Köln - Gedenkdemonstration am 9.11

Antifas aus Köln 13.11.2007 14:29 Themen: Antifa
400 AntifaschistInnen demonstrierten am Abend des 9. November in Köln im Gedenken an die Opfer der Pogromnacht von 1938 und gegen neuen/alten Antisemitismus in der Welt. Aufgerufen hatte das antifaschistische „Bündnis zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht von 1938“ .
Im Vorfeld der Demonstration fanden zwei Veranstaltungen statt. Am zweiten November mit den Referenten Ingo Niebel & Wolfgang Dreßen zum Thema „´Arisierung` ein brauner Fleck auf der weißen Weste deutscher Erinnerungskultur?“ Nach einem allgemeinen Überblick zum Thema durch Wolfgang Dressen, berichtete Ingo Niebel über seine Forschungen zu der „Arsierungsfällen“ bei Neven DuMont und der anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem DuMont-Verlag. Die zweite Veranstaltung im SSK Salierring, eine Lesung über Georg Elser und das Attentat vom 8. November 1939". In der anschließenden Debatte wurde insbesondere über die „deutsche Erinnerungskultur“ und ihrem Umgang mit dem Widerstand gegen Hitler debattiert.

Hintergrund zu den Vorwürfen gegen Neven DuMont unter: www.german-foreign-policy.com
Interview mit Ingo Niebel unter: www.german-foreign-policy.com


Die Demonstration am 9. November 2007 besuchten erfreulicherweise mehr Personen als im Jahr zuvor. Die Gedenkdemonstration fand nun zum dritten Mal statt, nachdem schon 2005 und 2006 das „Bündnis zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht 1938“ zu Gedenkdemonstrationen aufgerufen hatte. Bei der Auftaktkundgebung am Offenbachplatz – dem Ort wo vor 67 Jahren die damalige Synagoge brannte – hielt ein Antifaschist zunächst eine Rede über den Ablauf und die Folgen der Pogromnacht in Köln im Anschluss ging ein Mitglied der Naturfreunde Köln auf Georg Elser und die Notwendigkeit antifaschistischen Widerstands ein. Ein weiterer Redebeitrag der Kölner Gruppe „Mad“, der sich mit aktuellem Antisemitismus beschäftigen sollte, unterstellte das „jedes Gedenken an die Pogromnacht von 1938, dass nicht als Schlussfolgerung die unbedingte Solidarität mit Israel vermittle, zu einem rein bürgerlichen Gedenken verkomme.“ Diese Ansicht wurde zwar von den meisten DemonstrationsteilnehmerInnen nicht geteilt aber als eine Position zur Kenntnis genommen. Im Anschluss an die Reden wurden zahlreiche Blumen und Kerzen vor der Gedenktafel am Offenbachplatz niedergelegt. Gegen 18:40 Uhr setzte sich die Demonstration mit rund 400 TeilnehmerInnen in Richtung Innenstadt in Bewegung. Diese bezogen lautstark mit Parolen wie „Nie wieder Deutschland, Nie wieder Faschismus, Kampf dem Antisemitismus“ Position gegen das neue alte Deutschland und jegliche Form der Relativierung oder Umkehrung deutscher Schuld an der Shoah. Leider hatten einige angereiste Punks den Hinweis, dass nur angemessene Parolen zu rufen seien, wohl nicht mitbekommen, so dass hier und da einige Kontroversen während des Demonstrationszuges ausgetragen werden mussten.

In der Sankt-Apern-Str. fand vor der kleinen Gedenktafel, die an die zerstörte Synagoge erinnert, eine weitere Zwischenkundgebung statt. In dem Redebeitrag ging es allgemein um das jüdische Leben in Köln vor 1933 und im Besonderen um das jüdische Gymnasium „Die Jawne“ in der Sankt-Apern-Straße. Auch in der Sankt-Apern Straße sowie an den nächsten Orten wurden Blumen und Kerzen niedergelegt um zumindest für ein, zwei Tage die Gedenktafeln im Öffentlichenbewusstsein deutlicher zu Tage treten zu lassen.Den nächsten Halt machte die Demonstration am Bahnhofvorplatz, wo versteckt ein altes Gleißstück an die Deportation von jüdischen Kindern durch die Reichsbahn erinnert. In dem Redebeitrag der Kölner Initiative "Die Bahn erinnern" wurde auf den momentane Stand der Auseinandersetzungen zwischen der Klarsfeld Initiative „Elftausend Kinder“ und dem Nachfolgeunternehmen der Reichsbahn, der Deutschen Bahn, eingegangen und ein würdiges Gedenken an die deportierten Kinder gefordert. Die Abschlusskundgebung fand vor den alten Messehallen in Köln-Deutz statt, von wo aus tausende JüdInnen und Juden während der Nazizeit deportiert worden sind und große Versteigerungen „arisierten Eigentums“ stattfanden.

