„Zug der Erinnerung“ in Apolda (Thür.)

Antifaschistische Gruppe Apolda [AGAP] 03.02.2008 16:02 Themen: Antifa Antirassismus Bildung Kultur

Der „Zug der Erinnerung“ in Apolda: Die Zukunft gestalten – der Opfer gedenken!


Das Vorbereitungskommitee ist sehr dankbar, dass der „Zug der Erinnerung“ auch in Apolda hielt. Die erschreckenden Ereignisse in den vergangenen Jahren, zu denen brutale Übergriffe, Sachbeschädigungen und Einschüchterung von Seiten der örtlichen Naziszene gehören, machen ein Aufweichen der oftmals als bedrückend empfundenen „Angsträume“ notwendig – dieser Tag brachte uns diesem Ziel ein Stück näher.[1]

Der „Zug der Erinnerung“ und das Projekt „11.000 Kinder“

Lange Zeit blieb es dunkel um das traurige Kapitel der Verstrickungen zwischen dem Unternehmen der „Reichsbahn“ und der Deportation Millionen unschuldiger Menschen. Die Shoa gehörte nicht zu jenen Themen, denen im Nachkriegsdeutschland besondere Bedeutung beigemessen wurde – das galt für beide Bereiche des geteilten Landes. Die Logistik oblag den SchreibtischtäterInnen des nationalsozialistischen Regimes – zur Verantwortung gezogen wurden nur wenige.
In einem Klima, dass nicht nach den Ursachen fragte und darauf bedacht war, einen schnellen Schlussstrich unter das Vergangene zu ziehen, gelang es den organisatorischen Köpfen des Holocausts, einen unbeschwerten Lebensabend zu verbringen.
Die oben genannten Umstände sind ein Teil der Ausstellung im „Zug der Erinnerung“. Doch die Geschichte der Täter ist nur das Ende der geleisteten Aufarbeitung. Am Anfang stehen die namens- und gesichtslosen jungen Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Ihnen ihre Namen und Gesichter – ihre Würde wiederzugeben, ist die Intention der Initiative „Zug der Erinnerung“. Bereits die Ausstellung „11.000 Kinder“ beschäftigte sich mit diesem wichtigen Thema. Die Bahn wollte jedoch ihren Fahrgästen die Bilder der Deportierten nicht zumuten und blockierte alle Bemühungen des Projekts. Ein Gedenkzug sollte die Möglichkeit schaffen in die Bahnhöfe und damit in die Köpfe der Reisenden zu gelangen. Über das Wer, Wann und Wie des Gedenkens hat nicht die Bahn zu entscheiden – vor allem nicht, wenn sie als Rechtsnachfolgerin nach dem Krieg die VerbrecherInnen weiterhin in ihrem Unternehmen beschäftigte.

Der Zug in Apolda

Der„Zug der Erinnerung“ hielt am 28.01.2008 um 17.19 Uhr in Apolda. Unter dem Motto „Der Opfer gedenken – die Zukunft gestalten“ begrüßten 200 Bürgerinnen und Bürger der Stadt und des Kreises den einfahrenden Zug. Bürgermeister Rüdiger Eisenbrand hielt die Eröffnungsrede, gefolgt von einem Redebeitrag der Antifaschistischen Gruppe Apolda (AGAP), dem BürgerInnenbündnis gegen Rechtsextremismus Weimarer Land, dem Aktionskommitee „11.000 Kinder“ Weimar und der pädagogischen Begleiterin des Zuges Anne Berghoff. Letztere dankte vor allem der AGAP für ihr Engagement in der Organisation des Zuges in Apolda. Beklemmend wirkte ein Hakenkreuz im Hintergrund der RednerInnen. Vor knapp einem Jahr besprühten Rechtsextreme die Treppe. Die Symbole wurden zwar sofort übermalt, doch verblasst die Farbe zusehends. Das Schandfleck aber bleibt der Stadt- wie ein unheilvolles Symbol – erhalten.

