Marcus Winter muss nicht in den Knast

Schaumburger AntifaschistInnen 24.11.2007 12:10 Themen: Antifa
Wie die lokale Presse heute berichtet, muss der Anführer der Schaumburger Neonaziszene, Marcus Winter aus Lindhorst bei Stadthagen, vorerst nicht ins Gefängnis. Das Oberlandesgericht Celle gab seinem Revisionsantrag statt. Die letzte Instanz des Verfahrens entscheid jedoch nicht über den Anklagepunkt "Volksverhetzung" selbst, sondern nur, ob in den vorherigen Verhandlungen Verfahrensfehler begangen wurden. Das war offensichtlich der Fall.
Dass die deutsche Justiz nicht besonders bestrebt ist, Neonazis ins Gefängnis zu bringen, ist nichts neues. Der Fall von Marcus Winter siehe Vorschaubild schien jedoch so eindeutig, dass niemand ernsthaft an ein Scheitern des Verfahrens glaubte. Diese Rechnung wurde allerdings ohne den Vorsitzenden Richter des Landgericht Bückeburg Friedrich von Oertzen gemacht, der sich zu einem folgenschweren Verfahrensfehler hinreißen lies: Er verlas in der Berufungsverhandlung die Zusammenfassung des bisherigen Verfahrens in Abwesenheit von Winters Anwalt Stefan Böhmer. Diese Panne musste das OLG Celle in seiner Entscheidung über Winters Revisionsantrag als so genannten "absoluten Revisionsgrund" anerkennen und das Urteil des Landgericht Bückeburg aufheben.
Nachdem Winter schon am 13.09.2007 in einem Verfahren wegen Körperverletzung ohne Strafe davon kam (siehe  http://de.indymedia.org/2007/09/194239.shtml), stellte ihm die Justiz nun den zweiten Freibrief in diesem Jahr aus.

Vorgeschichte
Am 28. Januar 2006 stellte Winter einen antisemitischen Hetzartikel mit dem Titel "Holocaustüberlebende fordern NPD-Verbot - Wann endlich verbietet man Holocaustüberlebende?" auf die damalige Internetseite seiner Nazigruppe "Nationale Offensive Schaumburg" (NOS). Es kam zu einer Hausdurchsuchung in der "Nazi-WG" in Lindhorst und einer Verhandlung vor dem Schöffengericht in Stadthagen wegen Volksverhetzung, in der Winter zu 9 Monaten Haft verurteilt wurde. Beide Seiten gingen in Berufung. Nach zwei Verhandlungstagen, dem 10. Juli 2007 (siehe  http://de.indymedia.org/2007/07/187732.shtml) und dem 16. Juli 2007 (siehe  http://de.indymedia.org/2007/07/188097.shtml), bestätige das Landgericht Bückeburg das erstinstanzliche Urteil gegen Winter. Zunächst versuchte Winter, das junge NOS-Mitglied Jan Neumann aus Obernkirchen als Verantwortlichen für die Internetseite vorzuschieben. Obwohl Neumann brav alles gestand, erkannte das Landgericht seine Aussage nicht an, da er nur als "Bauernopfer" für den Anführer Winter herhalten sollte.

Zur Person
Marcus Winter (*22.07.1979), siehe Vorschaubild dieses Artikels, wohnt offiziell in der "Nazi-WG" in Lindhorst. Er ist mehrfach vorbestraft, u.a. weil er 2002 mit anderen Nazis zusammen einen jungen Antifaschisten entführte und misshandelte. Dafür saß er bis Anfang 2005 in Haft. Er gilt bereits seit den Zeiten der alten "Kameradschaft Weserbergland" als Anführer der regionalen Naziszene mit besten Kontakten zu anderen Nazigruppen in Niedersachsen und Ostwestfalen-Lippe. Bei der Bundestagswahl 2005 kandidierte er für die NPD. Seit 2006 steht er an der Spitze der NOS, die nach zahlreichen Verfahren gegen einige ihrer Mitglieder nun mit ostwestfälischen Nazis zusammen als "Nationale Sozialisten in OWL/SHG" auftritt.

