Karlsruhe: Schallende Ohrfeige für den Überwachungsstaat

ra0105 27.02.2008 11:15 Themen: Repression
Am 27.02.2008 hat das Bundesverfassungsgericht, wie von vielen Kritikern erhofft, die Wünsche der Überwacher negiert. Das Gericht hat für die heimlichen Onlinedurchsuchungen hohe Hürden gestellt. So bedarf es einer Gefährdung eines übergeordneten Rechtsgutes wie etwa Menschenleben oder die Existenz des Staates um eine solche Maßnahme zu rechtfertigen. Ob es tatsächlich hinreichende Belege für eine solche Gefährdung gibt wird durch Richtervorbehalt entschieden.

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Hintergrund: Onlinedurchsuchung wo ist das Problem
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In einer ersten Reaktion gab sich Innenminister Schäuble unbeeindruckt. Nach einer Pressemitteilung will er dem BKA die Onlinedurchsuchung erlauben, da das Bundesverfassungsgericht die Onlinedurchsuchung grundsätzlich als legitime Ermittlungsmethode bewertet habe. Verschwiegen wird dabei jedoch, dass anders als Schäuble ursprünglich beabsichtigt hatte, dieser Ermittlungsmethode nun nur noch stark eingeschränkte Möglichkeiten eingeräumt werden.
Schäuble sieht sich als zweiter Sieger. Dabei hatte niemand erwartet, dass das BVG eine Onlinedurchsuchung grundsätzlich für grundgesetzwidrig erklären wird. Problematisch war von Anfang an nicht die Durchsuchung an sich, sondern vielmehr deren Heimlichkeit. Folgerichtig wurden entsprechende Bestimmungen der Gesetze aus NRW auch für verfassungswidrig eingestuft. Doch das Urteil geht weit über die schlampige Gesetzesinitiative aus NRW hinaus.
Das oberste deutsche Gericht hat erstmal klargestellt, dass der Inhalt eines Rechners zum schützenwerten Privatbereich eines Menschen gehört. Und aus diesem Grund kann er eben gerade nicht wegen des Verdachtes auf kleineren Delikte heimlich gehackt werden.
Der Besuch von 'extremistischen' Webseiten dürfte wohl nicht mehr ausreichen um eine solche Genehmigung zu bekommen. Auch ein allgemeines politisches Engagement in vom Verfassungsschutz beobachteten Kreisen ist keine Begründung. Nein - es geht um die klare Absicht schwerste Straftaten zu begehen, die die Allgemeinheit in einem Umfang gefährden, dass entweder der Zusammenbruch des Staates und der öffentlichen Ordnung oder zumindest Menschenleben in Gefahr sind.
An dieser Stelle dürfte die Erinnerung wach werden an die jüngste Pleite der Bundesanwaltschaft. Sie hatte mit eben jener Begründung der äußersten Gefahr für Leib und Leben und des Staates ein Verfahren an sich gezogen. Das die Beschuldigten 'nur' ein paar Bundeswehrfahrzeuge in Brand gesetzt haben sollen, reichte dem Bundesgerichtshof damals nicht. Sie kanzelten die Bundesanwaltschaft rüde ab.
Grund zum Jubel sind die Vorgänge in Karlsruhe trotzdem nicht. Es ist zu bedenken, dass es erschreckend sei, wie erst Bundesverfassungsgericht Gesetze verhindern konnte und dies bei weitem nicht zum ersten Mal. Man mag sich garnicht vorstellen, was passieren würde, wenn diese dürften wie sie wollten.
Interessant dürfte aber auch sein, wie sich das Karlsruher Urteil allgemein auf den Umgang mit beschlagnahmten Rechner auswirkt. Mit der Einführung eines quasi neuen Grundrechtes gilt der Heim-PC mithin als private Angelegenheit, vergleichbar mit privater Korrespondenz. Konsequent umgesetzt müsste dies nun bedeuten, dass in Zukunft nur ein Richter den Inhalt eines Rechner untersuchen dürfte.
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Ergänzungen

