Prag: Tausende gegen Naziaufmarsch

billy_the_kid 14.11.2007 12:13 Themen: Antifa Weltweit
Am 10. November 2007 wollten Neonazis in der tschechischen Hauptstadt Prag am Jahrestag der Novemberpogrome durch das dortige jüdische Viertel marschieren. Obwohl der Aufmarsch gerichtlich verboten worden war und die Polizei angekündigt hatte das Verbot durchzusetzen, versuchten etwa 400 von ihnen zu marschieren. Mehrere tausend Menschen protestierten gegen diesen Versuch, ein Teil von ihnen lieferte sich heftige Auseinandersetzungen mit den angereisten Neonazis.
Im Vorfeld....

Die wichtigste tschechische Naziorganisation, der „Narodni Odpor“ (Nationaler Widerstand) (Link) mobilisierte für den 10. November zu einem Aufmarsch durch das jüdische Viertel von Prag. Offiziell nutzten sie dafür den Namen Mladí Národní Demokraté (Junge Nationaldemokraten), wohl um ihre Herkunft aus dem verbotenen Blood and Honour Netzwerk zu verschleiern (Link).

Am 10. November gedenkt die jüdische Gemeinde in Prag alljährlich der Pogrome vom 9. November 1938. Angeblich richtete sich der Aufmarsch gegen den Einsatz tschechischer Soldaten im Irak. Tatsächlich zielte dieser Aufmarsch auf eine Beleidigung der Opfer des Naziterrors und wäre eine ungeheure Provokation gewesen.

Die Stadtverwaltung von Prag versuchte den Aufmarsch verhindern zu lasssen. Dies gelang ihr jedoch erst im dritten Anlauf. Die ersten beiden Verbote hatten vor den Gerichten keinen Bestand. Ein aus vielen deutschen Städten bekanntes Prozedere. Allerdings mit anderem Ausgang. In Prag wurde die Klage der Nazis gegen das Verbot abgewiesen während in der BRD derzeit das Gegenteil die Regel ist.

Sowohl bürgerliche als auch autonome Antifaschisten riefen zu Gegenprotesten auf. Die jüdische liberale Union forderte ausdrücklich junge Leute, Sportler und Soldaten zur Teilnahme auf. Nicht zuletzt deshalb wurden in der Frankfurter Rundschau gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Gegendemonstranten befürchtet (Link).

Die jüdische Gemeinde forderte gar die Aufstellung einer Bürgerwehr gegen Nazis. Ihre Kundgebung vor der alten Synagoge lag an der Strecke des Aufmarschs und hatte ausdrücklich den Zweck den Aufmarsch behindern zu können.

Tschechische Antifaschisten richteten eine Mobiliserungsseite ein, auf der in zwölf Sprachen zur Verhinderung des Aufmarschs aufgerufen wurde. Auch antifaschistische Gruppen aus der BRD mobiliserten (Link) nach Prag.

Unterdessen kündigte der „Narodni Odpor“ an, trotz des Verbotes aufmarschieren zu wollen...

Am Tag selbst....

Diesem Aufruf folgten am vergangenen Samstag auch etwa 400 „Kameraden“, unter anderem zwei Reisebusse aus der BRD. Dies ist einmal Link ein Ausdruck der fuktionierenden Zusammenarbeit von tschechischen und deutschen Nazis von der auch die FR zu berichten weiß (Link).

Etwa 1500 Polizisten waren im Einsatz um das grichtliche Verbot des Aufmarschs durchzusetzen. Sie hatte das jüdische Viertel seit dem Morgen abgesperrt und nahm zahlreiche Nazis fest die versuchten zur Auftaktkundgebung zu gelangen (Link). Bei ihnen wurde eine Vielzahl von Waffen gefunden, unter anderem Äxte, Hämmer und Brandsätze.



An der Kundgebung der jüdischen Gemeinde nahmen etwa 1000 Menschen teil. Viele von ihnen hefteten sich gelbe Sterne mit der deutschen Aufschrift „Jude“ an um damit ihre Verbundenheit und Solidarität mit den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung zu zeigen (Link). Ein Akt der Solidarität der laut NZZ von mindestens einem Überlebenden des Naziterrors als „etwas billig“ kritisiert wurde. Einige Gegendemonstranten zeigten hier die israelische Fahne.

