Reaktionen auf "...ums Ganze!"-Kongress

journalist (independent) 10.12.2007 03:52 Themen: Antifa
Bis zu 600 TeilnehmerInnen diskutierten am Wochenende beim ...ums Ganze!-Kongress unter dem Titel "no way out?- Von (Post)operaismus bis Wertkritik” über Fragen linksradikaler Perspektiven.Video-Interviews mit 2 der Referenten (Thomas Seibert und Ernst Lohoff)gibs es hier:
Bis zu 600 TeilnehmerInnen diskutierten am Wochenende beim ...ums Ganze!-Kongress unter dem Titel "no way out?- Von (Post)operaismus bis Wertkritik” über Fragen linksradikaler Perspektiven.Video-Interviews mit 2 der Referenten (Thomas Seibert und Ernst Lohoff)gibs es hier zum runterladen:Lohoff-InterviewSeibert-InterviewInfos zum Kongress: ...ums Ganze!-Kongress und zum Veranstalter (...ums Ganze!-Bündnis)
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Ergänzungen

archive.org

StefanMz 10.12.2007 - 17:27

Ich empfehle archive.org für die Mediendistribution. Kosten- und kommerzfrei.

Hier die beiden Interviews in verschiedenen Formaten und Qualitäten:
Interview Lohoff
Interview Seibert

Reaktion

Timmää 10.12.2007 - 21:59
„Ich bin ein revolutionäres Subjekt, holt mich hier raus!“

Das Wochenende und der „…ums Ganze!-Kongress“ ist vorbei, ich musste wieder in die Schule und ein way out lässt sich nach wie vor nicht finden.
Trotzdem war der Kongress kein Desaster und ein inhaltlicher Rückblick lohnt. weiter

die Form,

die Form 11.12.2007 - 07:09
sollte etwas mehr dem Inhalt entsprechen. Eine emanzipatorischen Perspektive wird sicherlich nicht eröffnet, indem 500Menschen der abgehobenen Diskussion von 2en lauschen. Zu deren Theater gibt es dabei keine Alternative (Parallelveranstaltungen).
Was genau tun diese (hauptsächlich als männlich identifizierten) Menschen auf dem Podium, erhoben über den Massen? „Ich versuche hier gerade eine Gegenposition zu vertreten, damit es hier zu einem Streit kommen kann“(Zitat ein Podiant). Recht passend, denn es erweckt leider öfters den Anschein, dass nicht die Findung der objektiven Wahrheit, sondern vielmehr das „Gewinnen“ im Streit im Vordergrund steht. So tut die intellektuelle Selbstbespiegelung des Bauchnabels das ihre zur nahezu totalen Praxisferne der Veranstaltung. Mann möchte sich im kontroversen Abheben schillernd präsentieren. Dazu passt auch gut der Lookism des überwiegend jungen und überwiegend schwarzen Publikum – schick sein, schön sein, sportlich sein und keine Schwächen.
Auf die vorgegebenen Zustände antwortende Befindlichkeiten haben es mir verunmöglicht an allen Veranstaltungen teilzunehmen. Hier lohnt sich ein Blick auf das Programm: Es ist vom Beginn am Freitagmittag bis zum Ende am Sonntagabend voll mit dieser Art Veranstaltungen. Dazwischen größtenteils nur 20minütige Pausen. Ist es eh nahezu ungmöglich auf dem vorgegebenen Niveau dem Gerede zu folgen, wäre bei dauernder Teilnahme, wie die Pädagogik schon sehr lange weiss, die Konzentrationsfähigkeit nach ca 45Minuten erschöpft. Was solls? Wer nichts beitragen brauch, kann auch wegdämmern. Körperliche Präsenz zur Ehrung der vorgetragenen Wahrheiten (und ihrer Inhaber) bleibt leider meist gewährleistet und gipfelt im Applaus für die wirklich schlechten Präsentationen (beim Applaus wieder aufwachen klappt meistens): Es gab keinerlei Visualisierung für die wirklich hochkomplexten Inhalte, die über die Darstellung des Titels der Veranstaltung und die Namen der Koniferen hinausging! Auch hier zeigt sich: Die Verfasstheit der konkreten tatsächlichen Menschen und ihrer Bedürfnisse im Bezug auf Lernen und Verstehen können ignoriert werden und so werden sie zur applaudierenden Menge instrumentalisiert. Auf diese Weise der Macht zu huldigen scheint leider einigen Erfüllung zu verheißen.
Nochmal zum intellektuellen Theater der Praxisferne eine symptomatische Anekdote: Bei der Veranstaltung „Immaterielle Arbeit und Ware Wissen“ kam die Diskussion nach Stunden endlich in nahezu praxisrelevante Gefilde und einem der Referenten gelang es, die Stoßrichtung möglicher Fragen an das reale Feld der freien Software zu ergründen – nicht ohne gleich wieder abzugleiten in die Abstraktion zu widerständigen Alternativ-Phänomenen im Allgemeinen innerhalb des Kapitalismus. Auch nur der leiseste Bezug zur tausendfachen Fülle der alternativen Projekte und Praxen allein im deutschsprachigen Raum seit 1968 war dabei leider nicht möglich...
Der Kongress war also nur verdaulich wenn mensch die Übersetzung der abstrakten Gedanken in die Wirklichkeit selbst leisten kann. Nicht ganz einfach.
Ich bin erschreckt von dem Erfolg, den eine solche Form hat, welche Massen sich bereitwillig in ein solches Spektakel einfügen. Zum Glück geht’s auch anders (z.B. jukss.de)