Offizielle Pressemitteilung aus Karlsruhe

Wind/Wind 27.02.2008 - 12:33
Bundesverfassungsgericht
Pressemitteilung
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Nr. 22/2008 vom 27. Februar 2008

Urteil vom 27. Februar 2008

1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07

Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz NRW zur
Online-Durchsuchung und zur Aufklärung des Internet nichtig

Die Verfassungsbeschwerden einer Journalistin, eines Mitglieds des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Partei DIE LINKE und dreier Rechtsanwälte gegen Vorschriften des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen (vgl. Pressemitteilung Nr. 82/2007 vom 27. Juli 2007) sind, soweit sie zulässig sind, weitgehend begründet. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Urteil vom 27. Februar 2008 die Vorschriften zur Online-Durchsuchung sowie zur Aufklärung des Internet für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

§ 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG, der den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme regelt („Online-Durchsuchung“), verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und ist nichtig. Die Vorschrift wahrt insbesondere nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Angesichts der Schwere des Eingriffs ist die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Zudem ist der Eingriff grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Diesen Anforderungen wird § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG nicht gerecht. Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichenden gesetzlichen Vorkehrungen, um Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu vermeiden.

Die Ermächtigung zum heimlichen Aufklären des Internet in § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 1 VSG verletzt ebenfalls die Verfassung und ist nichtig. Das heimliche Aufklären des Internet greift in das Telekommunikationsgeheimnis ein, wenn die Verfassungsschutzbehörde zugangsgesicherte Kommunikationsinhalte überwacht, indem sie Zugangsschlüssel nutzt, die sie ohne oder gegen den Willen der Kommunikationsbeteiligten erhoben hat. Ein derart schwerer Grundrechtseingriff setzt grundsätzlich zumindest die Normierung einer qualifizierten materiellen Eingriffsschwelle voraus. Daran fehlt es hier. Die Norm lässt nachrichtendienstliche Maßnahmen in weitem Umfang im Vorfeld konkreter Gefährdungen zu, ohne Rücksicht auf das Gewicht der möglichen Rechtsgutsverletzung und auch gegenüber Dritten. Zudem enthält die Norm keine Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Nimmt der Staat im Internet dagegen öffentlich zugängliche Kommunikationsinhalte wahr oder beteiligt er sich an öffentlich zugänglichen Kommunikationsvorgängen, greift er grundsätzlich nicht in Grundrechte ein.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§ 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG („Online-Durchsuchung“)

I. Die Norm ermächtigt zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

1. Die Nutzung informationstechnischer Systeme ist für die Persönlichkeitsentfaltung vieler Bürger von zentraler Bedeutung, begründet gleichzeitig aber auch neuartige Gefährdungen der Persönlichkeit. Eine Überwachung der Nutzung solcher Systeme und eine Auswertung der auf den Speichermedien befindlichen Daten können weit reichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen. Hieraus folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis. Die Gewährleistungen der Art. 10 GG (Telekommunikationsgeheimnis) und Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) wie auch die bisher in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tragen dem durch die Entwicklung der Informationstechnik entstandenen Schutzbedürfnis nicht hinreichend Rechnung.

a) Der Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses erfasst auch die Kommunikationsdienste des Internet (z.B. E-Mails). Soweit sich eine Ermächtigung auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogene Daten ausgewertet werden, ist der Eingriff allein an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist dabei unabhängig davon betroffen, ob die Maßnahme technisch auf der Übertragungsstrecke oder am Endgerät der Telekommunikation ansetzt. Daher ist Art. 10 Abs. 1 GG der alleinige grundrechtliche Maßstab für die Beurteilung einer Ermächtigung zu einer „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“, wenn sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt. Dies muss durch technische und rechtliche Vorgaben sichergestellt sein.

