Erdogans Sturm auf die deutsche Leitkultur

Roberto J. De Lapuente 09.02.2008 10:56 Themen: Medien Weltweit
Erdogans Forderung nach türkischen Lehrern und Schulen entrüstet die Politik. Praktizieren es die Deutschen im Ausland anders?
Mit Unverständnis hat die deutsche Öffentlichkeit den Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan aufgenommen, wonach mehr türkische Lehrer nach Deutschland entsendet werden sollten. Die Gründung türkischer Gymnasien, versteht man gar als Angriff auf die deutsche Leitkultur - nicht nur im Lager der christlichen Parteien. An diesem Punkt angelangt sieht man die geforderte Assimiliation muslimischer Mitbürger gefährdet.

Nicht der Sinn oder Unsinn dieses Vorschlags soll folgend behandelt werden, aber ein Blick ins Ausland lohnt sich allemal. Hinlänglich bekannt ist, daß deutsche Touristen nichts von Zurückhaltung halten. Mallorca steht als leuchtendes Beispiel touristischer Respektlosigkeit vor den Belangen der einheimischen Bevölkerung. Neben deutschen Straßen, Kneipen, Dienstleistungsunternehmen, neben einer Balearenausgabe der BILD-Zeitung, ist man zudem versucht, deutsche Feier- und Partyinteressen - mittels Einzug ins Inselparlament - durchzusetzen. Laute Musik, Saufgelage und Strandbelagerungen bis tief in die Nacht als Gegenstand politischer Willensbildung! In den türkischen Touristenhochburgen sieht es nicht anders aus: Statt Köfte fordert man Bratwurst und Sauerkraut und auch wenn in der Türkei religions- und damit konventionsbedingt Schweinefleisch nicht verzehrt wird: der Tourist möchte nicht darauf verzichten müssen. Die einheimischen Bewohner trösten sich damit, daß diese Vandalen früher oder später zurück in ihre Heimat gehen, wo sie sich in dieser Weise niemals benehmen würden.

Der Tourismus ist aber nicht das Zentrum deutschen Unwillens, sich diverser "anderer Leitkulturen" anzupassen. Wie handhaben es Deutsche, die im Ausland - in diesem Falle in der Türkei - leben? - Integration findet auch dort nicht statt. Freilich, könnte man argumentieren, in der Türkei leben - laut Schätzungen - nur etwa 25.000 Deutsche, während in Deutschland 1,7 Millionen Türken leben. Aber müßte es einer kleinen Zahl "volksfremder Charaktere" nicht sogar leichter fallen, sich zu integrieren? - Scheinbar nicht. Es gibt deutsche Bäckereien und man habe den Türken etwas "mehr Sauberkeit beigebracht", so diverse Rentner, die ihren Lebensabend in Antalya verbringen. Unverblümt läßt man Verachtung erkennen, tut gerade so, als habe die deutsche Präsenz ein Land aus der Wildnis gehoben. Von der geistigen Größe des Osmanenreiches, die lange Zeit Europa in den Schatten stellte, wissen solche Zeitgenossen wenig.

Gelesen werden deutsche Zeitungen, die da heißen "Alanya Bote", "Deutsche Türkei Zeitung" oder "Türkische Allgemeine". Und auch - dies verwundert bei der Entrüstung zum Vorschlag Erdogans - deutsche Schulen existieren in der Türkei. Die Ernst-Reuter-Schule in Ankara wurde bereits 1952 - damals unter anderem Namen: Deutsche Schule Ankara - gegründet. Anzumerken sei, daß es sich um Privatschulen handelt, die tüchtig in den Geldbeutel der Eltern greifen, um dem Spößling eine gute deutsche Schulbildung zu vermitteln. Doch das Prinzip ist jenes, welches man in Erdogans Vorschlag zu sehen glaubt: Man hält sich separat, versucht nicht integriert zu leben, sondern die Herkunft zu bewahren.