Insgesamt ist es erfreulich das diese Jahr wieder einige hundert Leute aus der Linken dem Aufruf zu Gedenkdemonstration gefolgt sind und im großen und ganzen ein würdiges Gedenken an die Opfer der Pogromnacht 1938 stattfand, dass deutlich machte, das der Kampf gegen jede Form des Antisemitismus leider immer noch auf der Tagesordnung steht.
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Ergänzungen

Aufruf & weitere Bilder

Es wurde keinE AutorIn angegeben! 13.11.2007 - 15:07
Aufruf zur Gedenkdemonstration am 9. November 2007

„Ich lief zur Schildergasse, wo unter dem johlenden Beifall der Passanten ein Lastwagen mehrmals rückwärts in das Schaufenster eines Kristallgeschäfts fuhr. Geifernde Frauen riefen Hassparolen gegen die Juden. Aus der zerstörten Synagoge stiegen Rauchwolken auf…“ (Erinnerungen eines Zeitzeugen)


69 Jahre danach…
Im dritten Jahr in Folge ruft ein loses Bündnis von antifaschistisch gesinnten Menschen in Köln zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht von 1938 und zum Kampf gegen jeglichen aktuellen Antisemitismus auf. Beginnen werden wir mit einer Gedenk-Kundgebung am Offenbachplatz, dem Ort, an dem einst Kölns größte Synagoge stand, an die heute nur noch eine kleine Gedenktafel erinnert. Daran anschließend werden wir in der St. Apernstraße, bis zum NS ein Zentrum des vielfältigen jüdischen Lebens in Köln, die Unmöglichkeit wagen, uns zumindest ansatzweise eine Vorstellung davon zu machen, wie selbstverständlich jenes jüdische Leben trotz der langen Traditionen des Antijudaismus und des Antisemitismus zu Köln gehörte. Am Bahnhofsvorplatz möchten wir auf die Rolle der Reichsbahn bei der Deportation in die Vernichtungslager des Deutschen Reichs hinweisen. Noch heute weigert sich der Vorstand des Rechtsnachfolgers der Reichsbahn, die Bahn AG, dem Gedenken an 11.000 jüdische Kinder, die von Frankreich aus in Viehwagons in den Tod geschickt wurden, einen angemessenen Raum in den Bahnhöfen zu gewähren. Abschließend werden wir an der Gedenktafel am ehemaligen Aufgang Bahnhof Deutz-Tief den Ort besuchen, von dem aus die Deportationszüge aus Köln in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten losfuhren.

