Bochum, Nokia, Kapitalismus und Populismus

ra0105 20.01.2008 22:47 Themen: Globalisierung
Das Nokia-Werk in Bochum wird schließen. Überall im Lande ist die Aufregung groß, der DGB plant Großdemonstration, Politiker boykottieren, natürlich schlagzeilengerecht, ihre Handyproduzenten. Von Karawanenkapitalismus und Subventionsheuschrecken ist die Rede - Zeit sich die Angelegenheit mal etwas genauer anzusehen.

[Warum Nokia einen Preis verdient hätte]

Mal wieder zieht ein Werk in ein Billiglohnland, mal wieder ist die Empörung groß, mal wieder wird in der öffentlichen Debatte alles solange vereinfacht, bis die vertretenen Positionen an Lächerlichkeit kaum noch zu überbreiben sind.
Zu den Fakten: Nokia ist der letzte Handyproduzent in Deutschland. Motorola schloß seine Pforten vor einem Jahr, die BenQ-Debatte dürfte noch jedem in Erinnerung sein. Wer also heute Nokia aus moralischen Gründen boykottieren will, wird mangels Alternativen demnächst wohl aus der Telefonzelle "mobil" telefonieren müssen.
In Bochum wurde unter hohem finanziellen Aufwand,nebenbei auch unter Beteiligung von Nokia, ein Industriepark aus dem Boden gestampft. Ziel: Zulieferer sollten sich hier ansiedeln. Aber die kamen nicht, eine Begründung: Das Lohnniveau in Deutschland sei eben zu hoch.
Zur Erinnerung: Auch wenn das Wort Nokia anderes suggerieren mag, in Bochum fand keine technisch anspruchsvolle Produktion statt. Ein Handy ist ein Massenprodukt. Wieviele Rechner werden eigentlich in Deutschland noch hergestellt? Richtig. In Bochum gehen Industriearbeitsplätze verloren, aber nicht im HighTech-Bereich. Ich trete den Arbeitskräften in Bochum ja ungern zu nahe, aber für die meisten Arbeitsplätze, die jetzt verloren gingen, ist nicht gerade ein Diplom notwendig.
Aufwachen Westeuropa, Nokia werden nicht die letzten gewesen sein. Nebenbei, in Westeuropa gibt es nur noch zwei Werke, die Handies produzieren, eines davon ist das finnische Nokiastammwerk. Wollen wir den Countdown beginnen, wie lange es noch dauern wird bis es keine mehr geben wird.
Und wo wir schon dabei sind, wo waren denn die ganzen Politiker, die Karawanenkapitalismus schreien, als die Produktion von Finnland nach Deutschland verlegt worden ist. Wo waren die denn, die jetzt Subventionsheuschrecken schreien, als Leipzig die Ausschreibung zum neuen europäischen Frachtzentrum der DHL gewann?
Beredetes Schweigen nennt man sowas wohl. Aus der Sicht Nokias macht der Transfer der Produktion nach Rumänien mehr als nur ein bisschen Sinn. Dort wird in Zukunft das komplette Produkt hergestellt, von der Verpackung, über die Bedienungsanleitung über Zubehör bis hin zum Endprodukt. Lohnkosten spielen für Nokia dabei ein völlig untergeordnete Rolle. Allein die Kosten, die durch den logistischen Minderaufwand eingespart werden können, macht es für jeden kapitalistisch betriebenen Betrieb zur Pflicht, einen Standortwechsel in Erwägung zu ziehen.
Und damit sind wir bereits beim Hauptdilemma, streng genommen war es nämlich nicht Nokia die Bochum dicht machten. Es waren die Zulieferer, die sich in Bochum nicht ansiedeln wollten. Auf Nokia einzuprügeln ist also ziemlich verkürzt, wenn man jemanden moralisch zur Verantwortung ziehen wollte, dann also diejenigen, die Nokia fast schon dazu zwangen.
Wundert es eigentlich niemanden, dass die Schließung so eine Überraschung war? Schließlich fängt das Werk in Rumänien bereits an zu produzieren. Zählen wir doch mal eins und eins zusammen. Nokia hat ein Werk in Deutschland, trotz aufweniger Bemühungen ist es nicht gelungen dort Zulieferer anzusiedeln. In Rumänien entsteht ein Werk, nebenbei ohne direkte Beigaben der EU oder sonstwen wie in Bochum geschehen, das genau dies erfüllt, was Nokia wollte. Nämlich einen Standort für die gesamte Produktionskette.
Wer glaubt denn, dass die Schließung des Bochumer Werke nicht absehbar war? Wer das glaubt, der denkt vermutlich auch, dass die Politiker es ehrlich meinen, wenn sie sich jetzt über angeblichen Subventionsbetrug fabulieren.
Zur Erinnerung, es waren die Christdemokraten, die durchsetzten, dass die Bindung an Subventionsverplichtungen auf 5 Jahre in Deutschland gesenkt wurde (in Frankreich sind es 10 Jahre, wie dem heutigen Presseclub der ARD zu entnehmen war). Wen glauben die Herren und Damen eigentlich veräppeln zu können?
Liebe Politiker, wer von Globalisierung reden will - der soll nicht vom Kapitalismus schweigen. Es ist geradezu grotesk, wenn man Firmen vorwirft, sie würden betriebswirtschaftlich rationale Entscheidungen treffen. Und dabei auch noch Klischees bedient, die jedem kritischen und geschichtlich interessierten Menschen, die Galle hochkommen lassen. Heuschrecken, Karawanen - da fehlt nur noch das Loblied auf die deutsche Arbeit, versetzt mit ein paar giftigen Kommentaren in Richtung "raffendem Kapital".
Nein, werte Herren und Damen Abgeordnete, wer die Globalisierung oder unmoralische Handlungen als Problem darstellt, der hat bis heute nicht begriffen wie Kapitalismus funktioniert. Oder was noch schlimmer ist, er hat es und glaubt den Wähler in die Irre führen zu können.
Wer sich daran stört, dass es Arbeitslosigkeit, soziale Verelendung, Hunger, Krieg und sonstige Not auf der Welt gibt, der sollte endlich mal anfangen über Kapitalismus zu reden.
Und vielleicht Nokia einen Preis verleihen, dass sie es hier so lange ausgehalten haben.

