Todesstrafe in den USA: Frage nach dem wie?

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 11.11.2007 15:13 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Seit Oktober 2007 hat der US-Surpreme Court sämtliche Hinrichtungen gestoppt, teilweise erst wenige Minuten vor der Durchführung. Was zunächst nach einem großen Erfolg der Anti-Todesstrafenbewegung aussieht, ist bei näherer Betrachtung jedoch lediglich die Frage, wie Gefangene in den USA getötet werden dürfen, nicht ob überhaupt.
Im Januar 2008 wird der Surpreme Court den Fall BAZE verhandeln. Darin soll geprüft werden, ob der in 31 Bundesstaaten angewandte Giftcocktail gegen den 8 Verfassungsanhang verstößt, welcher grausame und ungewöhnliche Strafen verbietet.
Dieser Giftcocktail beinhaltet 3 Chemikalien: Sodium Pentothal, Pancuronium Bromid und Potassium Chloride.
Sinn dieses Cocktails aus Sicht der Henker ist es, eine Betäubung mit anschließender Tötung herbeizuführen. Die niemals wissentschaftlich untersuchte Annahme ist, dass die Ermordeten hier keine Schmerzen erleiden würden.
Wie die Realität seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 und der ersten Anwendung des Giftspritzencocktails aber gezeigt hat, scheint das oft nicht zu funktionieren. Todeskämpfe von bis zu 80 Minuten sind vorgekommen ( Christopher Emmett  http://de.indymedia.org/2007/10/197327.shtml ).

Die erste Chemikalie soll den Häftling tief bewußtlos machen. Die Zweite entspannt und verhindert jegliche Bewegung der Muskulatur, einschließlich des atmungsermöglichenden Zwergfells. Ab hier ist der/die Hingerichtete auf jeden Fall bewegungsunfähig. Außerdem verhindert es jegliche Geräuschäußerung. Stöhne, Zucken etc., welches die Zeug_innen der Hinrichtung stören könnte, bleibt so auf jeden Fall aus. Da die Atmung gestoppt ist, setzt hier auch langsam Erstickung ein.
Als Drittes wird dann Potassium Chlorid eingeführt, welches das Herz stoppt.
Befürworter_innen dieser Hinrichtungsmethode versuchen Zweifel an den oft dabei beobachteten Krämpfen und inneren Bewegungen der Hingerichteten damit zu verneinen, dass alle Chemikalien in sehr hohen Dosen verabreicht würden.
Da Vieles dagegen spricht und Gefangene sehr wohl nach der ersten Chemikalie nicht betäubt waren, verhandelt jetzt das Oberste Gericht über diese Methode. Es bestehen durchaus Chancen, dass der Giftcocktail für verfassungsfeindlich erklärt wird. Nur bleibt die Frage, was danach passiert? Auf keinen Fall ist dann die Todesstrafe gestoppt oder abgeschafft.
Sehr wahrscheinlich werden die 31 Staaten, die aktuell diese Methode anwenden, sich entweder zurück zum noch in einem Bundesstaat verwendeten Elektrischen Stuhl (dem "Grillen") oder aber zur "Single Drug"-Lösung entscheiden, die bereits in den Todesstrafenprotokollen von Californien und Tennessee (für mehr Details empfehlen wir hier einen Artikel der New York Times vom 4.November 2007:  http://www.nodeathpenalty.eu/?p=63 ) gefordert werden.

Was heißt das jetzt für die Gegner_innen der Todesstrafe?