Der Grundrechtsschutz des Art. 10 Abs. 1 GG erstreckt sich hingegen nicht auf die nach Abschluss eines Kommunikationsvorgangs im Herrschaftsbereich eines Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Inhalte und Umstände der Telekommunikation, sofern dieser eigene Schutzvorkehrungen gegen den heimlichen Datenzugriff treffen kann. Der durch das Telekommunikationsgeheimnis bewirkte Schutz besteht auch nicht, wenn eine staatliche Stelle die Nutzung eines informationstechnischen Systems als solche überwacht oder die Speichermedien des Systems durchsucht. Insoweit bleibt eine Schutzlücke, die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen zu schließen ist. Wird ein komplexes informationstechnisches System zum Zweck der Telekommunikationsüberwachung technisch infiltriert, so ist mit der Infiltration die entscheidende Hürde genommen, um das System insgesamt auszuspähen. Die dadurch bedingte Gefährdung geht weit über die hinaus, die mit einer bloßen Überwachung der laufenden Telekommunikation verbunden ist. Insbesondere können auch die auf dem Personalcomputer abgelegten Daten zur Kenntnis genommen werden, die keinen Bezug zu einer telekommunikativen Nutzung des Systems aufweisen.

b) Auch die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung belässt Schutzlücken gegenüber Zugriffen auf informationstechnische Systeme. Art. 13 Abs. 1 GG vermittelt dem Einzelnen keinen generellen, von den Zugriffsmodalitäten unabhängigen Schutz gegen die Infiltration seines informationstechnischen Systems, auch wenn sich dieses System in einer Wohnung befindet. Denn der Eingriff kann unabhängig vom Standort erfolgen, so dass ein raumbezogener Schutz nicht in der Lage ist, die spezifische Gefährdung des informationstechnischen Systems abzuwehren. Soweit die Infiltration die Verbindung des betroffenen Rechners zu einem Rechnernetzwerk ausnutzt, lässt sie die durch die Abgrenzung der Wohnung vermittelte räumliche Privatsphäre unberührt.

c) Auch die bisher in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere die Gewährleistungen des Schutzes der Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, genügen dem besonderen Schutzbedürfnis eines informationstechnischen Systems nicht in ausreichendem Maße. Das Schutzbedürfnis des Nutzers eines informationstechnischen Systems beschränkt sich nicht allein auf Daten, die seiner Privatsphäre zuzuordnen sind. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt den Persönlichkeitsgefährdungen nicht vollständig Rechnung. Ein Dritter, der auf ein solches System zugreift, kann sich einen potentiell äußerst großen und aussagekräftigen Datenbestand verschaffen, ohne noch auf weitere Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen angewiesen zu sein. Ein solcher Zugriff geht in seinem Gewicht für die Persönlichkeit des Betroffenen über einzelne Datenerhebungen, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt, weit hinaus.

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht trägt dem Schutzbedarf in seiner lückenfüllenden Funktion über seine bisher anerkannten Ausprägungen hinaus dadurch Rechnung, dass es die Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme gewährleistet. Dieses Grundrecht ist anzuwenden, wenn die Eingriffsermächtigung Systeme erfasst, die allein oder in ihren technischen Vernetzungen personenbezogene Daten des Betroffenen in einem Umfang und in einer Vielfalt enthalten können, dass ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten.

II. Eingriffe in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme können sowohl zu präventiven Zwecken als auch zur Strafverfolgung gerechtfertigt sein. Sie müssen aber auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhen. § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG erfüllt diese Voraussetzung nicht.

1. Die Norm wahrt insbesondere nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 VSG ermächtigt zu Grundrechtseingriffen von hoher Intensität. Eine staatliche Datenerhebung aus komplexen informationstechnischen Systemen öffnet der handelnden staatlichen Stelle den Zugang zu einem Datenbestand, der herkömmliche Informationsquellen an Umfang und Vielfältigkeit bei weitem übertreffen kann. Angesichts der Schwere des Eingriffs ist die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann allerdings schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen.