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Ergänzungen

Es geht auch besser

gf1 20.01.2008 - 23:34
Der Kommentar ist zwar nicht schlecht, aber er lässt auch einiges aus.

Nokia hat sicherlich keine Zulieferer mehr gesucht, als Rumänien als Standort
feststand. Nokia hätte sicherlich das ganze etwas verzögern bzw. verkleinern
können und die Problematik besser darstellen können. Aber nicht nur die Handyhersteller
trifft hier die Schuld, sondern die tollen Verträge der Telekom, Talkline, Vodafone,
etc. Die prügeln doch dauernd auf die Handyhersteller ein günstiger und besser zu sein.
So gibt es bei Talkline die tollsten Handys für 1 Euro mit 24 Monate Vertrag.

Wofür kommt da kein Politiker und sagt mal das Dinge auf Dauer nicht so günstig angeboten
werden können, ohne das Oligopol- bzw. Monopole entstehen. Die Handymarken lassen sich doch
schon an den Fingern abzählen. Das Thema ist komplex, aber im Telekommunikationssektor hat
die Politik versagt einen Zukunftsbereich für Deutschland aufzubauen.

Lohnkosten spielen keine Rolle?

Leiharbeiter 21.01.2008 - 09:47
Solange man in Osteuropäischen Ländern nur 2 Euro die Stunde
zahlen muss, ist das der größte Sparposten zur Kapitalvermehrung.
Hätte man hier alle Mitarbeiter auf Leiharbeiterlohnniveau drücken können,
wären sie doch geblieben...
Geleistete Arbeit hat nichts an Wert durch ein Diplom gewonnen,
sondern nur durch den Mehrwert den sie erbringt.

Was soll das - andere Sicht

nachgedacht 21.01.2008 - 11:14
Was soll dieser Artikel? Vieles ist richtig - einiges sehr merkwuerdig. Ich finde die Bemwerkung, dass Nokia es "hier" so lange ausgehalten hat und dafuer Dankbarkeit bezeugt werden sollte doch ziemlich bescheuert. Sie schreiben Gewinne und das wirklich mehr als genug, aber es reicht eben immer noch nicht - so weit so einfach, so kapitalistisch, so scheisse!!!

Die wirtschaft ist "entgrenzt" wie Hermann Scheer schrieb und hat sich aus ihren oekologischen, sozialen, oertlichen Gegebenheiten enthoben. Das gehoert thematisiert. Sie ist nicht gebunden, an nichts, ausser der steigenden Gewinnmarge... damit auch weiter Kapital fliesst... und wir haben es mit einer Grossindustriellen Wirtschaftsweise zu tun, die alles andere als Menschenfreundlich oder gar Oekologisch ist. Das wird seit Jahren gefoerdet mit Subventionen, Freihandelsabkommen, Patentrechte etc.

