Castor: Klage g. Schnüffel-staat eingereicht

LIgA 14.12.2007 13:32 Themen: Atom Repression
Eine Lüneburger Atomkraftgegnerin wurde im Vorfeld des Castortransportes 2006 tagelang von Spezialeinheiten der Polizei rund um die Uhr überwacht. Die Betroffene hat jetzt Klage gegen diese Maßnahme beim Verwaltungsgericht eingereicht. Es besteht erhebliche Bedenken, was die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit des angewandten Gesetzes betrifft.
Ein passandes Thema vor der Demo gegen Überwachung am 15.12.07 in Hamburg...
Stellen Sie sich vor. Sie werden gleich von mehreren spezial Einheiten der Polizei (MEK) auf Fuß und Tritt rund um die Uhr verfolgt – weil Sie Ihre Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, Ihr Selbstbestimmungsrecht wahr nehmen, um Ihrer Unmut, Ihrem Protest gegen die tödliche Atomindustrie Gehör zu verschaffen.

Das ist kein Szenario à la Orwell. Sondern triste Realität. Robert. Jungk hat es geahnt: Atomstaat bedeutet Polizeistaat.

Präventive Überwachung

Eine Lüneburger Aktivistin bekam dies jedenfalls im Vorfeld vom Castortransport 2006 zu spüren. 2 Wochen lang wurde sie nach § 34 (längerfristige Observation) und 35 (verdeckter Einsatz technischer Mittel) Nds. SOG überwacht. Die beamten von 4 verschiedenen MEK-Einheiten (Lüneburg, Hannover, Osnabrück) und einer Fahndungseinheit der Bundespolizei aus Pirna folgten ihr tagelang auf Fuß und Tritt bis zu Ihrer Arbeitsstelle oder beim Einkaufen. Ihr Umfeld wurde ebenfalls ausspioniert, indem die Polizei sich über das Meldeamt Informationen über mögliche „Kontaktpersonen“ besorgte. Alles zu Gefahrenabwehr. Also eine rein präventive Maßnahme.

Diese Tatsachen ergeben sich aus ihrer Akte, die die Polizei erst ein Jahr nach gesetzlichen Benachrichtigung unter Androhung einer Klage seitens der Betroffenen zur Einsichtnahme frei gab.

Klage eingereicht

Gegen diese polizeiliche Maßnahme wurde jetzt Klage eingereicht. Es bestehen zunächst erhebliche Zweifel an die Verfassungsmäßigkeit der angewandten Gesetzartikeln, die ein schwerer Eingriff in den Grundrechten der Klägerin darstellen. Schon 2005 wurde ein verwandtes Paragraf dieses Gesetzes – nämlich das § 33a SOG (Überwachung der Telekommunikation) vom Bundesverfassungsgericht für Verfassungswidrig erklärt (Urteil vom 27.05.2005 Ref. 1BvR 668/04). Laut Rechtsanwalt Plener „liegen die streitgegenständlichen Maßnahmen mit der Maßnahme nach § 33a auf einer Linie.“ Ferner wird angeregt „eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Frage der Verletzung des Grundgesetzes durch §§ 34, 35 Nds. SOG einzuholen“, so Rechtsanwalt Plener in seinem Klageschrift vom 6.12. 07.

Gerügt wird auch der Mißbrauch des Gesetzes und von polizeilichen Dateien durch die Polizei. Die Anordnung und die Gefahrenprognose basieren nämlich nicht auf realen Tatsachen, sondern nur auf ungeprüften polizeilichen Erkentnnissen von vorher eingeleiteten eingestellten Ermittlungsverfahren zu Bagatelldelikten. Das Gesetz darf nur im Zusammenhang mit Straftaten von erheblicher Bedeutung nach §2 Abs.10 SOG angewendet werden. Ob Baumklettern eine Straftat erheblicher Bedeutung darstellt, ob Straßentheater vor dem Zwischenlager Gorleben als „bandenmäßige“ Aktion im juristischen Sinne bewertet werden kann, sei dahingestellt.

politische Maßnahme

„Es geht hier in erster Linie um eine politische Repressionsmaßnahme. Der (internationale) Widerstand gegen die Atomkraft soll damit lahm gelegt werden.“ So die 26 jährige Französin.

Die Lüneburger Initiative gegen Atomanlagen (LIgA), wo die Betroffene sich engagiert, unterstützt sie bei ihrer Klage, denn „ gemeint sind wir alle. Dem Staatsschutz ging es schlicht darum, Erkenntnisse über unsere Strukturen zu gewinnen“.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie (langsam) die Justiz-Mühlen im Gange kommen. Die Betroffene will sich aber nicht einschüchtern lassen: „Ich werde mich weiterhin an Protestaktionen beteiligen. Ausgerechnet am kommenden Samstag (15.12.) wird in Hamburg gegen diesen Überwachungsstaat demonstriert. Ich bin dabei!“
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Ergänzungen

Ähnlicher Fall der Überwachung in GÖ

Rogue 15.12.2007 - 01:58
In Göttingen gab es vor einiger Zeit einen ähnlichen Fall. Dort war im Jahre 2004 ein Anti-Atom-Aktivist 14 Tage lang rund um die Uhr überwacht worden. Man hatte sein Telefon abgehört, außerdem war er observiert worden.

Der Betroffene hatte gegen die Maßnahme geklagt, das Bundesverfassungsgericht hat den § 33a des nds. Polizeigesetzes (NSOG) für verfassungswidrig erklärt, bei dem es um die präventive Telefonüberwachung ging. Gegen die Maßnahme der Observation nach §§ 34, 35 NSOG war ebenfalls geklagt worden, im Verfahren hatte jedoch die Polizeibehörde ihr rechtswidriges Vorgehen eingeräumt, sodass der Rechtsweg nicht weiter beschritten werden konnte. Daher ist das hier vorliegende Verfahren durchaus sehr interessant. Vielleicht gelingt es in diesem Verfahren, die beiden Normen einer rechtlichen Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts zuzuführen.

Infos über den Göttinger Fall gibts auf den Seiten des Anti-Atom-Plenums [AAP] Göttingen:  http://puk.de/aapgoe/