Weiter muss eine Ermächtigung zum heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme mit geeigneten gesetzlichen Vorkehrungen verbunden werden, um die Interessen des Betroffenen verfahrensrechtlich abzusichern. Insbesondere ist der Zugriff grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen.

b) Diesen Anforderungen genügt § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG nicht. Die Norm setzt für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel durch die Verfassungsschutzbehörde lediglich tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme voraus, dass auf diese Weise Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen gewonnen werden können. Dies ist sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen für den Eingriff als auch des Gewichts der zu schützenden Rechtsgüter keine hinreichende materielle Eingriffsschwelle. Auch ist eine vorherige Prüfung durch eine unabhängige Stelle nicht vorgesehen. Diese Mängel entfallen nicht durch die – für bestimmte Fälle vorgesehene – Verweisung auf die Voraussetzungen nach dem Gesetz zu Artikel 10 GG. Im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG genügen weder die Regelung der Eingriffsschwelle noch die verfahrensrechtlichen Vorgaben der dort vorgesehenen Eingriffstatbestände den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2. Es fehlt aber auch an hinreichenden gesetzlichen Vorkehrungen, um Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu vermeiden. Eine Ermittlungsmaßnahme wie der Zugriff auf ein informationstechnisches System, mittels dessen die auf dem Zielsystem vorhandenen Daten umfassend erhoben werden können, schafft gegenüber anderen Überwachungsmaßnahmen die gesteigerte Gefahr, dass Daten höchstpersönlichen Inhalts erhoben werden. Der verfassungsrechtlich gebotene Kernbereichsschutz lässt sich im Rahmen eines zweistufigen Schutzkonzepts gewährleisten: Die gesetzliche Regelung hat darauf hinzuwirken, dass die Erhebung kernbereichsrelevanter Daten soweit wie informationstechnisch und ermittlungstechnisch möglich unterbleibt. Insbesondere sind verfügbare informationstechnische Sicherungen einzusetzen. Ist es – wie bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System – praktisch unvermeidbar, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, bevor ihr Kernbereichsbezug bewertet werden kann, muss für hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase gesorgt sein. Insbesondere müssen aufgefundene und erhobene Daten mit Kernbereichsbezug unverzüglich gelöscht und ihre Verwertung ausgeschlossen werden. Auch diesen Anforderungen genügt § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG nicht.

3. Ferner verstößt die Norm auch gegen das Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit.



§ 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 1 VSG (Heimliches Aufklären des Internet)

I. Maßnahmen nach § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 1 VSG können sich in bestimmten Fällen als Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) darstellen, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

Verschafft sich der Staat Kenntnis von den Inhalten einer über die Kommunikationsdienste des Internet geführten Fernkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen Weg, so liegt darin ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG, wenn die staatliche Stelle hierzu nicht durch Kommunikationsbeteiligte autorisiert ist. Dies ist der Fall, wenn die Verfassungsschutzbehörde zugangsgesicherte Kommunikationsinhalte überwacht, indem sie Zugangsschlüssel nutzt, die sie ohne oder gegen den Willen der Kommunikationsbeteiligten erhoben hat. Steht im Vordergrund einer staatlichen Ermittlungsmaßnahme dagegen nicht der unautorisierte Zugriff auf die Telekommunikation, sondern die Enttäuschung des personengebundenen Vertrauens in den Kommunikationspartner, so liegt darin kein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG. Daher ist ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis zu verneinen, wenn etwa ein Teilnehmer eines geschlossenen Chats der für die Verfassungsschutzbehörde handelnden Person seinen Zugang freiwillig zur Verfügung gestellt hat und die Behörde in der Folge diesen Zugang nutzt. Erst recht scheidet ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis aus, wenn die Behörde allgemein zugängliche Inhalte erhebt, etwa indem sie offene Diskussionsforen oder nicht zugangsgesicherte Webseiten einsieht.

