Anmerkung der Moderationsgruppe: Trotz der Bitte, de.indymedia.org zum Veröffentlichen von eigenen Berichten und selbst recherchierten Reportagen zu nutzen, wurde hier ein Kommentar, ein Diskussionsbeitrag oder eine Stellungnahme einer Gruppe reinkopiert.
Es ist nicht das Ziel von Indymedia, ein umfassendes Infoportal incl. Forum für die Verlautbarungen politischer Gruppen anzubieten. Indymedia will ein Plattform für engagierte MedienmacherInnen und ihren eigenen Inhalte bieten. Indymedia will nicht als virtueller Flugblattständer für die Verbreitung, Kritik und Diskussion konkurrierender teilweise dogmatischer Ideologien herhalten. Das Veröffentlichen von Gruppenstellungnahmen und Flugblatttext gehört nicht zu den Zielen des Projektes. Mehr Informationen darüber, warum sich Indymedia nicht zum Diskutieren von politischen Texten eignet, findest Du hier.    Bitte nutze stattdessen die verlinkten Online-Diskussionsforen.

Mit euch gibt es keine Perspektive

Lea van Garde 16.01.2008 20:03
Ende der Woche finden in Berlin die so genannten Perspektiventage statt. Ein Treffen von allerlei linken Grüppchen, die sich vorrangig in der Anti-Globalisierungsbewegung verorten. Da auch die Beteiligung der radikalen/autonomen Linken explizit erwünscht wurde, wollen wir, einige aus eben dieser, an dieser Stelle diese Einladung dankend ablehnen.
Wir tun dies, weil wir inzwischen absolut keine Lust mehr darauf haben mit Gruppen in Bündnissen zusammenzuarbeiten,die nur ihr Ding durchziehen, aus gemeinsamen Bündnissen ihren Vorteil auf unsere Kosten ziehen wollen, keinen solidarischen Umgang mit uns pflegen und uns regelmäßig in den Rücken fallen. Enough is enough!
Wir finden es auch überraschend, dass es noch Leute aus unserem Spektrum gibt, die noch einen Umgang mit diesen "Bündnispartnern" pflegen, als hätte es den G8 nie gegeben.

Am 2.Juni letzten Jahres gab es im Rahmen des G8-Gipfels eine Großdemo in Rostock. Nachdem die Demo größtenteils ohne Zwischenfälle verlief gab es aus den Reihen des schwarzen Blocks einen ziemlich widerwärtigen Angriff auf zwei Streifenbullen in ihrem Fahrzeug. Nachdem die beiden Bullen längst in Sicherheit waren, griff als Reaktion darauf eine berüchtigte Berliner Hundertschaft den Demonstrationszug mit massiver Gewalt an. Die Demonstranten verteidigten sich mit Flaschen, Steinen und anderen Wurfgeschossen, was zum Teil erfolgreich war: die Bullen mußten teilweise den Rückzug antreten und konnten nicht, wie sie es üblicherweise dann tun, Menschen mit ihren Tonfas schwerste Kopfverletzungen zufügen, Zähne ausschlagen, Knochen brechen, ihre Augen mit Pfefferspray eindecken,...
Das Ergebnis der ganzen Auseinandersetzung waren zwei Polizisten, die stationär wegen Knochenbrüchen behandelt werden mussten. Es ist noch nicht mal klar, ob sie sich die Verletzungen durch Hinfallen erlitten haben oder diese durch DemonstrationsteilnehmerInnen verursacht wurden.

Unsere "BündnispartnerInnen" hätten jetzt mehrere Möglichkeiten gehabt: sie hätten die Gewalt der Polizei kritisieren können, sie hätten feststellen können, dass dies nicht ihre Form der Politik ist, aber sie sich nicht in die Politik anderer Gruppen einmischen; sie hätten die Relationen gerade rücken können: was ist ein Pflasterstein auf dem Helm eines gepanzerten Polizisten gegen einen mit voller Kraft ausgeführten Tonfaschlag auf den Kopf eines Menschen? Auch hätten sie feststellen können, dass alle paar Sekunden irgendwo auf der Welt ein Kind stirbt wegen dieser gewalttätigen Verhältnisse und es deshalb zynisch ist sich über die paar Steine aufzuregen.