Schnell füllte sich der Bahnsteig vor dem Zug. 400 Menschen waren es, die in knapp vier Stunden die Ausstellung besichtigten.
Leider machten es die Umstände notwendig, dass ein für die bisherige Strecke des Zuges unnötig großes Polizeiaufgebot die Interessierten schützte. Nachdem im Jahre 2006 die Ausstellung „11.000 Kinder“ von zirka 25 vermummten Nazis angegriffen wurde, sollten ähnliche Bilder an diesem Tag ausbleiben. [2] Die AnhängerInnen des nationalistischen Systems ließen sich dennoch blicken. Immer wieder fuhren vollbesetzte Fahrzeuge mit Rechtsextremen am Bahnhof vorbei und machten ihrem Unmut über die Ausstellung Luft.
Einer kleinen Gruppe von drei jungen Nazis musste der Zutritt verwehrt bleiben. Nicht nur, weil sie mit der einschlägig bekannten Marke „Thor Steinar“ bekleidet waren - eine der Rechtsextremen trug auch ein „Keltenkreuz“ und ein rundes Hakenkreuz. An einem Ort des Gedenkens der Opfer darf unter Wahrung ihrer Würde für diese Art der NS-Verehrung kein Platz sein!
Wenig später verirrte sich noch ein Pärchen der extrem rechten Szene auf den Bahnhof. Nachdem diese Passanten anpöbelten, griff die Polizei ein und verwies sie des Geländes.
Während der Zug im Bahnhof hielt, zeigte das Filmbüro Kromsdorf den Film „Zug des Lebens“. Es war nach der Aufführung am Morgen und Nachmittag die dritte Vorstellung an diesem Tag. Vor allem zahlreiche SchülerInnen nutzen das Angebot und nahmen auch am anschließendem Filmgespräch teil.

Das Begleitprogramm in Apolda – Konzert, Stadtrundgang und öffentliche Lesung

Auf den Zug aufmerksam machte - ähnlich wie in Weimar - ein umfangreiches Begleitprogramm. Los ging es am Freitag mit einem Konzert der Bands „String Company“, „Tarraful Eurroma“ und „Sieben auf einen Streich“. Virtuose Klezmar-Klänge, kraftvoller Gipsy-Balkanrock und belebende Blechbläser veredelten den Abend. Von unerwünschten Störungen blieb die Veranstaltung verschont.

Auch der Stadtrundgang am nächsten Tag verlief ohne Störungen. Geschehnisse in Weimar ließen jedoch zunächst Schlimmeres erwarten. Zirka 20 RechtsextremistInnen störten dort am 25. den Vortrag des Historikers Jonny Thimm, der über die unrühmliche Vergangenheit der Stadt Weimar und ihrer BewohnerInnen berichtete.
Der Historiker Peter Franz führte in Apolda eine Gruppe von 50 Menschen durch die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt. Der Rundgang begann am Startpunkt der Deportationen – dem Apoldaer Bahnhof. Von hier wurden Apoldaer Juden in drei Deportationswellen in die Gettos und Konzentrationslager nach Osten verschleppt, wo sie dem Vernichtsungswahn der Nazis zum Opfer fielen.
Am ehemaligen „Götzewerk“ erfuhren die ZuhörerInnen etwas über das Schicksal der vielen hundert ZwangsarbeiterInnen in Rüstungsbetrieben der Stadt - insgesamt gab es drei Rüstungswerke in Apolda.Der Weg führte die Gruppe weiter in die Fußgängerzone. Zwei jüdische Kaufhäuser gab es in Apolda, ihre Besitzer wurden im Zuge der Ereignisse im „Dritten Reich“ zum Verkauf gezwungen. Der Wert ihrer Besitztümer wurde ihnen jedoch nicht ausgezahlt. Die NSDAP verlangte hohe Summen von den Juden - nicht zuletzt, um ihre dem Kriege vorbereitende Rüstung zu finanzieren. Auch das ehemalige jüdische Kaufhaus „Sax und Berlowitz“ in der Weimarer Schillerstraße wurde auf diese Weise enteignet. Die Besitzer sperrte man so lange in ein KZ, bis sie bereit waren, ihr Unternehmen für einen Spottpreis zu verkaufen.
Drei jüdische Wohnhäuser waren die letzten Stationen des Rundganges – darunter auch das Haus der Familie Prager, dem sich ein Verein mit dem Ziel des Andenkens angenommen hat.

