Deutscher in Moskau verhaftet!

unterwegs 01.03.2008 09:57 Themen: Kultur Weltweit
Ein paar Beispiele zum Umgang mit der russischen Staatsmacht. Geschichten über Korruption, Rassismus und Sondereinheiten. Und wie das jemand im Zusammenhang mit der Wahl noch selber ausprobieren durfte.
(Fortsetzung von http://de.indymedia.org/2008/02/209012.shtml und http://de.indymedia.org/2008/02/209140.shtml)

Im Prinzip ist alles möglich, hatte mir eine polnische Freundin vor der Reise erklärt, man muss eben mit den Leuten reden. Auch mit Staatsbütteln, Bullen oder irgendwelchen Amtsfuzzis. Das läuft oft auf Korruption raus, die berühmte "Wsjatka", muss aber nicht. Die wollen einfach wissen, wie Du drauf bist. Bei praktisch Allem kriegst Du erst mal gesagt, das ginge nicht, und dann geht oft Vieles, was theoretisch gar nicht geht, sei es, weil Du Dein Gegenüber geschmiert hast, sei es, weil Du einfach für "OK" befunden wurdest.

Bullen...

Stoppen geht in Russland zum Beispiel gar nicht. Deswegen fühl ich mich ein bisschen komisch, als mein Fahrer mich genau am Kontrollpunkt der DPS (Verkehrspolizei) absetzt. Na, wird schon recht sein, denk ich mir und halte meine Pfote in den Wind. Da werde ich dann doch recht schnell zur Wachstube gebeten. Papiere checken, woher, wohin, soso, komm doch mal rein. Kofe budisch, magst Du einen Kaffee? Na gut, ist ja kalt draußen, schwarz bitte. Ohne alles? Ach komm, ein Stück Zucker kannst Du doch nehmen. Ein paar Fragen zu Deutschland, zum Sozialstaat, zu Obdachlosigkeit. Denen geben sie Wohnungen? Ich bin seit 15 Jahren bei dem Verein und kann mir keine eigene Bude leisten. Das also ist die Ausgangslage für das Verhältnis zwischen Job, Loyalität und Nebeneinkünften. Dann kriege ich ein Stück Kuchen aufgenötigt und kann gerade noch den Wodka ablehnen, bevor die Jungs draußen vor der Tür einen Laster stoppen, der in meine Richtung fährt. Sie haben ihn wirklich bloß angehalten, damit er mich mitnimmt!
Die Ukrainer waren nicht ganz so freundlich. "Hast Du Kohle?" fragt mich die leicht angetrunkene, stark geschminkte Dame, die morgens um drei um die Laster auf dem Parkplatz herumstreunt. Wenn Du keine Kohle hast, stehst Du zum Stoppen besser dort oben. Wenn Du Kohle hast, holst Du drüben in der Wirtschaft ein Bier, gehst da runter zu den Bullen und gibst es ihnen, dann besorgen sie Dir einen Lift. Ich hole kein Bier, gehe aber trotzdem mal runter. Tatsächlich kontrollieren sie mich, Papiere in Ordnung, und zu holen ist bei einem Stopper sowieso nichts, also lassen sie mich wieder laufen. Ich laufe nicht weit, sondern quatsche einfach trotzdem die Leute an, die sie anhalten. Und diese Säcke funken mir da doch tatsächlich dazwischen, mit Sprüchen wie "Wollen Sie diesen Deutschen wirklich mitnehmen?" – "Ach wisst Ihr, ich war schon drüben. Der Hitler war ein schlechter Mensch, aber die anderen sind ganz OK", sagt schließlich ein Lasterfahrer und nimmt mich trotzdem mit, ätsch.
(Ständig mit diesem Hitler konfrontiert zu werden, geht mir zwar mit der Zeit ziemlich auf die Nerven, ist aber angesichts der gewaltigen Zerstörungen und der unglaublichen Zahl von Toten, die der Krieg hier hinterlassen hat, kein Wunder. Vor allem in einigen Städten der Ukraine und Südrusslands sind mir hektargroße Gedenkstätten aufgefallen, die nicht nur aus stalinistischer Megalomanie solche Ausmaße angenommen haben, sondern auch, weil der Krieg in den umkämpften Städten entsprechende Schneisen der Verwüstung hinterlassen hat. Die alten Leute hier sind sozusagen noch viel intensiver Kriegskinder als unsere Großeltern.)
Zurück nach Russland. Die Polizei heißt hier nicht Polizei, sondern Miliz. Eine ihr angehörende Person wird im allgemeinen als "Ment" bezeichnet, phonetisch korrekter vielleicht "Mjent". Mjenty treten gewöhnlich im Dreierpack auf, im langen grauen Mantel und mit Pelzmütze, und man sieht sie sehr häufig durch die Straßen wie auch durch die Metrostationen schlendern. Sie sehen meistens aus, als wären sie gerade auf Einkaufsbummel, nur dass sie keine Taschen dabeihaben; aber auf Einkaufsbummel sind sie irgendwie trotzdem. Ein Mjent in Moskau ist ein Geschäftsmann.
Gute Geschäfte lassen sich mit TschetschenInnen machen. Die haben nämlich oft schlechte Papiere. Schlechte Papiere haben hier zwar noch mehr Menschen, aber die erkennt der Mjent nicht so einfach. Ich sehe immer wieder mal, wie die Miliz jemanden mitten in der Metrostation filzt, und immer sind diese Kontrollen offensichtlich rassistisch motiviert. Solange das Opfer die Wsjatka zahlen kann, gibt's kein Problem. Allerdings ist Moskau teuer, für Westler sind schnell mal 50 Euro nötig, um eine Lappalie aus der Welt zu schaffen.

