Expertenrunde zum Thema Friedenseinsätze

Gisela Dürselen 21.01.2008 10:59 Themen: Weltweit
"Frieden kriegen. Zur Wirkung militärischer und ziviler Einsätze": Unter diesem Titel fand am 19. Januar in München zum fünften Mal eine Tagung der Petra Kelly-Stiftung zu friedenspolitischen Themen statt. Bei der Veranstaltungsreihe geht es um Alternativen zur machtpolitischen und militärgestützten Sicherheitspolitik. Im Fokus stehen dabei Arbeitsformen jenseits der Nationalstaatlichkeit. Die Veranstaltung war Teil einer Reihe von Gegenveranstaltungen zur diesjährigen Nato-Sicherheitskonferenz in München.
Illusionen und Realitäten

Petra Kelly-Stiftung: Expertenrunde zum Thema „Friedenseinsätze“

Was ist so schwierig an internationalen Friedensmissionen? Wie steht es um die Zusammenarbeit zwischen Zivil und Militär? Und welche Lehren können aus bisherigen Einsätzen gezogen werden? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt eines eintägigen Seminars der Petra Kelly-Stiftung am 19. Januar im Eine Welt Haus in München. Unter dem Titel „Frieden kriegen. Zur Wirkung militärischer und ziviler Einsätze“ gaben drei Expteren einen Einblick in ihre Arbeit: Dr. Winrich Kühne, Direktor des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF), Petra Bläss, Senior Consultant für internationale Organisationen, und Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich Böll Stiftung. Ausgehend von den Krisenherden Balkan und Afghanistan stellten die Experten ihre Alternativen zur bisherigen Sicherheitspolitik vor.

Das Fazit der Redner war: Es gebe zwar kein übertragbares Patentrezept, wohl aber Beispiele, die auf keinen Fall wiederholt werden sollten. Die Redner plädierten für eine klare Abgrenzung zwischen Zivil und Militär, für ein Überdenken bisheriger Konzepte und Zeitrahmen sowie für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Einsatzpartnern. ZIF-Direktor Dr. Kühne sprach von „überambitiösen und illusionären“ Konzepten, wenn beispielsweise Länder wie Nigeria in einem Zeitraum von nur zwei Jahren zur Rechtsstaatlichkeit geführt werden sollten.

Das Problem moderner Konflikte liegt laut Kühne darin, dass zentrale Ansprechpartner fehlen: Anstelle von Staaten bekämpften sich diverse Milizen, die sich nicht an Friedensverträge und Absprachen hielten. „In failed states werden keine Kriege geführt, sondern es ist ein gewalttätiges Wirtschaften“, sagte Kühne. Der Staat sei so schwach, dass er die Bedürfnisse der Bürger nach Grundversorgung und Sicherheit nicht befriedigen könne. In diese Lücke stießen die Warlords. Um einen sicheren Rahmen zu schaffen, in dem Aufbau überhaupt stattfinden könne, übernähmen internationale Truppen übergangsweise das Gewaltmonopol. Die Faktoren, die in den failed states den friedlichen Aufbau erschweren, sind laut Kühne: eine Jugend ohne Perspektiven, billige Waffen auf dem internationalen Markt und der Streit um Ressourcen.

„Afghanistan: Illusionen und Realitäten“ überschrieb Barbara Unmüßig ihr Referat. Die Realität in Afghanistan sei gekennzeichnet durch eine extreme politische Polarisierung. Da 2009 und 2010 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ins Haus stünden, sei von einer weiteren Zuspitzung der Spannungen auszugehen. In Afghanistan habe es noch nie einen funktionierenden Nationalstaat gegeben., Die internationale Gemeinschaft stehe darum vor der Frage, wie ein Staatsaufbau ohne Staat gelingen könne. Barbara Unmüßig sagte, in vergangenen Friedenseinsätzen sei zuviel Geld auf falsche Art und an falschen Orten investiert worden; die Akteure hätten sich bei der Arbeit nicht genügend abgesprochen. Die Forderung nach mehr Geld für den zivilen Aufbau müsse darum gekoppelt werden mit der Forderung nach einem Strategiewechsel. „Sichtbarkeit ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal.“ Das gegenwärtige Dilemma bestehe darin, dass die Menschen in Afghanistan und Deutschland zwar schnelle Erfolge sehen wollten, es aber seine Zeit brauche, um einen Staat aufzubauen und die Menschen vor Ort auszubilden.

Petra Bläss sprach sich gegen auswärtige Experten aus, die sporadisch ein- und ausfliegen. Die Balkan-Spezialistin hat vier Jahre lang mit weiblichen Parlamentarierinnen im Kosovo gearbeitet und sich dabei für die Umsetzung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates stark gemacht. Die resolution 1325 sieht vor, in allen Friedensmissionen die Genderfrage zu berücksichtigen. Nach Petra Bläss' Erfahrung liegt bei den Frauen das größte Potenzial für Verständnis und Versöhnung zwischen den Ethnien auf dem Balkan. Sie betonte, sinnvolle Hilfe zeichne sich dadurch aus, dass mehr und mehr Aufgaben in lokale Hände übergeben und durch ein langfristiges Monitoring begleitet würden.
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Ergänzungen

Militärische ... Friedenseinsätze

Franz 22.01.2008 - 01:27
Wahrlich eine Expertenrunde - Experten dafür, wie man die koloniale Interessenpolitik der NATO-Staaten als humanitäre Maßnahme verkauft.

