São Paulo: Tote in der Ethanolproduktion

Maria Luisa Mendonça 11.11.2007 18:15 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
Tödliche Arbeitsunfälle, Infarkte, Vergiftungen: Der Preis für die Ethanolgewinnung in Brasilien. Gut 50% der Arbeitskräfte sind ImmigrantInnen, die zudem unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften und denen weder Schutzkleidung noch angemessene Arbeitsgeräte zur Verfügung gestellt werden...
TOTE UND ARBEITSRECHTSVERLETZUNGEN IN DEN ETHANOLFABRIKEN VON SAO PAULO
Maria Luisa Mendonça
Nach dem Verfassen dieses Artikels kam ein weiterer Arbeiter bei der Explosion eines Tanks in einem Kraftwerk in Canitar, Staat São Paulo ums Leben.

Die Menschenrechtskomission der Legislativen Versammlung des Staats São Paulo hat eine Untersuchung über eine Serie von Unregelmässigkeiten im Sektor Zuckerrohranbau,-und verarbeitung unternommen. In deren Rahmen sind von einer Öffentlichkeitsgruppe der Versammlung verschiedene Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, AnalystInnen und Mitglieder des Arbeitsministeriums angehört worden. Denn obgleich die Regierung durch Kredite und andere Intensivierungsmassnahmen verstärkt in die Ausweitung der Ethanolproduktion investiert hat, sind die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen bei der Ernte 2007 noch genauso, wie in den Jahren zuvor.

Seit 2004 hat der Priesterliche Dienst der ImmigrantInnen den Tod von 21 ArbeiterInnen bei der Zuckerrohrernte in São Paulo verzeichnet. 5 Immigrantinnen sind allein in 2007 durch die extremen Arbeitsbedingungen auf den staatlichen Zuckerrohrfeldern ums Leben gekommen:
Am 28. März starb José Pereira Martins, 52, nachdem er in der Zurckerrohrernte in Guariba gearbeitet hat, an einem Infarkt. Er war von Araçuaí, Minas Gerais, immigriert.
Am 24. April wurde der aus Tocantins zugewanderte, 20jährige Lourenço Paulino de Sousa auf der Plantage São José, Barretos, tod aufgefunden.
Am 19. Mai starb der aus Piauí stammende Adailton Jesús dos Santos, 34, in den Zuckerrohrfeldern von Lençois Paulista.
20. Juni: Tod von José Dionisio de Sousa, 33, aus dem Staat Minas Gerais.
11. September: Edilson Jesús de Andrade, 26, emmigriert aus Bahía, stirbt in Guariba.

Ausser diesen Todesfällen sind noch weitere Unfälle und Tode von ArbeiterInnen im Zuckerrohrsektor von São Paulo registriert. Im Jahr 2005 dokumentierte die regionale Delegation für Arbeit 416 Todesfälle in den staatlichen Werken; bei der Mehrzahl davon handelt es sich um Arbeitsunfälle. Am 15. April 2007 erstickte ein Arbeiter im Werk von Santa Luisa, Motuca, bei der Kontrolle der Zuckerrohrverbrennung; ein weiterer wurde von den Flammen schwer verletzt. Der 31jährige Adriano de Amaral, Vater eines Siebejährigen und eines erst 20 Tage alten Babys, kam durch einen Defekt der Wasserpumpen bei den Löscharbeiten ums Leben. Gleichzeitig erlitt der Arbeiter Ivanildo Gomes, 44, Verbrennungen an 44% seines Körpers.

Schätzungen zufolge sind im Staat São Paulo, dem grössten Erthanolproduzenten Brasiliens, gut die Hälfte aller ArbeiterInnen im zuckerrohrverarbeitenden Sektor ImmigrantInnen. Sie stammen hauptsächlich aus dem Nordwesten und aus Minas Gerais, wo sie in einer hochprekären Situation leben. Die ArbeiterInnen müssen fast die Hälfte ihres Verdiensts ausgeben, um in den Zuckerrohrfeldern überleben zu können. Es bleibt ihnen nur wenig, um es an ihre Familien schicken zu können, die ebenfalls von diesen Mitteln abhängig sind. Am Ende der Zuckerrohrsaison haben die ImmigrantInnen kein Geld mehr für die Rückkehr. Der festgesetzte Mindestlohn liegt bei 413 Reales, während die ArbeiterInnen gleichzeitig an die 250 Reales monatlich benötigen, um ihre Kosten für Nahrung, Wasser und Unterkunft zu menschenunwürdigen Bedingungen zu decken.