Es ist ein Teilerfolg. Seit vielen Jahren wird beklagt, was jetzt seinen Weg vor den Surpreme Court gefunden hat. Waren die Hinrichtungszahlen in den letzten Jahren steigend (2005 ca 50 Hinrichtungen, 2006 ca 60), wird dieser Trend dieses Jahr auf jeden Fall gebrochen. Zwar setzen einige Bundesstaaten immer noch Hinrichtungen an, aber der Surpreme Court stoppt sie seit 25.09.2007 immer kurz davor. Vermutlich möchte er das Signal setzen, dass das staatliche Morden warten soll, bis eine Entscheidung im Fall BAZE gefallen ist.
Also wird vorraussichtlich hoffentlich dieses Jahr und die ersten Monate von 2008 niemand in den USA hingerichtet werden.
Aber falls jetzt auch der Druck gegen die Todestrafe nachläßt, werden wieder viele Hinrichtungen in 2008 stattfinden, sobald der Surprem Court zu einer Entscheidung gelangt ist und alle Bundesstaaten sich dementsprechend angepasst haben.
Gelingt es in dieser Phase, weiter öffentlich wahrnehmbaren Druck zu erzeugen, werden sich vielleicht die verschiedenen Argumentationen gegen die Todesstrafe im öffentlichen Bewußtsein halten können.
Was zum Beispiel in der jetzigen Debatte selten auftaucht, ist die Frage, wie kommt jemand in den USA überhaupt in die Todeszelle?
Das sog. Pflichtverteidiger_innen oft nur unterqualifizierte Helfershelfer_innen der Staatsanwaltschaft sind, das die Hautfarbe der/des Angeklagten eine maßgebliche Rolle zu spielen scheint oder auch politische Aspekte ins Gewicht fallen, hat gerade erst Einzug in die öffentliche Debatte gefunden.
Einige hohe Justizposten werden in den USA z.B. gewählt. Ein „erfolgreicher“ Oberstaatsanwalt ist in manchen Bundessaaten eben jemand, der viele durchgeführte Hinrichtungen verbuchen kann.

Am 8.12.2007 ist Internationaler Tag der Menschenrechte. Zwar ist der von der UN ausgerufen, in der viele der Hinrichtungsstaaten vertreten sind, aber Todestrafengegner_innen sehen darin keinen Grund, den Verantwortlichen nicht ihre eigenen Menschenrechtsverletzungen vorzuhalten.
Im Berliner Raum in Deutschland gibt es verschiedene Aktivitäten. ( Veranstaltungsreihe gegen Todesstrafe  http://www.mumia-hoerbuch.de/stopptodesstrafe.htm#film , Kundgebung vor US-Botschaft  http://www.mumia-hoerbuch.de/text/aufruftextkundgebung.pdf , Onlinepetiton an UN gegen Todesstrafe  http://www.mumia-hoerbuch.de/stopptodesstrafe.htm#ai )
Ansonsten gibt es auch im Netz eine Vielzahl interessanter Seiten und Blogs:

 http://www.nodeathpenalty.eu/
 http://todesstrafe-usa.de/
 http://deathpenaltyusa.blogspot.com/2007/09/innocence-matters-chapter-four.html
 http://www.mumia-hoerbuch.de/stopptodesstrafe.htm
 http://capitaldefenseweekly.com/
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Ergänzungen

mehr Bilder zur Todesstrafe in den USA

Mumia-Hörbuchgruppe 11.11.2007 - 15:57
Weitere Bilder zur Durchführung der Todesstrafe in den USA. Im ersten sehen wir einen Henker, der im Hinrichtungsknast von Huntsville in Texas ganz lapidar die Durchführung einer Hinrichtung mit der Giftspritze erklärt.
Danach noch einige Bilder von Protesten gegen eine Hinrichtung 2005 in Huntsville sowie die Liege, auf dr die Hingerichteten festgeschnallt werden, bevor die Spritzen gesetzt werden.

Knäste Texas: fast 800 Verfahren gegen Wärter

Kurt 13.11.2007 - 14:07
Schaut euch zum Thema mal diesen Artikel-Link an. Er berichtet über Disziplinarverfahren gegen Gefängnisbedienstete in Texas. Dazu gibt es noch ein Video der BBC, in dem es um vorgeworfene Menschenrechtsverletzungen in texanischen Knästen geht.

 http://www.nodeathpenalty.eu/?p=75

Kundgebung am 8.12.07 in Berlin

Kurt 14.11.2007 - 12:44
In dem Artikel oben kam das nicht so deutlich raus.

Am 8.12.2007 gibt es in Berlin um 14 Uhr eine Kundgebung vor der US-Botschaft mit folgenden Forderungen:

Freiheit für Mumia Abu-Jamal!
Freiheit für Leonard Peltier!
Abschaffung der Todesstrafe weltweit!

Aufruftext findet mensch hier:  http://www.mumia-hoerbuch.de/aktiv.htm
Es ist der Zweite auf der Seite.

Adresse: Unter den Linden/Neustädtische Kirchstr.

Im Anschluß um 18 Uhr startet in der Nähe am Rosenthaler Platz die Freiräume-Demo.

