Libanon: Ein Bericht aus Beddawi Camp

a-films 06.11.2007 00:55 Themen: Militarismus Weltweit
Die Garage als Wohn- und Schlafzimmer

Ein Bericht aus dem Flüchtlingslager Beddawi in Nordlibanon.
Seit zwei Monaten herrscht Ruhe im Flüchtlingslager Naher al-Bared im Norden Libanons. Die libanesische Armee hat das Camp nach mehreren Monaten vollständig eingenommen - und zerstört. Von Naher al-Bared ist nichts als ein riesiger Trümmerhaufen übrig geblieben. Zehntausende palästinensischer Flüchtlinge haben alles verloren. Ausser einigen Kleidern und Habseligkeiten, welche sie in der Eile mitnehmen konnten, ist ihnen nichts geblieben. Man findet diese Menschen jetzt in den anderen palästinensischen Camps in Beirut, Saida und Sour - und eben: in Beddawi nahe von Trablous.

Es ist für viele Flüchtlinge nicht das erste Mal, dass sie ihre Häuser verlieren. Palästina, Nabatiyye, Tell az-Zataar, Sabra und Shatila sind nur einige Begriffe, mit denen die neuerliche Katastrophe assoziiert wird. Die andauernde Rechtslosigkeit und die politische Unterdrückung, der Rassismus auf institutioneller und sozialer Ebene, diese verschiedenen Formen der Deprivation, unter welchen hunderttausende PalästinenserInnen in Libanon seit 1948 leiden, sie haben "bloss" einen neuen Kulminationspunkt erreicht.

Humanitäres Desaster in Beddawi Camp

Die humanitäre Situation in Beddawi Camps ist äusserst ernst. Die Bevölkerung Beddawis hat sich etwa verdreifacht. Die Flüchtlinge sind überall. Tausende Flüchtlinge wohnen zusammengepfercht in Schulen und Moscheen. Nichts ausser Plastikplanen trennt die einzelnen Familien. Die sanitären Anlagen sind hoffnungslos überlastet und dreckig. Matratzen sind Mangelware. Die Flüchtlinge hausen auch in Gärten, Garagen und Zelten. Manche konnten sich eine überteuerte Wohnung ausserhalb des Camps angeln, für eine Garage liegt indes der Mietpreis bei bis zu 250 Dollar im Monat. Zumindest für die Liegenschaftsbesitzer im Umkreis Beddawis ist diese Tragödie ein gutes Geschäft.

Viele erhalten Lebensmittelrationen von Hilfsorganisationen. Der Lärm und die Bevölkerungsdichte im sonst schon engen Camp drücken auf das Klima. Streitereien zwischen den Flüchtlingen mehren sich täglich. Trotzdem ist dies in erster Linie keine humanitäre, sondern eine politische Katastrophe. Viele Leute schreien deshalb auch nicht nach mehr Hilfsgütern, sondern fordern die sofortige Rückkehr in die Ruinen ihres Camps. An dieser hindert sie aber die libanesischen Armee, welche derweil noch immer damit beschäftigt ist, die zerstörten Häuser zu plündern und die Güter nachts mit Lastwagen abzutransportieren. Nur rund 1000 Familien konnten bislang in drei Sektoren des Camps zurückkehren, in Teile des „neuen Camps“. Ins „alte Camp“, den 60-jährigen, total zerstörten Kern Nahr al-Bareds, wird bislang niemand zurückgelassen.

Langfristige Katastrophe mit politischem Hintergrund

Das Rückkehrbegehren unter den Flüchtlingen in Beddawi bleibt noch immer eher theoretisch. Seit ein kollektiver Versuch, nach Bared zurückzukehren für drei Palästinenser tödlich und für unzählige weitere im Spital oder Gefängnis geendet hat, ist die Bereitschaft zur direkten Aktion gesunken. Gewalt und systematische Folter gehören an den in ganz Libanon verbreiteten Checkpoints und in den Gefängnissen für PalästinenserInnen zum Alltag.

Eine politische Analyse der Situation fällt nicht leicht. Verschiedene Faktoren spielen zusammen. Bei Nahr al-Bared handelt es mit Sicherheit um eine politisch gewollte und produzierte Katastrophe. Die Vorgehensweise der libanesischen Armee lässt darauf schliessen, dass die Zerstörung des Camps beim Kampf gegen Fatah al-Islam zumindest in Kauf genommen, wenn nicht sogar beabsichtigt wurde. Die Kämpfe begannen Ende Mai in der nordlibanesischen Stadt Trablous. Diese wurden darauf aber nicht mit militärischen Mitteln eingeebnet.
Die libanesische Armee hat wiederholt klar gemacht, dass nach einem Wiederaufbau Nahr al-Bareds das Camp unter staatliche Kontrolle komme. Dies ist eine Neuheit in Libanon, da bislang sämtliche Camps unter palästinensischer Kontrolle bzw. vom UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, der UNRWA verwaltet werden und libanesische Sicherheitskräfte die Camps nicht betreten. Ob Bared allerdings wieder aufgebaut wird, ist eine andere Frage oder eine leere Versprechung. Die Zerstörung des Camps und die massiven Plünderungen und Brandschatzung nach der Eroberung des Lagers durch die libanesische Armee schliessen eher auf eine nachhaltige Strategie: die Vermeidung einer grossen, lokalen Ansammlung palästinensischer Flüchtlinge.
Das anarchistische Filmkollektiv a-films hat im Zusammenhang mit dem Schicksal der Nahr al-Bared-Flüchtlinge drei Kurzfilme produziert. Sie lassen sich hier anschauen bzw. herunterladen:
Weitere Kurzfilme des Kollektivs sind über den a-films-Blog verfügbar.
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