... Bürokraten...

Das mit den Papieren ist in Russland so eine Sache. Du musst registriert sein, eine "Registrazija" haben. Das ist nicht so einfach wie auf einem deutschen Einwohnermeldeamt. Es kostet eine happige Gebühr, und die nötigen Unterlagen sind auch nicht ohne Weiteres zu kriegen. Wie bekommst Du eine meldefähige Adresse? Da müsste Dir Dein Vermieter ja bescheinigen, dass Du in seinem Haus wohnst. Aber damit würde er ja zugeben, dass er eine Wohnung vermietet, und dafür müsste er Steuern zahlen! Also kostet das nochmal extra, wenn Du so spießig bist, in der Wohnung, die Du mietest, auch noch offiziell wohnen zu wollen. Für Umzüge innerhalb Russlands brauchst Du auch eine Genehmigung, für die Du wieder eine Begründung brauchst, zum Beispiel eine Arbeit. Aber eben eine angemeldete, versteuerte – gleiches Problem.
Selbst wenn Du bloß irgendwohin in den Urlaub fährst, musst Du Dich am Zielort registrieren lassen; gnädigerweise gilt die Bahnfahrkarte als vorläufige Registrazija, doch sobald Du länger als drei Tage dort bist, musst Du Dich anmelden. Übrigens solltest Du als Touri darauf achten, dass Dein Stempelkram in Ordnung ist, sonst wird's spätestens bei der Ausreise teuer. Wenn Du es tatsächlich schaffst, Dein Visum mit Hilfe einer korrekten Einladung zu bekommen, musst Du Dich bei der Person, die Dich eingeladen hat, auch registrieren lassen. Der Preis ist von Stadt zu Stadt verschieden, und für Dich reichen Wessi sowieso teurer. Am teuersten sind St. Petersburg mit 25 und Moskau mit 50 Euro. (So gesehen war mein Visum im Rahmen, denn das hat zwar zu der normalen Visumgebühr von 35 Euro nochmal gut 50 Euro extra gekostet, aber dafür war so eine Art Registrazija dabei, die mich zwar nicht wirklich überzeugt hat, aber offensichtlich anerkannt wird.)
Das alles sind Gesetze aus der Sowjetzeit, die Anfang des Jahrtausends wieder eingeführt wurden – vor allem gegen den Zuzug tschetschenischer Flüchtlinge nach Moskau. Tschetschenien ist ja bekanntlich untrennbarer Bestandteil Russlands, also sind seine EinwohnerInnen auch RussInnen, aber dank dieser Bestimmungen leben viele von ihnen außerhalb Tschetscheniens trotzdem so rechtlos wie illegalisierte AusländerInnen. Nebeneffekt dieses bescheuerten Papierkrams ist, dass Moskau heute neben 15 Millionen gemeldeten EinwohnerInnen nochmal 5-15 Millionen nicht registrierte hat. Und von den Registrierten leben viele auch schon längst nicht mehr dort, wo sie gemeldet sind, denn freiwillig macht sich natürlich niemand den Stress einer Ummeldung. Hat den Vorteil, dass die Stadt deutlich unkontrollierbarer ist als die russische Provinz. Stört mich gar nicht.