Und was taten sie? Sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich sofort öffentlich von uns auf eine Art und Weise zu distanzieren, wie es sonst nur CSU-Politiker fertigbringen. Monty Schädel, von der DFG-VK, der als Oberchecker des Rostocker Bündnisses fungierte, setzte unsere Verteidigung mit dem schlimmsten Nazi-Pogrom der Nachkriegsgeschichte, Rostock-Lichtenhagen, gleich.
Peter Wahl aus dem Attac-Koodkreis attestierte der Polizei "(sich) tadellos verhalten und sich an das Konzept der Deeskalation und der Kooperation gehalten (zu haben)" und verortete alle Gewalt nur auf der Seite der DemonstrantInnen.
Aber auch Leute mit denen mensch gestern noch in einer Kette gegangen wäre, wie der ALB-Vertreter Tim Laumeyer hatten plötzlich das hehre Ziel uns "aus der Gewaltecke herauszuholen" und distanzierten sich öffentlich. Dass selbiger Tim Laumeyer dann noch konstatierte, dass "Vermummung retro sei", ist dann eher peinlich, wenn man bedenkt, dass er Vertreter einer Organisation ist, deren Vorläufer-Organisation berühmt dafür war Absprachen mit Bullen zu treffen, in denen die eigene Friedlichkeit zugesichert wurde, um im Gegenzug Poser-Vermummung gestattet zu bekommen.

Leute wie Peter Wahl, Monty Schädel oder leider auch Tim Laumeyer lehnen aber unsere Gewalt so entschieden ab, weil sie ihren Frieden mit den herrschenden Verhältnissen gemacht haben. Sie wollen nicht mehr als ein bißchen Folklore des Kapitalismus sein. Mal hier ein bisschen was gegen Nazis, mal dort ein klein bißchen Tobinsteuer und schon sitzen sie glücklich beim Rotwein. Dass es sich nicht an der Tobinsteuer oder den anderen weichgekochten Forderungen von z.B. Attac entscheidet, ob alle Menschen ein gutes Leben haben, liegt auf der Hand.
Regelmäßig gibt es Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei bei denen häufig mehr Polizisten verletzt werden, als bei der Anti-G8- Demonstration. Wenn es diese Berichte überhaupt in die Medien schaffen, dann meistens nur als kleine Randnotiz. Warum unsere Militanz so geächtet wird muss also andere Gründe haben: an der Zahl der verletzten Bullen kann es nicht liegen.
Sie wird so attackiert, weil sie ein Symbol ist für das Nichtanerkennen des staatlichen Gewaltmonopols. Nichts drückt deutlicher aus, dass wir uns nicht an dem "demokratischen Konsens" beteiligen, wie der Pflasterstein in Richtung der hochgerüsteten Bullen-Armada.
Wir glauben nicht, dass wir mit unseren Mitteln quasi militärisch gegen die hochgerüstete Bullen-Armee gewinnen können. Sie ist auch so nicht gemeint! Sie ist ein Symbol gegen all das was Attac&co noch vehement verteidigen würden. Deshalb ist diese Gewaltdebatte nicht nur Ausdruck eines Dissenses in Fragen der Form politischer Aktionen, sondern auch ein inhaltlicher. Wer Gewalt kategorisch ablehnt, Vermummung als retro disst stellt sich auf die andere Seite der Barrikade, denn mit ihren Mitteln kann eine befreite Gesellschaft nicht erreicht werden. Vielleicht eine etwas nettere hier in Deutschland, mehr aber auch nicht.
Grundlegend für ihre Protestkultur ist ihr unreflektierter Glaube an die Demokratie. Natürlich klingt das wunderschön: man muss nur genug Menschen mobilisieren und schon erreicht man das was man will, da man ja in einer Demokratie lebt. Dass sich eine solche Naivität nicht nur in den Sozialkundekursen an irgendwelchen Schulen, sondern auch in linken und sogar linksradikalen Kreisen hält ist traurig. Dass aber versucht wird nur Protestformen, die aus dieser Naivität abgeleitet werden als die einzig denkbaren zu etablieren ist dreist. Wir können nichts dafür, dass man bei Attac anscheinend nur die Klappentexte(wenn überhaupt) von guten Büchern liest, aber daraus einen Anspruch abzuleiten, wie andere ihre Politik auszurichten haben ist unverschämt.
Die befreite Gesellschaft wird nicht mit 2/3 Mehrheit im Bundestag beschlossen! Auch ist es absurd in der Demokratie mehr zu sehen als eine Herrschaftsform von Menschen über Menschen. Demokratie bedeutet ja nicht, dass alle Menschen ihre Meinungen gleichberechtigt kundtun und gleichen Einfluss auf die sie betreffenden Entscheidungen haben. Wenn es so wäre würden wir euren Ansatz noch ein wenig nachvollziehen können. Demokratie bedeutet vielmehr, dass hier die herrschende Meinung nicht mehr aufoktroyiert wird, sondern durch Diskurse gebildet wird. An diesen Diskursen sind potentiell alle beteiligt, aber alle mit einem ganz anderen Einfluss! Ein Kai Diekmann hat einen viel größeren Einfluss auf diese "öffentliche Meinungsbildung", als sämtliche Attac-Mitglieder zusammen. Insofern gewinnt auch nicht das bessere Argument im öffentlichen Diskurs, vielmehr ist es eine Machtfrage. Die "öffentliche Meinung" kann somit nur marginal beeinflusst werden, da sich die "herrschende Klasse" immer genug Einfluss auf die Diskurse bewahren wird(durch den Besitz von Medien, das Finanzieren von Experten,...), um ihren status quo zu erhalten.
Es ist deshalb politisch naiv, den Versuch zu unternehmen auf demokratischem Wege eine grundlegende Veränderung herbeiführen zu wollen. Für alle, die noch "alle Verhältnisse umwerfen wollen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", muss gelten, dass sie die Gewalt als Mittel der Politik nicht grundsätzlich ablehnen können. Denn die "herrschende Klasse" wird jede nur denkbare Gewalt aufwenden um ihre Existenz zu bewahren.
Insofern ist die Trennung an der Gewaltfrage eine grundsätzliche, nämlich die Trennung in diejenigen, die die herrschenden Verhältnisse stützen und erhalten wollen und in die, die zumindestens noch den Anspruch haben, die Gewalt zu beenden.

Aber nicht nur die Gewaltfrage trennt uns: wir finden es auch undenkbar mit Gruppen gemeinsame Perspektiven zu erarbeiten, in denen sich die widerlichsten deutsch-nationalen Rassisten sammeln. Wenn Mitglieder von Attac, wie Oskar Lafontaine, im besten NSDAP-Jargon von "Fremdarbeitern, die deutschen Familienvätern die Arbeitsplätze wegnehmen" schwadronieren können und solche Menschen noch nicht mal fürchten müssen aus dieser Organisation ausgeschlossen zu werden, dann gibt es keine Basis für eine Zusammenarbeit. Wer auch Rassisten eine Heimat bietet mit dem wollen wir uns nicht argumentatorisch auseinandersetzen.

Dass ein Perspektiventreffen mit Gruppen, in denen sich von engagierten Christen bis hin zu deutsch-nationalen Rassisten alles findet, was politisch dämlich und/oder widerlich ist, keine Perspektive auf Befreiung bietet ist evident.
Trotzdem finden wir die Idee eines Perspektivenkongresses ziemlich gut: Die radikale Linke hat seit 30 Jahren weder eine Theorie, noch eine Praxis die herrschenden Verhältnisse umzuwerfen: Weder hat sich der Marxsche Determinismus bewahrheitet, noch hat die Leninistische Revolutionstheorie in hoch entwickelten Staaten Erfolge gehabt; auch ist es sicher nicht möglich den Agraranarchismus in Spanien der 1930er Jahre auf die heutige Zeit zu übertragen. "Was tun?", wäre also die richtige Frage zur richtigen Zeit, nur macht es keinen Sinn sie in dieser Konstellation zu diskutieren, weswegen wir sinnvollere Dinge tun werden, als bei diesem Perspektivenkongress zu partizipieren.
Wir fordern all diejenigen, die sich selber als linksradikal verstehen auf, Bündnisse nur noch dann einzugehen, wenn sich auf den Konsens verständigt wird, dass alle Aktionsformen legitim sind, solange keine unbeteiligten Menschen gefährdet werden. Auch fordern wir euch auf, Bündnisse nur noch mit Gruppen einzugehen, die sich von rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Äußerungen und Handlungen glaubwürdig distanzieren.
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Hä?