Es fehlt mir gerade die Zeit (und das Thema muß eh öfter anderswo bearbeitet werden), hier ausreichend gründlich dieses "Phänomen" zu behandeln, trotzdem kurz und schmerzhaft:

Die Veranstaltung als "Gegenveranstaltung zur Sicherheitskonferenz" bezeichnen zu wollen finde ich dreist. Sie passt vielmehr wie die Faust aufs Auge zu Teltschiks "Friedensplakette", die Soldaten in internationalen "Friedens"missionen für ihre Kriege feiert.

Ich bin seit langem immer wieder erschüttert, wie leicht auch Friedensgruppen, die es besser wissen müssten, sich als Flankenschutz für eine derartiege Regierungspropaganda hergeben.

Ist das nicht rührend, wie die Veranstalter, nachdem sie in der Überschrift locker militärische und zivile "Friedenseinsätze" nebeneinanderstellen (und in *ihrem Bereich* staatlicher Interessenvertretung damit gewissermassen recht haben) in der Einladung schreiben: "Mit allen Mitteln bemüht sich die internationale Gemeinschaft um Frieden in der Welt"

Wer oder was ist diese ominöse "Internationale Gemeinschaft" ..?

- diese Begriffsbildung der neoliberalen Propaganda wird ungeniert positiv aufgegriffen. Die "Internationale Gemeinschaft" ist ein Feld der Auseinandersetzung, aber "um Frieden bemühen" halte ich für eine Umschreibung für den Prozess, die imperialen Abhängigkeiten zu verschärfen. Es wird letztlich als selbstverständlich dargestellt, daß die reichen/mächtigen Staaten nach eigenem Gutdünken überall intervenieren dürfen.

Da darf natürlich nicht sichtbar werden, daß die NATO-Beteiligten sich von den anderen Warlords vor allem durch schier unbegrenzte Resourcen und ebensolche Gier unterscheiden.

Der zitierte Kühne ist Leiter des "Zentrums für internationale Friedenseinsätze", das soweit ich mich erinnere von der Bundesregierung getragen wird, und nach meiner Erinnerung in seinen Schriften die NATO-Kriege mit rechtfertigen half.

Die Petra-Kelly-Stiftung ist der bayerische Teil der grünen-nahen Böll-Stiftung, von der die Militarisierung der Rot-grünen (und jetzt auch -schwarzen) Außenpolitik maßgeblich vorangetrieben und politisch mit durchgesetzt wurde. Ich vergleiche sie in ihrer Gefährlichkeit mit der Bertelsmannstiftung (auch wenn es möglicherweise noch Inseln gibt, wo Leute versuchen die Mittel sinnvoll zu verwenden - so sicher bin ich da auch nicht).

Sehr passend, daß man dann preiswerte (!) zivil engagierte Menschen für die Ziele der Außenpolitik einspannen kann. Es reicht nicht mehr, daß wie im früheren Kolonialismus die Kirchen den moralischen Segen gaben, heute - säkularisiert - braucht man noch ein paar NGOs dafür.
Ich gehe inzwischen so weit, daß *diese Politikmischung* ein entscheidender Hebel war, den rasanten Militarisierungsschub der rot/grünen Außen- und Innenpolitik (ja, der Sozial- und Demokratieabbau (Schily!) ist "kriegsfähig machen") durchsetzbar zu machen:

Eine Beschäftigungstherapie für die rotgrünen Klientel, denen (den Aktivisten bei NGOs) man "menschenfreundliche Jobs" in Aussicht stellt, und sie letztlich davon abhält, was ernsthafter gegen den Zuwachs der Rüstungsexporte und (menschenfreundlich getarnten) Auslandseinsätze zu machen, und den Zusammenhang zwischen der menschenfeindlichen Innen- und Außenpolitik zu thematisieren.

Ging ja auch bruchlos nach dem Regierungswechsel weiter.

Die Einladung der unguten Veranstaltung stellt - ganz folgerichtig - "militärische und zivile Friedenseinsätze" nebeneinander. Daß diese dann Scheitern, wird halt als Problem geschildert, nicht aber die politische Zielsetzung dahinter (wobei sie mit dieser - verdeckten! - Zielsetzung ja nicht unbedingt scheitern). So wird die Mär von der friedlichen Absicht der Auslandseinsätze transportiert, ein Persilschein in für mich unglaublicher Direktheit.