... und besondere Bullen

Mit einer kleinen illegalen Demo ziehen wir lautstark durch die Stadt. Irgendwo kommen mal ein paar Bullen und stressen rum, als wir für eine Zwischenkundgebung stehen bleiben. Aber sie blicken offensichtlich nicht, was geht. Es ist einfach irgendwie laut in ihrem Zuständigkeitsbereich, und sie sind schon zufrieden, wenn wir weitergehen, auch wenn wir das gemeinsam und genauso laut tun, denn ab der nächsten Ecke sind sie nicht mehr zuständig, also ist es ihnen egal.
Ein paar Straßen weiter und eine freche Aktion später kommt dann aber ein ganzer Trupp angelaufen. "Schau, schon wieder Mjenty!" ruft jemand – und ein Bulle ruft zurück: "Wir sind keine Mjenty, wir sind die OMON!" Die OMON ist eine Sondereinheit, die auch an Kriegseinsätzen in Tschetschenien beteiligt ist. Ihre Angehörigen sind offensichtlich besser dressiert als die Miliz. Sie versuchen, ein paar Leute rauszugreifen, was aber misslingt, da das Zahlenverhältnis trotzdem noch passt und die DemonstrantInnen auf Zack sind. Es gibt ein paar Beulen, läuft aber schließlich auf einen geordneten Rückzug raus. An einem günstigen Punkt lösen wir die Demo auf.
"In Deutschland ist das irgendwie anders", erklärt mir ein Begleiter, als wir in der U-Bahn sitzen. Er war auf den G8-Demos in Rostock. "Die Bullen hier machen ihren Job. Die hauen zu, wenn sie den Befehl kriegen, aber sie machen einfach ihren Job. In Deutschland stehst Du vor so einer Reihe Bullen und Du merkst einfach: Die hassen Dich. Für die bist Du der letzte Dreck, wenn Du gegen das System bist. Die wollen reinprügeln!"