"Der Arbeitgeber stellt weder angemessene Unterbringung zum Ausruhen zur Verfügung noch Essen oder sanitäre Einrichtungen für die Grundbedürfnisse der ArbeiterInnen. Ebensowenig gibt es adäquate Werkzeuge und Sicherheitsausrüstung (EPI). Die in der Arbeitsregelung Nr. 31 festgesetzten Ruhepausen werden übergangen und es existieren weder Arbeitskleidung noch Kantinen. Die ArbeiterInnen können nicht im Schatten Schutz suchen oder sich auf Stühle setzen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in der brennenden Sonne auf dem Boden zu essen", so der Staatsbeamte für Arbeitsbelange, José Fernando Ruiz Maturana.

Das Innenministerium strebt nun eine Untersuchung der Umweltbedingungen an (Explosionen bei starker Sonneeinwirkung, Hitzeeinfluss; Beeinflussung durch Staub und Asche) sowie der Auswirkungen von Agrogiften auf die Gesundheit der ArbeiterInnen. Ein weiterer Ermittlungspunkt soll die "Bezahlung nach Leistung" sein, denn tatsächlich haben die ArbeiterInnen gar nicht die Möglichkeit zu kontrollieren, wieviel Zuckerrohr sie geschnitten haben. 2007 hat die Regionale Staatsanwaltschaft 15ªf, Bereich Arbeit, mehr als 40 öffentliche Zivilklagen gegen die Zuckerrohrplantagen, Händler und verarbeitenden Fabriken in São Paulo, wegen Nichteinhaltung der Arbeitsgesetze verhandelt. Ende August 2007 war in der Region von Bauru ein Dokumentenbetrug seitens der Firma “Escritorio Contabil Avenida” in Lençois Paulista, an LandarbeiterInnen aufgeflogen. Die ArbeiterInnen waren gezwungen worden, leere Dokumente zu unterschreiben. Doch dann existierten plötzlich "Verträge", die Rücktrittserklärungen (vom Arbeitsverhältnis); Ungültigkeitsklauseln; Arbeitsregister; die Bestätigung, Schutzausrüstung, (Equipamientos de Protección Individual EPIs), erhalten zu haben; Bedingungen zu Verträgen für Personen mit Erfahrungen und deren Verlängerung; zu ErntehelferInnenverträgen und befristeten Verträgen enthielten, die alle samt und sonders von den ArbeiterInnen - auf zuvor leerem -Papier unterzeichnet worden waren. Laut dem für Arbeit zuständigen Staatsanwalt Luis Henrique Rafael, sind tausende ArbeiterInnen auf diese Weise betrogen worden. In der zweiten Septemberwoche hatte das Innenministerium dann beschlossen, die Zuckerrohrernte in Mineiros do Teitê, Lençois Paulista, solange auszusetzen bis die Plantagen die Situation der ArbeiterInnen geregelt haben würden.

Eine der Schwierigkeiten, die Zuckerrohrplantagen,-und Werke strafrechtlich zu belangen, ist der Umstand, dass die Verträge über Vermittler, sogenannte "gatos” geschlossen werden, deren primäre Funktion es ist, die ArbeiterInnen, zu ködern. Diese wissen dann häufig noch nicht einmal, wer überhaupt ihr Arbeitgeber ist. Praktisch sämtliche Untersuchungen im Staat São Paulo haben Arbeitsrechtsverletzungen in der Zuckerrohrgewinnung,-und verarbeitung belegt. Das Innenministerium hat daher beschlossen, gezielte Massnahmen für die gesamte Produktionskette in diesem Sektor zu ergreifen.