Winters Anwalt
Verteidigt wurde Winter von Stefan Böhmer aus Uttenreuth bei Erlangen (Bayern). Böhmer ist selbst schon wegen Volksverhetzung verurteilt. Er verteidigte 2005 den Antisemiten und Holocaustleugner Gerhard Ittner und hielt dabei ein Plädoyer, in dem er ebenfalls den Holocaust in Frage stellte. Im Winter-Prozess bezeichnete er unter anderem den §130 StGB (Volksverhetzung) als "Gesinnungsparagraphen". (redok-Artikel zu Stefan Böhmer:  http://www.redok.de/content/view/9/36/)

Fazit
Wieder einmal hat die Justiz eine Möglichkeit versäumt, der regionalen Nazi-Szene einen bedeutenden Anführer zu entziehen. Es ist absolut unverständlich, dass der vorsitzende Richter eines Landgerichts mit jahrzehntelanger Berufserfahrung einen so schwerwiegenden Verfahrensfehler begeht. Das Verfahren gegen Winter muss jetzt noch einmal ganz neu aufgerollt werden, was Monate oder Jahre dauern wird. Es ist einmal mehr deutlich geworden, dass man in die deutsche Justiz keine Hoffnungen setzen darf, wenn es um den Kampf gegen Neonazis geht. Es hilft nur eines: Selbst antifaschistisch aktiv werden!
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Ergänzungen

Schaumburger Zeitung

Schaumburger AntifaschistInnen 24.11.2007 - 12:30
Hier der komplette Artikel aus der Schaumburger Zeitung vom 24.11.2007:


Neonazi-Anführer triumphiert vor Gericht

Justiz-Panne: Wegen eines Formfehlers hebt Oberlandesgericht Urteil gegen Marcus W. auf

Landkreis (wer). Die "Nationale Offensive Schaumburg" war auf dem besten Weg der Selbstauflösung. Zwei Landgerichte hatten deren Führungsköpfe zu längeren Haftstrafen verurteilt. In einem Fall erweist sich diese Darstellung jetzt als vorschnell: Das Oberlandesgericht Celle kassiert das Bückeburger Urteil gegen Marcus W. Der Anführer der Schaumburger Neonazi-Szene setzt sich mit seinem Revisionsantrag durch. Wegen eines Formfehlers muss das Verfahren vor dem Landgericht komplett neu aufgerollt werden.
Im Juli hatte die Berufungskammer des Landgerichts unter Vorsitz von Friedrich von Oertzen den 27-jährigen Rechtsradikalen zu neun Monaten Haft verurteilt. Die Kammer zweifelte nicht daran, dass Marcus W. einen Hetz-Artikel eines anderen Autors gegen Holocaust-Überlebende auf der Homepage der Nationalen Offensive veröffentlicht hatte. Der Schuldspruch, mit dem das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen bestätigt wurde, lautete auf Volksverhetzung.
Um die Sache jedoch ging es in dem von W. angestrengten Revisionsverfahren nur sehr bedingt, wohl aber um die Form. Hier ist der Kammer ein gravierender Fehler unterlaufen: Die Hauptverhandlung hatte mit nicht unbedeutenden Themen in Abwesenheit des Verteidigers von Marcus W. begonnen. Der Rechtsanwalt verspätete sich - eigentlich hätte der Richter mit der Zusammenfassung der bisherigen Verfahrensergebnisse auf ihn warten müssen.
Für Kenner dieses Sachverhalts kam die Entscheidung aus Celle nicht unbedingt überraschend. Das Fehlen des Verteidigers bei wichtigen Verhandlungspunkten gilt als "absoluter" Revisionsgrund. Über die anderen Rügen des Verteidigers von W. musste das Oberlandesgericht gar nicht mehr entscheiden - dieser eine Punkt reichte aus, um das Urteil zu kippen. In der Sache indes hat das Revisionsgericht durchblicken lassen, dass eine Verurteilung wegen Volksverhetzung durchaus in Frage kommt.
Am Mittwoch ging der Beschluss aus Celle beim Landgericht ein. Hier muss das Verfahren jetzt vor einer anderen kleinen Strafkammer neu beginnen. Einen Termin dafür gibt es noch nicht.
Rechtskräftig ist hingegen das Urteil des Landgerichts Verden gegen Arwid S., der ebenfalls zu den Aktivposten der rechten Szene gehörte. Der 23-Jährige verbüßt eine 25-monatige Haftstrafe.
© Schaumburger Zeitung, 24.11.2007

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Anmerkung: Bei Arwid S. handelt es sich um Arwid Strelow.

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Der Winter — OWL-Antifaschist

Wie ärgerlich — wa?

Wie alt ist das Bild? — *AntifaschistInnen Shg*

winter und vs — jaja

@jaja — bernd

@Bild — ...

@... — bernd

@ bernd — ...

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