Die Zusammenhaenge sind komplex, aber Nokia eignet sich um Politik zu entlarven und ein wachstumsabhaengiges wirtschaftssystem mit Gewinmaximalisierungsmotiv zu thematisieren. Wie wollen wir wirtschaften, was wollen und brauchen wir und was haelt dieser Globus aus, bei gleichzeit gerechter Verteilung des Reichtums?

Die nun heuchlerisch den Standort Deutschland beheulen und Nokia der Mitnahmeffekthasscherei bezichtigen gilt zu sagen: Betriebswirtschaftliche Gewinne entstehen immer durch Ausbeutung Volkswirtschaftlicher und reproduktiver Zusammenhaenge, die nicht alle in Geld auszudruecken sind. Auch die kapitalistische Wirtschaft ist von Systemen abhaengig, die die Konzerne selbst nicht gern zahlen wollen: Strassen, Kindergaerten, Schulen, Gegenseitige Hilfe im Haushalt unter Nachbarn, ein funktionierende Gesundheitssystem etc. Konzerne, den es egal ist, wie und womit sie Gewinn machen, hauptsache der steigt sind schlicht Assozial - sie nutzen, was zu nutzen ist und zeigen sich Werbetraechtig Grosszuegig manchmal und das war es dann auch. Eine solche wirtschaft wird durch die EU Subventionspolitik, wie auch die der einzelnen Laender vorangetrieben. Anstatt die vielen grossen Infrastrukturgelder etc. dieser Wirtschaft in den Rachen zu werfen, sollte sie das Geld denen geben, die eigene regional verwurzelte Wirtschaftszweige aufbauen und das nur um sich und andere damit am Leben zu halten - aber nicht reich werden wollen. Sollen die Bochumer fordern, dass jeder Arbeiter ein Stueck von diesem Subventionskuchen erhaelt! Oder noch besser, sie uebernehmen den Laden und entwickeln eine eigene Produktion, die sich oertlich gebunden fuehlt und dmokratisch als Genossenschaft organisiert.

DGB und IG Metall fordert die Herausgabe der Fabrik und macht selber was draus liebe Arbeiter - ach ja was soll eigentlich der Quatsch mit dem Abitur und Spitzentechnologiezeugs? Das hat hier gar nichts zu suchen!!!

Das Wunder von Klausenburg

http://www.tagesschau.de/ 21.01.2008 - 23:33
Des einen Freud ist des anderen Leid: Die Schließung des Nokia-Werks Bochum sorgt in Deutschland für Aufregung, im künftigen Standort Cluj (Klausenburg) in Rumänien dagegen für Aufbruchsstimmung. Dort hat man massiv investiert, um den Finnen das Leben so angenehm wie möglich zu machen.

Das erste Handy ist schon vom Band gelaufen - im Testbetrieb. Schon bald werden es hunderte sein - pro Stunde. Und jedes davon wird - dank niedriger Lohnkosten - ein paar Euro billiger sein als in Bochum. Zwischen 170 und 300 Euro im Monat sollen die Arbeiter bekommen. 500 Arbeitsverträge wurden schon abgeschlossen. Viele arbeiten dann zwar für einen Lohn, der unterhalb des rumänischen Durchschnitts liegt. Aber die meisten sind trotzdem froh, dass es überhaupt wieder Jobs gibt und sprechen schon von einem "Wirtschaftswunder".

Marius Nikoara hat die Nokia-Ansiedlung vorangetrieben, als Vorsitzender des Kreisrates von Cluj - zu deutsch Klausenburg. Die zweitgrößte Stadt Rumäniens ist im Aufbaufieber: Aufbau Ost gegen Abbau West. Nikuara kämpft um jeden neuen Job, und er hat dafür vieles über Bord geworfen, was Investoren bisher in Rumänien abschreckte - lange Genehmigungsverfahren und sture Beamte: "Wir haben die Firma durch totale Offenheit gelockt, ganz ohne bürokratische Hürden", sagt er.

Bis zu 20.000 neue Jobs in Nokia-Village

Schon die Grundstückbeschaffung war eine einfache Sache: ein Gemüseacker, 200 Hektar groß, wurde zum Industriepark umfunktioniert. Mit der Landwirtschaft war hier kein Geld mehr zu verdienen: "Wir haben Nokia ein Grundstück angeboten zu günstigen Bedingungen. Und wir haben uns um die Infrastruktur gekümmert", erklärt Nikoara, der auch Projektleiter für "Nokia-Village" ist.
Straßen wurden gebaut und Versorgungsleitungen, sogar ein Eisenbahnanschluss samt Haltepunkt. Denn wer hier arbeitet, soll bequem und schnell in die Fabrik kommen - ohne Stau.