Die von § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt.1 VSG ermöglichten Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG sind verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Sie stehen mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang. Die Norm lässt nachrichtendienstliche Maßnahmen in weitem Umfang im Vorfeld konkreter Gefährdungen zu, ohne Rücksicht auf das Gewicht der möglichen Rechtsgutsverletzung und auch gegenüber Dritten. Zudem enthält die Vorschrift keine Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.

II. Die Verfassungsschutzbehörde darf allerdings weiterhin Maßnahmen der Internetaufklärung treffen, soweit diese nicht als Grundrechtseingriffe anzusehen sind. In der Regel wird die reine Internetaufklärung keinen Grundrechtseingriff bewirken. Die von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährleistete Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird nicht berührt, wenn sich die Maßnahmen darauf beschränken, Daten, die der Inhaber des Systems für die Internetkommunikation vorgesehen hat, auf dem technisch dafür vorgesehenen Weg zu erheben. Dies gilt auch dann, wenn die staatliche Stelle sich unter einer Legende in eine Kommunikationsbeziehung begibt. Stehen keinerlei Überprüfungsmechanismen bereit, ist im Rahmen der Kommunikationsdienste des Internet das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig. Es liegt auch kein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikationsinhalte erhebt, die sich an jedermann oder zumindest an einen nicht weiter abgegrenzten Personenkreis richten.



§ 5a Abs. 1 VSG (Kontenüberprüfung)

Die in § 5a Abs. 1 VSG vorgesehene Erhebung von Kontoinhalten und Kontobewegungen steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Insbesondere verletzt die Vorschrift nicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Norm wahrt das Gebot der Verhältnismäßigkeit, indem sie die Erhebung von einem sowohl hinsichtlich der betroffenen Rechtsgüter als auch hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage des Eingriffs qualifizierten Gefährdungstatbestand abhängig macht. Die Norm trägt dem Gewicht des geregelten Grundrechtseingriffs zudem durch geeignete Verfahrensvorkehrungen Rechnung.


--

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- Pressestelle -

Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe

ENDE

Erfolg für den Überwachungsstaat

Matthias H. 27.02.2008 - 13:15
Dieser Indymedia-Artikel wertet den Beschluss aus Karlsruhe fälschlicherweise als Erfolg für die Kritiker der Online-Durchsuchung.

Fakt ist: Die nun durch das Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärte Online-Durchsuchung stellt eine massive Erweiterung der bereits bestehenden Möglichkeiten durch den 1996 eingeführten großen Lauschangriff dar. Bis zu dessen Einführung gab es eine gesetzlich garantierte Privatsphäre, eine Art letzten persönlichen und individuellen Rückzugsraum, der unter keinen Umständen vom Staat kontrolliert werden konnte. Dies wurde mit dem großen Lauschangriff für null und nichtig erklärt und nun bekommt die Überwachung durch die Online-Durchsuchung zusätzlich eine neue Qualität: Während der große Lauschangriff nur den Bereich der Wohnung und der Telekommunikation ausspähen konnte, gibt es ab sofort auch die weitergehende Möglichkeit, Zugriff auf den privaten PC zu erhalten - und damit evtl. auch auf intimste Daten, die möglicherweise nicht einmal vertrauten Personen in der Wohnung oder per Telefon mitgeteilt werden. Diese Durchsuchung/Überwachung wird im übrigen auch heimlich ablaufen.

