Bautzen: Antifa-Demo mit 300 TeilnehmerInnen

Mensch aus Ostsachsen 09.12.2007 22:29 Themen: Antifa
An der Antifa-Demonstration „Let's do it here – let's do it now!“ am 08. Dezember im ostsächsischen Bautzen nahmen 300 Menschen teil. Danach kam es zu Neonazidrohungen gegen DemostrationsteilnehmerInnen in der Bautzener Innenstadt.
Die Demonstration zog unter lautstarken Parolen direkt durch die Bautzener Innenstadt, vorbei an belebten Einkaufspassagen und dem Weihnachtsmarkt, an dem sich etwa 50 Menschen spontan dem Demonstrationszug anschlossen. In verschiedenen Redebeiträge wurde über die Situation und Neonazistrukturen in der Region informiert. Die Polizei verhielt sich während der gesamten Demo äußerst defensiv und verzichtete auf ein einschließendes Spalier. Lediglich vereinzelte Neonazis wurden in Sichtweite der Demo beobachtet, stellten jedoch in dem Moment keine reale Bedrohung dar. Sprinteinlagen und kraftvolle Parolen sorgten zudem über weite Teile der Demo für einen dynamischen Charakter.

Die ursprünglich als Gegenaktion zu einem jedoch verbotenen Neonaziaufmarsch konzipierte Demonstration „Let's do it here – let's do it now!“ wurde von Antifa-Gruppen aus Ostsachsen und Dresden initiiert. In Reaktion auf das Verbot der Neonazi-Demonstration wegen dessen Motto „Menschenrecht bricht Staatsrecht – Freiheit für alle nationalen Gefangenen“ kam es in der Nacht zum 06. Dezember zu Neonaziaktionen in 15 Städten in Sachsen. Schwerpunkt der Aktionen war Ostsachsen. Die Neonazis verschlossen nach dem Motto „Dem System die Ketten anlegen“ Zugänge zu öffentlichen Einrichtungen und staatlichen Institutionen und verklebten Plakate. Sie bemitleideten sich selbst als Opfer staatlicher Willkür, ohne überhaupt alle ihnen offen stehenden Rechtsmittel (z.B. Gang vor das Oberverwaltungsgericht; Anmeldung unter anderem Motto) in Anspruch genommen zu haben.

Die Antifa-Demonstration am 08. Dezember hatte also auch ohne ihr ursprüngliches Ziel, einen Neonaziaufmarsch in Bautzen zu verhindern, durchaus ihre Berechtigung. Sowohl mit Blick auf die Lage in Bautzen, als auch auf die gesamte Region sollten zumindestens für einige Stunden entstehende und bestehende rechte Hegemoniezonen aufgehoben werden. Orte wie der Bautzener Kornmarkt, an denen es schon mehrfach zu rechten Übergriffen auf alternative Jugendliche kam, wurden zumindest zeitweise von Menschen eingenommen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen oder passen wollen.

Die Demonstration sollte ein Gegengewicht zu den zahlreichen Neonaziaktionen in den vergangenen Monaten in der Region darstellen - in Ostsachsen hat sich nach der sächsischen Schweiz die wohl aktivste Neonaziszene Sachsens entwickelt. Dies geschah vorallem unter der Regie von Zusammenhängen rund um das ehemalige „Lausitzer Aktionsbündnis“ (LAB), dem verschiedene Kameradschaften aus der Region angehörten. Das LAB ist inzwischen weitestgehend in Strukturen der NPD Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) übergegangen oder arbeitet unter dem Label „Nationale Sozialisten Lausitz“. Der LAB-Führungskader Sebastian Richter, ist Mitglied des Bundesvorstands der JN.

In Bautzen kehrte einige Stunden nach der Antifa-Demonstration leider wieder provinzieller Alltag zurück: eine Gruppe von etwa 35 Neonazis bedrohte mit Sprüchen wie „Jetzt gibt’s Zecken klatschen“ eine Gruppe alternativer Jugendlicher in der Bautzener Altstadt. Einem gewaltsamen Übergriff konnte nur durch das Einschreiten einiger Polizeibeamter vorgebeugt werden. Auf dem Weihnachtsmarkt wurden danach einige alternative Jugendliche von Neonazis angepöbelt.

Als eine Gruppe lokaler Antifas motiviert von der Demonstration am Nachmittag die ihnen oft bekannte Situation „Nazis jagen Linke“ umkehren wollten, wurden sie von der Polizei daran gehindert, die eine Auseinandersetzung abwenden wollte. Dabei wurde ein etwa 15-Jähriger von einem Polizeibeamten zu Fall gebracht und verletzt, so dass er daraufhin im Krankenhaus behandelt werden musste.