Eine Lesung in der Stadtbibliothek schloss sich dem Rundgang an. Ilka Lohmann las aus dem „Tagebuch der Anne Frank“ und Victors Klemperers „Lingua Tertii Imperi – LTI“. Eindrucksvoll vermitteln diese Werke den Verfall jedweden Humanismus im „Dritten Reich“. Die Propagandasprache des „Reiches“ machte aus einer Sprache der Literatur und Philosophie ein billiges Instrument des Hasses - die Auswirkungen bekamen auch Jugendliche wie Anne Frank zu spüren. Sie wurde im Alter von 16 Jahren im KZ „Bergen Belsen“ von den Nazis ermordet.

Am Abend führten die TeilnehmerInnen des „Auschwitz-Projekts“ der Partnerschulen Mühlheim, Apolda und Oswiecim-Raisko das Ergebnis ihrer diesjährigen Arbeit vor. Bereits seit Jahren ist diese Art des Gedenkens fester Bestandteil des kulturellen Lebens in Apolda. Jedes Jahr fahren Schülerinnen und Schüler des Gymansiums der Stadt nach Oswiecim in die Gedenkstätte Auschwitz, um dem Vergessen entgegenzutreten -„Mensch erinnere, was in Auschwitz dir geschah“.

Die Entwicklungen in der Stadt Apolda

Die aktuellen Ereignisse bieten Grund zur Sorge. Wenige Tage nach der Ankunft des Zuges, am 2. Februar, zog der alljährliche Faschingsumzug durch die Stadt. Wie in den Vorjahren kam es dort wieder zu Störungen durch Rechtsextreme. Schlägereien, extrem rechte Parolen und der Eklat 2007 - eine Straßenschlacht zwischen Nazis und Polizei - sorgten für landesweites Aufsehen. In diesem Jahr liefen drei Nazis inmitten des bunten Zuges, sie trugen dabei ein Transparent, worauf sie für die „nationale Sache“ warben. Auf dem Markt versammelten sich – wie in den Jahren zuvor – duzende Nazis, um den Tag auf ihre Weise zu feiern. Von einer „nationalbefreiten Zone“ inmitten des eigentlich fröhlichen Tages zu sprechen, ist sicher nicht übertrieben. Ein konsequenter Ausschluss Rechtsextremer von Seiten der Faschingsvereine scheint die einzige Möglichkeit, derartigen Bilder entgegenzuwirken. Es muss das klare Signal aus der Gesellschaft kommen, dass derartige Denkweisen hier nichts zu suchen haben! [3]

In der Nacht zum 2. Februar zogen zudem Nazis entlang der Umzugsroute durch die Stadt und klebten unzählige Propagandaaufkleber an Schilder und Scheiben. Wieder traf es eine gegen Rechtsextremismus engagierte Unternehmerin, der bereits sechs mal die Fenster mit Steinen zerstört wurden. Diesmal waren es zwar nur Aufkleber, doch der psychologische Effekt bleibt – es kann jederzeit wieder geschehen. Betroffen war auch ein vietnamesisches Geschäft. Dass die Geschäfte von MigrantInnen nicht sicher sind, belegen die mehrmaligen Sachbeschädigungen an einem Döner-Imbis in der Bachstraße. [4]

Bereits in den ersten Stunden des Jahres 2008 machten Rechtsextreme Schlagzeilen. Eine Schlägerei mit zirka 40 Personen in der Bahnhofstraße konnte stundenlang nicht von der Polizei unter Kontrolle gebracht werden. Trost dabei: Sie schlugen sich untereinander, unbeteiligte Opfer gab es allem Anschein nach nicht. [5]