3500 neue Arbeitsplätze will Nokia in Cluj auf mittlere Sicht schaffen. Hinzu kommen Arbeitsplätze bei Zulieferern: "Wir schätzen, dass hier insgesamt 15.000 bis 20.000 Jobs entstehen", sagt Nikoara. "Alles ganz ohne EU-Hilfe. Ich bin sicher dass der rumänische Staat aus dem Industriepark jährlich mehr als 100 Millionen Euro Steuereinnahmen erzielt. Jedenfalls, wenn die angepeilte Zahl der Beschäftigten erreicht wird."

Partnerunternehmen gruppieren sich schon jetzt um das "Nokia-Village" - so nennen die Einheimischen den supermodernen Fabrikkomplex in der Mitte des Industrieparks. Die Menschen sind stolz auf das Wirtschaftswunder von Cluj, dass mehr bieten soll als nur Arbeit. Die Beschäftigten sollen sich hier wohlfühlen. Nokia will in den Industriepark noch ein Sport- und Freizeitzentrum bauen. "Man muss nicht ins Ausland, auch in Rumänien kann man gut leben", lautet die Devise.

In Rumänien wird nach ganz neuen und ultramodernen Konzepten produziert, "Integration" heißt das Zauberwort. Nokia lässt auf dem ehemaligen Gemüseacker alles machen - vom Handy bis hin zur Pappschachtel für das Produkt. Auch die Partnerunternehmen arbeiten dicht an dicht nebeneinander und direkt neben Nokia. So entfallen lange Zulieferwege. Aus dem Industriepark wird das Endprodukt verkaufsfertig ausgeliefert.
Zukunftsmodell Industriepark

Nokia ist damit der Mittelpunkt des hypermodernen Industriekosmos in der rumänischen Provinz. Die Fabrik musste Nokia natürlich selbst bezahlen - um alles andere - Straßen und Versorgungsstränge - kümmerte sich aber Nikoara: "Finanziert hat das Ganze die rumänische Regierung aus einer Haushaltsreserve. Und nicht - wie in Deutschland spekuliert wird - aus Brüssel. Da muss man in Deutschland etwas verwechselt haben", sagt er.

Tatsächlich hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso über "EU-Beihilfen" für einen Industriepark in Rumänien gesprochen. Gemeint war aber nicht "Nokia-Village", sondern ein ähnliches Projekt mit anderen Firmen. Denn das Industriepark-Modell gilt in Rumänien als zukunftsweisend - allein um Cluj gibt es mehrere davon.

Nokia-Umzug für die EU kein Problem

Indirekt profitiert aber auch Nokia von EU-Beihilfen: So bekommt der Flughafen Cluj ein neues Frachtzentrum, die EU finanziert einen Teil der Investitionskosten. Das gilt auch für einige Straßenbauprojekte. Für Barroso sind solche Finanzspritzen etwas ganz selbstverständliches - genauso wie der Nokia-Umzug: "Wir müssen einen Unterschied machen zwischen Umzügen in Länder außerhalb und innerhalb der EU. Wenn von Finnland nach Deutschland investiert werden darf, dann darf die Investition auch nach Rumänien gehen. Lassen Sie uns ehrlich sein: hier geht es nicht um einen Firmenumzug außerhalb der EU", sagt der EU-Kommissionspräsident.

Marius Nicoara jedenfalls ist stolz, dass er Nokia ohne EU-Hilfe aus Deutschland nach Rumänien geholt hat: "Ich finde, die Deutschen sollten darüber nachdenken, wie viele Jahre Nokia in Deutschland war. Ich bin sicher, dass der deutsche Staat von Nokia profitiert hat. Natürlich ist es ein Problem, wenn tausende keinen Job mehr haben. Aber die Einnahmen, die der Staat aus einem Unternehmen bekommt, müssen eben zu einem gewissen Zeitpunkt auch wieder ausgegeben werden. Zum Beispiel für Umschulungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen", meint er.

