Berlin: JVA-Tegel in Bedrängnis

Teilnehmerin 03.02.2008 20:14 Themen: Antifa Repression Soziale Kämpfe
Heute Nachmittag demonstrierten 100 Menschen vor der Justizvollzugsanstalt Tegel gegen die Verlegung des gefangenen Antifa Christian S. Am Freitag war bekannt geworden, dass Christian in die Abteilung für suchtkranke Inhaftierte verlegt werden soll, statt wie vorgesehen in eine andere JVA in Berlin-Plötzensee. Der stellvertretende JVA-Sicherheitschef Di Simoni wollte den Forderungskatalog der DemonstrantInnen heute nicht entgegen nehmen und verwies auf den Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Der JVA-Leiter Ralph Adam ließ sich, wie schon am Freitag, verleugnen. Gefordert wurde die Verlegung Christians nach Plötzensee, die Anrechnung seiner U-Haftzeit und seine Entlassung nach 2/3 der Gesamtstrafe.
Die Reaktion der JVA auf die Kundgebung zeigt, wie wenig Verantwortung für die eigenen Entscheidungen übernommen wird. Tagtäglich wird hinter den Mauern deutscher JVAs über das Schicksal von Menschen nahezu willkürlich entschieden. Bei Problemen soll mensch sich gefälligst an die Politik und die lahmen Verwaltungsgerichte wenden. Doch wir verkennen nicht welche Rolle AntihumanistInnen im Polizei- und Justizbetrieb spielen.
Prozeduren wie der Vollzugsplan ermöglichen den JVA-SozialarbeiterInnen ihren Menschenhass in nachhaltige, scheinbar objektive Einschätzungen zum Boshaftigkeitspotential der Gefangenen zu übersetzen. Derlei Analysen werden immer weiter fortgeschrieben, ohne dass der/die Gefangene die Fremdwahrnehmung korrigieren könnte. Die Folge sind z.B. Stigmatisierung als unverbesserliche Kriminelle, Drogensüchtige, ÜberzeugungstäterInnen oder Verrückte, die unbedingt in Sicherungsverwahrung sollen oder zumindest ihre Gesamtstrafe abzusitzen haben.

Die Reduzierung der Inhaftierten als TrägerInnen sozialschädlicher Eigenschaften führt im konkreten Fall Christian S. dazu, ihn erst aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug und nun als Ex-Junkie auch noch auf die Suchtstation zu schicken. Die Probleme für ihn dort sind vorprogrammiert und werden bewusst provoziert, um weiter Argumente gegen seine Freilassung zu sammeln.
Er hat, so der Vorwurf, vor der Urinprobe zuviel Wasser getrunken. Aufgrund seiner dokumentierten Vorgeschichte (er war bis 1994 von Heroin abhängig) nahm die Sozialarbeiterin Lichtenberg die Urinprobe zum Anlass, um ihm Drogenkonsum zu unterstellen. Statt eine neue Probe zu untersuchen, wird er sofort als Abhängiger abgestempelt. Die geplante Verlegung in die etwas komfortablere JVA-Plötzensee (wo er nicht ständig von inhaftierten Nazis bedroht wird) kann er nun erst recht vergessen.
Mit diesem Vorgang konfrontiert, fällt der JVA-Leitung heute nur ein, die Verantwortung von sich zu weisen. Intern wird die Kundgebung und die andauernde schlechte Presse über die JVA dennoch Kopfzerbrechen bereiten.

Christian ist seit seiner Einweisung im Juli 2007 ein Störenfried, weil er selbstbewusst und mit Unterstützung von draußen seine Rechte im Strafvollzug einfordert. Er ist inhaftiert, weil er am 1. Mai 2004 dabei half einen NPD-Großaufmarsch in Berlin zu verhindern. Das gesamte Jahr 2005 saß er in Untersuchungshaft, weil ihn LKA-Headhunter beschuldigten eine Flasche auf den Naziaufmarsch am 13.2. in Dresden geworfen zu haben. Obwohl er in der Sache einen Freispruch erringen konnte, wurde ihm die U-Haft Zeit bisher nicht auf die aktuelle Haftstrafe angerechnet.

