Soziale Unruhen in China

rosette 28.12.2007 14:23
2008, Olympia in Beijing. Wird das chinesische Regime die Spiele für die eigene Propaganda nutzen können, um sich als Hüter der kapitalistischen "Werkbank der Welt" und als Garant einer stabilen Weltordnung zu zeigen? Viel hängt davon ab, wie sich die sozialen Auseinandersetzungen in China weiter entwickeln werden.
Die Reformen der letzten Jahre haben in China ein soziales Pulverfass geschaffen. Auch wenn sich die Lebensbedingungen vieler Menschen auf dem Land und mehr noch in der Stadt etwas verbessert haben, so hat sich die Einkommensschere (zwischen "arm" und "reich") erheblich geöffnet. Die Arbeitsmigration von weit über 100 Millionen Menschen in die Städte, Landraub, die Auspressung durch Parteikader, die Ausbeutung in den Weltmarktfabriken, massenhafte Entlassungen aus den alten Kombinaten... die sozialen Verwerfungen haben ein Klima geschaffen, in dem täglich Bauern und ArbeiterInnen auf die Straße gehen, streiken oder sich militant gegen die Bullen oder von den Kadern und Fabrikdirektoren bestellte Schläger verteidigen. Das Regime muss den Kämpfenden zwar immer wieder Zugeständnisse machen, scheut sich aber auch nicht, ihre Aufstandsbekämpfungseinheiten einzusetzen.
Ein Beispiel ist der Bulleneinsatz gegen streikende ArbeiterInnen einer Elektronikfabrik in Dongguan, Guangdong, im November 2007 (siehe Fotos). Die Fabrikleitung wollte die Abzüge für das Kantinenessen erhöhen, woraufhin die 8000 ArbeiterInnen in den Streik traten und das Fabrikgelände verlassen wollten. Dort wurden sie dann von mehr als 1000 Bullen erwartet.
Kämpfe wie dieser zeigen, dass sich die WanderarbeiterInnen immer selbstbewusster zeigen. Noch vor ein paar Jahren waren es vor allem die (ehemaligen) StaatsarbeiterInnen, die gegen Schließungen und Entlassungen protestierten. Aber mittlerweile haben die meist jungen WanderarbeiterInnen, die vom Land in die Städte ziehen, um dort zu arbeiten, erkannt, dass sie gegen die miesen Arbeitsbedingungen, Lohnraub, schlechte Verpflegung und Unterkunft kämpfen können. Ob auf dem Bau oder in der Fabrik, die (in China illegalen) Streiks und Demonstrationen nehmen zu. Ganz vorne dabei sind auch die "dagongmei", die sogenannten arbeitenden Schwestern, junge Frauen vom Land, die vor allem in den Elektronik-, Textil-, Spielzeug- und anderen Konsumartikelfabriken in Industriezentren wie dem Perfluss-Delta (Shenzhen, Guangzhou, Dongguan) oder dem Yangtse-Delta (Shanghai...) arbeiten.
Nun schreien im Ausland viele aus Gewerkschaften und NGOs nach einer Anerkennung "unabhängiger Gewerkschaften", nach einer "Demokratisierung" der Gesellschaft, meistens verpackt als Appell an die KP Chinas. Mensch könnte annehmen, dass das erstmal eine Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Leute in China bedeutete. Hinter diesen Forderungen stehen oft Vorstellungen von einer "Verwaltung" der Ansprüche der ArbeiterInnen durch bürgerliche Institutionen und deren Integration in einen funktionierenden kapitalistischen "Wohlfahrtsstaat", der mehr Brösel vom Reichtumskuchen verteilt und den Arbeitszwang weiter durchsetzt.
Aber was wollen die Kämpfenden selber? Wollen sie eine abgemilderte Form der Ausbeutung (mit etwas besseren Elendsbedingungen und einem Betriebsrat), oder liegen in den Kämpfen Ansätze zu einer neuen Gesellschaftlichkeit jenseits der kapitalistischen Beziehungen? Das können nur die Bewegungen selber beantworten.
Eine Einschätzung der Umwälzungen und Kämpfe in China findet ihr im Heft "Unruhen in China", das gerade als Beilage der Zeitschrift Wildcat erschienen ist. Die Artikel und Interviews drehen sich um die "drei gefährlichen Klassen", die alten StaatsarbeiterInnen, die Bauern und die WanderarbeiterInnen, ihre Lage und ihre Kämpfe. Dazu kommen Beiträge zum Tian'anmen-Aufstand 1989, eine Buchbesprechung zu Giovanni Arrighi, ein Vergleich mit der Entwicklung in Indonesien, Filmbesprechungen... Inhaltsverzeichnis, weitere Beiträge, Veranstaltungshinweise u.a.m. findet ihr unter
www.wildcat-www.de/dossiers/china
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Ergänzungen

Siehe auch:

Antimilitarist 28.12.2007 - 14:34
Die vergessenen Konflikte
 http://de.indymedia.org/2007/12/203668.shtml

Dieser Artikel belichtet die Proteste in Myanmar und Tibet im Herbst diesen Jahres

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