Rostock G8: Urteile im Berufungsverfahren

Red_Angel 07.11.2007 19:49 Themen: G8 Repression
Heute fanden zwei Berufungsverfahren vor dem Landgericht in Rostock wegen der Ausschreitungen vom 2. Juni im Rostocker Stadthafen statt. Ein 20-jähriger Spanier und eine 22-jährige Deutsche waren in einem beschleunigten Verfahren jeweils zu 9 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurden. Beide hatten die Urteile angefochten, so dass es heute im Saal 035 zu einer erneuten Verhandlung kam.
Das erste Verfahren dauerte nicht viel mehr als halbe Stunde. Das Urteil wurde aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen. Der aus Saragossa stammende Spanier war in seinem ersten Verfahren am 06.06.07 verurteilt wurden. Die Kammer monierte die fehlende Zuständigkeit. So war der junge Mann von einem Strafrichter verurteilt worden, gleichzeitig stand jedoch eine Zuständigkeit des Jugendgerichtes im Raum. Da aus den Protokollen und dem Urteil nicht genau hervorging in welcher Funktion der Richter urteilte, wurde nun eine Neuverhandlung beschlossen. Die Staatsanwaltschaft scheiterte damit mit ihrem Versuch, das Urteil zu berichtigen. Stattdessen setzte sich die Verteidigung mit ihrer Linie durch. Denn auch das Gericht sah in dem bisherigen Procedere einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Strafprozessordnung.

Im zweiten Prozess zeigte sich die Angeklagte weitgehend geständig. Sie räumte ein, aus einer unfriedlichen Menge heraus einen Stein in Richtung Polizei geschleudert zu haben. Dank Videobeweis und der Aussage des 27-jährigen Polizeibeamten Stefan Golz galt der Tatvorwurf bereits vor der Verhandlung als unstrittig. Spannend hingegen war die Frage inwieweit die zur Zeit arbeitslose Frau mit einer Aussetzung zur Bewährung rechnen konnte. Besonders bemerkenswert war ferner, dass auf dem Polizeivideio deutlich ein Übergriff des festnehmenden Beamten der 23. Einsatzhundertschaft aus Berlin dokumentiert worden war. Die währendder Flucht vor den anrückenden Beamten gestrauchelte Angeklagte, war von noch am Boden liegende Angeklagte war mit dem Fuß in den Oberkörper getreten worden. Der Beamte rechtfertigte die Handlung, als Schockmaßnahme um die Flucht zu verhindern. Gegen ihn läuft bereits ein Ermittlungsverfahren in dieser Angelegenheit. Bei der weiter andauernde Gewalt seitens der Beamten während der Festnahme, erlitt die aus Bayern stammende Frau erhebliche Hämatome und Schürfwunden im Gesichtsbereich. Nachdem ein Arzt jedoch die Haftfähigkeit festgestellt hatte, saß sie bis zum 06. Juni 07 4 Tage in Untersuchungshaft.
Nachdem der Tathergang und ihre Täterschaft unstrittig waren, begutachtete das Gericht ausführlich alle Umstände die für und wider der Angeklagten sprachen. Dabei wurde dem Geständnis nur wenig Beachtung geschenkt, zumal die Angeklagte Reue vermissen ließ. Zu ihren Ungunsten sprach nach Auffassung des Gerichts weiter, dass die Angeklagten bereits mit ähnlichen Delikten aktenkundig geworden ist. So erhielt sie Geldstrafen nach Angriffen auf Polizeibeamten. Am 6.09. wurde sie zu einer 3 - monatigen Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem sie am 1. Mai in Nürnberg einen Beamten angegriffen hatte. Diese Vorstrafe wurde in dem Urteil einbezogen und so stand am Ende das Urteil über eine 11-monatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Das Gericht konnte keine günstige Sozialprognose erkennen. Allgemein wurde das Urteil nachdem Verfahrensverlauf von allen Beteiligten erwartet. In ihrem Schlusswort geißelte die Angeklagte die Politik der G8 und griff mit scharfen Worten insbesondere imperialistische Bestrebungen der G8-Staaten im Irak, Afghanistan und Tschetschenien an. Als scheinheilig bezeichnete sie die Klimapolitik der G8 sowie die Maßnahmen zur Entschuldung der 3. Welt.
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Ergänzungen

pressemitteilung prozessbeobachtungsgruppe

beobachter 07.11.2007 - 22:04

Prozessbeobachtungsgruppe Rostock

Pressemitteilung

Teilerfolg für Gipfelgegner: Landgericht hob Schnellgerichtsurteil auf, damaliger Richter war unzuständig