Verhindert werden konnte offenbar am 26.01.2008 - am Tage des Stadtrundganges, welcher zum Begleitprogramm des Zuges gehörte – eine rechtsextreme Veranstaltung. In einer Apoldaer Gastwirtschaft – dem Feldschlößchen - sollte vermutlich eine illegale Veranstaltung begangen werden. Am Abend waren zahlreiche kleine Gruppen von Nazis zu sehen, die zum Veranstaltungsort liefen. Die Polizei war schneller – die Feierlichkeit blieb den Bewohnern der Stadt erspart.

Doch gibt es in Apolda durchaus Positives zu vermelden - die AGAP erwähnte dies am Ende ihres Redebeitrages am 28.01.2008.

„Schon jetzt gibt es positive Tendenzen: ein Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus hat sich gegründet, am 8. Mai gab es eine Demonstration mit 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum „Tag der Befreiung vom Faschismus“ und ein Verein beschäftigt sich mit dem Erhalt des Prager-Hauses sowie dem Kampf gegen den noch immer latent vorhandenen Antisemitismus.“

Redebeitrag der Antifaschistischen Gruppe Apolda [AGAP]

Der Opfer gedenken - die Zukunft gestalten

Über 60 Jahre trennen uns von den Ereignisse im Nationalsozialismus. Die letzte lebendige Verbindung - eine Generation von Zeitzeugen - stirbt. Das einmalige Grauen der Shoa wird schon bald nur noch durch Gedenkstätten, Bücher, allenfalls Filmaufnahmen zu erahnen sein. Schon heute klagen Lehrer über das mangelnde Interesse an diesem für die Menschheit so mahnenden Kapitels begangener Grausamkeit.

Selbst in in jenen 60 Jahren war das Gedenken an die Opfer oftmals überschattet durch ein kollektives „Vergessenwollen“. Die zerstörten deutschen Städte wurden zum Sinnbild einer Generation - die sich oftmals als Komplizen schuldig machte – jedoch für sich nun selbst die Rolle des Opfers proklamierte. So sprach der erste Bundeskanzler Adenauer die Worte: Man solle von Deutschland nicht immer in Verbindung mit seinen Kriegsverbrechern reden. Vor allem Personen aus konservativen Kreisen stellten sich schützend vor Funktionäre des alten Regimes, um ihnen zu neuen Posten oder einem ruhigen Lebensabend zu verhelfen. Nicht viele waren willens, sich die eigene Mitschuld einzugestehen. An Ursachenforschung war in diesem Klima nicht zu denken.
Wenn heute Neonazis vom Alliierten-„Bombenholocaust“ über deutschen Städten sprechen und dabei den ausschlaggebenden Vernichtungskrieg der Nazis als einen Präventivkrieg bezeichnen, liegt einer der Gründe dafür am Geschichtsbild Nachkriegsdeutschlands. Gerade deshalb liegt es in unserer Verantwortung gegen das Vergessen und Verdrängen zu agieren. Das Erbe des Wissens um die Menschenrechtsverbrechen muss zum Grundstein einer humanen Zukunft werden. Nie wieder darf der deutsche Untertanengeist über die persönliche Rechenschaft triumphieren.

Die Ideologie der Nazis brachte im ganzen Land ein System der Denunziationen, Ausgrenzungen und Hetze mit sich. Auf den Straßen öffentlich angeprangert und gedemütigt, in den so genannten „Stürmerkästen“ diffamiert, gingen die Betroffenen einen langen Weg des Leidens – willkürliche Verhaftungen, Zwangssterilisation, Deportation, Mord – der Opfer dieser Verbrechen gilt unsere Anteilnahme und unser gegenwärtiges Engagement.
Auch hier - in Apolda – Ereigneten sich diese Greuel. Was hieß es wohl zu den Gruppen der Ausgegrenzten zu gehören - in einer Stadt, welche die zweit höchste Zahl an NSDAP Wählern und Wählerinnen in Thüringen hatte - in einer Stadt mit einem parteitreuen, rechtskonservativen „Tagesblatt“ und einer der ersten Ortsgruppen der NSDAP im Lande?

