Ab nach Moskau!

unterwegs 27.02.2008 10:45 Themen: Kultur Weltweit
Reisen bildet, und wer will bestreiten, dass es in Moskau gerade sehr interessant ist? Darum habe auch ich mich auf den Weg gemacht und will hier mal ein paar Erfahrungen weitergeben.

weitere Berichte:Impressionen aus Moskau | Deutscher in Moskau verhaftet! | Moskau: Feste und Faschos
Theoretisch ist es gar nicht so einfach, nach Moskau zu kommen. Denn dafür brauchst Du zunächst mal ein Visum. Das wird ungefähr so streng gehandhabt, wie wenn ein Mensch mit russischem Pass nach Deutschland will. Das Visum gibt's nicht an der Grenze, sondern nur auf der Botschaft oder im Konsulat, und auch bloß, wenn Du ein anständiges Reiseziel vorweisen kannst. Entweder hast Du also eine Einladung bekommen oder eine Touri-Reise gebucht. Beides auf hohem Niveau. Einladen kann Dich nur eine vertrauenswürdige Person, d. h. jemand mit regelmäßigem Einkommen und genügend Kohle, um im Notfall auch Deine Abschiebung zu bezahlen. Und die Reisebuchung zählt auch nur bei einem registrierten (und sauteuren) Touri-Hotel, am besten hast Du dazu noch ein Rückflugticket vorzuweisen...
Leider deckten diese Vorschriften nicht ganz mein Vorhaben ab, mit einem Budget nahe Null nach Moskau zu kommen, um dort ein paar AnarchistInnen und Punks zu besuchen. Aber zum Glück gibt es ja in Deutschland genug (Ex-)RussInnen, die man fragen kann. Manche neigen dazu, Dir einen unglaublich komplizierten Quatsch zu erzählen, aber wenn Du ein paar solcher Storys sammelst, merkst Du schnell, auf was es ankommt, und schon hast Du Dein Visum in der Tasche.

unterwegs...

Auch die Reise war kein wirklich großes Problem, obwohl das niemand von den Leuten glauben wollte, die ich unterwegs getroffen habe. Irgendwo in Polen erzählte mir ein portugiesischer Trucker von seiner ersten Russlandfahrt, bei der ihm mitten im Winter die Karre verreckt war. Er musste sie schließlich aufgeben und mit extrem schlechter Ausrüstung zurück trampen. Kommentar des Postens an der polnischen Grenze, der diese frierende, kranke, fertige Gestalt auf sich zukommen sah: "Nur drei Leute waren so bescheuert, im Winter nach Russland zu gehen: Napoleon, Hitler und Du!" Tja, und ich sollte nun der vierte sein. Das Wetter ist allerdings auf der ganzen Strecke sehr gnädig mit mir – im Treibhaus gibt's keine minus 20 Grad mehr.
Und schon zwei Tage später betrete ich es: Russland, das freie Land, in dem man noch ohne Gurt Auto fahren kann, und dabei sogar telefonieren darf... und wo die Trucker wirklich nur am Wochenende schlafen. Naja, fast. Wenn mir in Deutschland ein Lasterfahrer sagt, er macht jetzt Pause und legt sich schlafen, dann vergesse ich den ganz schnell, denn 8-10 Stunden werde ich auf diesem Parkplatz hoffentlich nicht bleiben. In Russland kannst Du so jemanden gleich fragen, wo er anschließend hinfährt, denn nach anderthalb, maximal zwei Stunden hat der ausgeschlafen und will weiter.
TÜV gibt's auch keinen, auf den Straßen sind Gefährte unterwegs, die aussehen, als wären sie irgendwann im Krieg in einer Kolchosen-Werkstatt aus ein paar übriggebliebenen Maschinenteilen und dem Motor der Güllepumpe zusammengebraten worden. Frag nicht nach dem Spritverbrauch, Benzin ist billig. Auch Gasmotoren sind sehr gebräuchlich. Natürlich sind sie auch sehr gefährlich. Deswegen steht die Gas-Zapfsäule auch immer etwas abseits der anderen, und zwanzig Meter vorher warnt ein Schild, dass an dieser Stelle alle Passagiere aussteigen müssen und auch zu Fuß niemand näher ran darf, damit der Fahrer nur ja alleine in die Luft fliegt. Weil es schwierig ist, den Fahrer auf 20 Meter Entfernung anzuquatschen, gehe ich natürlich trotzdem hin und stelle erleichtert fest, dass das Schild allen offensichtlich egal ist.
Abgesehen davon halten die Leute hier auch gerne an. Selbst an Schnellstraßen steht man nicht allzu lange, und sogar nachts kommt man vorwärts. Aus unerfindlichen Gründen hält man hier allerdings nicht den Daumen hoch, sondern streckt die flache Hand aus. Unverständlich finde ich das deshalb, weil man sich so nicht nur den Daumen, sondern die ganze Hand extrem schnell durchfriert. Aber ist halt so. Dafür ist die russische Gastfreundschaft einfach unglaublich – die Trucker zaubern für mich Menüs in ihren reich ausstaffierten Bordküchen, während viele Pkw-Fahrer mich in Restaurants schleppen. Und so treffe ich schnell, satt und zufrieden in Moskau ein.