In zahlreichen Gedenkveranstaltungen in der Stadt wurde an die Novemberpogrome erinnert und gegen den Aufmarsch protestiert. Mehrere hundert Menschen, darunter Politiker aus Opposition und Regierung, nahmen an ihnen teil.



An einer weiteren Demonstration nahmen etwa 1000 Menschen teil, unter ihnen mehrere hundert Autonome (Video). Die Nazis die vergeblich zum Aufmarsch angereist waren zogen in Gruppen von 30-40 Personen durch die Stadt. In der Nähe des jüdischen Viertels traf die antifaschistische Demonstration immer wieder auf diese Gruppen (Video). Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, die sich bis in den Abend hinzogen.

Diese fanden einen ersten Höhepunkt darin, dass ein bekannter Nazi mit einer Gaspistole auf Gegendemonstranten schoß (Video).


Petr Kalinovsky 2003 als Anmelder eines Aufmarsch durch Prag....



...und 2007 nach seiner Attacke, ebenfalls in Prag

Ein schwarzer Block aus mehreren hundert Personen lieferte sich bis in die Abendstunden hinein Auseinandersetzungen mit Nazis, er wurde schließlich von der Polizei aufgelöst, dabei gab es bis zu zweihundert Festnahmen (Link).

Bei der Auflösung des schwarzen Blocks setzte die Polizei sogenannte Schockgranaten ein. Diese Waffen haben bereits mehrmals zu schweren Verletzungen geführt. Aufsehen erregte zum Beispiel der Fall des Indymedia-Fotografen Guy Smallman, der beim G8-Gipfel 2003 schwer verletzt wurde (Link).

Auffällig....

Zunächst einmal ist die große mediale Präsenz der Ereignisse vom Samstag auffällig. Zahllose Reporter, Fotografen und Kamerateams waren vor Ort. Auch in Deutschland berichteten zahlreiche bürgerliche Medien und sogar die Tageschau berichtete. Ebenso östereichische und schweizer Medien, auf de.Indymedia.org erschienen gleich mehrere Artikel. Auch die israelische Tageszeitung Haaretz widmete dem Geschehen einen Artikel (Link).

Zum einen mag dies an der ungeheuren Provokation gelegen haben, die der Versuch das Gedenken der jüdischen Gemeinde an die Novemberpogrome zu stören darstellt. In der Folge konnte sich ein sehr breiter Widerestand gegen den Aufmarsch entwickeln. Für die Berichterstattung auf de.indymedia.org war sicher die Mobilisierung und Beteiligung von Antifaschisten aus der BRD ausschlaggebend. Das Interesse der internationalen Medien dürfte nicht zuletzt durch die internationale Beteiligung, sowohl von Nazis als auch Antifaschisten, eine Rolle gespielt haben.

Dennoch fällt auf, dass einiges an bekannten Mustern aus der BRD erinnert. Die Versuche der Stadtverwaltung den Aufmarsch verbieten zu lassen, ihr Kampf mit den Gerichten. Die Entwicklung eines breiten gesellschaftlichen Protests gegen den Aufmarsch, an dem auch Politiker teilnehmen. All dies ist aus osteuropäischen Ländern bisher nicht bekannt geworden. Dass der Prager Bürgermeisters Pavel Brem meint, eine "Kultivierung der nationalen Erinnerung, damit das Vergangene sich nicht wiederholt" sein nötig, erinnert sehr stark an die Idee vom „geläuterten Deutschland, das aus der Vergangenheit gelernt hat“, die die Rot-Grüne Bundesregierung in der BRD etabliert hat. Kein Zufall, dass die Neue Züricher Zeitung bereits begeistert eine tschechische Bürgergesellschaft sich regen sieht (Link).

Auffällig ist auch die Konsequenz mit der die Polizei den Aufmarsch verhindert hat und weiter ihre ambivalente Haltung gegenüber militanten Antifaschisten. Wurde diesen zunächst noch relativ viel Raum gelassen um zu agieren, wurde ihre Ansammlung später mit brutalen Mitteln aufgelöst.

