Aktionstag NS-Kriegsverbrecher - Grafenwiesen

AK Kein Friede mit NS-Kriegsverbrechern 02.12.2007 18:30 Themen: Antifa
Im Rahmen des überregionalen Aktionstags „Opfer entschädigen – NS-Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen“ fanden in Grafenwiesen nahe Cham (Oberpfalz/Bayern) am 01.12.2007 eine Flugblattaktion sowie eine Kundgebung statt.
Im Rahmen des überregionalen Aktionstags „Opfer entschädigen – NS-Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen“ fanden in Grafenwiesen nahe Cham (Oberpfalz/Bayern) am 01.12.2007 eine Flugblattaktion sowie eine Kundgebung statt.

Ziel des Aktionstages war es den noch lebenden NS-Kriegsverbrechern die Anonymität zu nehmen, und auf die Problematik des rechtlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit NS-Kriegsverbrechern in Deutschland sowie der Nichtentschädigungspraxis gegenüber den Opfern zu thematisieren.


In dem beschaulich im bayrischen Wald gelegenen 1600-EinwohnerInnen-Dörfchen Grafenwiesen wohnt der in Italien rechtskräftig verurteilte NS-Kriegsverbrecher Josef Baumann.

Der 82jährige Baumann war als Angehöriger der 16. SS-Division, welcher er 1942 freiwillig beitrat an einem Massaker an weit über 700 Zivilistinnen und Zivilisten in der italienischen Bergregion Marzabotto beteiligt.

In der nahe der Stadt Bologna gelegenen Gemeinde wurden in der Zeit zwischen dem 29.09.1944 und 05.10.1944 vor allem alte Männer, Frauen und Kinder durch die Deutschen getötet. Die Häuser der Bewohnerinnen und Bewohner wurden niedergebrannt, die Menschen zusammengetrieben und schließlich durch Angehörige der 16. SS-Division sowie hinzugezogene Wehrmachtsangehörige erschossen.

An diesen Kriegsverbrechen war Josef Baumann als kommandierender Unteroffizier beteiligt. Er sowie neun weitere SS-Angehörige wurden im Januar 2007 vom Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haftstrafe sowie beträchtlichen Entschädigungszahlungen verurteilt.

Die Urteile gegen deutsche Kriegsverbrecher im Ausland bleiben, wie auch in diesem Fall für die Täter in der Regel folgenlos, da Deutschland eigene Staatsangehörige nicht an andere Staaten ausliefert. Von der deutschen Justiz hatten und haben die Täter selten etwas zu befürchten. So leben sie als „ganz normale Männer“ im ganzen Bundesgebiet ohne sich für ihre Taten verantworten zu müssen. Sie bleiben völlig unbehelligt, beziehen Renten und leben ein alltägliches Leben.

Ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen haben sie stets verschwiegen. Wurde in Einzelfällen die Tatbeteiligung bekannt, so wuchs im post-nationalsozialistischen Deutschland schnell Gras über die Sache.

Diese Ruhe wollten ca. 20 AntifaschistInnen vergangenen Samstag aufbrechen. Sie verteilten an annähernd alle Haushalte im Grafenwiesen über 500 Flugblätter und führten eine Spontankundgebung vor dem Hause Josef Baumanns durch. Weiter hinterließen sie einen Reisekatalog sowie einen symbolischen „Gutschein“ für eine Reise nach Italien…

Auch in vielen anderen Städten in Deutschland und Österreich fanden Aktionen gegen noch lebende NS-Kriegsverbrecher statt.


Weitere Infos unter www.keine-ruhe.org.

AK Kein Friede mit NS-Kriegsverbrechern
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Ergänzungen

regionale Presse

... 07.12.2007 - 09:36
 http://www.idowa.de/laber-zeitung/nachricht/nachricht/nac/2307518/red/3.html


Aufruhr in Grafenwiesen: Mitbürger soll an SS-Massaker in Italien mitgewirkt haben


Eine Flugblattaktion des "Arbeitskreises gegen das Vergessen" hat Grafenwiesen in Aufruhr versetzt. Demnach soll ein angesehener 82-jähriger Mitbürger vor 63 Jahren an einem Massaker der 16. SS-Division der Wehrmacht in der italienischen Bergregion Marzabotto beteiligt gewesen sein, bei dem mehr als 700 Zivilisten ums Leben gekommen sind.
Anlass für die Flugblattaktion war der überregionale Aktionstag der Organisation unter dem Motto "Opfer entschädigen - NS-Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen!"