Ein kleiner Ernstfall

Den Unterschied probiert ein unvernünftiger deutscher Tourist, nennen wir ihn X., gleich aus. Schließlich ist am Sonntag Wahltag, und die anarchistische Bewegung ruft (wie immer, aber diesmal erst recht) zum Boykott auf. Weil sie keinen Fernsehsender hat, muss sie die Botschaft von Hand auf den Wahllokalen anbringen. Schablonen werden gebastelt, dann wird das Gebiet aufgeteilt, Sprühdosen werden ausgegeben, und in Kleingruppen schwärmen die WahlhelferInnen aus. Die meisten sind zu dritt, aber X. hat nur einen Begleiter: W., für den das noch dazu die erste solche Aktion ist. Sie probieren die Schablone an einer schlecht beleuchteten Wand aus und verdrücken sich gleich in eine noch dunklere Seitengasse. "Mjenty!" ruft W. noch, aber es ist schon zu spät: Sie sind einem halben Dutzend Cops direkt in die Arme gelaufen.
Zum Glück hat X. sich wenigstens Tipps für den Umgang mit solchen Situationen geben lassen. Es gibt ein paar wenige, sehr effektive Ratschläge für AusländerInnen, die aber hier nicht breitgetreten werden sollen, damit sie wirksam bleiben; der Hinweis muss genügen, dass Ihr Euch über diese Dinge informieren solltet, ehe Ihr eine Verhaftung riskiert. Ansonsten war der Polizeieinsatz übrigens nicht besonders effektiv, die anderen Gruppen konnten alle ihre Message rüberbringen und kamen unbeschadet nach Hause.
Den ersten Unterschied zu vergleichbaren Situationen in seinem Heimatland (besonders in seinem Heimat-Bundesland) bekommt X. gleich zu spüren, als die beiden sich auf den Boden legen und die Hände auf den Rücken geschnallt bekommen. Die Geschichte spielt sich in einer unbeleuchteten Seitengasse ab, außer Verhafteten und Verhaftern gibt es keine ZeugInnen, an der Wand prangt eine frisch gesprühte Parole, die dem Herrn Präsidenten überhaupt nicht gefällt, und es passiert – nichts! Kein Tritt, kein Schlag, nicht mal ein unsanfter Griff an den umgedrehten Arm. Warum sollte man auch einen Geschäftspartner verprügeln?
Dafür werden sie ungefähr dreimal sehr gewissenhaft durchsucht, einmal auf dem Boden und zweimal, nachdem sie wieder aufstehen durften. Vor allem zu den Plastikkärtchen in X.s Taschen gibt es viele Fragen, Führerschein, Krankenversicherungskarte, Telefonkarte usw. Und immer wieder der Satz: "You have big problem." Viel mehr Englisch können die Cops nicht.
W. hat ein Handy dabei, das die Bullen gleich ausprobieren – um seinen Vater anzurufen. Sehr unangenehm. Und eigentlich illegal, denn W. ist volljährig. Dafür bekommt er es gleich zurück und kann noch den EA informieren – heimlich per SMS, als sie in der Bullenwanne sitzen und warten.
Nach einer endlosen Fahrt über verschiedene Stationen landen sie schließlich vor der Wache. Dort stehen sie erst mal ein bisschen auf dem Bürgersteig rum. Ein Typ in Zivil kommt dazu, behauptet, Taxifahrer zu sein und den Cops aus reiner Freundschaft manchmal mit Übersetzungen zu helfen. Er verkündet in breitem American English, dass X. hier als Ausländer versucht habe, die russischen Wahlen zu beeinflussen, was drei bis fünf Jahre Knast bedeute. Dann gehen die Aufpasser zwei Schritte zur Seite und der "Taxifahrer" erklärt mit gesenkter Stimme, dass die Cops hier gar kein Interesse daran hätten, X. in den Knast zu bringen – "Ye know, they want a bribe." Ein Schmiergeld also. Allerdings sind X. die Tarife bekannt, und sie übersteigen seine Möglichkeiten bei Weitem. Haben Sie denn keine Verwandten hier, oder kennen Sie jemanden in der Botschaft? Sie müssen doch wenigstens eine Kreditkarte haben! Alles klar – schreibt doch gleich an Eure Wache: "American Express accepted!"
Da X. das Problem also auf finanziellem Weg nicht lösen kann, geht es ab ins Innere des Gebäudes. Während der Chef am Schreibtisch sitzt und eifrig Zettel bekritzelt, zunächst mal mit den Daten aus den Ausweisen der beiden und der Überschrift "Vandalismus", wird vor allem W. von den anderen in die Mangel genommen. Anwalt? Nee, Bürschchen, vergiss es, das gibt's nur in amerikanischen Filmen. Er quatscht viel zu viel, findet X., aber eigentlich ist es auch egal, er hat eine Tasche mit Sprühdosen und einer frisch benutzten Schablone dabei. Im Grunde genommen sind sie also fällig. X. wird nur gelegentlich abwechselnd mit Knast und Abschiebung bedroht. Die Cops unterhalten sich darüber, dass jemand herausfinden muss, wer der Eigentümer der besprühten Wand ist, und dass die Typen vom FSB schon längst da sein müssten. Der Inlandsgeheimdienst FSB ("Bundessicherheitsdienst"), Nachfolgeorganisation des KGB, wäre jetzt wirklich unangenehm...
Nach einer Weile kommt wirklich ein älterer Herr mit Pelzmütze herein. Er nimmt W. mit. Aber es ist kein FSBler, sondern W.s Vater, und der hat die Wsjatka bezahlt (will allerdings keine Auskunft über den Betrag geben). X. bleibt alleine an der Wand gegenüber dem Schreibtisch stehen. Als die beiden draußen sind, steht der Chef auf, nimmt die Schablone, kommt auf X. zu und hält sie ihm unter die Nase. "Once again", schnauft er bedrohlich, "du kaputt!" Dann geht er zurück zu seinem Schreibtisch, zerreißt den Papierkram, wirft ihn in den Abfalleimer, drückt X. seinen Pass in die Hand und sagt: "Gehen Sie nach Hause!" Es ist kurz nach eins, die Metrostation ist schon geschlossen. Solche Probleme hat man in solchen Nächten gern.

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Ergänzungen

Vielleicht...

Keine Ahnung 06.03.2008 - 16:55
...weil Martin Krämer im Osten Russlands zur selben Zeit verhaftet wurde. Ansonsten hab ich auch keine Ahnung. Artikel hierzu:  http://de.indymedia.org/2008/03/209614.shtml

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Respekt ! — Mike

gut versteckt — Finder