Auch die Idee, faschistische Bewegungen würden am besten bekämpft, indem man sie ignoriert, fand ihre Anhänger. Außenminister Karel Schwarzenberg erläuterte (Link) ein Verständnis von Antifaschismus, das auch in der BRD nur zu gut bekannt ist: Dem rechtsextremen Aufmarsch dürfe nicht zuviel Aufmerksamkeit geschenkt werden, ließ er wissen, das sei genau das was sie erreichen wollten. Dass die Annahme, ignorieren sei ein geeignetes Mittel, um faschistische Bewegungen zu bekämpfen, sich nirgendwo in der Geschichte durch Erfahrungen bestätigen lässt, scheint ihn nicht zu stören.


Linkliste:
Naziaufmarsch in Prag verhindert
Prag 10.11.07: Militante Antifademo
Widerstand gegen Nazis in Prag
Der braune Draht von Dresden nach Prag
Rechte wollen trotz Verbot zum Jahrestag der Pogromnacht demonstrieren
Polizei stoppt illegalen Neonazi-Marsch in Prag
Die tschechische Bürgergesellschaft regt sich
Provokativer Neonazi-Marsch durch Prag gestoppt
Antisemiten stoppen! Überall!
Stoppen wir den Neonazimarsch!
Polizei stoppt Rechtsextreme in Prag
Prag: Aufmarschder Rechten verhindert
Grüße an "liebe Freunde" im Iran

Videos:
Video 1
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Ergänzungen

Auch am 17.11 Nazidemo in Prag

... 14.11.2007 - 12:41
Am 17.11. wollen Neonazis erneut in Prag aufmarschieren

 http://de.indymedia.org/2007/11/199412.shtml

"nazi-busse"

tourist 14.11.2007 - 13:57
Die Behauptung, es seien 3 Reisebusse mit deutschen Nazis nach Prag gefahren, lässt sich nirgendwo belegen. Die Busse, die im Video (  http://www.youtube.com/watch?v=k7ibGepZIzE ) als "filled full of german neonazis" bezeichnet werden, sind auf jeden Fall KEINE gewesen! Ich halte es für relativ wichtig, das nochmal in aller Deutlichkeit zu betonen, auch deswegen, weil die Busunternehmen erkennbar sind und Mensch ja vielleicht auf komische Ideen kommen könnte. Möglich, dass es einen oder mehrere andere Busse voller Nazis gab, diese waren es jedenfalls NICHT.

Gesellschaftspolitische Diskussion

http://www.diepresse.com 14.11.2007 - 14:35
„Wären wir ähnlich tapfer, wenn es um Roma ginge?“

Prager Neonazi-Aufmarsch provoziert gesellschafts-politische Debatte. Beim Rückblick auf die Ereignisse am vergangenen Wochenende waren sich die tschechischen Kommentatoren gestern einig: Die tausenden Tschechen, die – neben der Polizei – einen provokatorischen Aufmarsch von Neonazis im ehemaligen jüdischen Viertel von Prag verhindert hatten, verdienten uneingeschränktes Lob. „Die Gesellschaft hat klar zu erkennen gegeben, dass bestimmte Dinge in unserem Land nicht gehen“, formulierte etwa Petr Honzejk im Wirtschaftsblatt „Hospodarske noviny“.

Man könnte nun meinen, der Rassismus in Tschechien habe keine Chance, schrieb Honzejk weiter. „Aber leider ist dem nicht so.“ Der Kommentator stellte die provozierende Frage, wie wohl das Echo ausgefallen wäre, wären bewaffnete Skinheads nicht gegen Juden, sondern gegen die ungeliebten Roma losgezogen. „Das hätte niemanden derart aus der Ruhe gebracht.“ Honzejk fordert deshalb eine Debatte darüber, wie dem Alltagsrassismus zu begegnen sei.

