Genitale Zwangsoperationen an Intersexuellen

Nella 17.11.2007 15:19 Themen: Gender Kultur Soziale Kämpfe
Jedes 2000. Kind ist intersexuell, d.h. es weist Merkmale beider Geschlechter auf. Diese Kinder werden in der Regel vor dem 2. Lebensjahr ohne ihre Einwilligung an ihren uneindeutigen Genitalien zwangsoperiert und danach systematisch angelogen. Die meisten tragen massive psychische und physische Schäden davon, unter denen sie ein Leben lang leiden.

Am 12. Dezember 2007 wird in Köln zum ersten Mal ein Arzt wegen Körperverletzung vor Gericht gestellt, angeklagt von einem intersexuellen Menschen, der ohne sein Einverständnis operiert wurde und bis heute an der geschlechtlichen Zwangszuweisung leidet.
Intersexuelle leiden ihr Leben lang unter genitalen Zwangsoperationen

Nach dem Motto “It’s easier to make a hole than to build a pole” (es ist einfacher, ein Loch zu graben, als einen Mast zu bauen) werden die meisten Intersexuellen im frühen Kindesalter ‚zu Mädchen gemacht’. Dabei wird eine zu grosse Klitoris resp. ein zu kleiner Penis operativ verkleinert oder gar amputiert. Die Mediziner nehmen dabei in Kauf, dass das sexuelle Empfinden vermindert oder gänzlich zerstört wird. Zudem werden intersexuelle Kinder regelmässig kastriert, d.h. es werden ihnen die gesunden, Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane entfernt, was eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen zur Folge hat, die zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führen kann. (1) Diese Operationen verfolgen keinen medizinischen Zweck, sondern dienen ausschliesslich dazu, den Kindern möglichst rasch und unwiderruflich eine eindeutige Geschlechtsidentität aufzuzwingen. Trotzdem weigern sich die Ärzte, diese Eingriffe aufzuschieben, bis die Kinder alt genug sind zum Mitentscheiden. Eine neue Studie aus Hamburg beweist einmal mehr, welches Leid diese Zwangsoperationen auslösen.


Studie redet Klartext – Mediziner hören weg

Erstmals wurde durch die Forschergruppe Intersexualität (2) des Zentrums für Psychosoziale Medizin, Institut für Sexualwissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf eine Studie zur Situation Intersexueller durchgeführt. Diese Forschungsgruppe ist Mitglied in einem bundesfinanzierten „Netzwerk Intersexualität“, in welchem Intersexuelle (alibimässig) vertreten sind, weil dies eine Bedingung bei der Vergabe der Fördermittel war. Intersexuelle dürfen somit auch an Tagungen des Netzwerks teilnehmen – so lange sie brav den Mund halten. Sonst verlassen kritisierte Mediziner schon mal laut polternd den Saal. (3)

Obwohl die Ergebnisse der Hamburger Studie beweisen, dass die Medizin bei ihrem Versuch scheitert, mit dem Skalpell geschlechtliche Eindeutigkeit herzustellen, um auf diese Weise ein gesellschaftliches Problem zu lösen, findet kein wirkliches Umdenken statt. Seit sich Betroffene in Selbsthilfegruppen organisieren und diese menschenrechtswidrigen Praktiken anprangern, geraten die Mediziner jedoch zunehmend in Legitimationszwang. Die Debatte in medizinischen Fachzeitschriften und Tagungen ist Ausdruck davon. (4) EthikexpertInnen kritisieren vermehrt die Unhaltbarkeit der immer noch gängigen Praxis, währenddessen sich Mediziner in immer absurderen Rechtfertigungsversuchen verlieren und sogar bezweifeln, dass Betroffene für jene sprechen können, die heute intersexuell geboren werden, wie zum Beispiel Prof. Hiort in einem Artikel in der taz über die erwähnte Hamburger Studie. (5)