Die Regierungen sind an "Befriedung", nicht an "Frieden" interessiert, und der Teil der Szene auf solchen Veranstltungen macht sich hier - zum Teil fürchte ich bewußt - zum Büttel dieser Machtpolitik.

Regierungspropaganda, die von NGOs beim Buhlen um die (dann trotzdm alibihaften) Mittel mitgetragen wird.

"Wir sind die Guten", das läßt jede Regierung gerne von sich schreiben, und kommt damit beim Publikum gut an. Was not täte, wäre diese Fassade endliche durchschaubarer zu machen, statt zu hoffen daß man ein paar Brosamen für die eigene Befindlichkeit abbekommt, wenn man diese Fassade mit Tünchen hilft.



ZIF ist DIE deutsche Kriegsinnovation

... 22.01.2008 - 02:49
Das Zentrum Internationale Friedenseinsätze zielt explizit darauf ab, nicht-militärisches Personal zur Flankierung militärischer Einsätze bereitzuhalten. Einer dessen Gründer meinte einst explizit, persönlich mir gegenüber: "Wer Vorbehalte gegenüber dem Militär hat, der kommt hier gar nicht rein"
Bei den gegenwärtigen militärischen Interventionen und Besatzungen ist es ein großes Problem, dass "ziviles" Personal eben nicht wie militärisches kurzfristig entsandt und in die militärische Struktur eingegliedert werden kann, dass die Leute entweder gute Jobs oder nicht die ausreichenden Qualifikationen, incl. eine befürwortende Position zum Militär haben. Das ZIF wurde explizit mit dem Anspruch gegründet, diese Lücke zu überbrücken. Es sammelt die Daten von potentiellen zivilen Einsatzkräften, bereitet diese auf Einsätze vor, betont publizistisch die Notwendigkeit einer "zivilen" Flankierung und organisiert die Zuteilung dieser "Kräfte" im Einsatzfall. Es gibt unzählige militärische Strategiepapiere in den NATO-Staaten, die genau eine solche Komponente der Kriegsführung vermisst haben, explizit die human security doctrine, aber das Fehlen kurzfristig mobilisierbarer ziviler Kräfte zur Flankierung militärischer Massnahmen wird in nahezu jedem Papier zur "Sicherheitssektorreform" und Zivil-militärischen-Zusammenarbeit bemängelt.

Friedenseinsaetze

sandankoro 22.01.2008 - 11:04
Hallo,

generell jeden militaerischen Einsatz abzulehnen mag eventuell ideologisch korrekt sein, geht aber leider an den Realitaeten auf dieser Welt ein ganzes Stueck vorbei.
Buergerkriege und Massager wie 1994 in Ruanda oder die Kriege in Sierra Leone, Kongo und Liberia sind sicherlich, zumindest zum Teil auch Folge des Kolonialismus und neokolonialer Politik, aber eben nicht alleine. Der Einschaetzung im Artikel, wonach herkoemmliche Kriege zwischen Staaten immer mehr von innerstaatlichen, zwischenethnischen Konflikten abgeloest werden, kann ich nur zustimmen.
Wichtig ist die Konfliktvermeidung, d.h. bessere Kontrolle von Konzernen, Hilfe bei der Konfliktvermeidung z.B. bei Landnutzungsfragen, ein gerechterer Welthandel etc. Damit liesse sich sicherlich das eine oder andere dreckige Geschehen vermeiden. Klar ist aber auch, dass es immer wieder Leute wie Foday Sankoh, Serufuly, Museveni oder Charles Taylor geben wird, welche die (eben gerade oft auch militaerische) Schwaeche ihrer 'Nachbarn' nur allzugerne ausnutzen, um sich Diamanten, Gold, Coltan oder was auch immer unter den Nagel zu reissen.
Solche Leute sind leider nur dadurch zu stoppen, dass ihnen zum einen systematisch die Unterstuetzer ausgeschaltet werden (was leider viel zu selten passiert), zum anderen muss aber bei Konflikten wie in Ruanda oder Sierra Leone schnell und massiv interveniert werden ehe hunderdtausende ermordet, vergewaltigt und verstuemmelt werden. Das bedeutet aber, dass eben auch die ach so boese 'Weltgemeinschaft' ein paar ihrer Stiefeltraeger ins Rennen werfen muss. Oder wuerde sich hier jemand freiwillig melden, um z.B. nach Sierra Leone zu gehen? Und selbst wenn, mit welcher Ausstattung und Ausbildung denn?

Hier im sicheren Stuebchen zu sitzen und sich ueber die ach so schlechten militaerischen Interventionen zu beschweren ist sicherlich bequem, wer aber mal wie ich einige Jahre in solchen Laender gearbeitet hat (nicht als Militaer), dabei Kinder mit abschlagenen Haenden, vergewaltigte und verbrannte Frauen und Maedchen, zerhackte Koerper auf den Strassen etc. gesehen hat, denkt eventuell anders ueber die Soldaten, die dann diesem Wahnsinn ein Ende bereitet haben. Die meisten wirklich betroffenen, sehen das im uebrigen genauso!