Aufregung um Roma-Gedenkstätte

Jeder Tscheche kennt die Beispiele, die Honzejk anführte. Da gab es etwa die Aufgeregtheit bei Präsident Václav Klaus darüber, nachdem das Europaparlament Prag aufgefordert hatte, auf dem Gelände eines früheren NS-Konzentrationslagers für Roma in Lety endlich eine Gedenkstätte zu errichten. In dem von tschechischen, nicht deutschen Einheiten bewachten Lager waren mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen.

Honzejk schlug die Erledigung einiger Aufgaben vor: „Václav Klaus entschuldigt sich für seine Aussagen über Lety. Premier Mirek Topolánek erweitert seine Regierungsprioritäten um die Integration der Roma. Örtliche Behörden beginnen gegen die Organisatoren von Anti-Roma-Aufmärschen ebenso vorzugehen wie der Prager Magistrat gegen die Neonazi-Provokation.“ Wenn diese Aufgaben erfüllt seien, so Honzejk, „können wir uns darüber unterhalten, ob sich in Tschechien tatsächlich etwas zum Besseren gewandelt hat“.

Zeitungsmeinungen

Etc. 17.11.2007 - 10:00
Ausführlich und kontrovers kommentierte die tschechische Presse die gescheiterte Neonazi-Demonstration im Prager jüdischen Viertel am vergangenen Samstag.


Alltagsrassismus

Die „Hospodářské noviny“ (12.11.) sieht in der tschechischen Gesellschaft einen „unauffälligen Alltagsrassismus“:

Es ist gut, dass die tschechische Gesellschaft es geschafft hat, einen Neonazi-Aufmarsch durch das Prager jüdische Viertel zu verhindern. Wir sind jetzt aber keinen Deut besser als vorher. Unser einziges Problem sind dabei nicht junge Neonazis, sondern Individuen wie Ex-Minister Jiří Čunek oder die Senatorin Janáčková – Politiker, die auf der Wellle des kommunalen Rassismus reiten, ihn mit ihren Auftritten legitimieren und den Nazis damit indirekt zu verstehen geben, dass sie für die „richtige Seite“ kämpfen. Der tschechische Rassismus ist in seiner Mehrheit unauffällig und in der Alltäglichkeit verwurzelt. So gibt die klare Mehrheit zu, dass sie nicht neben Roma wohnen will.



Beunruhigend

„Právo“ (12.11.) sieht in Tschechien eine rechte Gefahr:

Die Neo-Nazis werden immer mehr. Die Ereignisse am Samstag sollten uns auf keinen Fall in Sicherheit wiegen, sondern beunruhigen. Es handelt sich nicht mehr nur um junge Verwirrte, die schlecht in Geschichte waren. Die neuen Rechten maskieren sich immer geschickter durch die Gründung vermeintlich unschuldiger Organisationen. Sie kennen sich perfekt mit den Gesetzen aus, haben eine vermeintlich schlüssige Ideologie, verfügen über ein weites Netzwerk und haben internationale Kontakte. Und sie sind vor allem sehr entschlossen.


Fiktive Gefahr

Ganz anders sieht das die „Lidové noviny“ (12.10.). Für sie gibt es keine rechte Gefahr in Tschechien:

Die heutigen Rechtsradikalen haben keine attraktive Ideologie, ihre Unterstützung in der Gesellschaft tendiert gegen null, politisches Gewicht haben sie keines. Deshalb ist die nationale Einheit gegen rechts, die sich hier im Zuge der Samstagsereignisse gebildet hat, kitschig und im Grunde genommen wertlos. Es ist eine Einheit gegen eine Gefahr, die faktisch nicht existiert. Gegen etwas, das die Prager Polizei ohne Probleme im Griff hat. Schließlich ist sie dazu auch da und erhält dafür Steuergelder. Der Kampf gegen vergangene und fiktive Gefahren ist einfach, attraktiv und schädlich, weil er die Wehrlosigkeit und Ignoranz gegen die aktuellen und tatsächlichen Gefahren maskiert.

