtbar machen.

"Die Autonomie der Kunst ist Moment ihrer Eman­zipation von den Abhängigkeiten der vorbürger­lichen Gesellschaft, von Hof und Kirche. Die Idee der Autonomie der Kunst korrespondiert mit dem Entwurf eines autonomen Subjekts, das – dem Ideal der Aufklärung folgend – die empha­tische Selbstbestimmung meint; gleichzeitig wird die Kunst zunehmend zum einzigen Ort, an dem das autonome Subjekt sich überhaupt verwirklichen kann – als Künstler. Derart wird Autonomie zur Qualität einer geschlossenen Einheit des Kunstwerkes, wobei zur Autonomie der Kunst ihr Wahrheitsgehalt gehört, der auf Erkenntnis zielt. Hieraus leitet sich die gesamte »Ideologie des Ästhetischen« (Terry Eagleton) ab, die den Kunstbegriff und den Kunstbetrieb im bürgerlichen Zeitalter kennzeichnet.

Denn die Ästhetik der Autonomie ist nur möglich, wo sich ein eigenständiger Kunstmarkt herausbildet. Die »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« (Kant), die als Grundsatz der Autonomie-Ästhetik gelten kann, wird im Kunstwerk dadurch gerettet, dass der gesellschaftliche Zweck der Kunst vom Werk selbst abgespalten wird; erst wo die Kunst zur Ware wird, kann sie eine Form der Auto­nomie realisieren, die paradoxerweise darin besteht, die Unabhängigkeit vom ökonomischen Markt zu deklarieren. Damit verdoppelt sich in der Kunst der von Marx beschriebene Fetischcharakter der Ware."

Roger Behrens in "Autonomes Krisengebiet" ( http://jungle-world.com/seiten/2008/06/11402.php)

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das ist reichlich dämlich — gunter sachs

na und — daniel

oh gott — Mike