Oft heißt es: Viele haben weggeschaut. Doch wer organisierte den Massenmord? Der „Zug der Erinnerung“ verdeutlicht dieses Kapitel auf erschreckende Weise. Es waren Menschen wie Adolf Eichmann – verantwortlich für die planmäßige Erfüllung der Deportationen und Rudolf Höß – Lagerkommandant von Auschwitz, Erfinder der Gaskammer [A] und zuständig für die Quantität der Vernichtsungsmaschinerie, die zum Symbol des staatlich beauftragten und industriell ausgeführten Mordes wurden. Was jedoch oftmals vergessen wird: Es war keine kleine Parteispitze, die diese Taten ermöglichte, es gab tausende Hößs und tausende Eichmanns - es war kein System des Bösen, es war ein System der Rückratlosigkeit. Ein System mit dem sich zweifellos eine große Summe Geld verdienen ließ. So mussten die Opfer der Verbrechen für ihre Fahrt an die „Reichsbahn“ den Fahrschein in den Tod zahlen. Unter diesen Umständen ist es zutiefst erschütternd, wenn die „Deutsche Bahn“ als Rechtsnachfolger der „Reichsbahn“ Initiativen wie dem „11.000 Kinder“ Projekt und dem „Zug der Erinnerung“ Steine in den Weg legt. Diese Steine beziffern sich momentan auf 80.000 Euro Streckenmiete. Sollte diese Summe nicht für ein Unternehmen mit millionenschweren Werbeetats ein leicht zu realisierendes Zugeständnis sein?

Nicht immer ist es einfach Anteilnahme und Verantwortung zu üben. Dazu tragen auch die rechtsextremen Bewegungen der Region bei. Als wir beispielsweise im Jahre 2006 die Ausstellung „11.000 Kinder“ in der Nähe des Bahnhofes zeigten und uns eine vermummte Gruppe Rechtsextremer bedrohte, spürten wir den Gegenwind, der noch immer vorhandenen Anhänger eines nationalsozialistischen Systems. Dieses Ereignis war eine Bestätigung unseres heute noch notwendigen Handelns. Eine Bestätigung waren auch die zahlreichen Hackenkreuze an der Freitreppe des Bahnhofes sowie der Hinweise am „Gedenktag der Novemberpogrome“ Jagd auf uns zu machen.

Apolda hat eine stark organisierte rechtsextreme Szene. Die Namen ihrer Zusammenschlüsse lauten: „Kameradschaft Apolda“, „Braune Aktionsfront Sektion Apolda“, „Jungsturm Apolda“ und „Autonome Nationalisten Apolda“. Neben gewaltsamen Übergriffen traten sie mit zahlreichen politischen Aktionen in das öffentliche Bild, bei denen die Nähe zur Partei der NPD deutlich wurde. Allein im Jahr 2007 gab es drei Informationsstände in der Stadt - angemeldet von Kameradschaftsmitgliedern.
Vor allem im Hinblick auf die Landtagswahlen 2009 ist es wichtig das Wesen der NPD zu erkennen. Ihrer Ideologie eigen sind die vermeidlich einfachen Lösungen – auch die NSDAP proklamierte für sich alle Lösungen für die herrschenden Probleme zu bieten. Die Zahlen der politischen Morde in jenem System verdeutlichen die Gefahr der einfachen Lösungen. Wenn Ziele nicht durch Konsens zu erreichen sind, wird Gewalt und Mord zum Mittel zur Beseitigung der Hindernisse. Das Wesen der NPD basiert zudem auf rassistischen Grundsätzen und ihre politischen Ziele lehnen eine Mitbestimmung der Menschen ab. Die Diktatur ist in ihrem Parteicharakter positiv belegt. Das Wunschbild eines homogenen „Volkes“ steht ihnen über der Freiheit des Individuums – die Idee einer offenen Gesellschaft soll einer ausgrenzenden Gemeinschaft geopfert werden. Doch es gibt keine homogenen „Völker“, es gibt nur die universellen Rechte eines jeden Menschen. Der „Volksgedanke“ ist ein rassistischer Gedanke, für ihn kann in einer friedlichen Welt kein Platz sein!
Versteckte Aufnahmen zeigten im Fernsehen NPD-Parteipolitiker auf Neonazi-Konzerten mit erhobenem Hitlergruß - der Parteivorsitzende Udo Vogt leugnet vor laufender Kamera den Holocaust. Wer noch an den Zielen dieser Partei zweifelt, handelt bestenfalls verantwortungslos!