Mit einem Teilerfolg für die G8 Gegner endete heute die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock gegen einen 20 jährigen Spanier, dem schwerer Landfriedensbruch während der Großdemonstration am 2.Juni in Rostock vorgeworfen wurde. Er war einer der 10 Personen, die die Polizeiteruppe Kavala damals willkürlich aus den Verhafteten auswählte, um sie schon 4 Tage nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Rostocker Stadthafen in einem medial aufwändig inszenierten Schnellverfahren als Gewalttäter abzuurteilen. Der Angeklagte bekam damals 10 Monate Haft, konnte aber das Gefängnis zunächst verlassen, da er Berufung gegen das Urteil einlegte. Bei dem damaligen Prozess ging es aber nicht darum, Beweise für Schuld oder Unschuld zu finden.. Der damals zuständige Ermittlungsrichter hielt es noch nicht mal für nötig, den Zeugen vorzuladen, der angeblich einen Seinwurf gesehen hatte. Abgeurteilt wurde nach Aktenlage. Es ging den Repressionsbehörden nur darum, schnell in der Öffentlichkeit irgendwelche Straftäter präsentieren zu können, um weiter Stimmung gegen den G8-Protest zu machen, in der Hoffnung, daß das Verfassungsgericht das polizeiliche Versammlungsverbot unter Verweis auf angebliche Gewalttäter unter den Demonstranten bestätigen würde, was ja auch dann passierte.

Daß bei diesem Eilverfahren alle möglichen rechtlichen Standards unter die Räder von Staatsanwaltschaft und Kavala gerieten, wurde bei der heutigen Verhandlung unter dem Richter am Landgericht Schwerhans schnell deutlich. Ob wohl der Angeklagte gerade mal 20 Jahre alt war, gegen ihn also nach deutschem Recht ausschließlich nach Jugendrecht verfahren werden darf, scherte sich die Staatsanwaltschaft nicht um diese Gesetzesnorm und beantragte am 6.6 die Verurteilung durch einen Strafrichter. Die Verteidigerin des Angeklagten beantragte die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Neuverhandlung durch das Jugendgericht. Dem entsprach der Richter vollumfänglich und äußerte noch in Richtung der Staatsanwaltschaft, daß im deutschen Recht der Richter Verfassungsrang besitzt und niemand einem Angeklagten den ihm durch das Gesetz zugewiesenen Richter entziehen darf. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft, der Richter möge den damaligen Fehler nicht so eng sehen und das Urteil doch einfach korrigieren, äußerte Richter Scherhans, daß es die Verfassung verbiete, über den Umweg einer solchen Berichtigung so zu tun, als könne man damit einen zuständigen Richter darstellen.
Die Prozessbeobachtungsgruppe Rostock sieht im Ausgang des heutigen Verfahrens ein Indiz mehr, daß die Polizeitruppe Kavala gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft sich während des Gipfels im Rahmen der Schnellverfahren über verfassungsrechtliche Grundsätze fairer Prozessführung hinweggesetzt hat. Es wird immer deutlicher, daß die Justiz während des G8 völlig nach der Pfeife der Kavala getanzt hat.

Antirepressionsdemo in Rostock 17.11

antirep 07.11.2007 - 22:09
Gegen die zur Zeit laufenden Verfahren und die, die in Zukunft stattfinden werden, gibt es am Sa, 17.11 ab 14 Uhr, Saarplatz Rostock eine überregionale Demo, unter dem Motto
"Gegen Überwachungsstaat und Justizwillkür"
Laßt die Angeklagten nicht allein, Kommt nach Rostock!
Wenn wir ordentlich öffentlichen Druck machen, kann ein Großteil der angekündigten Prozesse vielleicht abgewendet werden.

MV-Regio meldet

Red_Angel 08.11.2007 - 11:37
Haftstrafe für 22-Jährige wegen Steinwurfs bei G8-Demonstration
08.11.2007: Rostock/MVregio Wegen eines Steinwurfs gegen Polizisten bei einer Anti-G8-Demonstration im Juni in Rostock ist eine 22-Jährige vom Landgericht Rostock zu elf Monaten Haft verurteilt worden.
Foto: Archiv