PROTESTE UND REPRESSION

Natürlich reagieren die ZuckerrohrarbeiterInnen auf die degradierenden Bedingungen, denen sie unterworfen werden...
Erst vor Kurzem sind die ArbeiterInnen des zum grössten Ethanol,-und Zuckerhersteller des Landes, die Cosan-Gruppe, gehörenden Gasa-Werks in Streik getreten: Ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen hatten Repressionen nach sich gezogen. Mit dem Ziel, die gesamte Belegschaft einzuschüchtern, hatte das Werk seine Repressalien gegen eine Gruppe von immigrantischen ArbeiterInnen gerichtet. "Dreissig Personen waren aus ihren Unterkünften geholt und in der Betriebskantine eingesperrt worden. Dort wurden sie von bewaffneten Sicherheitsleuten und einem Repräsentanten des Unternehmens unter druck gesetzt. Bei den Sicherheitskräften handelte es sich um Militärpolizei in Zivil, die demonstrativ ihre Waffen zur Schau stellte und die ArbeiterInnen damit bedrohte. Man sagte ihnen, dass sie alle entlassen seien und dass es besser für sie wäre, wenn sie die Stadt auf dem schnellsten Weg verlassen würden", so der anklagende Bericht des Generalsekretärs der Feraesp (Föderation der entlohnten LandarbeiterInnen des Staats São Paulo), Aparecido Bispo.

Die häufigen Anklagen von verletzten Rechten der ArbeiterInnen auf den Plantagen, haben die Zuckerrohrindustrie zu Spekulationen über die Möglichkeit der Mechanisierung des Sektors bewogen. Es bestehen jedoch etliche Zweifel in dieser Hinsicht, denn die niedrigen Löhne und die prekären Arbeitsbedingungen machen das Zuckerrohrschneiden von Hand für die Unternehmer lukrativer, als Investitionen in Maschinen. Gegenwärtig werden mehr als 60% der Zuckerrohrernte Brasiliens von Hand geschnitten. Seit der Kolonialisierung ist dieser Sektor um zu bestehen, abhängig von der Ausbeutung der manuellen Arbeit enormer "Humanressourcen" und von der Verletzung der Umweltschutzgesetze.

Die Autorin dieses Artikels, Maria Luisa Mendonça, ist Journalistin und Koordinatorin des Sozialen Netzes für Gerechtigkeit und Menschenrechte.

Übersetzung ins Spanische (Castellan): Maribel Espinosa, vom Übersetzungsteam Kubadebatte und Rebellion
( Quelle:  http://www.rebelion.org/noticia.php?id=57339 )

Freie deutsche Übersetzung: tierr@

Die Ethanolproduktion steht als Basis für Agrokraftsstoffe nicht nur wegen Arbeitsrechtsverletzungen - auch ausserhalb Brasiliens - im Kreuzfeuer der Kritik, sondern wird allgemein als vermeintlich "umweltgerechte und klimaschonende Alternative" zu fossilen Energieträgern in Frage gestellt...

KLIMA UND ETHANOL/AGROKRAFTSTOFFE - LINKS:

ARTIKEL:
Die Mythen über Biokraftstoff
 http://de.indymedia.org/2007/06/185388.shtml
Agrosprit: Aufruf zu Moratorium
 http://de.indymedia.org/2007/07/188020.shtml
Der "grüne Imperialismus"
 http://de.indymedia.org/2007/09/195105.shtml
Kolumbien:Morde für Palmöl
 http://de.indymedia.org/2007/09/194559.shtml

INITIATIVE HIERZULANDE:
 http://www.klimacamp.org/
Mehrsäulenstrategie für 2008.
 http://wiki.klimacamp.org/index.php/Aufruf

Dokumentarfilm „Reclaim Power“ ´ über das "camp for climate action 2006" in England online unter:
 http://www.cinerebelde.org/product_info.php?cPath=26&products_id=48&language=de
weitere Links:
Bericht Heathrow 2007
 http://de.indymedia.org/2007/09/193563.shtml
Analysen
 http://wiki.klimacamp.org/index.php/Strategiepapiere
Wie weiter mit radikaler Klimaaktion?
 http://wiki.klimacamp.org/index.php/Climate_Camp_2007_-_Retrospektive
Organisationen & Netzwerke
 http://climatecamp.org.uk
 http://risingtidenorthamerica.org
 http://risingtide.org.uk
Artikel auf:  http://de.indymedia.org/2007/10/198114.shtml