Aus Radio Praha

Etc. 18.11.2007 - 08:27
Tschechische, Slowakische und Deutsche Rechtsextremisten: In Prag Seite an Seite
Ihre Glatzen glänzen alle gleich. Ihre Gegner sind auch meist dieselben. Aber sie kommen aus unterschiedlichen Ländern. Aus Ländern, die in ihrer Geschichte oft verfeindet waren. Tschechische, slowakische und deutsche Rechtsradikale sind vor einer Woche Seite an Seite durch Prag marschiert. Welchen Hintergrund haben tschechische und slowakische Rechtsextreme und wie können sie so ohne weiteres eine Verbindung mit einem früheren nationalen Widersacher eingehen...

Christian Rühmkorf ist im „Forum Gesellschaft“ des Prager Radios diesen Fragen nachgegangen.

Wenn deutsche Rechtsradikale marschieren, dann hat man eine Vorstellung von ihrer Gedankenwelt. Sie basiert zumeist auf der nationalsozialistischen Ideologie mit ihren Ideen von höherwertigen und minderwertigen Rassen. Am vergangenen Wochenende sind tschechische und deutsche Rechtsradikale in Prag gemeinsam aufmarschiert. Slowakische Skinheads waren auch dabei. Gibt es einen ´tschechischen Rassismus´?

Miloslav Szabo ist Slowake, hat in Bratislava Geschichte studiert, in Tschechien promoviert und forscht zurzeit an der Technischen Universität Berlin. Er kennt alle drei Länder. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Ideologien des Rassismus und Antisemitismus. Szabo meint, dass man gerade bei der Frage nach einem ´tschechischen Rassismus´ unterscheiden muss zwischen einem ideologisierten Rassismus – in der englischen Fachsprache „racialism“ - und dem alltäglichen Rassismus, bei dem eine übergeordnete Ideologie nicht gegeben sein muss:
„Also es gibt natürlich die Rassisten, es gibt die Leute, für die die Rasse einen großen Wert hat, die die Rasse irgendwie mit dem Tschechentum verbinden. Und insofern stimmt das. Es gibt einen tschechischen Rassismus. Aber ob man das anhand von irgendwelchen ideologischen Aspekten auch so festmachen kann, das ist eine andere Frage. Also ich würde da grundsätzlich zwischen diesen zwei ´Rassismen´ unterscheiden.“

Während bei deutschen Rechtsextremisten klar ist, worauf sie sich berufen, ergibt sich bei tschechischen und slowakischen Rechtsradikalen die Frage, ob es sich um ein Nach-Wende-Phänomen handelt oder ob es rassistische oder konkret antisemitische Tendenzen bereits zur kommunistischen Zeit gab.

Miloslav Szabo„Ja. Also Antisemitismus gab es sogar offiziell, aber in den 1950er Jahren unter dem Begriff Antizionismus. Als Parteidoktrin – das wurde aus Moskau übernommen, konsequent realisiert und durchgeführt. Also in dieser ideologisierten Form gab es schon Antisemitismus. Im Alltag sowieso, obwohl man eigentlich keine Juden kannte.“

Aber es gab auch andere ethnische Gruppen außer Tschechen und Slowaken und Magyaren, die zur Zielscheibe von Formen des alltäglichen Rassismus wurden, sagt Miloslav Szabo. Dazu zählt er die Roma oder auch Studenten aus den so genannten ´befreundeten´ kommunistischen Ländern, aus Afrika, aber vor allem aus Vietnam. Sie bildeten eine Subgesellschaft und tun das zum Teil noch heute, erklärt Szabo.

„Du bist Tscheche, Tscheche, Tscheche – dann weiß das auch zu schätzen“, sang Daniel Landa mit seiner Gruppe „Orlik“ Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Die Texte waren rassistisch, von weißer Kraft war die Rede, Anti-Roma-Parolen wurden skandiert. Landa hat eine deutsche Frau, ist heute Sänger, Komponist von Musicals, Schauspieler und Rennfahrer. Er gehört zu den prägnantesten und auch noch umstrittensten Persönlichkeiten des tschechischen Showbusiness. Daniel Landa hat sich bereits vor Jahren von dieser Vergangenheit distanziert. Auch 2001 gegenüber Radio Prag.