Intersexuelle setzen sich zur Wehr

Die Tabuisierung von Intersexualität hat das Leben von Betroffenen nachhaltig negativ beeinflusst und sie in die Isolation getrieben. Intersexuelle lassen sich jedoch nicht mehr den Mund verbieten und werden sich auch in Zukunft schützend vor intersexuelle Kinder stellen. Die Gesellschaft soll aufgeklärt werden, damit ein unverkrampfter Umgang mit Intersexualität entstehen kann. Intersexuelle Menschen fordern, dass geschlechtszuweisende Operationen nur im Einverständnis der intersexuellen Person durchgeführt werden dürfen und fordern damit nichts anderes als das Recht eines jeden Menschen auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde. (6)


Demo 12.12.07 09:30 vor dem Landgericht Köln

Es geht um Menschenrechte, für die wir uns am 12. Dezember 2007 in Köln einsetzen werden, zusammen mit Christiane, die ihren Arzt wegen Körperverletzung anklagt. Sie wurde ihrer gesunden inneren weiblichen Fortpflanzungsorgane beraubt und leidet bis heute an der ihr aufgezwungenen männlichen Rolle, wurde wie viele intersexuelle Menschen angelogen, gedemütigt und in ihrer Würde verletzt.

Wir besammeln uns am 12.12. um 09:30 Uhr vor dem Landgericht (7) an der Luxemburger Strasse 101 in 50939 Köln. Kommt alle und setzt ein Zeichen im Namen der Menschlichkeit, unterstützt uns in unserem Kampf gegen genitale Zwangsoperationen!

Nella

Infos: presse_at_zwischengeschlecht_dot_info


(1)  http://hometown.aol.de/Querkreuzer/000inhaltsverzeichnis.htm (Betroffene helfen sich selbst)
(2)  http://www.netzwerk-is.uk-sh.de/is/index.php?id=170
(3)  http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/09/18/Offener-Brief-von-Claudia-Kreuzer-an-das-Netzwerk-Intersexualit%C3%A4t
 http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/09/18/Offener-Brief-von-Lucie-an-das-Netzwerk-Intersexualitat
(4)  http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/10/18/Medicine-goes-gender
 http://www.saez.ch/html_d/2006/2006-47.Html (Artikel von Redaktion Ethik, K. Zehnder und N. Biller-Andorno)
(5)  http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/im-transit/?src=SE&cHash=f8782c8d76
 http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/11/08/Studie-zur-Situation-Intersexueller-beweist%3A-Mediziner-scheitern
(6)  http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/10/28/Forderungen-zwischengeschlechtlicher-intersexueller-Menschen
(7)  http://www.lg-koeln.nrw.de

Links:
 http://zwischengeschlecht.info
 http://intersexuelle-menschen.net
 http://xy-frauen.de
 http://intersex.ch
 http://intersex.at

Vgl. auch:
 http://de.indymedia.org/2004/03/77644.shtml
 http://de.indymedia.org/2004/05/83433.shtml
 http://de.indymedia.org/2005/04/112325.shtml
 http://de.indymedia.org/2005/04/112728.shtml
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Ergänzungen

Bericht über Intersexualität in DER SPIEGEL

Nella 19.11.2007 - 02:19
In der heutige Ausgabe des SPIEGEL 47/2007 erscheint ein Bericht über Intersexualität, in dem auch über Christiane und den Prozess in Köln berichtet wird.

Money

Gender 23.11.2007 - 09:39
Einer der tätigsten WissenschaftlerInnen wenn es darum ging, Menschen genital zu verstümmeln, war John Money. Um seine Theorie, die sexuelle Identität eines Menschen ließe sich beliebig oktroyieren, experimentell zu überprüfen, wurden viele Menschen zwangoperiert. Er vertrat diese Theorie zeitlebens - trotz psychischer Krankheiten und sogar Selbsttötungen seiner Opfer.

Im Jahr 2002 wird John Money mit der Magnus-Hirschfeld-Medaille ausgezeichnet. Und auch von vielen GenderaktivistInnen wird er noch heute gerne zitiert, z.B. von Alice Schwarzer. Über die Toten, psychisch Kranken und Verstümmelten wird indes geschwiegen.