Wie auch die türkischen Mitbürger hierzulande, sind Deutsche im Ausland versucht, ihre Wurzeln zu bewahren. Diese Form des Herkunftsbewahrens führt nicht selten dazu, daß man sich sein Umfeld an die Heimat anpaßt. Die Deutschen vollziehen dies im Ausland, so wie es viele türkische Mitbürger hier tun. Es ist auch nicht notwendig, integriert - was im Sinne der "deutschen Leitkultur" assimiliert bedeutet - zu sein, um friedlich mit seinem Nachbarn leben zu können. Frei nach Pispers: In Düsseldorf leben viele Japaner, kaum einer ist der deutschen Sprache mächtig. Es gibt japanische Läden und Restaurants und Apotheken haben sogar japanisches Personal eingestellt, damit japanische Kunden beraten werden können. Liest man irgendwo etwas über kulturelle Verwerfungen am Rhein? - Nein, sagt Pispers, man muß nicht dieselbe Sprache sprechen um sich zu verstehen. Man kann deswegen genauso ein Bier zusammen trinken - d.h. der eine trinkt Bier, der andere das, was er für Bier hält. Was Pispers humoristisch aufarbeitet, trifft den Nagel auf den Kopf. Und solange viele Deutsche (nicht alle) glauben, an ihrem Wesen müßte die Welt genesen, sollte man auch den Menschen hier ermöglichen, ihren Wurzeln Ausdruck zu verleihen.

Das Monopol der Werte, Normen und Konventionen einer Volksgruppe innerhalb eines Nationalstaates, ist eine relativ junge Erscheinung in der Historie. Den Menschen war es vormals gleichgültig, unter welchem Regenten sie ihr Leben zu fristen hatten. Vielen Bauern ging es - trotz dschizya (Steuer für Nichtmuslime) - viel besser, als unter christlicher Herrschaft. Erst mit Aufkommen nationalistischen Totalitarismus, der eine mal latente, mal offenkundige Gleichschaltung der Lebensentwürfe mit sich brachte, verunmöglichte das Ausleben einer anderen Kultur innerhalb eines Staatenwesens. Zu Zeiten Friedrichs II. - des Großen - sah man dies noch pragmatischer. Er ließ die andernorts verfolgten Hugenotten nach Preußen kommen, denn sie sollten den aufstrebenden Staat, der an Bevölkerungsarmut litt, bereichern. Er hätte, so sagte er einmal, auch Synagogen und Moscheen gebaut, wenn Juden und Muslime nach Preußen gekommen wären. Forciert durch die Befreiungskriege gegen Napoléon fand mehr und mehr eine Abgrenzung zu anderen Lebensentwürfen statt. Der Lebensstil der Mehrheit, die sich als Nation proklamierte, schob kulturelle Unangepaßtheiten zur Seite. Die Juden, gerade noch durch den Code Civil Napoléons emanzipiert, wurden plötzlich zu Fremdkörpern und Störenfriede. Dies forcierte eine kopflose Assimilation, in welcher man doch immer "Deutscher zweiter Klasse" blieb. Hannah Arendt sieht in dieser Kopflosigkeit, in der man sich lieber stillschweigend anpaßte, als um die Emanzipation der eigenen Kultur zu kämpfen, die Wurzel der jüdischen Kampflosigkeit, als man sie zu den Schlachtbänken der Shoa führte.

Erdogans Vorschlag mag unsinnig sein, zumal muttersprachlicher Unterricht schon jetzt (und seit Jahren) in deutschen Schulen praktiziert wird. Derart an den Haaren herbeigezogen, wie man es nun darzustellen versucht, ist ein solcher Vorschlag aber nicht. Integration ist kein Wert, welchen Westeuropäer gerne im Ausland umsetzen. Zu assimilieren haben sich andere Kulturen, der in die Köpfe zementierte Eurozentrismus erlaubt keinem west- oder mitteleuropäischen Menschen, in einer anderen Kultur zivilisatorische Kraft zu erkennen. Nicht Erdogans Vorschlag ist vermessen; als vermessen wurde es verstanden, daß man aus einer niedrigen kulturellen Stellung heraus - die die Türkei und der Islam in Augen der Europäer einnimmt - solche Forderungen in den Raum stellt. Anders: Sowas dürfen Europäer fordern und umsetzen, aber nicht "geringwertigere Kulturkreise".
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Ergänzungen

Falsch

ergänzer 09.02.2008 - 11:50
türkische schulen in deutschland sind definitiv nicht für eine integration förderlich und somit abzulehnen. türkische bewohner in deutschland sollten sich im ganzen land (relativ) gleichmäßig zerstreuen. dadurch verändern sie ihr deutsches umfeld und das umfeld verändert sie. nur so kann es perspektivisch funktionieren.

der artikel verallgemeinert und stellt alle deutschen als deppen und aggressoren im ausland dar und damit bin ich nicht einverstanden und kann es auch nicht sein da ich es ablehne in absolutheit zu denken da so etwas sehr gefährlich ist wie uns die geschichte, und nicht nur die eigene zeigt.