masolta 16.01.2008 - 22:36
Mich hat nicht nur die Verwirrtheit des Autors gewundert, sondern dass sie/ er sich auch die ganze Zeit widerspricht.

Was soll den der scheiß marxistische Determinismus? so ein scheiß gibt es nicht, Marxismus kann nichts festes sein, sondern erfordert immer die konkrete Analyse und schon mal was von Dialektik gehört?

Lenins Revolutionstheorie sagt ja gerade nicht, dass in hoch entwickelten Ländern die Revolution losgehen wird. Sondern dass die Kette am schwächsten Glied wahrscheinlich reißen wird.

Wenn sich solch dogmatischen Leute, die Sachen kritisieren, sich aber mit ihnen nicht auseinandersetzen, kommt wohl solch ein wirrer Text bei raus.

Ihr seid leider genauso scheiße wie die Opportunisten von attac, Die Linke, IL, ALB und den anderen Spießern.

Zum glück besteht die Linke nicht nur aus solchen Spießern!
Studiert, liebt, erkämpft den Kommunismus!
Kein Friede mit dem System!

kritik bleibt

filipè 16.01.2008 - 23:01
ich kann eure kritik in teilen gut nach voll ziehen und denke, dass sie durchaus angebracht ist. die frage stellt sich mir nur, wie mensch das tut. die linksradikalen genoss_innen, die an der perspektivkonferenz teilnehmen, sehen sicherlich viele dinge argumentativ ähnlich wie ihr, allerdings wird ein anderer weg eingeschlagen und das finde ich richtig. der minimalkonsens: alle aktionsformen zu aktzeptieren bzw. nicht zu denunzieren, rassismus und andere ünterdrückungsmechanismen entgegen zu wirken gab es meiner meinung nach, auch in einem relativ großen rhamen. das dieser hinterher gebrochen wurde bleibt kritikwürdig und macht herrn wahl oder mister monty schon unglaubwürdig. was wichtig für "uns" als bewegung und als radikale linke wichtig ist, sind doch nicht aussagen eines monty schädel, sondern das antasten und beschnuppern mit der basis dieser gruppen. ich denke, dass die riots in rostock sinn hatten, genau so wie ich denke, dass es wichtig war bündnisse mit gruppen wie attac, grüne jugend, etc. ein zu gehen um eben auch radikale theorie und praxis vermitteln zu können. ich denke, dass diese vermittlung "unserer" ansichten auch nicht so schlecht funktioniert hat, wie ihr sie in eurem diskussionspapier macht. in den camps, auf der straße und auch im nachhinein wird eine debatte über millitanten protest solidarisch mitteinander geführt und das ist gut. denn es findet eine außeinandersetzung statt und viele haben lange schon nicht mehr irgend ein verzerrtes bildzeitungsniveau in der birne.

das fazit mit dem minimalkonsens bleibt wichtiger bestandteil unserer forderungen an ein bündnis... ich kann da gut mitgehen, doch finde es halt fatal, nach diesem einzigen, großen treffen solch doch zu scharfe kritik an die genoss_innen zu richten.

ich würde mich außerdem freuen, wenn ihr genau wegen eurer zweifel den kongress besuchen würdet und würde mich dort über eben genau diese diskussion erfreuen. das bringt uns dann auch weiter...

solidarische grüße...

Artikel aus dem neuen Deutschland

Antifa 17.01.2008 - 10:48
Auch andere Gruppen wie die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) haben Kritik an den Perspektiventagen wie der folgende Artikel aus dem neuen Deutschland zeigt:
 http://www.neues-deutschland.de/artikel/122432.html

Wie weiter nach Heiligendamm? ...