Neue Links zu Christiane und Prozess

Nella 23.11.2007 - 23:25
Christianes Geschichte in ihren eigenen Worten könnt ihr hier lesen:
 http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/11/17/Christianes-Geschichte

Der erwähnte Artikel im Spiegel ist nun auch online einsehbar:
 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,517983,00.html

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke den folgenden Kommentar

'Critical Whiteness' tut hier NOT........

riotqueer 17.11.2007 - 16:21
Identitätskonstruktionen auf Mikroebene

Erstens ist die Mehrzahl der bislang vorliegenden Studien auf einer Mikroebene angesiedelt, wo es um die Erfahrungen von Subjekten und damit verbundene Identitätskonstruktionen geht. Eine gesellschaftstheoretische Einbettung von mehreren „Achsen der Ungleichheit“ bzw. „Achsen der Differenz“ steht noch aus; die Verlagerung der Kategorien von der Struktur- auf die Subjektebene wird aber als zentrales Defizit identifiziert: „Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individuellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind.“

Ent-Naturalisierung von Differenzkategorien

Zweitens hat die Thematisierung und Verbindung der Kategorien Klasse, Rasse und Geschlecht mit gänzlich unterschiedlich gelagerten Problemen zu kämpfen. Zwar wird das Konzept der Klasse kaum mit dem Verdacht der Naturalisierung belegt, dafür haftet dieser Kategorie allerdings der Makel des ewig Gestrigen an. Die Kategorien Rasse und Geschlecht dagegen mussten von dem Anschein der Natürlichkeit erst befreit werden und konnten dadurch überhaupt zu gesellschaftlichen Strukturgebern werden. Damit wiederum waren hohe Kosten verbunden. Denn als Folge poststrukturalistischer Dekonstruktionen verlieren die Kategorien Rasse und Geschlecht an Beschreibungsschärfe und damit auch an Plausibilität

Fehlende Theorie der Unterscheidung

Was schließlich fehlt, ist eine Theorie der Unterscheidung: Es ist völlig offen, in welchen zu untersuchenden Kontexten welche Differenzkategorien relevant werden und welche Unterscheidungsdimensionen untersucht werden sollen. Was ist etwa mit den Dimensionen Generationenzugehörigkeit, Sexualität, Religion, Nationalität, Behinderung? Wann sind dieses Kategorien in welcher Form bedeutsam? Ebenso ist offen, wie eine Vielzahl von Faktoren überhaupt adäquat berücksichtigt werden kann. Das Konzept der Intersektionalität liefert auch keine theoretische Begründung, warum gerade die Faktoren Rasse, Klasse und Geschlecht die zentralen Linien der Differenz markieren. Das gilt umso mehr, weil der US-amerikanische Zusammenhang, aus dem dieses Konzept stammt, aufgrund seiner historischen Besonderheit keineswegs auf westeuropäische und/oder deutsche Gesellschaftsformen umstandslose zu übertragen ist (vgl. Dietze 2001). Offen ist allerdings nicht nur, welche Kategorien der Differenz unter welchen Bedingungen mehr oder weniger bedeutsam sind, offen ist darüber hinaus auch, auf welcher Ebene die Wechselwirkungen ansetzen: Sind gesellschaftliche Strukturen gemeint (wie es die feministische Forderung nach einem social re-turn nahelegt), interaktive Identitätskonstruktionen (aus dem konstruktivistischen Forschungsumfeld zu doing gender und doing difference) oder symbolische Repräsentationen, die diskurstheoretische Ansätze aus dem poststrukturalistischen Umfeld fokussieren? Ohne eine Benennung und Präzisierung der jeweiligen Ebene jedoch bleibt das Konzept der Intersektionalität formal, abstrakt und damit unbrauchbar für die Analyse empirischer gesellschaftlicher Zusammenhänge. Für die sich gerade erst etablierende Forschung zu Intersektionalität bleibt somit einiges zu tun.


Die meisten Intersexen im deutschen Spreachraum sind ganz schön wahnsinning.......