In Cluj hat man damit vorerst keine Probleme. Und auch keine Angst vor einem neuerlichen Umzug nach Osten, falls das Lohnniveau in Rumänien deutlich steigt, was zu erwarten ist. Denn Nikoara ist sicher: Die Ukraine kann Nokia vielleicht noch billigere Löhne bieten - aber nicht die perfekte Infrastruktur der Rumänen.

erste handyverbrennungen in deutschland

(muss ausgefüllt werden) 22.01.2008 - 12:59
rürup auf titanic-magazin.de

Bochum kämpft

http://www.wdr.de/ 22.01.2008 - 23:31
Tagelang hat die IG Metall ihre Leute zusammen getrommelt, um gemeinsam mit den Nokianern auf die Straße zu gehen. Am Ende waren es rund 15.000, die auf dem Marktplatz in Riemke gegen die Schließung des Nokia-Werks demonstrierten.

Es ist 11.30 Uhr und vor dem Nokia-Werkstor in Bochum wogt die Menge. Tausende sind gekommen. Stahlarbeiter aus Duisburg, Bayer-Leute aus Wuppertal, Opelaner aus Rüsselsheim, Schüler aus Herne, Mütter, Väter, Ruheständler. Sie tragen rote Kappen und Sticker mit der Aufschrift "Nokia Bochum muss bleiben". Die hat der Nokia-Betriebsrat drucken lassen. Jetzt gehen die Sticker weg wie warme Semmeln. Jeder hier will seine Solidarität mit der Bochumer Belegschaft zur Schau tragen.


"Wenn nicht jetzt, wann dann"

So wie Moritz Römmele, der in einem Daimler-Benz-Werk bei Karlsruhe arbeitet und sich für die Kundgebung extra Urlaub genommen hat. Flagge zeigen - das will auch Manfred Krahne von der Fachhochschule Bochum. Für die Kundgebung hat er einen Werbespruch kreiert. "Nokia - Disconnecting People" ist auf seinem Transparent zu lesen - ein Slogan, der an diesem Dienstag vielfach kopiert wird.

Dann bewegen sich die Menschen vom Werkstor in Richtung Marktplatz Riemke. Viele Trillerpfeifen sind zu hören, Mitarbeiter von Thyssen-Krupp schlagen eine riesige Stahlglocke. Vorneweg fährt ein kleiner Lastwagen. Dessen Ladefläche hat Peter Reichmann zur Bühne umfunktioniert. Jetzt steht der Pilkington-Mitarbeiter aus Gelsenkirchen mit seiner Gitarre dort oben und singt. "Wenn nicht jetzt, wann dann. Lasst uns kämpfen, gemeinsam Hand in Hand."


Zwischen Trauer und Boykott

Anfang und Ende des Zuges sind nicht mehr auszumachen, so viele Leute marschieren mittlerweile mit. In der Menge ist auch Wolfgang Echterhoff, Vertrauensmann bei Nokia. An seinem Arm trägt er eine schwarze Trauerbinde. Er sei überwältigt von der Solidarität der Menschen, sagt er. "Aber dafür ist das Ruhrgebiet schließlich bekannt."

Das kann auch Yasar Firat bestätigen. Firat arbeitet seit 23 Jahren bei Thyssen-Krupp und weiß, wie die Menschen im Revier zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. Vor ihm liegt ein Nokia-Handy im Rinnstein. "Das ist die richtige Antwort. Ich bin für einen Boykott. Bei Shell hat das damals auch Wirkung gezeigt. Warum nicht bei Nokia."


Bittere Woche für Bochum

Um 13 Uhr ist der Marktplatz in Bochum-Riemke voll. "Die halbe Republik hat sich auf den Weg gemacht. Das ist ein tolles Gefühl", ruft Ulrike Kleinebrahm von der Bochumer IG Metall von der Bühne.

Später lässt Bochums Bürgermeisterin Ottilie Scholz "die bittere Woche" noch einmal Revue passieren. "Ich fordere Nokia auf, sich an die eigenen Regeln zu halten und Verantwortung zu übernehmen. Was soll nur aus unserer Gesellschaft werden?", fragt sie bitter und ihre Stimme überschlägt sich dabei fast. Auch der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber schwört dann noch einmal seine Leute ein, um seine Rede mit Schiller zu schließen: "Gemeinsam sind die Schwachen mächtig."
Bleibt noch Hoffnung?

Im Gewirr von Transparenten, Trillerpfeifen und mahnenden Worten macht sich schließlich eine blonde Frau auf den Heimweg: Elke Hay, Mitarbeiterin bei Nokia seit 13 Jahren. "Ich muss nach Hause, ich habe heute Nachtschicht", sagt sie und lächelt tapfer. Hat sie noch Hoffnung, dass sich in Bochum das Blatt noch einmal wendet? "So viel", sagt sie und macht ein Handbewegung. Nicht mehr als zwei Zentimeter sind da zwischen Daumen und Zeigefinger.

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