Gemeinsam Krach schlagen

Die G8-Protestbewegung sucht nach Perspektiven / Drei Tage in Berlin, um Bündnisfragen und nächste Ziele zu klären

Von Susanne Götze

Mit den Perspektiventagen will die linke Bewegung ab morgen in Berlin an den Erfolg der G8-Proteste im letzten Jahr anknüpfen. Trotz harter Auseinandersetzungen wollen sich die Gruppen und Organisationen zusammenraufen, um dem herrschenden System gemeinsam die Stirn zu bieten.

Seit gut einem halben Jahr holt die Linke in Deutschland Luft. Nach der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel im Sommer letzten Jahres muss sich neu sortiert und neue Kraft geschöpft werden. Die Camp AG, die im Juni die beiden Protestcamps in Rostock und Reddelich auf die Beine gestellt hat, will nun an den Erfolg anknüpfen und die Bewegungsträger wieder zusammentrommeln.

Ab Donnerstag wird den Organisatoren zufolge auf den Perspektiventagen in Berlin das ganze Spektrum der G8-Mobilisierung vertreten sein: Von Attac, dem Dissent-Netzwerk, der Friedensbewegung, dem Block G8-Bündnis, sozialistischer und grüner Jugendverbände, der Interventionistischen Linken (IL) bis hin zu den Internationalen Hedonisten, die auf dem Camp in Rostock für gute Stimmung gesorgt hatten.

Zur Eröffnung der drei mit Workshops und Diskussionsrunden vollgestopften Tage soll es am Donnerstagabend darum gehen, Bilanz zu ziehen, meint Marcus Grätsch, einer der Koordinatoren der Perspektiventage. Auch wenn die G8-Proteste überwiegend positiv in Erinnerung geblieben seien, müsse dennoch über die verschiedenen Erfahrungen und Auseinandersetzungen gesprochen werden.

Spielregeln klären
Ein Knackpunkt könnte aus seiner Sicht das Verhalten von einigen Funktionären und Bewegungsvertretern in der Öffentlichkeit sein. Dabei gehe es vor allem um die Reaktionen auf die Großdemonstration am 2. Juni in Rostock, die schon damals für »heftigsten Gesprächs-stoff« gesorgt haben. Die Diskussion über die Eskalation der Demo ist für Grätsch deshalb so wichtig, weil im Vorfeld festgestanden habe, dass »eine Demo verteidigt wird, wenn sie angegriffen wird«. Mit der Verurteilung des 2. Juni hätten sich aber »einige Leute« gegen diesen Bewegungskonsens gestellt und den Medien bei der Gewaltfrage den Ball zugespielt.

Noch viel kritischer sehen das große Teile der Autonomen, die sich ohnehin bei Bündnisfragen relativ schwer tun. Sie fühlen sich von Teilen der Bewegung, vor allem durch die negativen Reaktionen auf den 2. Juni, denunziert und ausgegrenzt, wie Carlo von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (arab) erklärt. »Manche Gruppen haben ein Problem damit, Militanz als legitimen Ausdruck des Widerstands anzuerkennen – viel zu schnell wird von unpolitischer Gewalt gesprochen«, meint der arab-Sprecher. »Wir haben das Gefühl, auch bei den Perspektiventagen nicht so gern gesehen zu werden.« Man wolle aber trotzdem Inhalte und Vorstellungen beisteuern und hoffe auf eine solidarische und konstruktive Debatte, so Carlo.

Den Vorwurf, dass sich einige Aktivisten in der Bewegung als VIPs aufspielen würden, mussten sich vor und nach den Protesten vor allem Attac-Führungskräfte und Linksparteivertreter anhören. Mit ihrer ablehnenden Haltung zum Verlauf der Großdemonstration in Rostock sorgten sie für einigen Unmut. Doch eine gewaltfreie Protestkultur gehöre eben zum Konzept von Attac, erklärt Pedram Shahyar, Mitglied des Koordinierungskreises. »Wir erwarten von unseren Bündnispartnern keine prinzipielle Gewaltfreiheit, sondern wollen nur, dass die Aktionen, die gemeinsam mit uns durchgeführt werden, gewaltfrei bleiben«, betont er.