Nicht anders verhält es sich mit dem Charakter der örtlichen Kameradschaften. Regelmäßig verteilen sie Flugblätter zu Ereignissen des Nationalsozialismus. Ob es sich um das Gedenken des Hitlerstellvertreters Heß oder den so genannte „Heldengedenktag“ der Nazis handelt – aus ihrer politischen Herkunft machen sie keinen Hehl.
So spielt bei ihren Aktionen die Gewalt eine grundlegende Rolle. Backsteine gegen das ehemalige Wohnhaus der jüdischen Familie Prager – die zerstörte Scheibe einer Zahnarztpraxis und diverse Krankenhausaufenthalte ihrer Opfer – zuletzt zweier Schüler aus Hessen - zeugen von ihren Umtrieben. Bereits sechs mal trafen Anschläge die Scheiben einer gegen Rechtsextremismus engagierten Unternehmerin. In einem der besagten Flugblätter rief die Kameradschaft zuvor dazu auf, der Frau gewisse Dinge „näher“ zu bringen – womit wohl die Steine in ihren Scheiben gemeint waren.

Wer auf bestehende Probleme hinweist, wird schnell selbst zum Problem - dies ist eine der Unwägbarkeiten unserer Arbeit. Der entstehende Diskurs kann jedoch zu einem Anstoß einer öffentlichen Auseinandersetzung führen. Schon jetzt gibt es positive Tendenzen: ein Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus hat sich gegründet, am 8. Mai gab es eine Demonstration mit 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum „Tag der Befreiung vom Faschismus“ und ein Verein beschäftigt sich mit dem Erhalt des Prager-Hauses sowie dem Kampf gegen den noch immer latent vorhandenen Antisemitismus.Wir werden weiterhin unseren Teil zur Arbeit gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus leisten und auf bestehende Probleme hinweisen. Denn wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann die Notwendigkeit nicht wegzuschauen!

[A] Rudolf Höß erfand nicht die Gaskammer als solche, sondern die Methode „Zyklon B“ – ein Schädlingsbekämpfungsmittel – zur kostengünstigen Vergasung von Menschen einzusetzen. Der kristalline und in Verbindung mit Sauerstoff gasförmige Stoff konnte in großen Mengen – ohne wertvolle Ressourcen zu verbrauchen – von deutschen Industriebetrieben hergestellt werden.

Redebeitrag des Aktionskommitee „11.000 Kinder“

Heute jährt sich die Befreiung Auschwitz' zum 63. mal und immer noch kann nicht die Rede davon sein, dass in Deutschland, dem Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Gräueltaten, eine Aufarbeitung dieser Geschichte stattgefunden hat. Als Nachfahren der Täter_innen in der dritten und vierten Generation, stellen wir fest, dass es nach der Befreiung vom Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft keinen Bruch gegeben hat, sondern einen fließenden Übergang, sowohl persönliche Macht betreffend, als auch iedeologisch. Natürlich gab es keine offene Weiterführung der nationalsozialistischen Ideologie und natürlich bedeutete die Befreiung ein Ende der Gräueltaten. Dennoch hat der erforderliche Bruch. Und so verwundert es nicht, dass heute ein Erinnerungsprojekt zur Aufarbeitung eines Teils der Deutschen Geschichte von den rechtlichen Nachfolgern der Verantwortlichen in seiner Ausführung massiv behindert wird. Dass der Zug der Erinnerung seit gestern in Weimar halt macht, ist nicht wegen, sondern trotz der Deutschen Bahn AG zustandegekommen.
Dieses Beispiel ist nur einer von vielen Fällen, bei denen Geschichte verdrängt oder umgedeutet wird. Grund genug die Ideologie des Geschichtsrevisionismus näher zu betrachten.