„Also, was man eindeutig sagen kann und muss: Ich war sieben Jahre lang Skinhead. Vielleicht einer von den wichtigsten hier. Das ist klar, da will ich mich nicht rausreden. So war es. Und ich stehe auch dazu. Ich meine, ich stehe vielleicht nicht dazu, was ich damals gesagt habe, aber das war eben diese Entwicklung. Das war eine Phase, die ich gebraucht habe.“

Seine damalige Orientierung hat Daniel Landa so erklärt:
„Man muss berücksichtigen, dass wir vor dem Fall des Eisernen Vorhangs angefangen haben. Also für uns war das Skinhead-Sein praktisch ein Mittel des Kampfes gegen das Regime. Es war etwas, was verboten war und wir hatten keine Informationen, was Skinheads tatsächlich sind, was das überhaupt heißt. Und dann haben wir halt dieses Outfit gewählt, weil es aggressiv aussah für die wilde Jugend usw. Rechtsradikal in dem Sinne, wie es heute gemeint ist, waren wir nie. Natürlich kann man schon klare rassistische Untertexte bei uns finden. Das war halt so. Heute würde ich so etwas nie mehr sagen.“

Über die Rechtfertigung Landas, damals ein Gegner des kommunistischen Regimes gewesen zu sein, muss sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Wichtig scheint überhaupt eine Form von Gegnerschaft und Gegner-Identität an sich. Das wird auch beim gemeinsamen Auftreten von tschechischen und slowakischen Rechtsextremen deutlich. Denn beide Gruppen sind sich auch gegenseitig nicht unbedingt grün. Das belegt eine Karikatur in einer slowakischen Tageszeitung zum Prager Aufmarsch am letzten Wochenende, wie Miloslav Szabo meint:
„Die Karikatur bezog sich auf die Tatsache, dass annähernd ein Drittel der Verhafteten am vergangenen Wochenende in Prag Slowaken waren. Und auf der Karikatur ist eine Gruppe der slowakischen Rechtsradikalen zu sehen, vor der ein Führer steht und eine Ansprache hält. Und darin macht er eines klar: ´An diesem Wochenende werden keine antitschechischen Parolen gebraucht´. Und das will dann sagen, dass wir uns für diesen einen Tag verbinden und eine gewisse Art von Internationale, eine Hass-Internationale bilden und was dann nächste Woche kommt – also dann können wir wieder zu unserem Alltag zurückkehren. Und das ist schon interessant, weil auch viele deutsche Neonazis erwartet wurden.“

Antitschechische Gefühle auf slowakischer Seite sind nichts Neues. Schon in der Ersten tschechoslowakischen Republik, die ein mehrnationales Konstrukt war, fühlten sich die Slowaken oft als zweites Rad am nationalen Karren. Als die Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland zerschlagen wurde, erhielten die Slowaken ihren eigenen Staat, während die Tschechen im Protektorat Böhmen und Mähren leben mussten.

Aber wenn deutsche, tschechische und slowakische Rechtsradikale zusammen auftreten, wie am vergangenen Wochenende geschehen, wissen tschechische Rechtsextremisten nicht, dass sie nach nationalsozialistischen Rassenvorstellungen damals auf der falschen Seite gelandet wären? Miloslav Szabo meint, dass auch diese Gesichtspunkte schlicht verdrängt werden:
„Der gemeinsame Feind verbindet. Und die anderen Bestandteile der Weltanschauung – wenn man das so nennen will – werden einfach verdrängt. Es gab schon im 19. Jahrhundert Ansätze zur Herausbildung einer antisemitischen Internationale. Alle sind dann gescheitert, weil die Antisemiten dann gleichzeitig auch Nationalisten waren, aber die Ansätze gab es immer wieder. Also der gemeinsame Hass ist einfach stärker als die Hassgefühle gegeneinander. Die verschwinden nicht - natürlich nicht. Aber für den Augenblick ist das genug, um sich zu treffen.“

Und so sind die grundlegenden Koordinaten der rechtsradikalen Gedankenwelt wohl überall gleich. Nach Miloslav Szabo könnten sie lauten:
„Wir sind die Elite – sozial, rassisch – wir bilden eine fest geschlossene Front. Wir können also gegen jeden, gegen alles auftreten. Und vor allem müssen wir das gegen diejenigen tun, die unsere Feinde sind.“

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