Trotz der verbotenen Demonstration in Bautzen fand laut Meldungen des MDR schließlich dennoch eine Neonaziaufmarsch in Sachsen statt. Eine unangemeldete Demonstration in Mittweida wurde von der Polizei aufgelöst. Es ist davon auszugehen, dass in Mittweida als Ausweichort für Bautzen aufmarschiert wurde.

In Bautzen stellte sich am 08. Dezember nicht nur eine ostsächsische Antifavernetzung gegen den angekündigten Neonaziaufmarsch. Es fand auch ein Bürgerfest unter dem Motto „Bautzen bleibt bunt“ statt, welches organisiert wurde von einem zivilgesellschaftlichem Bündnis aus Parteien, Verbänden und Gewerkschaften. Positiv daran ist, dass die geplante Neonazidemonstration von zivilgesellschaftlicher Seite, im Gegensatz zu Städten wie dem ostsächsischen Hoyerswerda, überhaupt thematisiert wurde.

Mit Blick auf die verteilten „I love Bautzen“-Buttons und -Flyern entstand jedoch sehr schnell der Eindruck, dass das Bürgerfest vorallem zur Imagepflege veranstaltet wurde. Auf einer Internetseite zu „Bautzen bleibt bunt“ konnte viel über Menschenwürde, Menschenrechte und Toleranz gelesen und über Videoredebeiträge wichtiger städtischer Persönlichkeiten auch gehört werden. Nur wurde damit das Thema Neonazis auf eine abstrakte Ebene verschoben, dass es Probleme mit Rechts auch in der eigenen Stadt gibt, fand keine Erwähnung. Auf völlig undifferenzierter Art und Weise wurde sich z.B. in einer Rede von Stadtrat Michael Harig gegen „jedes Extrem, ob von rechts oder links“ ausgesprochen - womit beispielsweise der geplante Neonaziaufmarsch mit der stattgefundenen Antifademonstration gleichgesetzt werden sollte. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig Demonstrationen wie am 08. Dezember auch in ostsächsischen Provinzstädten wie Bautzen sind, in denen die Einnahme eines Gegenstandpunkt zu Neonazis nicht allein Menschen wie den OrganisatorInnen von „Bautzen ist bunt“ überlassen werden sollte.
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Ergänzungen

Coole Sache

Ludmilla 10.12.2007 - 22:24
Das war im Großen und Ganzen eine recht gute linke Demo für ostsächsische Verhältnisse. Überraschend viele Leute waren da und die Demo war auch über weite Strecken recht kraftvoll und laut. Vor allem vor dem Hintergrund, dass es in Ostsachsen so gut wie keine linke Infrastruktur und kaum AktivistInnen gibt. Kurioserweise hat die Polizei die Zahl der teilnehmenden Leute gegenüber der Presse noch höher angegeben als die Demo-Veranstalter selbst. Also vielleicht waren es sogar etwas mehr als 300 Leute.
Krönender Abschluß war dann ein etwas satirisch angehauchter Redebeitrag gegen Ende der Demo über einen SEK-Bullen ohne Klopapier. Selten war ein Redebeitrag so zum lachen und hatte trotzdem den notwendigen Inhalt. Wäre klasse, wenn der veröffentlicht werden könnte (ich weiß nur leider nicht mehr wer den Redebeitrag gehalten hat).

jetzt der beitrag...

achim 11.12.2007 - 22:06
Redebeitrag vom verlorenen Redemanuskript, Bautzen, 8.12.2007

Hallo liebe Demo,

an dieser Stelle sollte eigentlich ein 30minütiger Redebeitrag über das Wesen des Faschismus und die Anforderungen an die antifaschistische Bewegung im 21. Jhd. folgen.

Allerdings ist mir das Redemanuskript abhanden gekommen. Und das kam so: Auf dem Weg zur Demo kam ich - nur wenige Hundert Meter von hier – an einigen schwarzen Mülltonnen vorbei. Dabei stutzte ich irgendwie und dann sah ich hinter den Tonnen einen schwarz uniformierten Mann hocken. Er hatte bereits die Hosen heruntergelassen und war gerade beim Scheißen. Dann bemerkte ich eine gewisse Verzweiflung in seine Augen und registrierte, dass er nichts zum Abwische hatte.

Sofort war ich in einen Zwiespalt gestürzt. Sollte ich ihm als Linker mit menschlichem Antlitz das einzig verfügbare Papier – also mein Redemanuskript – geben? Oder mit einem hämischen „Sieh zu wie Du klar kommst, Scheißbulle!“ weitergehen? Beide Seiten rangen in mir. Dann gab ich ihm die Blätter mit der Rede.

Ich dachte mir, was solls? Was Du aufgeschrieben hast, trägst Du ohnehin im Herzen. Und dann dachte ich noch: „Arme Sau, muss heute nach Bautzen kommen, um sich zwischen Linke und Rechte zu stellen.“ Viel besser ist es doch, freiwillig nach Bautzen zu kommen, um zu sagen und zu zeigen, was man auf dem Herzen und was man im Kopf hat. Und das haben wir ja mit den Nazis gemein: Für unser Anliegen auf die Straße zu gehen, ist für uns Herzenssache, und der Kopf steuert dann noch ein paar Argumente dazu. Dann hört es aber auch schon auf mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Nazis und uns.

Denn die Nazis streiten für einen Nationalen Sozialismus, was nicht zufällig nach Nationalsozialismus klingt. Und speziell heute wollten sie die Freilassung von Kameraden fordern, die Widerstand gegen das System geleistet haben, wie sie es nennen. Faktisch betrachtet haben diese Kameraden jedoch auf der Grundlage ihrer national-bornierten Weltsicht jüdische Friedhöfe geschändet, den Holocaust geleugnet und Menschen attackiert, wie sie eine dunkle Hautfarbe haben oder so aussehen und denken wie wir. Und deshalb sind sie hinter Gefängnismauern gelandet.

Aber mit Mauern dürften diese Leute eigentlich kein Problem haben. Schließlich errichten sie selbst unentwegt welche. Zuallererst errichten sie Mauern und Schranken in ihren Köpfen und panzern natürlich ihre Herzen. Als nächstes versuchen sie diese Mauern und Schranken auch in der Gesellschaft zu etablieren. Schranken der Abstammung, Schranken der Sprache, Schranken der sexuellen Orientierung, Schranken des Glaubens, Schranken, Schranken, Schranken... Und wie sie das eben nicht mehr nur in ihren kleinkarierten Hirnen abspielt, sondern ganz real umgesetzt wird, ist es so gefährlich. Weil diese Nazis sich anmaßen zu entscheiden, wer dazu gehört und wer nicht. Wer nicht dazu gehört, wird weggebissen und manchmal auch totgeschlagen.

Wo führt das hin? Ihr Nationaler Sozialismus wird ein großer Kasernenhof sein. Es wird fleißig marschiert und die Scheiterhaufen werden wieder brennen, um Bücher und Menschen zu verschlingen. Innerhalb dieser Mauern entsteht dann eine Dynamik, die dazu führt, dass angrenzende Gebiete von den Nationalen Sozialisten eingenommen und in Kasernenhöfe verwandelt werden.
Und wir? Wir werden uns angepasst haben oder auf der Flucht sein. Oder es wird uns nicht mehr geben und mit uns viele, viele andere Menschen auch nicht.

Deshalb streiten wir schon heute für eine Alternative zu allen NS-Varianten. Unser Vertrauen in die parlamentarische Demokratie ist dabei begrenzt. Die Gesellschaft für die wir streiten, wird nicht mehr unter der Maßgabe funktionieren, Mehrwert und Profit zu steigern zu Gunsten weniger und auf Kosten vieler sowie der Grundlage des Lebens auf diesem Planeten.

Das scheint in weiter Ferne und der Rechtsruck, den diese Gesellschaft vollzieht, ist alles andere als ermutigend. Und dabei habe ich den Eindruck, dass hier nicht die Nazis so sehr ins Gewicht fallen. Eher sind es Leute wie Wolfgang – Stasi 2.0 – Schäuble, die viel effektiver Bürgerrechte einschränken, Flüchtlinge drangsalieren und den Kapitalisten fette Profite ermöglichen.
Sich Nazis in den Weg zu stellen, ist richtig und wichtig. Es darf uns aber nicht den Blick auf die anderen wichtigen Themen verstellen.

Zurück zur Geschichte, wie ich mein Redemanuskript los wurde. Als ich mich auf den SEK-Bullen zu bewegte, war er verunsichert. Schließlich hatte er das Holster mit seiner Pistole lässig an die Mülltonne gehängt und nun war ich der Waffe näher als er. Dann gab ich ihm das Redemanuskript. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, da er zum Scheißen seine Sturmhaube nicht abgenommen hatte. Aber in seinen Augen war so eine Mischung aus Verwunderung und Dankbarkeit. Und dann konnte ich in diesen Augen noch etwas anderes entdecken. Es heißt ja Augen sind die Fenster zur Seele. Und in den Augen dieses Bullen war tatsächlich ein Stückchen Wärme und Ausblick auf die Gesellschaft, für die wir streiten. Dann schaute ich anstandsgemäß weg. Niemand lässt sich ja gern beim Scheißen zuschauen.

Auf dem Weg hierher zu Euch war ich fast ein wenig beflügelt von dem Gefühl, Teil einer Gesellschaft zu sein, in der Leute wie dieser SEK-Bulle eine Perspektive jenseits von Knarre und Schlagstock haben. Das war ein gutes, ein warmes Gefühl. Ich würde es gern mit Euch teilen.

Danke.

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autonome antifa 12.12.2007 - 07:43

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