Die Reichspogromnacht
Die Reichspogromnacht im November 1938 markiert rückblickend einen entscheidenden Übergang von der sukzessiven Entrechtung und der Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben hin zum offenen staatlich legalisierten und organisierten Terror, zu Deportation, Mord und Vernichtung. Die antisemitisch verfolgten Individuen und Gruppen mussten die Pogrome als Signal dafür werten, dass die bisher zumeist beschrittene Strategie der Unauffälligkeit, der möglichst unsichtbaren Wirtschaftstätigkeit und der bescheidenen Lebensführung einem Antisemitismus, der sich zunehmend als eliminatorisch herauskristallisierte, nicht genügten. Eine Flucht aus Deutschland war für die meisten in der Folge jedoch noch schwieriger, dennoch setzte nach der Reichpogromnacht eine große Flucht- und Auswanderungswelle ein. Die NSDAP-Propaganda versuchte die Novemberpogrome als „spontane“ Reaktion der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath zu inszenieren. Dieser wurde am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen und erlag zwei Tage darauf seinen Verletzungen. Die Familie Grynszpans war kurz vor der Tat mit ca. 18 000 weiteren Juden polnischer Herkunft in der ersten groß angelegten Massendeportation aus Deutschland ausgewiesen worden und musste sich im deutsch-polnischen Grenzgebiet durchschlagen. Ein entscheidendes Tatmotiv Grynszpans war, die internationale Aufmerksamkeit auf die Not der Abgeschobenen zu lenken. Die NSDAP instrumentalisierte die individuelle Tat eines Verzweifelten, um mit ihr eine vermeintliche Bestätigung für den antisemitischen Wahn einer „jüdischen Weltverschwörung“ zu konstruieren. Die ersten Seiten der auf Linie getrimmten Presse sollten sie als Anschlag des "internationalen Judentums" auf das Deutsche Reich darstellen. „In eigenen Kommentaren ist darauf hinzuweisen, dass das Attentat des Juden die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muss“, forderte ein Schreiben, das Josef Goebbels an die gesamte Presse richtete. Auch wenn der „spontane Volkszorn“ nicht der Ursprung des Pogroms war, erwies sich die deutsche Bevölkerung in der großen Mehrheit als willens, den Terror gegen die jüdischen Nachbarn zu akzeptieren, ihn schweigend hinzunehmen, ihn anzufeuern oder sich gar aktiv daran zu beteiligen. Widerstand gab es nur sehr vereinzelt. Leiser Unmut äußerte sich - wenn überhaupt und das auch nur hinter vorgehaltener Hand - gegenüber der vermeintlich unkontrollierten Entfesselung der Gewalt. Brandschatzende Horden in den Straßen kratzten am Ordnungsbedürfnis vieler Deutscher. Ihrem autoritären Charakter folgend war es für die Mehrheit der Deutschen ein besserer Weg, die so genannte „Entjudung“ in behördlich organisierten Bahnen durchzuführen. „Wilde Arisierungen“, Plünderungen und der Mob in der Straße vermochten es, dass viele sich um den sozialen Zusammenhalt insgesamt Sorgen machten. Hier fanden die Bedürfnisse der Mehrheitsbevölkerung und das Interesse des NS-Staates zusammen: Das Gewaltmonopol des Staates sollte nicht angetastet werden. Dies sollte der Öffentlichkeit im Anschluss an die Novemberpogrome mitgeteilt werden. So hält der damalige Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, in einem Bericht zu den Vorkommnissen der Reichspogromnacht fest: „In zahlreichen Städten haben sich Plünderungen ereignet. Es wurde, um weitere Plünderungen zu vermeiden, in allen Fällen scharf durchgegriffen.“ Es hat zwar vereinzelte Festnahmen im Rahmen der umfangreichen Plünderungen gegeben, diese waren jedoch eher symbolischer Natur. Für alle Handlungen, die trotz der erwünschten antisemitischen Übergriffe als Straftaten gewertet wurden - mit Ausnahme Verge-waltigungen -, erhielten die TäterInnen eine Amnestie. Die Botschaft, die an die Bevölkerung, aber auch an die unterschiedlichen Interessensgruppen innerhalb des NS-Apparates gerichtet wurde, war dennoch eindeutig: Die „Entjudung“ und der damit verbundene Raubzug werden unter die Oberaufsicht des Staates gestellt. Der Logik folgernd handelte der Staat unmittelbar nach den Pogromen, die „Maßnahmen zur wirksamen legalen Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft“ wurden weitergeführt. Im Dezember 1938 schreibt Hermann Göring in einer Anordnung, die Übernahme jüdischer Betriebe und sonstiger Vermögenswerte habe auf „streng gesetzlicher Grundlage“ zu erfolgen. Es sind diese „Legalität“, die „Normalität“ und die „Rechtmäßigkeit“, mit der der Antisemitismus als Staatsziel in der Breite umgesetzt wurde, die den Nationalsozialismus und das Verhalten der Deutschen im NS in ihrer Qualität zeichnen. Die schrittweise Entrechtung der Jüdinnen und Juden, den Straßenterror gegen sie, den wirtschaftlichen Boykott und die antisemitische Hetze in der Öffentlichkeit haben alle Bevölkerungsteile in einer Großstadt wie Köln miterlebt. Unzählige haben sich gern und wissentlich an der „Arisierung“ jüdischen Eigentums beteiligt, indem sie sich ganz legal das Eigentum deportierter Jüdinnen und Juden, die sie nicht selten sogar persönlich kannten, bei Versteigerungen zu einem Spottpreis aneigneten. Dass die erworbenen Gegenstände jüdischer Herkunft waren, wurde zumeist auf den Rechnungsunterlagen vermerkt. In der Regel wussten die Neubesitzenden also über die Herkunft ihres so günstig erworbenen Neubesitzes. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Gewissheit, dass die ehemals jüdischen Besitzerinnen und Besitzer nicht mehr wiederkehren und Rechenschaft für die durch „Arisierung“ erworbenen Besitztümer verlangen würden, bei den Käuferinnen und Käufern durchaus eine Rolle gespielt haben dürfte. Dementsprechend wurde das Thema Arisierung im postnazistischen Deutschland bislang nie umfassend thematisiert. Es eignet sich kaum, um den sozialpsychologischen Bedürfnissen der Mehrheit zu entsprechen. Diese enthalten die Tendenz, die Fragen nach Schuld und Beteiligung abzugrenzen und auf ein paar wenige Täter und Täterinnen, die als Fanatiker oder psychisch Kranke zum gesellschaftlich Anderen gemacht werden, zu richten. Die Novemberpogrome von 1938 offenbaren das Ausmaß des organisierten Antisemitismus. Zunächst das Pogrom, die Zerstörung und Plünderung jüdischen Eigentums, der Terror gegen Individuen. Die Opfer werden in der Folge gezwungen, selbst die Schäden unverzüglich zu beseitigen und die Kosten zu tragen. Versicherungsleistungen wurden „zugunsten des Reichs“ beschlagnahmt. Zusätzlich werden von den Jüdinnen und Juden deutscher Staatsangehörigkeit unter Hermann Görings Führung 1,2 Milliarden Reichsmark als eine „Sühneleistung“ erpresst. Da Zehntausende verhaftet und verschleppt wurden, war es den meisten zusätzlich stark erschwert, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Die Verhafteten mussten sogar für die Transportkosten im Rahmen ihrer Verhaftung aufkommen. So stellte zum Beispiel die Rhein-Sieg Eisenbahn Aktiengesellschaft den Verhafteten aus dem Großraum Köln je 0,65 Reichsmark in Rechnung und unterzeichnete die Rechnung: „Mit deutschen Gruß!“ Diese Kombination aus wahnhaftem Antisemitismus und zweckrationalen Anteilen, die sich vor allem in den staatlich überwachten räuberischen Exzessen äußerten, die bis in die Vernichtungslager penibel organisiert waren, war für den Nationalsozialismus ein wesentliches Merkmal.