Bei seinem Vorgehen gegen den Rentner in Grafenwiesen stützt sich der "Arbeitskreis gegen das Vergessen" nach Auskunft seines Pressesprechers Ralf Klein auf das rechtskräftige Urteil eines Militärgerichts in La Spezia. Dort seien im Januar 2007 zehn SS-Angehörige im Fall Marzabotto in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen und Entschädigungszahlungen verurteilt worden. Unter ihnen der heute 82-jährige Mann aus Grafenwiesen. Als Kommandierender Unteroffizier habe er an dem Massaker mitgewirkt und sei deshalb des Mordes für schuldig befunden worden.

63 Jahre vergangen

Die Bergregion Marzabotto liegt nahe der Stadt Bologna. Nach den Ermittlungen der italienischen Justiz hat die SS in dieser Gegend zwischen 29. September und 5. Oktober 1944 eines der schlimmsten Kriegsverbrechen verübt. Häuser wurden niedergebrannt, die Bewohner zusammengetrieben und durch Angehörige der 16. SS-Division und hinzugezogene Wehrmachtssoldaten erschossen. Mehr als 700 Zivilisten - überwiegend alte Männer, Frauen und Kinder - kamen dabei ums Leben.

"Für diese Taten mussten sich die Mörder nie vor einem deutschen Gericht verantworten", heißt es in dem Flugblatt des "Arbeitskreises gegen das Vergessen". Angaben der Organisation zufolge wurden von dem Papier am Wochenende 500 Stück in Grafenwiesen verteilt. Die Empfänger werden aufgefordert, den namentlich genannten 82-jährigen Rentner anzusprechen und ihn zu einer Auseinandersetzung mit seinen Verbrechen zu bewegen. Zur Begründung führen die Initiatoren an: "Nicht jene, die Kriegsverbrechen und Massenmord ansprechen, sind störend für das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft, sondern jene, die auch nach über 60 Jahren noch immer leugnen, verdrängen, nicht wahrhaben wollen."

Urteil ohne Rechtsfolgen

Wie Arbeitskreis-Sprecher Ralf Klein, ein in Dortmund ansässiger Historiker, mitteilte, seien gegen den Mann aus Grafenwiesen bereits vor 40 Jahren Ermittlungen geführt worden. Das in Ludwigsburg bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen anhängige Verfahren sei aber 1967 eingestellt worden. Im Zuge der Aufarbeitung von Verbrechen aus der NS-Zeit sei jetzt die italienische Justiz auf das Massaker von Marzabotto aufmerksam geworden. Das im Januar 2007 gefällte Urteil des Militärgerichts in La Spezia gegen zehn heute noch lebende SS-Angehörige in Deutschland und Österreich hat laut Klein inzwischen Rechtskraft erlangt, kann aber aller Voraussicht nach nicht vollzogen werden.

Wie der Historiker zur Rechtslage erläutert, schützt das deutsche Grundgesetz den Verurteilten vor einer Auslieferung an die italienische Justiz. Nach dem seit 2006 gültigen europäischen Haftbefehl könnte Italien eine Auslieferung verlangen, aber der Betreffende müsste seine Zustimmung geben. Bliebe noch eine andere Möglichkeit: Die italienische Justiz beantragt bei der deutschen Justiz, dass der 82-Jährige die lebenslange Haft in Deutschland verbüßt. Der Knackpunkt dabei: Das Urteil in Italien ist in Abwesenheit des Angeklagten gefällt worden - und deshalb wird laut Ralf Klein "wohl nichts passieren".

München I ermittelt

Strafrechtlich ist das Urteil von La Spezia für den Mann aus Grafenwiesen vermutlich auch wegen unterschiedlicher Rechtsauffassungen ohne Belang. Denn im Gegensatz zur Rechtsprechung in Italien, wo allein schon die Teilnahme an einem Massaker für eine Verurteilung ausreicht, verlangt die deutsche Justiz den Nachweis individueller Schuld.
Das Urteil des Militärgerichts in La Spezia zieht jetzt allerdings Aktivitäten der deutschen Justiz nach sich. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I in Sachen Marzabotto befinden sich noch im Anfangsstadium. "Wir versuchen derzeit aufzuklären, welche Einheiten für das Massaker verantwortlich sind und welche Personen noch belangt werden können", so der zuständige Staatsanwalt Dr. Hans-Joachim Lutz. Er geht davon aus, dass das Verfahren im Lauf des Jahres 2008, möglicherweise auch erst 2009 abgeschlossen wird. Ob es dann zu einer Anklage kommt, bleibt offen.

Klage auf Schadensersatz?

Auch wenn die in Italien schuldig gesprochenen Mörder von Marzabotto strafrechtlich nicht belangt werden sollten, könnten sie nach Auskunft von Ralf Klein vom "Arbeitskreis gegen das Vergessen" privatrechtlich belangt werden. Für den Fall, dass die Hinterbliebenen auf Schadenersatz klagen, drohten ihnen Forderungen in Millionenhöhe.

Franz Amberger