Foto: Archiv

Die junge Frau aus Bayern war vier Tage nach der Demonstration bereits in einem beschleunigten Verfahren vom Amtsgericht Rostock zu neun Monaten Haft ebenfalls ohne Bewährung verurteilt worden. Die 22-Jährige, die mehrfach wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vorbestraft ist, hatte im Prozess ein Geständnis abgelegt. Demnach habe sie reflexartig zu einem Stein gegriffen und diesen gegen die Polizisten geworfen, um Freunde gegen Angriffe von Beamten zu schützen. Mit dem in einem Video dokumentierten Wurf hatte sie niemanden getroffen oder verletzt.
In einem weiteren Prozess hob das Landgericht am Mittwoch ein ebenfalls in einem Schnellverfahren gefälltes Urteil von neun Monaten Haft gegen einen 20-jährigen Spanier auf und verwies den Fall an das Amtsgericht zurück. Laut Landgericht war in dem Urteil nicht genügend geklärt worden, ob es von einem Straf- oder Jugendrichter ausgesprochen worden wurde. Beide Angeklagten hatten gegen die Urteile des Amtsgerichtes Berufung eingelegt.
Am Rande der ansonsten friedlichen Demonstration mit mehreren zehntausend Menschen war es am 2. Juni, dem Samstag vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm, im Rostocker Stadthafen zu einer Straßenschlacht zwischen rund 2000 militanten Autonomen und der Polizei gekommen. Dabei waren mehrere hundert Menschen leicht verletzt worden, einige schwer.
Bei der Verurteilung der 22-Jährigen sah es das Landgericht als erschwerend an, dass sie in den vergangenen Monaten wiederholt Polizisten bei Demonstrationen angegriffen hatte. Zuletzt war sie deshalb vom Amtsgericht Nürnberg zu drei Monaten Haft mit Bewährung verurteilt worden. Diese Strafe wurde vom Landgericht in den Urteilsspruch miteinbezogen. Zudem zeige sie keine Reue, kritisierte der Richter. Sie habe nichts aus früheren Verurteilungen gelernt.
MVregio Rostock mv/hro

 http://www.mvregio.de/nachrichten_region/hro/70045.html

@x

z 08.11.2007 - 13:56
weil sie vor ort festgenommen wurde (siehe text). anhand bestimmter merkmale (schuhsorte, körpergröße, haarfarbe - wenn z.B. eine locke aus der vermummung rausschaut) kann der festgenommene mensch dann im nachhinein den videoaufnahmen zugeordnet werden.

eine andere möglichkeit ist eine lückenlose videoaufnahme von der beanstandeten handlung bis zur festnahme, dann nützt auch die uniformste erscheinung nichts mehr.

Kurze Frage zu Reisekosten

langer atem 08.11.2007 - 15:33
Zum ersten Verfahren:
Muß der Genosse aus dem spanischen Staat jetzt die Reisekosten zur Verhandlung selber zahlen oder geht das (weil's an das AG rückverwiesen wurde) auf Staatskosten?
Gab es in Rostock eine geeignete Übersetzung ins Deutsche (wohl aus dem Spanischen, oder Catalan, Baskisch?).

Zum zweiten Verfahren:
Das zeigt noch mal, daß Einlassungen auch bei reiner Eigenbelastung nicht unbedingt strafmildernd wirken, weil "Reue" vermißt wird. Ich denke, bei der kollektiven Verteidigung gegen die Übergriffe (Eingriffe) der Polizei gibt es auch nicht bereuen. Hätten sich die Leute nicht gemeinschaftlich gewehrt (durch Ketten, aber auch durch Abwehr der Polizeiangriffe), dann hätte die Polizei noch mehr Leute verletzt und noch mehr Leute kriminalisiert.

Jetzt, wo es die erste Knaststrafe (11 Mon. ohne Bew.) gab, gilt es umso mehr, daß sich die globalisierungskritische Bewegung mal verstärkt um Knastsoli-Aktionen kümmert.

Schafft Rote Hilfe!

Einige ergänzende Infos

Red_Angel 08.11.2007 - 21:26
Es wurde ein Übersetzer vereidigt, der nicht nur für den Angeklagten sondern auch für das halbe dutzend spanischer Unterstützer übersetzte.

Eine Entscheidung darüber wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, wird erst das Amtsgericht treffen.

Zu dem Video:

Auf der etwa 2 minütigen Sequenz ist der Steinwurf zu erkennen (jedoch nicht der Ort des Einschlags) wenige Augenblicke später, rückt die Polizei vor und die spätere Angeklagte stürzt und wird nach einem Tritt verhaftet.

nicht die erste Verurteilung

egal 09.11.2007 - 17:33
Die verhängte Haftstrafe von 11 Monaten war nicht die erste im Zuge der G8-Proteste. Nach der Großdemonstration am 2. Juni wurde ebenfalls ein Strafverfahren gegen einen 35jährigen Rostocker anberaumt; jedoch kein Schnellverfahren! Das war nicht möglich, da er im Zuge einer früheren Verurteilung noch auf Bewährung war. Somit wurde ein längerfristiges Verfahren gegen den Rostocker vorbereitet. Das Gericht erkannte seine angebliche Tat (einen Steinwurf) als erwiesenen Bestand einer versuchten gefährlichen Körperverletzung an. Er wurde zu 14 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt; nach dem letzten Stand steht diesbezüglich noch ein Berufungsverfahren aus, die seine Anwältin nach der Verurteilung ankündigte.

weitere Informationen:
 http://gipfelsoli.org/Home/Heiligendamm_2007/Repression_G8_2007/4141.html

Freispruch

Lutz 09.11.2007 - 23:42
Und hier noch ein Bericht eines Freispruches vom heutigen Tage:
 http://solid-mv.de/index.php?option=com_content&task=view&id=216&Itemid=68

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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