Als Voraussetzung für eine solche Durchsuchungsmaßnahme dient lediglich ein richterlicher Beschluss, welcher keine besondere Hürde darstellt. Einige Richter treffen zum Teil willkürliche Beschlüsse nach eigenem Ermessen. Um die Absurdität zu verdeutlichen verweise ich auf den aktuellen Überwachungs-Fall der Musikgruppe Mono für Alle:

 http://de.indymedia.org/2007/11/200020.shtml
 http://de.indymedia.org/2007/11/200247.shtml

Hier wird wegen Anleitung zum Amoklauf ermittelt, auch zukünftige Amokläufe könnten damit angeleitet werden, somit liegt je nach Interpretation eine Bedrohung für Leib und Leben vor. Ein geneigter Richter könnte nun ohne weiteres Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut feststellen und die Online-Durchsuchung beauftragen.

Insgesamt ist das heutige Urteil aus Karlsruhe als große Niederlage für die überwachungskritische Bewegung zu bewerten, vergleichbar mit der Einführung des großen Lauschangriffes 1996. Die Entscheidung stellt insbesondere im Zusammenhang mit anderen neuen rechtlichen, organisatorischen sowie praktischen Möglichkeiten der Sicherheits- und Überwachungsbehörden zu einem weiteren Abbau von Demokratie und "Rechtsstaatlichkeit" dar.

Stellungnahmen von Schäuble und BVerG

Gucker 27.02.2008 - 16:19
Zwischenzeitlich liegt die offizielle Stellungnahme von Schäuble sowie die des Bundesverfassungsgerichtes vor:
 http://www.fischer24.eu/index.php?site=artikel1&id1=1414

Chaosradio

grüngel 27.02.2008 - 22:26
Auf Fritz läuft gerade die Auswertung mit dem CCC, die das auch eher positiv bewerten. Sendung läuft noch bis 24:00 Uhr und man kann da anrufen und mitdiskutieren.
 http://www.fritz.de/_/hoeren/index_jsp.html

kann man sich später auch irgendwann als podcast hier anhören:
 http://chaosradio.ccc.de/

Polizei verstößt bereits gegen BVG-Beschlüsse

je sais rien! 27.02.2008 - 23:38
Erst einmal ist das ein klarer Erfolg für Ermittlungsbehörden und zeigt in welche Richtung die Beschlüsse des BGH gehen! Jeder weiß, wie Ermittlungsbehörden bei "mg" vorgegangen sind. Auf einmal war die Grundordnung der Bundesrepublik gefährdet o_O
Diese "strengen Richtlinien" geben mehr Interpretationsfreiheit als so manche Bücher! Gefahren kann Vater Staat und der grüne Freund und Helfer schnell herbeizaubern, was auch schon lange Gang und Gebe ist...

Ich gebe mal als Beispiel einen Freund an. Die Polizei hat sein Handy nach einer Straftat, kein Verbrechen(nichts politisches, nichts gewalttätiges) konfisziert, um SMS als Beweismaterial zu sichern. Er war zwar komplett geständig, aber sein Handy ist seit 2 Monaten weg. Sogar angerufen wurde bei ihm, und nach der Pin etc. gefragt, damit "der Weg über den Provider nicht gegangen werden müsse" Ihm selbst wurde gesagt, dass es sich um einen Fall von geringerer Wichtigkeit handeln würde. Daher die lange Zeitdauer. Geld für einen Anwalt hat er nicht.

Und nun der Beschluss des BGHFs

 http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20050204_2bvr030804.html

Die Kenntnisnahme von Telekommunikationsverbindungsdaten regeln die §§ 100g und 100h StPO. Der Eingriffszweck muss in der Ermittlung einer Straftat von erheblicher Bedeutung liegen (§§ 100g Abs. 1 Satz 1, 100a Satz 1 StPO). Durch richterlichen Beschluss, der bei Gefahr im Verzuge durch eine Anordnung der Staatsanwaltschaft ersetzt werden kann (§§ 100h Abs. 1 Satz 3, 100b Abs. 1 StPO), können die geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienstleister zur Auskunft über die Verbindungsdaten verpflichtet werden.

Tja, die Demokratie und der Rechtsstaat sind schon lange auf Urlaub, irgendwo in der Ferne, wo es schön und nicht deutsch ist...