Die Kundgebung hat gezeigt, dass Angehörige, Freunde und Bekannte ihrem Unmut über die Haftbedingungen Luft machen können, ohne auf Presse, ParlamentarierInnen und Ausschüsse angewiesen zu sein.
Eine ernstzunehmende Anti-Knast-Bewegung, die auch für soziale Gefangene attraktiv sein will, sollte diese Formen des kollektiven Protestes als Solidaritätsform weiter forcieren, um den SchreibtischtäterInnen in den JVAs im Alltag etwas entgegen setzen zu können.

Nächste Möglichkeit: 8. März | Demo für die Freilassung von Andrea | 14 Uhr U-Bhf Eberswalderstr. |  http://freeandrea.de.vu
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Ergänzungen

u-haft

ein leser 04.02.2008 - 10:23
also normalerweise wird die zeit der u-haft auf die haft angerechnet. aber da er ja wegen einem anderem verfahren in u-haft saß kann man das hier nicht machen. er kann aber für die zeit der u-haft eine sogenannte "hatfentschädigung" beantragen.
drogensüchtige nazis in der jva?!? das wäre doch mal einen ganzen artikel wert.
ich war ja auch bei der kundgebung. gut war, das so viele gekommen sind (ich würde 80 menschen sagen), schlecht war die rednerin mit dem französichen dialekt. auch wenn sie die unmenschlichen anprangerte musste man aufgrund der falschen aussprache ab und zu etwas schmunzeln. auch sollten menschen die lispeln nicht gerade im lauti dursagen machen.
ich wäre dafür das wir jeden samstag ne demo/kundgebung auf dem alex/kudamm machen und sonntag vor der jva. wenn wir immer nur vor der jva stehen bekommt es aus den insassen keiner mit. wichtig ist das wir auch "normale" menschen auf die zustände aufmerksam machen.

Christian ist heute verlegt wurden....

Unterstützer 04.02.2008 - 16:05
Da Christian heute auf die Suchtstation verlegt wurde, wird es am nächsten Sonntag wieder eine Kundgebung vor der JVA geben. Also haltet euch den Termin frei und achtet auf Ankündigungen.

Schlappe für Berlins Schlapphüte

http://www.heise.de/ 04.02.2008 - 22:34
Verfassungsschutz unterliegt Sozialforum: Verwaltungsgericht gesteht Geheimdienstopfern verwehrtes Auskunftsrecht zu

Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben: Am vergangenen Mittwoch gab das Berliner Verwaltungsgericht einem politischen Aktivisten im Streit gegen den Verfassungsschutz des Landes Recht. Der Sozialwissenschaftler Wilhelm Fehse war wie andere Mitglieder des [extern] Berliner Sozialforums (BSF) über einen längeren Zeitraum hinweg observiert worden. Als die Beschattung publik wurde, verweigerte der Geheimdienst den Geschädigten pauschal Einsicht in die Akten. Zu Unrecht, wie das Gericht nun feststellte.

m Juni 2006 war durch die Presse bekannt geworden, dass der Inlandsnachrichtendienst des Landes Berlin das BSF systematisch observiert hat. Mehrere potentielle Überwachungsopfer forderten daraufhin Einsicht in die Akten des Geheimdienstes, der dem SPD-geführten Innensenat untersteht. Doch lediglich bei dem bekannten Politologen Peter Grottian wurde dem Antrag stattgegeben. Dem 65-jährigen wurden jedoch nur 80 Seiten ausgehändigt. Zum Vergleich: Die Mitglieder des Senatsausschusses für Verfassungsschutz bekamen für eine parallel anberaumte parlamentarische Untersuchung der Affäre fünf Aktenordner zur Verfügung gestellt. Die Ausschussmitglieder stehen allerdings unter einer Geheimhaltungspflicht und dürfen deswegen zu dem Material nicht Stellung nehmen. Weil die Anträge anderer Aktivisten des BSF abschlägig beschieden wurden, klagte Fehse gemeinsam mit drei weiteren Mitstreitern gegen die Informationssperre. Nun bekam er Recht. Eine Einsicht dürfe gemäß dem [extern] Berliner Verfassungsschutzgesetz nicht pauschal verwehrt werden, stellte das Verwaltungsgericht fest.