Jahresüberblick über Todesstrafe in USA

Klara 20.12.2007 - 19:42
Die im Artikel angesprochene Entwicklung wird auch durch einen Artikel der LA Times vom Dezemeber 2007 untermauert. Leider kann der online nur von registrierten Leser_innen gelesen werden, daher füge ich ihn hier ein. wer genauere Fragen hat, kann sich übrigens an den Autor selbst wenden, der seine Arbeits-e-mail unten angegeben hat.


U.S. executions at a 13-year low
Experts say litigation over lethal injection clearly had a significant effect on the death penalty this year.
By Henry Weinstein; Los Angeles Times Staff Writer

December 19, 2007
Forty-two people were executed in the U.S. this year -- the lowest number since 1994 and fewer than half as many as there were in 1999, when the total was 98 -- the highest number in the modern era of the death penalty.

There have been no executions since Sept. 25, as more than a dozen death row inmates received stays of execution after the Supreme Court decided to hear a January challenge to lethal injection, the dominant mode of execution in the nation.

In addition, with less than two weeks remaining in 2007, projections show that there will have been 110 death sentences handed down this year, 4% fewer than in 2006 and 60% fewer than in the peak year of 1999, when there were 276, according to the Death Penalty Information Center.

The center's year-end report praised New Jersey's decision to abolish capital punishment. In addition, it hailed several other developments, including the exoneration of three men who had faced death sentences.

"2007 will be known as the year executions came to a temporary halt, and as the year of concrete legislative action reconsidering the death penalty," said Richard Dieter, executive director of the center, which opposes capital punishment.

The report also emphasized that only 10 states held executions this year and that 26 of them occurred in one state -- Texas. Along the same line, 86% of the executions occurred in Southern or Southwestern states. A number of states with large death row populations -- California, Florida, Pennsylvania, Louisiana and Nevada -- had no executions.

The freeing of inmates Curtis McCarty in Oklahoma, Michael McCormick in Tennessee and Jonathon Hoffman in North Carolina brought to 126 the number of wrongfully convicted individuals who have been released from death rows in the last 20 years.

This year governors in three states, including Texas, commuted the sentences of three death row inmates to life without parole. Last year, there were no commutations.

In a recent poll conducted for the center, 60% of Americans said wrongful convictions had either lessened their support for the death penalty or strengthened their already-existing opposition.

Nonetheless, according to a Gallup Poll conducted in October, 69% of Americans still favor capital punishment, up 4 percentage points from last year. Support for the death penalty peaked at 80% in 1994, according to Gallup, and has been in the 65% to 70% range in recent years. In May 2006, for the first time, a slim majority (48% to 47%) of Americans said they preferred that the penalty for murder be life without the possibility of parole rather than death. Gallup did not ask that question in this year's poll.

Litigation over lethal injection clearly had a significant effect on the death penalty landscape this year. More than 40 people received stays of execution because of lethal injection challenges this year, the center said.

Although the center was pleased with this development, Dieter acknowledged that once the Supreme Court ruled on the pending challenge to Kentucky's lethal injection law, there could be an increase in executions next year. That case, Baze vs. Rees, is set for oral arguments Jan. 7.

"At some point, these cases will start to move through the system again," said Jim Marcus, an adjunct professor at the University of Texas School of Law, who has represented a number of death row inmates. He recalled that at one point in the mid-1990s, Texas had only three executions as courts there sorted out a new habeas corpus law. Within a year, the number of executions rose to 40, the most of any year since the Supreme Court permitted states to reinstate capital punishment in 1976 after a four-year hiatus.

Marcus said that but for stays granted because of lethal injection challenges, there would have been "at least three more executions in Texas this year," and he expressed concern that 2008 "could be a record-setting year in Texas" depending on the Supreme Court ruling.

Death penalty supporters, including attorney Kent Scheidegger of the Criminal Justice Legal Foundation in Sacramento, emphasized that the high court was not considering the constitutionality of the death penalty. Rather, the court is considering whether the way Kentucky conducts its lethal injection executions violates the Constitution's prohibition against cruel and unusual punishment.

Depending on how the court decides the case, there could be a considerable amount of spinoff litigation in states around the country over whether their methods passed constitutional muster.

Josh Marquis, the chief prosecutor in Astoria, Ore., and a frequent spokesman for the National District Attorneys Assn., said he did not dispute that the number of death sentences and executions had dropped.

But he said the decline in death sentences was attributable to three factors: decreasing murder rates; prosecutors asking for the ultimate punishment less frequently; and jurors imposing the penalty less often, particularly now that they had the option in every state of giving life without the possibility of parole.

 henry.weinstein@latimes.com