In der DDR entledigte man sich der Verantwortung mit Hilfe des Marxismus/Leninismus, indem man aus einem Land der Täter ein Land der Opfer machte. Der Nationalsozialismus wurde zur aggressiven Diktatur der Bourgeosie über Arbeiter und Bauern relativiert. Da man die Bourgeoisie für abgeschafft erklärt hatte und man somit auch die Bevölkerung von den Tätern befreit sah, wähnte man sich auch von jeglicher Verantwortung entledigt. Die DDR wurde zum Staat der Widerstandskämpfer. So gab es in der DDR eine unverhältnismäßige Fokussierung auf eine bestimmte Opfergruppe, in diesem Fall gab es nur kommunistische Opfer. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, verdrängte eine nationalistische Mobilisierung und der Freudentaumel über die Vereinigung eine angemessene Auseinandersetzung mit dieser Art der Geschichtsdeutung.

In der BRD, in der führende Persönlichkeiten der Nazizeit wieder in wichtige Positionen gelangt waren, beschränkte sich die Aufarbeitung auf einige wenige Prozesse gegen ehemalige Täter. Somit waren Schuld und Verantwortung auf eine kleine Führungselite im NS projeziert. Über eine Verantwortung der Bevölkerung am Vernichtungskrieg und am Judenmord wurde geschwiegen. Wiederaufbau und Wirtschaftswunder waren ohnehin wichtiger als sich mit deutscher Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Vor und nach der Wende wurden in Deutschland darüber hinaus zahlreiche ideologische Tricks entwickelt, die den Nationalsozialismus relativieren und Deutschland von einer Vernatwortung befreien. Totalitarismustheorie und eine Europäisierung deutscher Geschichte, in der Kombination mit Verdrängung und Verleugnung von Schuld sind dabei beispielgebend.

Mit dem Einzug der 68er in die Parlamente setzte eine grundlegende Änderung des Geschichts- und Gedenkdiskurses ein. Auf einmal wurde offen über Auschwitz gesprochen und es schien, als würde sich die offizielle Politik einer Verantwortung stellen. Auschwitz und der Nationalsozialismus wurden aber nicht zu einem gesellschafts-historischen Mahnmal, das einen positiven Bezug auf Nation und Volk auch nur im Ansatz in Frage stellt. Vielmehr wurden sie zu einem Ereignis, aus dem man tüchtig gelernt habe und somit zu einem positiven Bezugspunkt. Weil man eben aus dem NS gelernt habe, gäbe es auch eine Berechtigung für Wiederbewaffnung und aktive Kriegsführung. Jugoslawien wurde nicht trotz Auschwitz, sondern wegen Auschwitz bombardiert. Einen positiven Bezug auf Deutschland und seine Geschichte gibt es auf einmal nicht mehr trotz Auschwitz, sondern wegen Auschwitz. Mit dieser Art der Aufarbeitung schafft man sich einen Standortvorteil.
Weiterhin wird über die Opfer des NS nicht mehr geschwiegen, was gerade deutlich wird, durch zahlreiche Einweihungen von Denk- und Mahnmälern. Doch auch daraus wird keine Konsequenz gezogen, sondern ein ideologischer Eigennutzen. Im Kontext dieses Gedenkbusines werden auch hier die Deutschen zu Opfern, eben weil sie sich als Opfer mit Opfern solidarisieren. Wer die Täter_innen sind und die Frage nach der Motivation werden verschwiegen.