der vergleich mit den deutschen in der türkei kann nicht bestand haben, da 25.000 deutsche nicht das selbe potenzial haben um spannungen aufzubauen wie es die anzahl türkisch stämmiger bewohner in deutschland vermag. ich lege dabei die gewichtung auf die anzahl der jeweiligen "ausländer" und nicht auf die herkunft. schon daraus ergibt sich ein zwingend anderer lösungsansatz mit türkischstämmigen deutschen als mit deutschstämmigen türken.

danke fürs lesen

Die Kernaussage des Artikels ist falsch

Pabelapap 09.02.2008 - 14:07
Türkische Schulen und Unis hin oder her - Lass mal deine große Theorien weg und komm mal wieder runter.

Hast du schon mal im fremdsprachigen Ausland gelebt? Wieviel Kommunikation bekommst du den mit den Einheimischen hin, wenn du die Landessprache nicht sprichst? Außer dem ganzen typisch- touristischen Zeug? Ist das ein erstrebenswerter Zustand?

Wer längere Zeit in einem Land lebt, sollte auch versuchen, so gut wie er eben kann, die Sprache des Landes zu lernen. Das gehört erstens zum Anstand und zweitens kann nur so ein ein peaciges Zusammenleben und ein sinnvoller Austausch im Sinne der Völkerveständigung standfinden. Egal, ob nun der Türke in Deutschland, der Japaner in Frankreich oder der Deutsche in Peru. Beide Seiten haben dadurch Vorteile. Das hat nix mit Assimilation zu tun.

Auf diesen konkreten Fall bezogen: Sicherlich ist Deutsch keine einfache Sprache. Und ich sehe es auch ein, dass nicht jeder, der in Deutschland lebt, in der Lage ist sie ausreichend zu lernen, weil er (um ein paar Beispiele zu nennen) vielleicht zu alt ist, keine Zeit hat oder isoliert wird.

Aber die Leute, die auf soeine rein türkischsprachige Schule gehen würden, würden dass bestimmt nicht aus denen Gründen machen, die du hier anführst. Nicht weil wir Europäer so arrogant sind und uns auf Mallorca schlecht benehmen. Sondern die meisten würden das sicherlich aus ganz pragmatischen Gründen tun: weil es für sie einfacher ist.
Aber gerade junge, aufnahmebereite und sich weiterbildende Menschen sollten die Chance nutzen, die Landessprache zu lernen, wenn man Sie Ihnen gibt.

Ich bin nicht dagegen, dass es hier Unterricht auf Türkisch gibt, auch an Unis. Das macht es für manche leichter. Aber gerade hier Studierende und zur Schulegehende sollten nicht darum herum kommen hier deutsch zu lernen.

und ich erzähl dir auch noch ne kleine Geschichte aus meinem uninteressanten Leben:
Ich komm aus dem Nazi-verseuchten Osten, aus ner Region, wo es kaum Migranten gibt.
Einer meiner ersten Freunde, früher als Kind, war ein Armenier außem Flüchtlingsheim. Wir
haben viel miteinander rumgehangen und Fussball gespielt und ich hab ihn auch bei sich zu Hause besucht usw. Aber das war nur möglich, weil er relativ gut deutsch sprach und wir auf die selbe Schule gegangen sind. Is vielleicht nix besonderes, viele werden sagen "na und?", aber denk mal drüber nach und lass deine großen Theorien weg....

mit freundlichem Gruß

Leidkultur

Kulturfolger 09.02.2008 - 15:26
Wer in einen Land leben will, dem bleibt nichts anderes übrig, als die Landessprache zu lernen, denn man kann kaum erwarten, das z.B. die Amis Deutschkurse belegen, nur weil ich mich entschlossen habe, in den USA zu leben und weiterhin Deutsch reden will. Das trifft hier genauso zu, man muß sich eben entscheiden, wer hier leben will, der muß die Sprache können, oder er hat weder die Möglichkeit auf eine vernünftige Ausbildung, noch auf eine entsprechende Arbeit. Ok. mit Arbeit haben es viele nicht, da können sie noch so gut Deutsch können, nur wer nicht mal das kann, wo willst dann hin? Das man nach Deutschland kam, keine zwei Worte konnte und trotzdem Arbeit bekam, weil man nur zupacken mußte, das war mal. Das warn Zeiten, als die "Gastarbeiter" grad fähig sein mußten, den Arbeitsvertrag zu unterschreiben, Arbeit gabs und denen wurd nur gezeigt was sie tun sollten, die Sprache mußten sie noch nicht können. Lang ist s her und heute reicht es eben nicht hier geboren zu sein, ohne Sprachkenntnisse kommst nicht weit.
Wenn also Türken hier von türkischen Lehrern unterrichtet werden sollen, soll das heißen, das sie dann nach der Schule in die Türkei gehen und da bleiben? Nur dann würde sowas Sinn machen.