Attac hofft deshalb auch weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit mit den verschiedensten Bewegungsträgern. Die Perspektiventage können dabei ein wichtiger Schritt zur Vernetzung sein, sagt Shahyar. Dort wolle sich das globalisierungskritische Netzwerk vor allem beim geplanten Klimacamp einbringen.

Pläne für den Sommer
Auch der Linkspartei-Jugendverband solid will mit allen »fortschrittlichen Gruppen« zusammenarbeiten und ein möglichst breites Bündnis schmieden, erklärt Marco Heinig, der an der Vorbereitung der G8-Proteste beteiligt war. Dazu gehörten dezidiert auch autonome Gruppen. Über Ereignisse wie den 2. Juni gebe es aber innerhalb des Verbandes ganz unterschiedliche Meinungen.

Um sich von den etablierteren Organisationen abzugrenzen, haben sich schon zwei Jahre vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm linksradikale Gruppen zur Interventionistischen Linken (IL) zusammengeschlossen. Eine dieser Organisationen ist FelS (»Für eine Linke Strömung«). Doch auch sie schlägt versöhnliche Töne an: »Die Perspektiventage sind da, um die Leute zu einen, doch im Sinne von kritischer Solidarität«, meint Berit Schröder, die bei FelS aktiv ist. Für sie überwiegen die positiven Erfahrungen von Bündnisarbeit in Heiligendamm, auch wenn weiterhin konstruktiv gestritten werden solle. Deshalb hofft Schröder, dass mit gemeinsamen Projekten und Kampagnen auch zukünftig die Synergieeffekte der Bewegung genutzt werden können.

Das Programm sieht tatsächlich vor, nicht nur strittige Punkte auszudiskutieren, sondern auch Lehren aus den Protesten zu ziehen, um die neu aufgebauten Strukturen zu stärken. So soll es laut Camp-AG-Sprecher Grätsch etwa um die Verbesserung von Antirepressionszusammenhängen wie den Legal Teams und die gezielte Mitverfolgung von Gerichtsverfahren gehen. Zudem müssten Ansätze für gemeinsame Alltagskämpfe gefunden werden. Als nächstes konkretes Projekt werden die Teilnehmer in den kommenden Tagen über ein Klima-Camp in diesem Sommer diskutieren. Zu klären ist beispielsweise, ob es sich ausschließlich der globalen Klimafrage oder auch anderen Themen widmen soll. Die 15 Mitglieder der Camp AG sind jedenfalls hoch motiviert, auch dieses Jahr wieder mit einem breiten Bündnis linker Gruppen gegen die herrschenden Verhältnisse Krach zu schlagen. Die Perspektiventage werden zeigen, ob sie die Bewegung mit ihrer Zuversicht anstecken können.

Kein klassischer Kongress - der Ablauf

RÜCKBLICK Am Anfang sollen die Auswertungen einzelner Gruppen und Bündnisse spektrenübergreifend diskutiert werden.

PERSPEKTIVEN DENKEN Ab Freitagmittag geht es um die Suche nach übergreifenden Themen, bei denen Kämpfe und Widerstandsformen zusammenkommen, sich ergänzen und stärken. Haben »Klammerthemen« wie Militarisierung und Krieg, globale soziale Rechte, Privatisierung, Arbeitskämpfe-Prekarisierung-Sozialab-bau, internationale Organisierungen oder der Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle dieses Potenzial? Wie sehen Formen und Grenzen einer breiteren Organisierung aus?

PERSPEKTIVEN MACHEN Nach diesen Überlegungen können konkrete Projekte neu erfunden oder weiterentwickelt werden. Ideen sind Camps zu einzelnen Themen oder ein »Mehrsäulencamp« im Sommer, Aktionen parallel zum G8-Gipfel in Japan, gebündelte Kampagnen beispielsweise gegen Privatisierung, Prekarisierung oder für linke Freiräume.

www.perspektiventage.camping-07.de

Fotos: DLR, dpa (2), ND-Lange
ND-Montage: W. Frotscher

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

bla, bla.. — xyx

Geht nach Hause Opis — Jugendfront

gut — grosses Lob

eigenlob stinkt! — weg mit der autonomen selbstbeweihräucherung