Schutz der Verfassung als Vorwand

Das Berliner Sozialforum war als Zusammenschluss verschiedener linker Gruppierungen 2003 gegründet worden. Eines der Hauptziele war damals zunächst eine gemeinsame Kampagne gegen die Hartz-IV-Gesetze. Dass diese sozialpolitische Bewegung von Geheimdiensten überwacht wurde, brachte die verantwortliche Behördenchefin Claudia Schmid schon damals in Bedrängnis. Sie kündigte eine "umfassende Überprüfung" des Sachverhalts an. Die Observation des Sozialforums habe sich ohnehin nur auf radikale Teile der Bewegung bezogen, vor allem auf die so genannten autonomen Gruppen. Sie, so hieß es zur Begründung, hätten versucht, das Sozialforum für eigene Zwecke zu missbrauchen. Auf diese Weise inszenierte sich der Verfassungsschutz quasi als Beschützer legitimer politischer Interessen gegen eine Gefährdung durch Extremisten. Eine unglaubwürdige Darstellung, wie sich bald herausstellte.

Denn nach einer Recherche der BSF-Aktivisten wurde schnell deutlich: Der Zusammenschluss war von insgesamt fünf V-Leuten systematisch unterwandert worden. Lediglich einer der Spitzel war auf die autonome Szene angesetzt gewesen. Tatsächlich trugen die Geheimdienstler nicht nur Informationen über den Politikwissenschaftler Grottian zusammen. Zu dem Spionageopfern zählten auch Gewerkschaftsfunktionäre wie das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes Annelie Buntenbach, der Chef der Bildungsgewerkschaft GEW Ulrich Thöne und regionale Repräsentanten der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Mit der Weigerung, die Observationsakten freizugeben, sollte die Reichweite der Überwachung sozialer Bewegungen offenbar verschleiert werden. Diesem Ansinnen hat das Berliner Verwaltungsgericht unter Vorsitz seines Vizepräsidenten Hans-Peter Rueß nun [extern] Einhalt geboten. Die pauschale Argumentation, mit der Aktenfreigabe würden Quellen und Informanten gefährdet, teilte er nicht. Rueß wies den Verfassungsschutz vielmehr an, eine Ablehnung in jedem Fall zu begründen.

Geheimdienst gegen politische Gegner

Die Entscheidung ist auch bedeutend, weil sie die Kontrolle des Geheimdienstes berührt. Nach dem Urteilsspruch zeigten sich die BSF-Aktivisten deswegen zwar zufrieden und sprachen von einem "Teilerfolg". Sie wiesen allerdings auch darauf hin, dass mit der Entscheidung des Gerichtes "weder die blinde Sammelwut der Verfassungsschützer gebremst noch eine generelle Akteneinsicht ermöglicht" werde.

In der Tat belegt gerade der Berliner Rechtsstreit ein zentrales Problem der Inlandsgeheimdienste. Sie haben qua Funktion und unter Vorgabe des Verfassungsschutzauftrags jederzeit die Möglichkeit, gegen politisch missliebige Bewegungen vorgehen. Bis heute konnte die Berliner Landesbehörde jedenfalls nicht nachweisen, dass die weitreichende Überwachung des Sozialforums auf eine Kontrolle der Autonomen ausgerichtet war, wie dies zunächst behauptet wurde. Stattdessen herrscht seit den ersten Stellungnahmen im Sommer 2006 Schweigen. In einer [extern] Einschätzung der Betroffenen heißt es aus deswegen:

"Durch den V-Leute-Einsatz wird eine neue und wichtige Form außerparlamentarischer politischer Arbeit vorsätzlich behindert. Diese hat sich mit den europäischen und internationalen Sozialforen entwickelt und versucht erfolgreich Antworten für die globale soziale und ökologische Krise zu finden. Im vergangenen Jahr wurde sogar der Alternative Nobelpreis an Chico Whitaker Ferreira für die Gründung der Weltsozialforen verliehen. Nicht die Umsetzung der Sozialforumsidee auch in Berlin gefährdet die Verfassung, sondern die Behinderung dieser gerade in Sachen Demokratie wegweisenden politischen Arbeit durch den Verfassungsschutz!"