Spanisch sprachige Seiten:
 Lateinamerika Beobachtung von Umweltkonflikten
 http://www.olca.cl/oca/honduras/hnmineras03.htm
 http://www.kaosenlared.net/americalatina/
 Guia para la libertad de los movimientos
 http://transfronterizo.at.rezo.net/spip.php?article2

INTERNATIONALE Netze:
Acción Global de Los Pueblos (AGP)
www.agp.org
Action for Community and Ecology in the Rainforest of Central America (ACERCA)
www.acerca.org
Agencia Latinoamericana de Información (ALAI)
www.alainet.org
Alianza Social Continental (ASC)
www.asc-hsa.org
Center for Economic Justice:
www.econjustice.net/
Comisión Interamericana de Derechos Humanos:
www.cidh.org/

WISSENSCHFTLICHE SEITEN:

A Sudden Change of State
 A new paper suggests we have been greatly underestimating the impacts of climate change – and the size of the necessary response.
By George Monbiot. Published in the Guardian 3rd July 2007
 http://www.guardian.co.uk/commentisfree/story/0,,2117235,00.html

 James Hansen et al, 2007. Climate Change and Trace Gases. Philiosophical Transactions of the Royal Society – A. Vol 365, pp 1925-1954. doi: 10.1098/rsta.2007.2052.  http://pubs.giss.nasa.gov/docs/2007/2007_Hansen_etal_2.pdf

 Intergovernmental Panel on Climate Change, February 2007. Climate Change 2007: The Physical Science Basis – Summary for Policymakers. Table SPM-3.
 http://www.ipcc.ch/SPM2feb07.pdf

 Centre for Alternative Technology, 10th July 2007. ZeroCarbonBritain: an alternative energy strategy. This will be made available at
www.zerocarbonbritain.com

 James Hansen et al, 2007. Climate Change and Trace Gases. Philiosophical Transactions of the Royal Society – A. Vol 365, pp 1925-1954. doi: 10.1098/rsta.2007.2052.  http://pubs.giss.nasa.gov/docs/2007/2007_Hansen_etal_2.pdf

 Intergovernmental Panel on Climate Change, February 2007. Climate Change 2007: The Physical Science Basis – Summary for Policymakers. Table SPM-3.  http://www.ipcc.ch/SPM2feb07.pdf

 The Energy White Paper it says the following: “The 20% renewables target is an ambitious goal representing a large increase in Member States’ renewables capacity. It will need to be taken forward in the context of the overall EU greenhouse gas target. Latest data shows that the current share of renewables in the UK’s total energy mix is around 2% and for the EU as a whole around 6%. Projections indicate that by 2020, on the basis of existing policies, renewables would contribute around 5% of the UK’s consumption and are unlikely to exceed 10% of the EU’s.” Department of Trade and Industry, May 2007. Meeting the Energy Challenge: A White Paper on Energy, page 23.  http://www.dtistats.net/ewp/ewp_full.pdf

 German Aerospace Center (DLR) Institute of Technical Thermodynamics Section Systems Analysis and Technology Assessment, June 2006. Trans-Mediterranean Interconnection for Concentrating Solar Power. Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety, Germany.  http://www.dlr.de/tt/Portaldata/41/Resources/dokumente/institut/system/projects/TRANS-CSP_Full_Report_Final.pdf

 Mark Barrett, April 2006. A Renewable Electricity System for the UK: A Response to the 2006 Energy Review. UCL Bartlett School Of Graduate Studies – Complex Built Environment Systems Group.  http://www.cbes.ucl.ac.uk/projects/energyreview/Bartlett%20Response%20to%20Energy%20Review%20-%20electricity.pdf

 Centre for Alternative Technology, 10th July 2007. ZeroCarbonBritain: an alternative energy strategy. This will be made available at www.zerocarbonbritain.com
 Engl.; Span.:
 http://www.globalizate.org/monbiot060707.html
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen