»Ich würde der SPD an die Gurgel gehen«

Ralf Streck 03.12.2007 08:55 Themen: Weltweit
Zur Unterstützung des baskischen Friedensprozesses hatte sich im Europäischen Parlament ein Freundeskreis gebildet. Parlamentarier europäischer Parteien wollen sich auch weiter für eine Konfliktlösung einsetzen, nachdem Spanien den Prozess beendet hat. Der Kopräsident des Freundeskreises, Helmuth Markov (LINKE), besuchte das Baskenland und sprach auch mit dem verhafteten Chef der verbotenen baskischen Partei Batasuna, Arnaldo Otegi.
Was war das Ziel ihrer Reise ins Baskenland?

Es ging darum, sich einen direkten Eindruck von der Lage zu machen. Auch wenn der Friedensprozess offiziell zu Ende ist, muss doch die Suche nach einer friedlichen Konfliktlösung weiter gehen. Ich war sehr erstaunt und überrascht, es war mein erster Besuch hier und ich habe gemerkt, dass viele Sachen anders sind, als ich mir sie vorgestellt habe.

Was hat sie besonders überrascht?

Vor allem die Zuversicht der baskischen Linken. Trotz der Tatsache, dass nun fast die gesamte Führung der Partei Batasuna (Einheit) verhaftet worden ist, dass Parteien verboten werden und auch immer wieder von Folter an Verhafteten gesprochen wird, gibt es keine trüben Gesichter. Die Arbeit geht weiter und sehr interessant erschien mir auch die Debatte in dem Nationalen Debattenforum. Dort wird mit Gruppen aus dem ganzen Land, also auch aus dem französischen Baskenland und der Provinz Navarra darüber debattiert, wie man sich ein freies Baskenland vorstellen kann. Das auch hier das Selbstbestimmungsrecht ausgeübt werden soll, ob diese Teile sich dem Baskenland freiwillig anschließen, das finde ich ein sehr gutes Vorgehen.

Vieles hat sich seit dem Ende des Friedensprozesses verändert. Kurz nachdem die Untergrundorganisation ETA ihre Waffenruhe aufkündigte, wurde sofort der Batasuna-Chef Arnaldo Otegi verhaftet, den Sie im Gefängnis besucht haben. Welchen Eindruck haben Sie dort gewonnen?

Das war einer der Gründe für den Zeitpunkt, schließlich müssen für solch einen Besuch administrative Hürden genommen werden. Ich war sehr erstaunt über Herrn Otegi. Obwohl er nun seit Juni im Gefängnis sitzt, ist er fröhlich und zuversichtlich. Er vertraut darauf, dass der Prozess weiter geht. Ob es nun er ist und die alte Führung, die das machen, oder junge Leute die jetzt nachrücken, ist nicht so wichtig. Die Führung mit Otegi nahm vor zehn Jahren die Posten ein, als die vorhergehende Parteiführung komplett, illegitim, wie sich später zeigte, inhaftiert wurde. Otegi meint, die Verhaftungen seien vor den Wahlen im Frühjahr für die sozialistische Regierung opportun, sie sonst Verluste zu befürchten hätte. Danach könne es wieder opportun sein, die Batasuna-Führung frei zu lassen.

Für Sie markieren die Verhaftungen also kein definitives Ende des Dialogs?

Er sagt, dass an einer politischen Lösung auf Basis der freien Entscheidung der Basken kein Weg vorbeiführt, weshalb die Gespräche wieder aufgenommen würden. Die Batasuna-Führung war darauf vorbereitet und deshalb wohl nicht überrascht. Für die Leute ist das offenbar "normal", für ihre Überzeugung eingesperrt zu werden. Ich konnte bei ihm nicht einmal Wut feststellen. Er meint, sie müssten den Sozialisten sogar helfen, die Wahlen zu gewinnen. Ich würde der SPD an die Gurgel gehen, wenn sie mich so behandeln würde. Für uns ist das völlig unannehmbar, Leute einzusperren, mit denen kürzlich noch verhandelt wurde. Um den Prozess wieder in Gang zu bringen, muss die Batasuna-Führung schnellstens freigelassen werden.

Bei einem Wahlsieg der konservativen Volkspartei (PP), die ja mit allen Mitteln gegen den Friedensprozess eingetreten ist, wäre ein Dialog für Jahre begraben?

Ja, wir haben das auch im Parlament gesehen, wo die PP ihre gesamte Fraktion in eine Geiselhaft nimmt. Das sei ein innerspanisches Problem, weshalb man sich nicht einmischen dürfe. Allerdings zeigen sich dort auch Risse. Ein ehrlicher Konservativer kann nicht das Selbstbestimmungsrecht für Tibet fordern und zum Baskenland schweigen.

Plant der Freundeskreis Initiativen um den Prozess wieder zu beleben?

Wir stellen diese Wochen eine eigene Webseite ins Internet, auf der wir unsere Positionen zur Diskussion stellen. Die soll mit diversen Gruppen verknüpft werden. Es soll ein Austausch organisiert werden, denn wir können den Leuten ja keine Lösung diktieren. Nach meinem Besuch werden wir uns austauschen und überlegen, wie wir weiter tätig werden, denn es muss eine politische Lösung für den Konflikt gefunden werden. Das war auch in dem Gespräch mit Otegi interessant, der auch klar machte, dass mit Gewalt nichts zu erreichen ist. Dies bezieht sich auch auf die Anschläge der ETA.

© Ralf Streck, Donostia den 28.11.2007
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Ergänzungen

Ergänzung

tierr@ 03.12.2007 - 21:20
Es gibt noch ein Interview (geführt von Raul Zelik 2006)
das das Bild der Position von Batasuna abrundet:
"Es geht nicht um Unabhängigkeit, es geht um demokratische Rechte“
Interview mit Urko Aiarza, Vertreter der verbotenen baskischen Partei Batasuna:
 http://www.raulzelik.net/textarchiv/basken/demokratie.htm

Im Übrigen sind laut GARA noch weitere Personen verhaftet worden...