Willkommen in Moskau!

An der ersten Anlaufstelle in Moskau wartet gleich mal eine herbe Enttäuschung – es stellte sich heraus, dass die Person, die mich eigentlich eingeladen hatte, wieder mit ihrem alten Junk-Freund zusammen war und selber voll an der Nadel hing. Der weiße Tod ist leider ein Faktor, der hier drüben eine sehr große Rolle spielt; die Zahlen der Abhängigen, die ich über manche Städte gehört habe, sind einfach unglaublich – das geht bis weit in den zweistelligen Prozentbereich. Selbst wenn man den traditionell ebenso gewaltigen russischen Gerüchtefaktor abzieht, bleibt noch jede Menge übrig. Aber so geht's halt, wenn die Armee Deines Staates jahrzehntelang als Besatzungsmacht in Afghanistan steht...
Der nächste Kontakt auf meiner Liste ist da schon besser: eine anarchistisch unterwanderte Firma! Während oben die Maschinen laufen, werde ich in den Keller geschmuggelt und treffe dort gleich alte Bekannte. In dem Keller finden anarchistische Orga-Treffen u. ä. statt, und es gäbe sogar die Möglichkeit, dort zu übernachten. Aber an diesem Abend gehen wir erst mal in die Stadt, Leute treffen. Mit Punks, Anarch@s und sonstigen alternativen jungen Leuten hängen wir ein bisschen in Parks und Metrostationen rum. Doch, es gibt hier richtig gestylte Punks. Man hört ja viel von Naziüberfällen und Morden in Moskau in den letzten Wochen, aber Moskau ist einfach riesengroß, von der Einwohnerzahl her vielleicht wie NRW oder noch größer. Wenn in Detmold jemand abgestochen wird, bricht deswegen in Köln noch keine Panik aus. Klar passen wir auf, aber gerade Punk heisst ja auch, dass man sich trotzdem nicht einschränken lässt, oder? Allerdings hab ich einen Heidenrespekt vor den Leuten, die das hier wirklich das ganze Jahr durchziehen und nicht nur für ein paar Wochen Urlaub...

Tja, und nun sitz ich bei einem dieser Punx in der Bude und hier gibt's doch tatsächlich einen Netzzugang, dem Ihr diesen Artikel zu verdanken habt. Fortsetzung folgt, hoff ich doch.

Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Visum

Reisender 19.03.2008 - 22:39
Die Visa werden auch nicht so heiß gegessen wie gekocht:

Ich war schon 2x drüben, jeweils mit Studentenvisum, da ich dort nen Sprachkurs gemacht hab. Dort hab ich aber von mehreren Leuten gehört, dss es (auch offiziell) reicht, nur für eine Nacht ein Hotel zu buchen, die schicken dann ne Einladung für einen Monat.
Offiziell musst Du sich aber Registrieren lassen wenn Du länger als 3 Tage an einem Ort bleibst. Ein Hotel macht das automatisch, wenn du privat wohnst muss derjenige mit dir zur Polizei gehen, oder du musst bei der Ausreise eine passende Story parat haben warum du (für die meiste Zeit) keine Registrierungsstempel im Pass hast. Z.B. warst du ständig unterwegs, und nie länger als 3 Tage an einem Ort...

Für Russen ist es übrigens deutlich schwerer ein deutsches Visum zu bekommen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 9 Kommentare an

Vielen Dank! — Icke

liest sich gut — schwamm

Also... — CCCP

jep — ui

schließ — mich an

gibt es — jemand

super! — cccp

danke! — (muss ausgefüllt werden)