delete_party_program

ourson 11.12.2007 - 09:34


delete_party_program

Die Ankündigung für den „Ums Ganze“-Kongress verspricht nicht nur die Welt zu erklären. Sie ist auch ein Zeugnis für den Zustand dessen, was gemeinhin als „linke Szene“ bezeichnet wird. Der Veranstaltung kommt daher mehr eine diagnostische Funktion zu, als dass sie substanziell neue Einsichten liefern wird.

Wer sich die drei Folgen von „Ums Ganze-TV“ auf Youtube angesehen hat, der wird verstehen, was sich die Beteiligten unter der Triade Theorie-Organisation-Praxis vergestellt haben. Verweist die Reihenfolge der Begriffe vermutlich auf die intendierte Abfolge der Schritte hin zur kommunistischen Revolution, so führt die Internet-TV-Serie vor, wie sich eine Symbiose aller drei Momente zu einer - wie könnte es anders sein - dialektischen Einheit darstellt. Die audiovisuelle Botschaft ist klar: das „Schweinesystem“, „Staat und Kapital“ und Bereitschaftspolizisten gilt es durch „Krawall und Remmidemmi“ zu bekämpfen. Als theoretisch reflektierter Zusammenschluss will man jedoch „Pseudoaktivität“ vermeiden und lieber den „unversöhnlichen Akt der Negation“ wählen. Was dieses kryptische Raunen aber bedeuten soll - das, so lässt sich vermuten, soll auf dem Kongress zu Wertkritik und (Post)Operaismus geklärt werden. Moment? Kam die Theorie nicht vor der Praxis?

Doch zurück zur Ankündigung. Die grundsätzlich begrüßenswerte Entscheidung, einen Kongress zu veranstalten, auf dem Fragen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation mit Hinblick auf ihre Veränderung geklärt werden sollen bekommt einen faden Beigeschmack beim Blick auf die Liste der Referent_innen. Wer sich das Label „Theorie“ zueigen macht, der muss sich auch dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments unterwerfen. Doch ein solches Verfahren wird umgangen durch vorzeitige Auswahl des Sag- und Denkbaren und der ressentimentgeladenen Indifferenz gegenüber dem, was anderes besagt. So ist ein gros der Beteiligten aus dem Umfeld der Zeitschriften Krisis und Exit! als den Zentralorganen der wertkritischen Fraktion. Dieser esoterische Verein muss nicht jedem bekannt sein und es fragt sich, warum die Veranstalter_innen ausgerechnet eine solche Auswahl treffen mussten. Die Selbstetikettierung als „links“ ist gerade in Zeiten der Vorherrschaft von Lechts und Rinks kein Grant für eine qualitativ hochwertige Einschätzung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Die platte Dichotomie: Wertkritk = „da geht nischts“ vs. Postoperaismus = „die Multitude bringst“, eignet sich nicht für eine Analyse komplizierter gesellschaftlicher Tendenzen. Auch wenn es sich nicht um eine „Verrätselung der Welt“ handelt, wie es denjenigen Leuten erscheint, für die die Dinge eh schon klar sind, so sollte doch vor einer Überformung eines reflektierten common sense durch pseudo-theoretisches Gelaber gewarnt werden. Ein Blick auf die drei Meter „Prokla“ im Regal genügt, um sich vor Augen zu führen, dass sich bereits einige Leute Gedanken über die Themen Kapitalismus, Klassenkampf etc. etc. gemacht haben. Sehr verwunderlich ist auch die Tatsache, dass der Beitrag der Gruppe TOP Berlin zu falscher Kapitalismuskritik (Jungle World, Nr. 44) nicht mit einem Wort Phänomene wie Antisemitismus und Antiamerikanismus erwähnt. Schließlich handelt es sich dabei um die zengtralen Themen des linken Diskurses in den letzten Jahren.