Aus der "Chronologie der Affäre um die Bespitzelung des Berliner Sozialforums durch den Verfassungsschutz" von Peter Grottian u.a.

Unklar ist bislang, ob der Geheimdienst gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen wird. Tut er dies nicht, erwartet ihn eine wahre Antragswelle. Bislang haben 103 Personen aus der Berliner Sozialforumsbewegung um Akteneinsicht gebeten. Ein Teil von ihnen und weitere Aktivisten werden nun verstärkt auf eine Freigabe der sie betreffenden Informationen drängen. Dass dabei V-Leute enttarnt werden könnten, bleibt nicht aus.

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27207/1.html

Christian grüßt

indymania 04.02.2008 - 22:42
"Ich güße alle, die gestern trotz der kurzen Mobilisierungszeit den Weg in diese widerwärtige Ecke Berlins gefunden haben, um ihre Solidarität zu bekunden.
Die JVA Tegel wirft mir in einem Gutachten "Hass, Wut und Verachtung auf faschistische Organisationen" vor, weswegen ich angeblich nicht ohne Gewalttaten gegen politischen Gegner leben könnte.
Ihr könnt aber sicher sein, dass keine Verschlechterung meiner Haftsituation bei mir Gleichgültigkeit oder Zustimmung zu faschistischen Organisationen bewirken wird, wie jetzt anscheinend Ziel der Anstaltsleitung ist.
Die Entscheidungsträger haben vergessen, dass in den gleichen Justizgebäude von Moabit, Plötzensee und Tegel im dritten Reich schon drastischere Methoden angewandt wurden, um AntifaschistInnen zu bekämpfen und dass es auch damals immer AntifaschistInnen gegeben hat.
Wir werden erst verschwinden wenn es keine Nazis mehr gibt.
Mir wurde auch öfter bedeutet, dass die Verantwortlichen unter der negativen Berichterstattung in den Medien über die Zustände hier leiden. Man erwartet wohl von mir eine Distanzierung von den Leuten draußen. Darauf können sie aber lange warten."

Die Junge Welt von morgen hat auch nen Beitrag geschrieben. Etwas anderer Fokus: "Antifaschist in Berliner Haftanstalt von Neonazis bedroht. Gefängnisleitung ignoriert Gefährdung. Protestkundgebung vor JVA Tegel" >  http://www.jungewelt.de/2008/02-05/075.php

Sonntag wieder Kundgebung

muss ausgefüllt werden 05.02.2008 - 13:19
Da Christian auf die Suchtstation verlegt wurde, mobilisieren wir am kommenden Sonntag um 16 Uhr wieder zur JVA Tegel. Vortreffpunkte sind um 14:15 Uhr vor dem X-B (Rigaer Str. Ecke Liebig Str.) und um 15 Uhr Hallesches Tor.

Kommt zahlreich und lasst uns zeigen das Solidarität unsere stärkste Waffe ist!

U-haft kann durch Gandengesuch auf andere

Strafen angerechnet 05.02.2008 - 14:41
werden.

liebe indy moods die info aus den letzten zeilen ergänzt die erste ergänzung bzw. korriegiert sie, dies ist ja auch schon vorher, durch andere geschehen aber leider zu den nicht inhaltlichen verschoben worden:

@U-Haft
deine französische Mutter 04.02.2008 - 16:55
Wenn man keine Ahnung über Strafrecht und U-Haft hat sollte man, so wie du es machen sollte, die Fresse halten: Durch Gnadenweg gibt es die Möglichkeit eine U-Haft auf einer anderen Strafe anzurechnen.
Zweitens deine Bemerkungen über die Redner zeigen eine kleine Faschistische bis Bullerische Tendenz, dein Mangeln an Rechtskenntnisse auch. Peinlich, peinlich: man sagt nicht französischer Dialekt aber fanzösischer Akzent. Ein Dialekt ist eine ganz andere Sache...Das deutsche Wörterbuch wird dir dabei helfen...

fotos von kundgebung und knast

foto 06.02.2008 - 11:17

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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bedrängnis? — naja

@U-Haft — deine französische Mutter