naja

jo 09.02.2008 - 16:56
Ich möchte dazu gerne noch beitragen, dass ich lange Zeit im Ausland gelebt habe und auf einer Deutschen Schule dort mein Abitur gemacht hatte. Die hat zwar den Ansatz einer sog. Begegnungsschule (dh. desdo höher der jahrgang, desdo mehr Kurse haben alle zusammen auf DEUTSCH, und am Ende machen alle DEUTSCHES Abi, das sie wohlgemerkt nicht befähigt, an einer dortigen Uni ein Studium zu beginnen ->dazu sind wiederum Extrakurse nötig). Aber vor allem die Deutschen dort leben grossteils in einer Parallelgesellschaft in den Besserverdienervierteln, auf dem Reiterhof, Golfplatz, etc. Manche meiner MitschülerInnen konnten nach Jahren noch kaum mehr als in der lokalen Sprache Brot kaufen, obwohl der Unterricht in dieser natürlich Pflicht für alle ist, genau wie Deutsch. Meines Wissens gibt es solche Deutschen Privatschulen mit gleicher oder ähnlicher Struktur mehr oder weniger auf der ganzen Welt. Sie sind für eine Minderheiten-Elite gedacht die sich das leisten kann, die dann auch in der Regel unter sich bleibt.
Die Menschen hierzulande sollten also wie so oft erstmal vor der eigenen Haustür kehren, bevor sie sich über sowas echauffieren. Ich kann zumindest aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass Deutsche Schulen im Ausland nicht im Mindesten dazu geeignet sind, irgendwen zu integrieren oder gesellschaftliche, ethnische oder soziale KOnfklite einzudämmen. Deshalb sind die populistischen Maschen von Erdogan zum Thema natürlich genauso ein Bockmist.

türkische schulen

antifaschist 10.02.2008 - 11:34
erdogan´´s heuchelei
Ich wollte als gebürtiger kurde fragen warum erdogan für die 20 mill.kurdischen staatsbürger von sich die nach schätzungen unterschiedlicher historiker bis zu 11000jahren im jetzigen ost türkei stämmig sind, keine staatlichen kurdischen schulen bekommen ?gegenwärtig wird nur darüber geredet ob sie kurdisch als fremdsprache zulassen wollen.als ob wir aus dem nordpool oder vom mars wären?erdogans ziel ist keine andere als das ofizielle 80jährige faschistische bestreben der türkei nämmlich:ein land,ein volk,eine religion und das am besten die ganze welt.

Einzige deutschsprachige Wochenzeitung ffehlt

Jürgen P. Fuß 02.03.2008 - 09:43
Es ist schon viel zu dem Beitrag und seine "Schlagseite" gesagt worden, deshalb dazu keinen weiteren Kommentar.

Ich frage mich aber ernsthaft, wo der Verfasser seine Informationen über deutsche Zeitungen hergeholt hat. Warum weiß er nicht, dass die Türkische Allgemeine bereits 2006 (!) eingestellt worden ist.

Wie kann zudem es sein, dass er dabei die einzige deutschsprachige Wochenzeitung, die speziell fürt die Türkei produziert wird, vergisst?
Dabei unterscheidet sie sich in ihrer Berichterstattung sehr klar von den anderen Zeitungen, die zudem nur alle vierzehn Tage erscheinen und regional begrenzt sind.


Jürgen

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Erdogan — Nagodre

Doch! — Klako

deutsch lernen = assimilation ? — Berliner Hedonist

zum heulen — wissender

Erbärmlich — Sparta

@Sparta — Du bist auch peinlich

Sparta... — Vereinigtes Königreich...

Nebelkerzen — Joe

Anderseits.. — Christian

Gemeinsamer Kampf ist nötig — Thomas Trueten

Die Masse machts — Enno

- — -

vielleicht auch nochmal anders — mal probieren