Doch wie verhält es sich mit der Geschichtsverdrängung der Deutschen Bahn AG, die in der Auseinandersetzung mit den Deportationen deutlich wurde? Die Deutsche Bahn AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn hat kein Problem damit, den NS-Reichsverkehrsminister Dorpmüller in ehrendem Andenken zu halten. Dorpmüller war einer der zentralen Figuren, die für die Deportationen in die Vernichtungslager mit der Deutschen Reichsbahn verantwortlich zeichneten. Eine in den letzten Jahren erstellte Studie über das Wirken Dorpmüllers wurde nur zum internen Gebrauch zugelassen. Gegenüber den Veranstalterinnen äußerte die Deutsche Bahn AG, dass der "Zug der Erinnerung" die gleiche Priorität habe wie ein Schrottransport. Für jeden Tag, den der Zug im Bahnhof verweilt, wird deshalb eine Standgebühr von 2000 Euro berechnet. In letzter Konsequenz verdient die Bahn also gleich zweifach an der Shoa: Denn den Deportierten wurde noch ihr eigener Transport in Arbeits- oder Vernichtungslager in Rechnung gestellt. Und heute kassiert der Mehdorn-Konzern ab, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte geht. Am Unrecht doppelt verdient!

Was sich hier manifestiert ist die Arroganz der Macht. Es ist der Versuch, die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus und die Deutungshoheit fest in der Hand zu behalten. Dies entspricht den Bedürfnissen weiter gesellschaftlicher Kreise Deutschlands, die Geschichte des Nationalsozialismus entweder zu entsorgen, oder zu instrumentalisieren.

Danksagung

Wir danken dem „Zug der Erinnerung e.V.“, dass er den Halt in Apolda ermöglichte. Wir danken natürlich auch den vielen Helferinnen und Helfern, die das Begleitprogramm und den Aufenthalt des Zuges unterstützt und realisiert haben. Namentlich bedanken wir uns auf persönliche Weise, da eine Veröffentlichung aller Namen sicher nicht im Interesse aller Personen wäre.Es fühle sich zudem eine jede und ein jeder angesprochen, dem es ein zutiefst wichtiges Anliegen war, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken – also allen interessierten BesucherInnen der Veranstaltungen. [6]

[1] Gewalt und Terror-Neonazis in Apolda - http://www.de.indymedia.org/2007/03/170304.shtml
AustauschschülerInnen von Nazis attackiert - http://www.agap.antifa.net/index.phpoption=com_content&task=view&id=188&Itemid=41

[2] Gewaltaufruf der Apoldaer Nazis zum Gedenktag der Novemberpogrome - http://www.agap.antifa.net/index.php?option=com_content&task=view&id=71&Itemid=41

[3] Buntes Faschingstreiben vom braunen Ungeist gestört - http://www.agap.antifa.net/index.php?option=com_content&task=view&id=75&Itemid=41

[4] Vierter Anschlag auf Geschäft von Apoldaer Antifaschistin - http://www.agap.antifa.net/index.php?option=com_content&task=view&id=84&Itemid=41

[5] TA - 02.01.08 - Zahlreiche Schlägereien zu Neujahr

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Ergänzungen

Nazis beim Fasching in Ap

Schritt 01 03.02.2008 - 19:42
Apolda (dpa/th) - Während des traditionellen Faschingsumzugs in Apolda hat die Polizei gestern 29 teilweise angetrunkene Jugendliche der rechtsextremen Szene in Gewahrsam genommen. Grund für ein erhöhtes Polizeiaufgebot seien die schweren Ausschreitungen bei dem Festumzug vor einem Jahr gewesen, teilte ein Sprecher heute mit. Die Jugendlichen hätten sich gleich zu Beginn des Umzuges im Stadtzentrum versammelt und provozierende T-Shirts mit rechtsgerichteten Aufschriften getragen. 2007 waren bei Auseinandersetzungen zwischen etwa 40 jugendlichen Störern und der Polizei drei Beamte verletzt worden.
03.02.2008 dpa

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