Die Bedeutungslosigkeit einer solchen Veranstaltung resultiert u.a. aus dem Umstand, dass hier eine homogene „linke“ Masse gebildet wird, die den Kontakt zum wissenschaftlichen Mainstream und seinen kritischen Randgebieten schon längst gekappt hat. Was danach übrig bleibt ist eine Suppe aus adornitischem Brummen und marxistischen Stereotypen, in der „Praxis“ garniert mit chicker Elektromusik. Warum ist es nicht möglich Menschen einzuladen, die sich auch empirisch mit sozialen Kämpfen, ihrer Logik und ihrem emanzipatorischen Gehalten auseinandergesetzt haben? Warum muss der naive Versuch unternommen werden, Gesellschaft aus dem theoretischen Stehgreif zu erklären? Warum ist Kritik hier wieder auf „den Hautwiderspruch“ „des Kapitalismus“ fixiert? Wer entscheidet, wer woran am meisten leidet? Wie ist der normative Maßstab bestimmt, den wir an Gesellschaft in emanzipatorischer Absicht anlegen? Anstatt verzweifelt nach festen Makro-Interpretationen zu suchen sollte an erster Stelle die richtige Formulierung der theoretischen Probleme stehen. Das dies nicht annähernd im Aufruf geschieht ist traurig. Der linke Reflex gegen die als bürgerlich verschriene (Sozial-)Wissenschaft führt zur Selbstreferanzialität und zur Abkapselung von wichtigen Erkenntnisprozessen.
Doch wie sollte sich diese Lage ändern, wenn die subkulturell angehauchte „Szene“ aus pupertierenden Jugendlichen und infantilisierten „Erwachsenen“ besteht? Vielleicht ist es ratsam die allgemeine Tendenz der Infantilisierung auch als Prozess innerhalb der „Linken“ anzusehen. Die pseude-proletarische Pose des „Ums Ganze“-Bündnisses soll mit einem intendierten Intellektualismus kombiniert werden, den man sich realiter dann lieber doch nicht zu eigen machen will. Was daraus spricht ist nicht die Einsicht in die historisch gewordene Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit und die zweifelhafte Divergenz ihrer Bewertungen als vielmehr ein praktischer Antiintellektualismus, der sich sein eigenes Unvermögen noch als Stärke zuschreibt und die Not zur Tugend verklärt. Die Parole „Ums Ganze“ ist nicht nur Zeichen der scheinbaren Radikalität, sondern wird auch zum Alibi für die reflexionslose narzisstische Darstellung: Wem es ums Ganze geht, der muss sich um Kleinkram nicht mehr kümmern. Verbalradikalität tritt an die Stelle materialer Arbeit. Ums mit Meister Teddy W. Adorno zu sagen: „Das von ihnen deffamierte Denken strengt offenbar die Praktischen ungebührlich an: es bereitet zuviel Arbeit, ist zu praktisch. Wer denkt setzt Widerstand; bequemer ist mit dem Strom, erklärte er sich auch als gegen den Strom, mitzuschwimmen. Indem man einer regressiven und deformierten Gestalt des Lustprinzips nachgibt, es sich leichter macht, sich gehenläßt, darf man überdies eine moralische Prämie von den Gleichgesinnten erhoffen.“ Die Orientierung am ganz Großen, denn darauf läuft de facto das Motto hinaus, suspendiert von der anstrengenden Arbeit, sich die Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher Phänomene zu vergegenwärtigen und die Größe der Aufgabe wird transponiert ins Ego der Bekennenden.

Felix Baums Kritik (Jungle World, Nr. 44) an den angeblich abstrakt-aufklärerischen Bestrebungen der Veranstalter ist zu entgegenen, dass die Beteiligten des „Ums Ganze“-Bündnisses keine Avantgarde sind, dass sie sich aber auch keinesfalls als eine solche ausgeben. Nicht ein aufklärerisches Anliegen gilt es zu kritisieren, sondern die sich in der „Praxis“ offenbarende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine solche spektakuläre Praxis der Selbstbespaßung hat den Anspruch auf Intellektualität schon längst über Bord geworfen. Dem liesse sich die schwache Idee entgegensetzen, sein individuelles Leben so einzurichten, dass man sich nicht dumm machen lässt. Wie die vielen kleinen Auseinandersetzungen im Alltag so lässt sich intellektuelle Praxis auch nur denken als ein Alltagshandeln, das - ganz klassisch - auf Mündigkeit im besten Sinne des Wortes abzielt. Alles andere ist Politik. In diesem Sinne: Face the facts: „Just Communism“ is only a party program, not a party program!

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