Veranstaltungstipp

anonym 28.02.2008 - 19:57
Veranstaltungstipp:

Little Sister against Big Brother Informationsveranstaltung zu IT-Sicherheit und politischem Widerstand
Der staatliche Überwachungsapparat rüstet auf: Die neuesten Verschärfungen sind die seit dem 1. Januar eingeführte Vorratsdatenspeicherung und die geplante Onlinedurchsuchung von Computern durch BKA-Trojaner. Computer, Internet, Handy und Telefon sind Technologien, die im Visier der Repressionsbehörden stehen. Dennoch sind sie für die politische Arbeit heute oftmals unabdingbar geworden. Die Sicherheit im Umgang mit diesen Instrumenten sollte deshalb nicht vernachlässigt werden, um den staatlichen Behörden so wenig Auskünfte wie möglich über unsere Strukturen zu geben. Der Staat hat eine Vielzahl von Methoden Informationen über AktivistInnen zu sammeln und auszuwerten, so zum Beispiel mittels der Ortung von Handys, der Registrierung wer wann und wie oft mit wem telefoniert, oder der Installation von Peilsendern und Wanzen. Ein IT-Experte vom Revolutionären Aufbau Schweiz wird bei der Veranstaltung über die technischen Möglichkeiten und Grenzen der Sicherheitsapparate informieren und deren praktisches Vorgehen anhand aktueller Beispiele deutlich machen. Außerdem wird er Möglichkeiten aufzeigen wie wir uns schützen können, so zum Beispiel mit Anonymisierungsprogrammen, PGP-Verschlüsselung von E-Mails, Festplattenverschlüsselung und Shredderprogrammen.

Wo: Baiz, Christinenstr. 1 (Ecke Torstrasse)
Wann: Samstag 1. März 19:00 Uhr

Das neue Polizeigesetz aus dem Kinderland

Rector 29.02.2008 - 09:28
Das ist die Antwort aus dem Spätzleland.
 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1647890?_skip=0

Interview zur Online-Durchsuchung

Radiowelt 29.02.2008 - 18:06
Der Jurist Fredrik Roggan ist einer der Kläger gegen das Gesetz zu Online-Durchsuchungen beim Bundesverfassungsgericht. Heute urteilten die Richter in Karlsruhe zwar nur für NRW, das Urteil ist aber richtungsweisend für die ganze Republik.

 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=21309

Sammel-Verfassungsbeschwerde

Radiowelt 29.02.2008 - 21:15
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung reicht größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik ein und schlägt auf dem Platz der Grundrechte symbolisch Thesen zur Verteidigung der Grundrechte an! Im Interview Patrick Breyer vom Arbeitskreis...
 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=21353

keine Ohrfeige

repression 01.03.2008 - 14:57
als Ohrfeige würde ich das nicht gerade bezeichnen.

Bundesweite Demonstration

Informant 01.03.2008 - 17:15
Demo "Für ein Morgen in Freiheit" in Köln

Uhrzeit: 14:00 Uhr

Adresse: Roncalliplatz/Domplatte, Köln

Ortsgruppe: Ortsgruppe Bonn / Ortsgruppe Köln

Ansprechpartner AK Vorrat: bonn /at/ vorratsdatenspeicherung.de

Programm: Bundesweite Demonstration verschiedener Organisationen gegen Ueberwachung. Siehe auch die Bündniswebseite www.fuer-ein-morgen-in-freiheit.de

Weitere Veranstaltungen bei euch jeweils in der Nähe:
 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/component/option,com_mambowiki/Itemid,109/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

Schallende Ohrfeige? — Kontroverso

Luftnummer — Rector

Richtigstellung! — mein Name

Zitat BVVG-Entscheidung: — Desperado

@desperado — ich

@je sais rien — wurscht

mmmmh — egal

@rector — Gonzo