Die Kontinuität und das Neue des Antisemitismus
Auch heute sind Jüdinnen und Juden von Antisemitismus bedroht. Die Hintergründe dafür, aber auch die Art und Weise, wie sich Antisemitismus äußert, sind sehr vielfältig und komplex. Wenn heute also von einem „Neuen Antisemitismus“ gesprochen werden muss, dann ist damit nicht nur ein Wiederaufflammen antisemitischer Einstellungsmuster und Übergriffe gemeint. Diese waren ohnehin immer ein Teil der Realität in Deutschland und konnten in der Vergangenheit bestenfalls erfolgreicher (aus der Öffentlichkeit) verdrängt werden. Das Neue am „Neuen Antisemitismus“ besteht auch darin, dass er mit anderen Subjekten und anderen ideologischen Anbindungen verknüpft wird. Antisemitismus findet sich nicht nur bei der (extremen) Rechten oder in rechts dominierten Diskursen. Als „sekundärer Antisemitismus“ bedient er in breiten Teilen der deutschen Mehrheitsbevölkerung das sozial-psychologische Bedürfnis nach Erinnerungsabwehr und Entlastung von Scham und Schuld, die aus der Shoah rühren und die einer positiven Identifikation mit der deutschen Nation im Weg stehen. Der jüdische Arzt Zwi Rix hat dieses Phänomen treffend auf den Punkt gebracht mit seinem Ausspruch: „Auschwitz werden die Deutschen uns nie verzeihen.“ Als Re-Import aus der islamisch geprägten Welt findet Antisemitismus aber auch Anschluss an hier lebende Migrantinnen und Migranten. Und auch in der Linken lassen sich bei bestimmten personifizierenden Kapitalismus-„Analysen“ und vor allem bei kruden antizionistischen Positionen antisemitische Tendenzen feststellen. Wie immer sich Antisemitismus äußern mag, für die Betroffenen muss er nach Auschwitz als Vernichtungsdrohung aufgefasst werden. Ihnen gilt unsere Solidarität und unsere Unterstützung im Kampf gegen jede Form des Antisemitismus.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 15 Kommentare an

rede keine ergänzung? — mensch mod

oder doch? — immer das gleiche

@eman — immer das gleiche

latinum — :-(

Köln mal wieder — maß halten

@ausgefüllt — wuppah